This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world's books discoverable online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web
at |http : //books . google . com/
über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
r
v4<
Quellen und Untersuchungen
zur
lateinischen Philologie
des Mittelalters
herausgegeben von
Ludwig Traube
Dritter Band
Mit sechs Tafeln
MÜNCHEN 190S
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
i
DEC 21 '7^^
JAN 2 - *9^
k..'
Quellen und Untersuchungen
zur
lateinischen Philologie
des Mittelalters
herausg^eben von
Ludwig Traube
Dritter Band
Mit sechs Tafeln
MÜNCHEN 190»
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
THif. NEW YORkI
PUBLirilBHARY
A8TOR. Lf^XOX AND
TILDEN FOoNOATWN«.
I R 1012
Inhalt des dritten Bandes:
Erstes Heft: Franciscus Modius von Paul Lehmann.
Zweites Heft: Textgeschichte Liudprands von Cremona von Joseph Becker.
Drittes Heft: Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino von E. A. Loew.
Viertes Heft: Die Gedichte des Paulus Diaconus von Karl Neff.
THt i-i^W VORK
PUBLIC LIBRARY
ASTOR, LENOX AND
TfLDEN F"' • n.Mli^NS.
R 1S12 L
Quellen und Untersuchungen
zur
lateinischen Philologie des
Mittelalters
herausgegeben von
Ludwig Traube
Dritter Band, erstes Heft
Franciscus Modius als Handschriftenforscher
von
Paul Lehmann
Dr. phil.
MÜNCHEN 1908
C H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
FRANCISCUS MODIUS
ALS HANDSCHRIFTENFORSCHER
VON
PAUL LEHMANN
Dr. PHIL.
MÜNCHEN 1908 ' ^
C. H. BECICSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
PUBLIC LIBRARY
ASTOR, LENOX ANO
TILDEN FOUNtATIONa.
R 1912 L
C. H. Bcck'tchc Buchdnickcrci in Nördlingeo
DEM ANDENKEN
LUDWIG TRAUBES
GEWEIHT
9
Be not the slave of Words:
is not the Distant, the Dead,
while I love it, and long
for \t, and mourn for it,
Here, in the genuine sense,
as tnily as the floor I stand on?
Vorwort
Die vorliegende Studie über Franciscus Modius soll eine
Reihe von Untersuchungen eröffnen, in denen deutsche Humanisten
als Handschriftenforscher, als Entdecker und Benutzer mittel-
alterlicher Büchersammlungen behandelt werden. Ich beabsich-
tige damit, zugleich Beiträge zur Geschichte einzelner Ge-
lehrten wie der Philologie überhaupt und namentlich zu
einer historischen Bibliothek'en- und Handschriftenkunde
zu liefern.
Es ist unzweifelhaft, dafi die Entwicklung der VTissenschaften
in hohem Grade von der Art der Arbeitsbedingungen, ganz besonders
von der Zugänglichkeit der Forschungsobjekte, abhängig ist. Treten
die geschichtlichen Belege aus dem Bereiche der Geisteswissenschaften
weniger auffällig an den Tag als die aus dem Gebiete der Naturwissen-
schaften, so kann man dennoch auch dort ohne Mühe dieselbe
Beobachtung machen. Zum Beispiele wird jedem, der die Entwick-
lung der lateinischen Philologie überblickt, bald die Bedeutung auf-
fallen, die das jeweilige Verhältnis der Gelehrten zu der
Hauptquelle der literarischen Oberlieferung, zu den Handschriften,
besitzt
Fast jede Blüteperiode der lateinischen Philologie wird durch
einen Aufschwung in der Erschließung der Bibliotheken und in der
Verwertung der einzelnen Handschriften eingeleitet und begleitet:
Die italienischen Humanisten des 15. Jahrhunderts wurden die
VIII Vorwort
Begründer der modernen philologischen Forschung weniger durch
ihre eigenen schriftstellerischen Arbeiten als vielmehr dank ihren
zahlreichen Funden alter Exemplare unbekannter und bekannter
Schriften der Antike. Der Erasmische Kreis, dessen Leistungen
die Suprematie Deutschlands in der Philologie anzukündigen schienen,
umschloß Männer wie Bonifatius Amerbach, Beatus Rhenanus, Simon
Grynaeus, Johannes Sichardus und Sigismundus Gelenius, die mit
rastlosem Eifer, teils auf eigenen Forschungsreisen, teils unterstützt
von verständnisvollen Freunden, die Schätze mancher hervonagenden
Bibliothek hoben. Die französisch-holländische Blüte der klas-
sischen Philologie bezeichnet einen Höhepunkt in der Entwicklung
der Textkritik und fällt in die Zeit, wo sich die großen privaten
Büchersammlungen der Pithou, Cuiacius, Bongarsius, Scaliger, Nan-
sius, Lipsius, Vossius u. a. bildeten und Männer wie Carrio und
Modius ihre Bibliotheksfahrten unternahmen. Vollends sind die ge-
waltigen Arbeiten der Bollandisten und Mauriner eng mit den
Handschriften und Handschriftensammlungen verknüpft. Jetzt kam
es zum ersten Male zu einer großartigen Zentralisation verschiedener
Bibliotheken in der Benediktinerabtei von Saint-Germain und im
Jesuitenkolleg von Clermont. Und nun wurden die Bibliotheks-
erforschungsreisen aus Wanderfahrten Einzelner zu planvollen Unter-
nehmungen großer und einflußreicher Gemeinschaften. Eines der
besten Beispiele für unsere Auffassung ist der große Aufschwung in
der Patristik, der sich unmittelbar an die Wiederentdeckung der
Capitolare von Verona durch Maffei (1713) anknüpfte und sich
im wesentlichen auf den Ort der Funde, Verona, beschränkte. Wenn
schließlich das 19. Jahrhundert die Studien der lateinischen Schrift-
denkmäler von neuem erweiterte und vertiefte, so war das nicht zu-
letzt eine Folge davon, daß die politischen und wirtschafüichen Um-
wälzungen die Verkehrsverhältnisse verbesserten und oft an die Stelle
von vergessenen und schwer zugänglichen Büchersammlungen geist-
licher Körperschaften staatliche und städtische Bibliotheken setzten,
die die Handschriften nun erst wirklich zum Gemeingut der gesamten
gelehrten Welt machten.
Vorwort. IX
Wie notwendig und verheifiungsvoll eine sorgfältige Behandlung
dieser und anderer Phasen in der Entwicklung der Philologie auch
ist, so fehlt es doch fast ganz an Einzeluntersuchungen und vor allem
an zusammenfassenden Darstellungen, die von der angedeuteten Auf-
fassung getragen wären. Dem vorzüglichen Buche von R. Sabbadini,
Le scoperte dei codici latini e greci ne' secoli XIV e XV, Florenz 1905,
kann leider noch nichts ähnliches für die anderen Epochen an die
Seite gestellt werden.
Der Mangel ist um so bedauerlicher und verwunderlichen als
derartige Untersuchungen auch nach einer anderen Richtung hin
reichen Ertrag versprechen, wenn sie mit eingehenden Forschungen
Aber die von den Gelehrten benutzten Bibliotheken und
Handschriften verbunden werden.
Die bibliotheksgeschichtliche Forschung muß in erster Linie
dahin streben — wenn es auch nicht ihr einziges und höchstes Ziel
ist — ein Bild davon zu erhalten, was während des Mittelalters in
den Bacbersammlungen vorhanden war und was aus ihnen auf uns
gekommen ist. Die Haupthilfsmittel sind ohne Frage die mittelalter-
lichen und, sofern sie mit hinreichender Sorgfalt gearbeitet sind, die
modernen Bibliothekskataloge. Freilich ist hiermit allein nur in den
wenigsten Fällen eine vollständige Rekonstruktion der alten Samm-
lungen möglich, da einerseits viele der früher vorhandenen Codices
vernichtet und andere in ihrer Herkunft nicht zu erkennen sind.
Besonders aber deshalb, weil sich nur von einer Minderheit der
Bibliotheken Verzeichnisse erhalten haben und die überlieferten ja auch
immer nur den Bestand, wie er an einem bestimmten Zeitpunkte
war, widerspiegeln. Will man mehr von dem einstigen Besitze er-
fahren, so darf man den Umweg über die Gelehrtengeschichte nicht
scheuen und mufi sich fragen :
Was haben Forscher vergangener Zeiten von den mittel-
alterlichen Bibliotheken gewußt, welche Handschriften
haben sie gekannt und benutzt?
Das Material zur Beantwortung dieser Frage ist reicher, als man
von vornherein anzunehmen geneigt ist Es liegt zumeist in den
X Vorwort.
Briefen der Gelehrten und in den von ihnen veranstalteten Ausgaben
und ähnlichen Arbeiten verborgen. Die Mühe, die mit der Bewäl-
tigung des großen und nicht immer leicht zugänglichen Stoffes ver-
bunden ist, wird durch die Ergebnisse der Forschungen vollauf be-
lohnt; ja, hie und da wird man auf Texte und Tatsachen geführt,
die in der modernen Wissenschaft keine Berücksichtigung gefunden
haben und zu denen nur diese Art planvollen Zufalles führen kann.
Für die eigentliche Geschichte der Bibliotheken ist es natürlich
von hervorragendem Werte, wenn man feststellen kann, wann und
von wem sie entdeckt sind, und welche Rolle ihre Handschriften in
der Geschichte der Wissenschaft gespielt haben. Wenn, wie es sehr
häufig der Fall ist, Handschriften einer mittelalterlichen Sammlung
über mehrere oft ganz entlegene moderne Bibliotheken verstreut sind,
ohne dafi man Zeit und Umstände der Zersprengung kennt, so ver-
mag eine sorgsame Betrachtung der Humanistenbesuche auch zur
Aufhellung dieses Dunkels zu dienen. Denn einmal reden die Be-
nutzer selbst schon zuweilen von den Schicksalen der Bibliotheken,
sie wissen von Feuersbrünsten, Plünderungen in Krieg und Frieden
durch Fürsten, Soldaten, gewissenlose Gelehrte u. a. zu erzählen.
— Allerdings hat man es hierbei häufig mit Übertreibungen, leeren
Gerüchten und böswilligen Entstellungen zu tun, aber immerhin be-
kommt man oft die Richtung angewiesen, in der man mit Erfolg
forschen kann. — Andererseits kann man, wenn man die Angaben
nach der Zeit der Benutzung der einzelnen Handschriften ordnet, aus
dieser Liste zum mindesten Schlüsse darauf ziehen, wann die Samm-
lungen im Ganzen und Großen noch unversehrt am alten Orte waren
und in welchen Zeitraum die großen Veriuste und Verschiebungen
fallen.
Läßt sich das Wie und Wann der Krisis nicht genau in Erfah-
rung bringen, so darf man dennoch nicht versäumen, von den Schick-
salen der einzelnen Codices so viel als möglich und namentlich ihren
endgültigen Verbleib zu ermitteln. Auch hierfür sind die Bemerkungen
der früheren Benutzer wichtige Hilfsmittel. Je genauer und ausführ-
licher die alten Mitteilungen über die Eigenart der Handschriften
Vorwort XI
sind, um so größer ist die Möglichkeit, einen bestimmten Codex, ja
vielleicht ein ganzes Nest von Codices derselben Herkunft in einer
neuzeitlichen Bibliothek zu entdecken.
Nur auf Grund der eben entwickelten Anschauungen dürfte es
gerechtfertigt erscheinen, wenn im folgenden Franciscus Modius
eine so ausführliche Darstellung gewidmet wird. Er gehört nicht
zu denjenigen Männern, deren Bedeutung über ihre Zeit hinaus-
geht Aber vielleicht ist der unruhige Verlauf seines Lebens und
die Art seiner philologischen Tätigkeit um so typischer für zahl-
reiche seiner Zeitgenossen. Und — was das Wichtigste ist — er
gibt uns die Gelegenheit und Möglichkeit eine große Zahl alter
Bibliotheken zu durchwandern und ihre Handschriftenbestände zu
mustern.
Zum Schlüsse könnte ich manche Bibliothek und manchen
Mann nennen, von denen mir Förderung meiner Modiusstudien zu-
teil wurde. Sie mögen, auch wenn sie ihren Namen hier nicht
finden, meiner hilfsbereiten Dankbarkeit gewiß sein. Nur des größten
Helfers Name finde hier seinen Platz: LUDWIG TRAUBE. Seinem
Gedächtnis sei das Buch geweiht!
Wenn er noch am Leben wäre, würde es mir nicht vergönnt
sein, meiner dankbaren Gesinnung durch die Widmung Ausdruck zu
verleihen. Denn, als ich ihm im März des Jahres bei einem jener
unvergeßlichen Gänge durch seinen Garten erklärte, ihm meine Ar-
beit darbringen zu wollen, schlug er mir meine Bitte lächelnd ab: er
könnte keinesfalls die Widmung einer von ihm zuvor beurteilten, in
seinem eigenen Unternehmen erscheinenden Abhandlung annehmen,
um so weniger als er sie selbst mit einigen Worten einzuleiten ge-
dächte. Aller Widerstand war umsonst. Und war es denn wirklich
nötig, was ich so sehr wünschte? Meine Arbeit war und ist ja auch
so schon sein eigen. Nicht so sehr deshalb, weil die Anregung zu
ihr von ihm ausgegangen ist, weil darin nicht wenige Tatsachen
behandelt werden, auf die er mich aufmerksam gemacht hat, und
weil manches Stück in seinem gastlichen Hause, in seiner reichen
XII Vorwort.
Bibliothek entstanden ist Das Buch gehört ihm in einem höheren
Sinne, weil es in Liebe mid Verehrung für ihn geschrieben ward, weil
es in einer gladdichen Zeit innigster Gemeinschaft von Lehrer und
Schüler erwuchs.
Nun, wo der große Meister dahingegangen ist, sind alle Gründe
zu seinem Verbote hinfällig geworden. Nun kann und darf ich nicht
mehr darauf verzichten, öffentlich es auszusprechen, wieviel ich ihm
für die vorliegende Arbeit und überhaupt verdanke.
Des zum Zeugnis steht sein Name vor diesen Blättern, als Ge-
ständnis und Gelöbnis treuer Liebe, in wehmütiger Erinnerung an
jene trotz aller bangen Befürchtungen schönen Jahre, da ich Ludwig
Traubes Schüler sein durfte.
München, im August 1907.
Paul Lehmann.
Inhaltsverzeichnis.
Seilt
Vorwort Vn
I. Franciscus Modius' Leben i
1. Uteratnr and Qaellen 3
2. Lebensbesclirelbang^ 5
3. Beilagen: Aas Modlas' Briefwechsel 29
IL Modius als Handschriftenforscher 37
1. Die plillologisclien VerOffentllcliangen 39
2. Qesclilclite and Eigenart der Forscliangen 48
3. Die benatzten Handschriften 57
A. Handschriften aus Kloster- und Stiftsbibliotheken . . 59
Bamberg 59 — Bonn 60 — Brügge 63 — Fulda 64 — Oem-
bloux 81 — Heisterbach 83 — Köln 85 — Komburg 103 —
[Mainz llOJ — Saint-Berün 110 — Si^burg 117 — Ter Doest
121 — Würzburg 123.
B. Handschriften einzelner Personen 127
Franciscus Modius 127 ~ Johannes Posthius 136 — Jacobus
Susius 138 — Johannes Weidnerus 139.
C Handschriften unbekannter Herkunft 141
HL Register 146
1. Handschriftenverzeichnis 146
2. Schriftsteuerverzeichnis 148
3. Personenverzeichnis 149
1. FRANCISCUS MODIUS' LEBEN.
QMiteii 11. Untenuch. s. Ut Philologie des MA. 10, 1.
1. Literatur und Quellen.
Franciscus Modius ist dasselbe Los in der Geschichte zuteil
geworden wie vielen anderen Humanisten: vom 17. bis zum 19. Jahr-
hundert hat man weniger seine wissenschaftlichen Leistungen als
seine mannigfaltigen äußeren Geschicke behandelt Aber auch diese
nicht mit der wünschenswerten Genauigkeit und unter übermäßiger
Bevorzugung des Anekdotenhaften. Die alteren Biographien von
Miraeus, Adamus, Andreas, Sanderus, Sweertius, Clarmund, Zeltner,
Foppens u. a. kommen ftlr eine kritische Bearbeitung seiner Lebens-
geschichte nur noch in geringem Maße in Betracht, die späteren
dieser Darstellungen am wenigsten, da sie von den früheren sklavisch
abhängig sind. Neues und im allgemeinen Zuverlässiges haben erst
die Aufsätze von Anton Ruland im Jahre 1853 gebracht.^ Sie
haben eine äußerst wichtige Quelle erschlossen: Modius' Original-
aufzeichnungen aus den Jahren 1581 — 1588 in dem Kodex der Mün-
chener Hof- und Staatsbibliothek gall. 399. Auf Rulands Forschungen
beruht im wesentlichen die Monographie von Wilhelm Seibt, die
1882 zu Frankfurt a. M. erschien,*) eine anmutige Skizze, die das
kulturhistorisch Interessante in den Vordergrund stellt. Zu bedauern
ist es jedoch, daß dem Verfasser die neue Tatsachen bietende, treff-
liche Darstellung entgangen war, die L. Roersch den belgischen
Gelehrten E. Feys und D. van de Casteele für ihre Histoire d'Ouden-
bourg*) zur Verfügung gestellt hatte. In neuester Zeit hat sich
>) Scrapeum XIV 81— 91, 97—108, 113—124 und 129—134; Archiv des histo-
risdieii Vereins für Unterfranken und Aschaffenburg XII, 2. und 3. Heft, S. 1—57.
Letztere Arbeit zitiere ich kurz als Archiv.
') Als zweites Heft der von Seibt herausgegebenen Studien zur Kunst- und
Kulturgeschichte.
*) I (Brügge 1873) S. 595—600.
1*
4 P. Lehmann,
schlieSIich der Sohn des genannten Gelehrten, Alfons Roersch,
mit Modius beschäftigt und über ihn in der Biographie nationale
publice par Tacadömie royale de Belgique XIV (Brüssel 1897)
Sp. 921 — 935 eine ganz vorzügliche Arbeit veröffentlicht, die die
Dürftigkeit des entsprechenden Artikels in der Allgemeinen Deutschen
Biographie nur allzu deutlich hervortreten läßt
Wenn ich es trotzdem unternehme, auch Modius' äuSere Schick-
sale von neuem darzustellen, so geschieht es in der Oberzeugung,
dafi ohne stete Rücksichtnahme auf das Leben des Gelehrten ein
Verständnis seiner philologischen Tätigkeit, die im Mittelpunkte der
folgenden Abhandlung steht, nicht möglich ist, und deshalb, weil ich
in der Lage bin, ein in manchen Einzelheiten berichtigtes und ver-
vollständigtes Bild zu entwerfen. Es dürfte nicht zweckmäßig sein,
das gesamte von mir benutzte Material, das neue Aufschlüsse bot,
im voraus anzugeben. Nur auf die Hauptgattung der Quellen möchte
ich schon jetzt hinweisen: auf den Briefwechsel. Von den Dedikations-
episteln abgesehen, hat man bisher nur den größten Teil der Briefe
zwischen Modius und Lipsius und die in den „Novantiquae Lectiones"
wiedergegebenen Stücke berücksichtigt. Die sich gerade in dem
letztgenannten Werke zeigende Fülle von persönlichen Beziehungen
hätte die Forscher dazu anregen müssen, nach ferneren Zeugnissen
der modianischen Korrespondenz zu suchen. Nach und nach ist es
mir gelungen, folgende bisher nicht benutzte Briefe ausfindig zu
machen und zu kopieren:
L 1 Brief an Modius von Justus Lipsius, 7. Januar 1576.
Original in Stuttgart, kgl. öffentliche Bibliothek, Hist Fol. 603 s? (s.
Beilage 1).
II. 75 Briefe von Modius.
a) 27 an Joachimus Camerarius aus der Zeit vom 22. No-
vember 1581 bis zum 10. August 1591. Von einem der Briefe»
30. März 1583, ist das Original verschollen, dafür aber ein zuveriäs-
siger Abdruck in Th. Crenii animadversiones philologicae et histo-
ricae IX, Leiden 1701, S. 18 vorhanden. Die übrigen befinden sich
im Original in München, Hof- und Staatsbibliothek, Coli. Cam. XIX
115 — 140 (s. Beilage 2 und 3); 141 ist eine Elegie des Modius Ad
nobUem medicum et cKflrissimunC) vinim ac Dominum D. Joachimum
J. F. Camerarium de obita Ladovici fratris eius.
') XXII (1885) S. 46. Ich zitiere fernerhin dieses Werk, wie übUch, als ADB.
Frandscus Modius' Leben. 5
b) 43 an Johannes Weidnerus vom 22. Dezember 1580 bis
zum 6. November 1587. Originale in Stuttgart, kgl. öffentliche Bibliothek,
HiSt Fol. 603 194, 197| 198, 199, S04, S16, SIT, S18, SSO, SSS, SS4, S99, S44, S47,
S68, 964, S67, S69, S64, 986, 988, 989, 984, 987, 988, 898, 881, 840, 860, 869, 868, 868,
868, 889, S76, 408, 404, 411, 499, 488, 441, 466, 948.
c) 1 an Marcus Welserus vom 19. April 1592. Ab-
schrift in Basel, UniversitätsbibUothek, G« I 22 fol. 108 (s. Bei-
lage 4).
d) 1 an Hubertus Giphanius vom 22. August 1593, Ab-
schrift in Basel, G» 118 fol. 112 sq.
e) 1 an Conradus Rittershusius ohne Datum. Original
in Hamburg, Stadtbibliothek, Supellex Epist. Uffenb. et Wolf. XLVI
no. 222.
f und g) Je 1 an Vitus Cresperus vom 1. Oktober 1591,
und an einen Ungenannten (Videnveltius?); beide aus den
Originalen der Dorpater Universitätsbibliothek herausgegeben von
Freytag, Virorum doctorum epistolae selectae, Leipzig 1831, S. 188 ff.
h) 1 an Rochus Veldius (van Velde) vom 17. März 1592;
vom Empfänger in Abschrift dem Johannes Weidnerus mitgeteilt,
Stuttgart, kgl. öffenüiche BibUothek, Hist. Fol. 603868.
Meine besondere Aufgabe gestattet es mir nicht, diese Doku-
mente an dieser Stelle vollständig wiederzugeben. Ich muß mich
darauf beschränken, einzelne Stellen mitzuteilen und nur vier mir be-
sonders interessant erscheinende Stücke als Beilagen zu veröffent-
lichen.
Vermutlich wird sich in den holländischen und belgischen Biblio-
theken noch einzelnes finden lassen.
2. Lebensbeschreibung«
Frandscus Modius wurde am 4. August 1556 in Aldenburg
(Oudenbourg) bei Brügge als Sohn vornehmer und begüterter Eltern
geboren.*)
Nach A. Roersch wäre sein eigentlicher Familienname de Maulde
gewesen; ich halte es jedoch für angebracht, in meiner gesamten
1) Ich schicke voraus, dafi ich für die von den genannten Biographen bei-
gebrachten Daten, soweit sie richtig sind, die Quellenbelege nicht anführe.
6 P. Lehmaan,
Darstellung die lateinische Namensform zu gebrauchen, da nur sie
in den mir bekannten Dokumenten vorkommt. Es ist ja möglich,
daß er sich im privaten Leben de Maulde nannte und nennen liefi,
sobald der Gebrauch der lateinischen Sprache aufhörte; jedenfalls er-
scheint er aber in seiner gelehrten Tätigkeit, die uns hier vorzaglich
beschäftigt, als Modius, meist mit dem Zusätze Brugensis, da er
BrOgge recht eigentlich als seine Heimat betrachtete. Ober seine
Familienangehörigen ist wenig bekannt; der Eltern, die schon früh-
zeitig gestorben zu sein scheinen, gedenkt er niemals; ein einziges
Mal erwähnt er einen Bruder.*) Von anderen propinqul et cognatt
führt er vier Männer an, die sich teils als Gelehrte oder Dichter,
teils als Staatsmänner und Juristen einen Namen gemacht haben:
Adeodatus und Aeneas Marivorda,') Jodocus Damhouderius,^)
Amoldus Barzius^) und besonders häufig den als Gräzisten bekannten
Franciscus Nansius.«) Zu diesem, der 1565 — 1584 Brügger Senator
gewesen ist, hat Modius stets in einem besonders nahen Verhältnisse
gestanden. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er sein Patenkind und
später sein Mündel gewesen ist, wandte man sich doch 1578, um
Schulden einzutreiben, die Modius auf der Universität gemacht hatte,
mit der Begründung an Nansius: Cuiusnam potius fidem atqae
auxUium in hoc molestissimo amki casu implorem quam eins qui
1) Oberhaupt darfte es zweckmäfiig sein, sich bei sämtlichen Gelehrten des
15. bis 17. Jahrhunderts der latinisierten Namen zu bedienen, falls sich nicht anders-
sprachliche Namen eingebürgert haben. In sehr vielen Fällen ist die ursprüngliche
Form gar nicht zu ermitteln, in anderen weicht sie so sehr von der latinisierten
oder gräzisierten ab, daß man oft im ünidaren darüber sein würde, wer denn
eigenüich gemeint ist. Gewifi war es eine Unsitte, den ererbten Namen auf-
zugeben; aber ist diese Unsitte nicht für die Leute charakteristisch?
*) In dem bisher unbeachtet gebliebenen Briefe an Camerarius vom 30. März
1583, Crenii Animadversiones philologicae et historicae IX 18: ... valde me angit
quod toto fere anno nihil a fratre saltem verborum accipio metuoque in tanta
mutatione et perfidia VaUomun omnia,
') In der Neustetter gewidmeten Gedichtsammlung finden sich zwei Gedichte
(S. 78 und 134), in denen Modius die beiden .cognati* feiert Ober Adeodatus M.
vgl A. Sanderus, De Brugensibus fama eruditlonis daris, Antwerpen 1624, S. 9 1
*) Namhafter Jurist (1507—1581); van der Aa, Biogr. Wordenboek IV (1858)
S. 39-41 und ADB. IV (1876) S. 716 f.
•) Senator von Brügge (1554—1629). Biographie nationale de Belgique I
(1866) Sp. 630 f. Modius erwähnt die Verwandtschaft mit ihnen in der Vorrede zu
seiner Ausgabe von Damhouderi patrocinium pupillorum, Frankfurt 1586.
•) 1525—1595; van der Aa a. a. O. XIU (1867) S. 65—70 und Biographie
nationale de Belgique XV (1899) Sp. 425 fi
Franciscns Modlus' Leben. 7
üt audio ilU [sc. Modio] iatn inde a principio carator est datus?^) —
Eine fernere Vermutung liegt nahe, nämlich die, dafi Modius hier im
Hause seines Vormundes die erste Anregung zu eingehender Be-
schäftigung mit der antiken Literatur empfing. Aus den Brügger
Jugendjahren wissen wir sonst nur, daß vermutlich Johannes Masius,
Hubertus Busserius und bestimmt Andreas Hoius seuie Lehrer ge-
wesen sind, von denen nur der letztgenannte weiteren Kreisen als
tüchtiger Philologe und Poet bekannt ist*)
Der Sitte vornehmer Geschlechter entsprechend, wurde Modius
fOr die juristische Laufbahn bestimmt und, damit er sich hierfür
vorbereite, etwa 1570 auf die Universität Douai geschickt Nach
seinem eigenen Zeugnisse') waren hier Johannes Vendivilius,^) Ha-
drianus Peussius^) und Boetius Epo^) seine Hauptlehren Schon im
Jahre 1573 errang er, der 17jährige Jüngling, die Würde eines Dok-
tors beider Rechte. Bis 1575 scheint er in Douai geblieben zu sein.
Dann wandte er seine Schritte nach Löwen. Zwar setzte er auch
hier seine Rechtsstudien fort und hörte bei den juristischen Dozenten
Elbertus Leoninus,^ Johannes Wamesius, *) Petrus PecWus,») Johannes
Ramus^^O u. a. Daneben aber besuchte er auch die Vorlesungen des
Philologen Cornelius Valerius.^^)
Schon aus dieser einen Tatsache kann man ersehen, dafi Modius'
wissenschaftliche Bestrebungen eine gewisse Erweiterung erfahren
hatten. Was aber führte ihn zur Philologie?
Eine genaue Antwort würde, auch wenn das Material weniger
lückenhaft wäre, kaum gegeben werden können. Denn es waren
wohl hauptsächlich allgemeine Kulturverhaltnisse, die bestimmend auf
Modius einwirkten. Das juristische Studium des 16. Jahrhunderts
war noch nicht so ausschliefilich Fachstudium, dafi seine Verbindung
Crenii animadversiones etc. V 152. Der Brief wird auf S. 12 genauer be-
sprochen.
*) 1551—1631; vgl. van der Aa Vm (1867) S. 475 if.
^ Vgl. die Vorrede zum Patrodnium pupillorum, Frankfurt 1576, in der er
auch seine LOwener Lehrer nennt
^ 1527—1592; Jöcher, Allgem. Gdehrtenlezikon, IV 1511.
*) Ober Penssins habe idi nichts ermittelt
•) 1529—1599; van der Aa V (1659) S. 184 ff.
') 1519-1598; Biographie nationale de BelgiqueV (1887) Sp. 1591—1598.
•) 1524-1590; Jöcber IV 1807 f.
•) 1529-1589; van der Aa XV (1872) S. 147 f.
>•) 1535—1578; Biographie nationale de Belgique XVIII (1905) Sp. 652 ff.
") 1512—1578; ADB. XXXK (1895) S. 469 f.
g P. Lehmann,
mit der klassischen Philologie seltsam erscheinen könnte. Im Gegen-
teil kann man die Beobachtung machen, daß nicht wenige der be-
deutendsten Rechtsgelehrten zugleich auch tüchtige Kenner und Er-
forscher des griechisch-römischen Altertums gewesen sind. Es lag
ganz in der Natur der Sache, dafi die Lektüre und Interpretation des
römischen Rechtes nicht selten zu eingehender Besch^gung auch
mit der übrigen antiken, namentlich der römischen Literatur führte.
Und nun bedenke man weiterhin, dafi, als Modius seine Aus-
bildung genofi, gerade sein Vateriand der Hauptsitz der europäischen
Philologie überhaupt wurde, dafi gerade damals Stätten wie Löwen
und Leiden ihren Glanz ausstrahlten. Will man aber einzelne Per-
sonen nennen, die Modius in die Philologie einführten, so ist neben
Franciscus Nansius, Ludovicus Carrio,0 Victor Giselinus*) und Janus
Lemutius,') die, ebenfalls aus Brügge gebürtig, schon jetzt als seine
Freunde erscheinen, vor allem Justus Lipsius^) anzuführen.
Die Bekanntschaft mit dem damals bereits anerkannten Meister
ist für Modius' wissenschaftliche Entwicklung so bedeutungsvoll ge-
worden, daß es von Wert ist, sie bis in ihre Anfänge zu verfolgen,
zumal sich dafür neues Material heranziehen läfit, das eine genauere
Auslegung des schon früher bekannten ermöglicht — Das älteste
Zeugnis ihres Verkehres dürfte der in den »Quaestiones Epistolicae*,
Antwerpen 1577,*^) gedruckte Brief von Lipsius an Modius sein. Das
Original ist allerdings, wie es scheint, nicht erhalten, und es ist da-
her nicht feststellbar, welche Veränderungen sich Lipsius bei der
Herausgabe eriaubt hat Aber es ist gewiß, dafi die berichteten Tat-
sachen nicht fingiert sind. Leider ist das Schriftstück undatiert Eine
gewisse zeitliche Festlegung ist dadurch möglich, dafi der Druck der
„Quaestiones" am 13. Juli 1576 vom Zensor genehmigt, das Werk
also schon vor diesem Termine abgeschlossen gewesen ist. Ich kann
1) 1547—1595; Biographie nationale de Belgique HI (1872) Sp. 352-^7
und unten öfters.
«) 1543-1591; a. a. O. VH (1883) Sp. 787-792.
•) 1545—1619; a. a. O. XI (1891) Sp. 631-638.
«) Leider mufi man noch immer mit F. Növe, Memoire historique et litdraire
8ur le Coline des trois langues ä V universit^ de Louvain, BrQssel 1856, S. 167
sagen: La place est encore ouverte dans ies annales des lettres ä qui dira an
jour ce que fut Juste Lipse, et ce que vaut sa prodigieuse renommie. Vorläufig
benutze man namentlich den Artikel in der Biographie nationale de Belgique Xn
(1893) Sp. 239-290.
•) Lib. m ep. Xü.
Franciscus Modius' Leben. g
deshalb den Brief keineswegs, wie Roerscb,^) in das Jahr 1577
setzen, denke ihn mir sogar schon Ende 1575*) geschrieben und
zwar auf Lipsius' Landgute in Oveiyssche. Besonders deshalb, weil
aus den Anfangssätzen: Mihi vero, Modi, et salus a te grata fuU
nässa per Giselinum et gratiores nuperae litterae, non soüim amanter,
sed etiam liberaliter scriptae. Itaque cum antea ex sermonibus
Carrionis düigerem te, nunc coepi etiam amare primam, quia amari
me sentio a te, hervorgehen dürfte, daß die beiden Männer bei der
Abfassung des Briefes noch nicht persönlich miteinander bekannt
waren. Daß dies aber bereits im Januar 1576 der Fall war, zeigt
die Einladung zu Lipsius' Doktorschmause, Löwen 7. Januar 1576,
deren Wortlaut ich in den Beilagen aus Modius' Briefwechsel
mitteile.
Um die Situation zu verstehen, vergegenwärtige man sich, daß
Lipsius in den letzten Monaten des Jahres 1575 durch die Kriegs-
unruhen gezwungen wurde, sich nach Löwen zu flüchten, wo er dann
schon im Januar des folgenden Jahres die Würde eines iuris utrius-
que licentiatus errang.')
Ein fernerer in den »Epistolicae Quaestiones"*) enthaltener
Brief an Modius und einer an Nansius,<^) in dem sich Lipsius sehr
günstig über Modius ausspricht, fallen einige Zeit später; sie zeigen
uns Modius schon in intimem Verkehr mit Lipsius; ebenso die um-
^greiche lateinische Elegie, die Modius für die »Epistolicae Quae-
stiones" dichtete. Ich weise aus dem Grunde nachdrücklich auf
diese hin, weil er mit ihr zum ersten Male als Dichter an die Öffent-
lichkeit trat.«)
Die Tatsache, daß die beiden Männer seit 1575 in brieflicher
und dann in persönlicher Verbindung standen, sagt schon für sich
allein genug, aber wir erfahren noch Genaueres, nämlich daß es
weniger juristische als philologische Arbeiten waren, die sie zusammen-
führten. Aus dem an erster Stelle besprochenen Briefe erhellt, daß
>) A. a. O. 92L
*) Auch die Wendung ignosce novo marito spricht für einen früheren Zeit-
punkt, da sich Lipsius im Jahre 1574 mit Anna van den Colster vermähh hatte.
*) Vgl. Ch. Nisard, Le triumvirat litt^raire au XVIe siöde, Paris 1852, S. 36.
Ganz genaue Daten habe ich aber weder hier noch in anderen Arbeiten über diese
Zeit des Lipsius finden können.
*) Üb. V ep. XIV.
•) Lib. n ep. Xü.
•) Epist. Quaest lib. III ep. V erwfihnt Lipsius Modius' dichterische Tätigkeit:
die Lemutio, die Modio HendecasyUabos parent.
10 P- Lehmann,
Modius an Lipsius über seine Beschäftigung mit den römischen Bu-
kolikem Calpumius und Nemesianus Bericht erstattet, vielleicht ge-
radezu Proben seiner Arbeit zur Beurteilung eingeschickt hatte. Da
nun erhielt er (Ende 1575) die ermutigende Antwort:
De Nemesiano et Calpamlo ego vero non probo solum^ sed
hortor et suadeo. Et non sunt Uli maxlmi censas scriptores, fateor,
sed Sit hoc, Modi, primordium et quasi praecenüo maioris Masae.
Und zwar sind es, was im Hinblick auf Modius' spätere Ent-
wicklung interessant ist, textkritische Versuche gewesen; schrieb doch
Carrio in den 1576 erschienenen ,,Antiquarum lectionum commen-
tarii'':^ [OilpumUtrn\ proximum una cum M. Aurelio Nemesiano
multis mendis purgatum et elegantibus scholiis illustratum noster
Modius elegantissimi ingenii iuvenis et novem sororibus valde
amicus brevi in lucem dabit. Daß sich Modius auch in der Zukunft
viel mit den genannten lateinischen Autoren beschäftigte, seinen Plan
einer Ausgabe aber nie zur AusfOhrung brachte, werde ich an anderer
Stelle berichten.
Das Zusammensein von Lipsius und Modius in Löwen war
nicht von langer Dauer, aber auch in der Trennung brach ihr Ver-
kehr nicht ab, wie ihre Briefe bezeugen, von denen eine kleine An-
zahl auf uns gekommen ist.*)
Modius hing stets mit der größten Verehrung an dem Meister
und verfehlte keine Gelegenheit, seine Bedeutung hervorzuheben.
Quid de Modio nostro dicam? in cuius tu ore habitas, qui virtutum
tuarum apud nos buccinatorem agit liberaUssimum. Is prae gaudio
gestiens ad me venit, tuasque ostendit mihi doctrina, elegantia et
humanitate non modo plenas, sed me hercule etiam abundantes be-
richtete Posthius am 15. Oktober 1582 an Upsius.») Auch dieser
ließ es seinerseits nicht an Anerkennung fehlen, nicht nur in den
Briefen an ihn selbst, die ja, der Sitte der Zeit gemäß, etwas ver-
schwenderisch mit dem Lobe umgehen, sondern auch anderen g^en-
») Lib. n cap. V.
*) P. Bunnann hat in seiner »SyUoges epistolarum a viris illustribus scrip-
tarum" I, Leiden 1727, S. 106—115 drei Briefe des Modius an Lipsius vom 25. Ok-
tober 1582, 23. März 1583 und I. August 1596, ferner drei des Lipsius an Modius
vom 11. Dezember 1583, 28. August und 30. November 1596 abgedruckt Außer-
dem finden sich noch in .Lipsii epistolarum selectarum chiiias*, Leiden 1615^
S. 405—408 zwei Briefe an Modius vom 5. August 1582 und 25. Januar 1595.
Schließlich kommen auch die vier undatierten Briefe in den Nov. Lect. no. 3, 30, 58
und 99 in Betracht
*) Burmann a. a. 0. 1 106.
Frandscus Modius' Leben. H
über. So mahnte er am 6. Oktober 1582») in folgenden Worten
Godescalcus Steewechius,*) Modius' Vegetiusausgabe nicht mifi-
gttnstig zu beurteilen:
De Modlo, certe amicus ei sunt. {Ingenium et adolescens eius
virtus Ua merentur.) ac valde auctor tibi, sie rem in scriptis tuis
temperes, ut ne qua parte eum out stringas aut laedas. Laedas
autem? Laudes imo volo. Ita de illo ipso Vegetio meruit: et
sepone mihi, sodes, omnes istas aemulatiunculas, quae intercurrunt
haec studia mah iure, malo more.
Bei einer anderen Gelegenheit schrieb er an Lemutius über
Modius:') Fax aliqua Belgis aliquando ab ingenio illo.
Modius scheint bis 1577 in Löwen geblieben zu sein, seinen
Aufenthalt aber durch mehrfache Reisen unterbrochen zu haben,
deren Ziel die belgischen und holländischen Bibliotheken waren.
Sein B^leiter war Ludovicus Carrio, damals sein vertrautester Freund,
in spateren Jahren sein Feind.^) Die Gründe zu der Entfremdung,
die schon 1582^) zu konstatieren ist, sind nicht ganz klar. An-
scheinend glaubte Modius, von Carrio hintergangen zu sein und um
die Früchte seiner mit ihm gemeinsam unternommenen Forschungs-
reisen betrogen zu werden.*)
Ober diese Unternehmungen werde ich noch späterhin genauer
zu sprechen haben; hier erwähne ich nur, dafi sie im Herbste 1577
die wichtigsten Stätten der Grafschaften Brabant und Namur, sowie
des Bistumes Lüttich besuchten und dann wahrscheinlich über Brüssel,
Antwerpen, nach Durchwanderung von Seeland, teils zu Wasser, teils
zu Lande nach Flandern zurückkehrten. Im Frühjahr 1578 wandte
sich Modius nach Leiden und liefi sich hier am 19. März in die
Matrikel der Universität eintragen. Aber schon nach wenigen Mo-
naten brach er die Studien wieder ab. Wir sind hierüber durch
1) Epistolanim selectanim chilias, Harderwijk 1618, S. 47.
«) 1551—1586; van der Aa XVII (1874) S. 1005 f. Steewechius gab Vegetius
und Frontinus im Jahre 1585 zu Antwerpen neu heraus.
*) A. a. O. 105. Der Brief trägt ein Datum ohne Jahresangabe Lugd, Bat
KaL Sextm.
*) Vgl. unten.
^ Vgl Upsius' Brief vom 5. August dieses Jahres, Epistolanim selectanim
centuria prima, Antwerpen 1586, S. 75, in dem er dem Gefühl der Genugtuung
Ausdruck gibt, dafi Modius endlich Carrios wirkliches Wesen erkannt habe.
•) Vgl München, Coli. Cam. XDC 120.
12 P. Lehmann,
einen bisher von der Forschung übersehenen Brief *) unterrichtet, den
Janas Dousa*) am 21. August 1578 an Nansius geschrieben hat In
ihm heißt es, Modius hätte mit Carrio zusammen einige Monate bei
Janus Hautenus») gewohnt, bis sie beide ganz unerwartet abgereist
wären, unter dem Versprechen, in etlichen Wochen zurückzukommen
und dann die Schulden für Wohnung, Kost etc. zu bezahlen. Lange
Zeit hätten sie gar nichts von sich hören lassen, endlich wäre Carrio
allein wiedergekommen und hätte gemeldet, in drei Tagen käme
Modius und brächte das Geld. Voll Vertrauen hätte man ihn mit
Speise und Trank gelabt und dann ruhig abziehen lassen. Aber
bald hätte sich herausgestellt, dafi alles eriogen gewesen wäre. DU
Deaeque quantum est infelicUent hominem ventosissimum omniam
qui sunt qui fuerunt qui futuri sunt. Modius wäre natürlich weder
nach jenen drei Tagen noch später gekommen. Nunmehr beabsichtige
der geprellte Hautenus, nach Brügge zu reisen und Nansius die
Rechnung seines cognatus Modius zugleich mit dem Verzeichnisse
der von diesem zurückgelassenen Bücher vorzulegen. Hoffentlich
käme dann die leidige Angelegenheit zu einem für alle Beteiligten
ehrenvollen Abschlüsse. Mit anderen Worten, Nansius sollte die
Summe bezahlen und wird es wohl auch getan haben.
Wohin Modius vorher seine Schritte gewandt hatte, steht nicht
fest, vielleicht galt die Reise wieder dem Besuche irgendwelcher
Bibliotheken.
Indessen hatten sich die politischen Verhältnisse Belgiens in-
folge der Verwicklungen mit Spanien so ungünstig gestaltet, dafi
Modius keine Möglichkeit sah, eine seinen Wünschen entsprechende
juristische Tätigkeit zu entfalten. Daher fafite er den Entschlufi, sein
Vaterland zu verfassen. Ob es nun dieser von ihm mehrfach^) an-
gegebene Grund oder auch persönliche politische Komplikationen
waren, bleibe dahingestellt. Gewiß ist, dafi er infolge der Unruhen
dieses und der folgenden Jahre seines anscheinend nicht unbedeutenden
Erbgutes verlustig ging.
Wie so viele Niederiänder, fand er in Köln eine Zufluchtsstätte.
Man hat bisher den Beginn seines Kölner Aufenthaltes in das Jahr
*) Abgednickt in Crenii animadversiones philologicae et historicae V, Leiden
1699, S. 149—152.
•) 1545—1604; van der Aa IV (1858) S. 214—221.
») 1542—1609; van der Aa VIU (1867) S. 1311—1314.
*) Z. B. in der Vonede zur Vegiusausgabe von 1579 und zum •Patrodnium
pupillorum* von 1586.
Frandscus Mödius' Leben. 13
1579 gesetzt Wohl mit Unrecht, da die Vorrede der von ihm 1579
herausgegebenen Gedichte des Maffeo Vegio das Datum trägt: Co-
loniae Agrippinae, in Ubiis MDLXXIIX a. d. XIV. Kai. Sept. quo
tempore oUm mstica vinalia Jovi apud Romanos cetebrari con-
sueverunt. Demnach war Modius bereits seit August 1578 in Köln.
Die Erwartung, hier Unterkunft zu finden, hatte ihn nicht getäuscht.
Der gelehrte Jurist Hieronymus Berchemius*) wußte Modius in der
von ihm geleiteten Hofhaltung des jungen Grafen Karl von Egmont, *)
eines Sohnes des unglücklichen Helden der Goetheschen Tragödie,
unterzubringen, ohne ihm besondere Verpflichtungen aufzuerlegen.
Er konnte ungehindert seinen gelehrten Neigungen nachgehen. Die
Kölner Zeit war für Modius in mehreren Beziehungen von bleiben-
dem Werte. Einmal knüpfte sich hier das Band zwischen ihm und
Egmont, das, solange er lebte, nicht zerrifi. Von nun an war Karl
von Egmont sein größter und treuester Wohltäter. Weiterhin kam
Modius hier in einen Kreis von Gelehrten, die gleich ihm mit der
ErschlieSung der mittelalterlichen Büchersammlungen beschäftigt waren.
Ich nenne von ihnen nur den allezeit hilfsbereiten Theologen Melchior
Hittorpius,*) den ausgezeichneten Philologen Janus Gulielmus aus
Lübeck,*) den Historiker Suffridus Petrus, ^) den hochgebildeten
Bonner Dechanten Jacobus Campius«) und den Juristen Johannes
Metellus.^) Dank ihrer Hilfe und Mitarbeit wurde es ihm möglich,
in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes eine bedeutende Anzahl der
') Die biographischen Sammelwerke bringen nichts über ihn. Einiges be*
richtet Bnrmann a. a. O. 626, darnach ist Berchemius 1597 gestorben und ein Kor-
respondent des Lipsius gewesen. Sein Briefwechsel mit diesem steht a. a. O. 626
bis 636. Modius nahm drei seiner Briefe an ihn in die Nov. Lect als no. 11, 77
und 124 auf, machte mehrere Gedichte auf ihn und widmete ihm eine Ausgabe
des »Lexicon juris Brissonii*. In der Stadtbibliothek Breslau befindet sich als
Codex graecus 21 eine Handschrift, die einst Berchemius gehört hat
«) Vgl. Sdbt a. a. 0. 12—14.
*) Vgl. unten.
^ 1555—1584; C Bursian, Geschichte der klass. Philologie in Deutschland,
Manchen und Uipzig 1883, 5.240 f. Modius widmete ihm die Briefe 25, 118
und 131 der Nov. Lect. sowie mehrere Gedichte. Umgekehrt findet man auch,
namentlich vor Modius' Ausgaben, Elegien von Gulielmus an Modius. Ober ihre
Beziehungen vergleiche man femer den ungedruckten Brief von Gulielmus an Ca-
merarius vom 1& Mal 1582 in München, Coli. Cam. XV 95, femer die Briefe zwischen
GuUehnus und Suffridus Petrus vom 15. Mal 1582 und 10. Juni 1583 in den Epi-
stolae daromm virorum ed. Gabbema, Harlingen 1669, S. 422 und 425 f.
•) 1527—1597; ADB. XXV (1887) S. 539 f.
•) Vgl. unten.
1520-1597; NouveUe biographie gto^ale XXXIV (1861) Sp. 225 f.
14 P. Lehmann,
in den Bibliotheken Kölns und der Umgebung liegenden Hand-
schriften zu vergleichen. Er hatte aus der Not eine Tugend ge-
macht und war mittlerweile aus einem Juristen ein eifriger Philolc^e
geworden. Die ersten Früchte seiner Tätigkeit waren die Ausgaben
der Gedichte des Maffeo Vegio und der Geschichtsbücher des Curtius
Rufus.
Schon nach einem Jahre aber mufite er Köln verfassen. Die
Vermögensverhältnisse Egmonts, der ja wie Modius ein Vertriebener
war, verschlechterten sich nämlich derartig, daß er den Gelehrten
nicht mehr bei sich beherbergen konnte. Zum Glück fand sich für
diesen bald eine passende Versorgung: er hatte sich gerade mit dem
Arzte Johannes Posthius^) angefreundet, der als Begleiter des Bischob
Julius von Würzburg zu einer Fürstenversammlung nach Köln ge-
kommen war. Und Posthius lieferte dem bedrängten jungen Freunde
seinen ersten Freundschaftsbeweis, indem er ihm eine Sekretärstelle
bei dem hessischen Erbmarschall Adolf Hermann Grafen Riedesel von
Eisenbach verschaffte.
So zog denn Modius noch Ende 1579 als dessen Geheim-
schreiber nach Hessen und Franken, wo Riedesel zahlreiche Be-
sitzungen hatte. Man hielt sich bald in Würzburg, bald auf den
hessischen Schlössern auf. Es ist nicht richtig, wenn Seibt*) nur
von einem Aufenthalte in Würzburg spricht und der Meinung Aus-
druck gibt, Modius hätte Riedesels hessische Besitzungen erst 1584
besucht Denn erstens ist die Vorrede zur Vegetiusausgabe Hermanno-
burgo XII. kalend. Maias CDDLXXX, also auf dem in der Nähe
von Fulda gelegenen Schlosse >) geschrieben, und zweitens berichtete
Modius am 23. Juli 1582 seinem Freunde Weidner:«) XV. huUis
mensis praereptus est mihi morte Adolphus Hermannus Riedeselius,^)
in cuius contubernio ut nunc D. Decani, in Hassia ante triennium
aliquamdiu vixL Ober seine Tätigkeit bei Riedesel ist nicht viel zu
sagen, da sie durch zwei Reisen unterbrochen wurde, die Modius
noch im Jahre 1580 und dann im Sommer 1581 in die Heimat
^) 1537—1597. Posthius hat sich durch medizinische Abhandlungen, sowie
durch lateinische und deutsche Dichtungen bekannt gemacht Vgl. Seibt a. a. O.
60-63 und ADB. XXVI (1886) S. 473—477 und in meiner Darstellung unten
an verschiedenen Stellen.
*) A. a. O. 33 uyl auch 16.
>) Vgl. Ruland im Archiv 21.
«) Stuttgart, Hist. Fol. 603 m.
*) Seinem aufrichtigen Schmerze gab er in mehreren Elegien Ausdrudc. Vgl.
Ruland im Archiv 13 und 28.
Franciscus Modius' Leben. 15
machte, um seine und Egmonts Vennögensverhältnisse zu regeln.
Die Bemühungen, die ihn bis an die Stände und den Prinzen von
Oranien führten, waren ziemlich umsonst, nur für Egmont konnte er
eine Summe Geldes beschaffen. Er selbst hatte von den Reisen
nichts als Unkosten und grofie Beschwerden, ^) und schliefilich waren
sie auch begreiflicherweise der Grund, dafi ihm Riedesel seine Stel-
lung kündigte.
Da war es wiederum der hochsinnige Arzt und Dichter Posthius,
der ihm aus der Not half. Er vermittelte ihm die Aufnahme bei
Erasmus Neustetter, genannt Stürmer, dem als Freund und Gönner
manches Humanisten bekannten Würzburger und Komburger De-
chanten.«) Vom 28. Oktober 1581 bis zum 17. September 1584
wirkte Modius nun bei Neustetter als Sekretär und Bibliothekar bald
in Würzburg, bald in Komburg. Nicht selten begleitete er seinen
Patron auch auf Reisen, die ihn nach Frankfurt a. M., )Wesbaden,
Langenschwalbach, Bamberg, Nürnberg, schliefilich sogar nach Karls-
bad führten. Wir sind über diese Lebensjahre unseres Gelehrten
sehr gut unterrichtet durch die Originalaufzeichnungen im Münchener
Codex Galliens 399,') dann durch den Briefwechsel mit dem Nürn-
berger Arzte Joachim Camerarius,*) dem Sohne des gelehrten Me-
lanchthonfreundes, und dem mit dem Rektor von Schwäbisch-Hall
Johannes Weidnerus.^ Dazu kommen als ergiebige Quellen die da-
mals entstandenen modianischen Werke. — Selten hatte Modius so
glückliche Tage erlebt wie hier in Franken. Sein Patron kargte nicht
mit Geschenken. Und die aus seiner Stellung entspringenden Ob-
liegenheiten, wie die Führung der Korrespondenz Neustetters, die
Verwaltung der Komburger Bibliothek, liefien ihm immer noch ge-
nügend Zeit für eigene Arbeiten.
Von diesen sind erstens seine lateinischen Gedichte zu nennen,
von denen 1583 ein Band erschien:
^) Er beschreibt sie ausführlich in den Nov. Lect Vgl. die daraus ent-
nommenen kulturhistorisch sehr interessanten Schilderungen bei Seibt a. a. 0. 16—19.
•) Vgl. über ihn Seibt a. a. O. 56—60; Wegele in der ADB. XXIII (1886)
S. 557 1 und H. Müller in dem Württemberg. Jahrb. f. Statistik und Landeskunde,
Jahrg. 1901 S. 27 ff. u. 37 f.
») Vgl oben S. 3.
^ VgL oben S. 4.
•) Vgl. oben S. 5.
16 P. Lehmaim,
Francisci Modü Bmgensis paemata ad ampUssimum et sptendi-
disslmum Erasmum Neastetterum . . . Wirtzebargi, ex officina
Henrici Aquensis, EpiscopaUs typographi. M. D. L XXXIII . 8». »)
Man kann nicht sagen, daß sich Modius darin über den Durch-
schnitt der neulateinischen Poeten des 16. Jahriiunderts eriiöbe. Wohl
findet man hie und da einzelne Proben echt poetischer Gestaltungs-
kraft und Anschaulichkeit, aber im allgemeinen beruht der Wert des
Bändchens auf dem, was es für die Kenntnis des Neustetterschen
Kreises bietet Meistenteils sind die Gedichte an bestimmte Personen
gerichtet Aufier Neustetter begegnen uns da Julius von Würzburg,
Johannes Posthius, Joachimus und Philippus Camerarius, Nicolaus
Reusnerus, Johannes Weidnerus, Conradus Leius, Paulus Melissus,
Martinus Crusius sowie die kölnischen und belgischen Freunde.
In demselben Jahre entstand außerdem:
Francisci Atodii Hodoeporicum Francicum seu Thermae Caro-
linae Wirtzeburgi, ex officina Henrici Aquensis, EpiscopaUs
typographi. 1583. &<>, *) worin Modius eine anschauliche, kultur-
historisch sehr wertvolle Beschreibung der von ihm als Begleiter
Neustetters unternommenen Reise nach Karlsbad gibt
Und schließlich fällt in diese Jahre auch die VeröffenÜichung
zweier an anderer Stelle genauer zu besprechenden Arbeiten, von
denen die erste, eine Ausgabe der Epitome des Justinus, Köbi 1582,
wohl schon länger vorher abgeschlossen war. Die zweite ist das
Buch, das vornehmlich Modius' Ruf begründet hat: Die Novantiquae
Lectiones, Frankfurt 1584.»)
Trotz aller Annehmlichkeiten und Vorteile, die die Verbindung
mit Neustetter bot, entschloß sich Modius im Sommer 1584, sie zu
lösen. Die Gründe, die ihn zu diesem auffälligen Schritte bewogen,
liegen nicht ganz klar zutage. Es scheint Verschiedenes zusammen-
gekommen zu sein. Wir sehen aus seinen Briefen, wie der Ent-
schluß allmählich reifte.
Am 2. Juli 1584 äußerte er Camerarius gegenüber:*)
Dein quod inter nos sit, sunt mihi parandae novae quoque
amicitiae aiä potius patrocinia, ut si forte Neustetterus, quo iam
nescio quomodo {et suspicor satietate consuetudinis meae) non satis
aequo et benivolo utor, suo me excludat habeam, quorum com-
1) Man vergleiche Seibt a. a. O. 26 ff.
') Näheres darüber bei Ruland im Archiv 10 und an vielen anderen Stellen.
•) Ich zitiere es gekürzt Nov. Lect
*) München, Coli. Cam. XIX 127.
Franciscus Modius' Leben. 17
mendatione ad alios possim pervenire. Und mit erwachender Reise-
lust fuhr er fort: et aüoqiü Opturem, sane daret se occasio, ut out
kuius viri [sc. Erici Volcmari BerlipsU\^) out tua alteriusve opera
occasionem nancisci passem Italiam videndl: sie tarnen, ut, si ratio
pateretur, prius Bavariam obiter et Saxoniam quoque perlustrare
caperem .... Omnino videtar dia inter D. Patronum et me con-
venire non posse, faciam tamen omnia, ut aut maneam aut, quod
malm, certe cum bona gratia ab eo discedam.
Ausschlaggebend scheint aber weniger Modius' Veruneinigung
mit Neustetter als sein schlechter Gesundheitszustand und der Wunsch
nach Rflckkehr in die Heimat und nach Ordnung der dortigen Be-
sitzverhaltnisse gewesen zu sein. Ich kann für diese Beweggründe
zwei Stellen aus Briefen an Weidner vom 11. Juli und 27. August
1584 >) anführen:
Quod igitur ad me attinet, valetudine utor non nimis firma
et talis, ut in posterum vitae rationes mihi mutandas putem. In
den folgenden Zeilen bespricht er die politischen Verhältnisse in
Belgien s) und die Notwendigkeit, in Bälde zurückzukehren, um zu
retten, was zu retten möglich wäre. Res non videntur rationesque
aestimationis meae, ut perpetuo in his regionibus agam. Und am
27. August: Nonne faltare, quod has regiones relinquo, quod sponte
non coactus facio^ et cum bona gratia domini Patroni mei ac, ut
spero, etiam meo, certe vcUetudinis meae, non incommodo. Das an-
gebliche Fortbestehen der Neustetterschen Gunst äußerte sich in dem
Geschenke von 100 Talern, das dem scheidenden Modius gemacht
wurde. Meinem Gefühle nach entsprang der Entschluß zu dieser
Gabe mehr aus vornehmer als aus freundschaftlicher Gesinnung.
Jedenfalls hörte seitdem das alte gute Verhältnis auf; am 22. Sep-
tember 1585 klagte Modius,^) man hätte ihn bei Neustetter zu ver-
dächtigen gewußt, und, erbost über dessen Leichtgläubigkeit, fügte
er hinzu:
Erit mihi idem documento, ne quid in posterum tam inconsi-
deranter faciam, quam soleo hactenus laudando nimis plenis buccis
ingenia tam mutabilia. Wohl gelang es Camerarius' Bemühungen,
<) Vgl Ruland im Archiv 41.
*) Stuttgart, Hist Fol. 603 tst und tst.
*) Ober Politik wird überhaupt viel in seiner Korrespondenz geredet Es
itt nicht ohne Interesse, den Eindruck zu beobachten, den die Nachrichten von
irgendwelchen Tagesereignissen auf ihn und seine Freunde machen.
*) München, Coli. Cam. XIX 132.
QueUeo a. Untersuch, i. Ut PbUologie des MA. m, 1. 2
18 P- Lehmaim,
die Beziehungen etwas zu bessern, ^ die frühere Freundschaft aber
konnte nie wiederhergestellt werden.
Modius wandte sich zuerst nach Frankfurt a. M., von da aus
nach Fulda, wo er die letzten Monate des Jahres 1584 in der Biblio-
thek der Benediktinerabtei arbeitete. Dann besuchte er Posthius in
Würzburg. Erst nachdem er sich noch bis zum Frühling 1585 in
Frankfurt aufgehalten hatte, reiste er, von einem Diener begleitet,
über Köln, Aachen, Lüttich, Namur u. s. w. nach Brügge. Da er
jedoch derartig schlechte Zustände vorfand, dafi auf Wiedergewinn
des väterlichen Besitzes keine Aussicht war,*) begab er sich noch im
Juli desselben Jahres unter mancherlei Fährlichkeiten nach Frankfurt
zurück. Durch die Not gezwungen, bemühte er sich nun ernstlich
um Verdienst und fand ihn dadurch, dafi er bei Sigmund Feyer-
abend') eine Korrektorstelle annahm. Bis zum September wohnte
er bei Heinrich Thack, der mit Peter Fischer zusammen nicht selten
als Feyerabends Sozius auf den Titelblättern erscheint, dann vom
22. September 1585 bis Ostern 1587 bei Feyerabend selbst, der ihm
freien Tisch gewährte und außerdem wöchentlich einen Gulden,
später zwei Taler für seine Person und einen Gulden für seinen
Diener zahlte. Nachdem der Kontrakt mit Feyerabend abgelaufen
war, zog er zu Johann Wechel, bei dem er gegen Zahlung einer im
Enchiridion nicht genannten Summe Wohnung fand.
Die Buchdrucker des 16. Jahrhunderts waren häufig selbst ge-
lehrte Leute, zumeist waren es jedoch ihre Korrektoren, die den Of-
fizinen Glanz und Ruhm verliehen.^) Die Korrektoren besorgten
nicht nur die letzte Herrichtung und die Überwachung des Druckes,
sondern gaben auch manche eigenen literarischen Arbeiten zum
Drucke her. Besondere Bedeutung gewannen sie als Bearbeiter und
Herausgeber antiker und patristischer Texte. Ihre Stellung den Ver-
legern gegenüber war meist ziemlich unfrei: der Druckherr scheute
sich nicht, Werke unter seinem Namen aus der Presse gehen zu
lassen, ohne der vom Konektor geleisteten selbständigen Arbeit auch
») Vgl. München, Coli. Cam. XIX 131. Dem Datum (25. November) nach ist
der Brief falsch eingeordnet.
«) Vgl. Beilage 3.
*) Vgl. über ihn die wertvolle Biographie von H. Pallmann, Frankfurt a.M. 1881.
*) Man erinnere sich der Tätigkeit eines Beatus Rhenanus, Johannes Si-
chardus, Sigismundus Gelenius u. a. in Basel. Im allgemeinen vergleiche man ttber
die Korrektorenverhältnisse F. Knapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, Leipzig
1886, S. 317-323.
Franciscus Modius' Leben. 19
nur mit einem Worte zu gedenken, und außerdem behielt er sich,
wie begreiflich, einen grofien Einflufi auf die Wahl der Veröffent-
lichungen vor.
Auch Modius mufite diese Nachteile der Korrektorenstellung Er-
dulden.
Anfangs plante er eine Reihe von Ausgaben lateinischer Schriften,
des Serviuskommentares zu Virgil, der Etymologiae des Isidorus und
der Nuptiae Philologiae des Martianus Capella, der Briefe des Si-
donius Apollinaris, Symmachus, Ennodius, Ivo u. a.^ Jedoch ist
auch nicht eine einzige dieser Arbeiten zustande gekommen, weder
damals in Frankfurt noch später anderswo. Allerdings heifit es in
einem Briefe vom 10. August 1586:«) Reverendissimo Domino Neu-
stettero dedicavi Sidoniam Apollinarem, qui Parisüs cum
notis meis cuditur und am 11. Oktober desselben Jahres: Sidorüus,
quem ipsius [sc. Neustetteri\ dignitati inscripsi quique Parisiis ex-
cuditur, nondum allatus est Da aber die Nachforschungen in den
einschlägigen Handbüchern und in vielen Bißliotheken das Vorhanden-
sein dieser Ausgabe nicht ergeben haben, glaube ich, dafi sie über-
haupt nicht erschienen ist Es sind nur zwei philologische Publi-
kationen des Modius zu nennen, die bei Feyerabend erschienen sind,
die Ausgaben des Justinus von 1587 und des Livius von 1588.
Letztere wurde erst, nachdem Modius sein Verhältnis zu dem Drucker
gelöst hatte, fertig.
Feyerabend glaubte wahrscheinlich, mit anderen Sachen mehr
Geld verdienen zu können. Er ließ Modius daher eine Reihe großer
juristischer Werke neu bearbeiten und einige kulturhistorische Samm-
lungen herstellen, zu denen Amman die Holzschnitte beisteuerte.
Man muß sagen, daß Modius diesen Wünschen mit großem Eifer
nachgekommen ist Z. B. die „Pandectae triumphales'' stellen eine
ungeheuere Arbeitsleistung dar; wir sehen aus den Briefen, wie
Modius immerfort bemüht war, Material zu sammeln, und nicht das
geringste Zeugnis seines Fleißes ist die in dem Enchiridion stehende
Liste») der für die Pandectae herangezogenen Bücher, unter denen
sich auch einzelne Handschriften befinden.
Mit der Bearbeitung der juristischen Werke begab sich Modius
auf ein Gebiet, das ihm ja aus seiner früheren Zeit gut bekannt war.
') Vgl Beilage 3.
*) München, CoU. Cam. XIX 136.
*) Abgednickt von Ruland im Serapeum XIV 117—123.
2*
20 P« Lehmann,
In den Vorreden spricht er mehrfach geradezu von einer Rackkehr zu
seinem eigentlichen Fach.
Der selbstständige Wert, den diese Frankfurter Veröffentlichungen
heute besitzen, ist so gering, dafi ich darauf verzichten kann, sie
sämtlich genau zu beschreiben und zu besprechen. Zum Teil ist
das von früheren Forschem mit der nötigen Sorgfalt getan. Ich be-
schränke mich darauf, in Kürze die Titel anzugeben. Wenn ich
einige Werke mehr nennen kann als Ruland, Seibt, Roersch u. a.,
so danke ich es besonders der Genauigkeit, mit der Modius in
seinem Tagebuch*) die Geschenke notierte, die er von Veriegem
und anderen Personen für Herstellung und Widmung erhielt Aus
diesen Notizen läßt sich entnehmen, daß man Modius auch dann
zuweilen als den wirklichen Bearbeiter und Herausgeber ansehen
muß, wenn sein Name im Drucke nirgends genannt wird und der
Verleger selbst als Dedikator erscheint Diese Tatsache entspricht
völlig dem oben flüchtig geschilderten Verhältnisse von Druckherr
und Korrektor überhaupt Und in diesem besonderen Falle ist es
schon an sich unwahrscheinlich, daß der recht wenig gebildete
Feyerabend die gewandten lateinischen Widmungsschreiben verfaßt
haben sollte.*) Die nichtphilologischen Veröffentlichungen der Frank-
furter Zeit sind:
1585.
1. Cleri totius Romanae ecclesiae subiecti seu pontificlorum
ordinum omnium omrUno utriusque sexus Habitus, artificiosissinUs
figuris, quibüs Francisci Modii singula octosücha adiecta sunt, nunc
prlmtim a Jadoco Ammano expressi Addito Ubello singulari
eiusdem Francisci Modii in quo cuiusque ordinis ecclesiasttci
origo, progressus et vestitus ratio breviter ex variis historicis de-
Uneatur. — Francofurti, sumptibus Sigismundi Feyrabendii 1585. 4®.
Von Modius dem Neffen seines einstigen Patrones Johann
Christoph Neustetter gewidmet, 19. August 1585.»)
1586.
2. Gynaeceum siue theatrum mulierum, in quo praecipuarum
omnium per Europam inprimis nationum . . . foemineos habitus
>) Vgl. Ruland im Serapeum XIV 130 f.
>) Vgl. PaUmann a. a. 0. 182 f.
*) Vgl. Ruland im Archiv 46 ff., Serapeum XIV 131 ; Seibt a. a. O. 36; Roersch
a. a. O. 930.
Frandscus Modius' Leben. 21
videre est . . . expressos a Jodoco Ammano. Addito ad singulas
figuras singuüs octostichis Francisci ModU ... M. D. LXXXVI.
Francofurti, Impensis Sigism. FeyrabendU. 4 <>.
Von Feyerabend der Königin Isabella von Frankreich gewidmet ^)
3. Corpus unlversi iuris canonici et omnia in hoc nova edi-
üone summo studio a mendis vindicata et notis doctissimorum
virorum locupletata 1586. Francofurdi, excudebat Joh. We-
chelus, impensis Sigismundi Feyrabendii, Henrici Thacquii et Petri
Fischerl. 8» 3 Bde.
Von Modius dem Bischöfe Ernst von Bamberg gewidmet,
5. August 1586.«)
4. Patrocinium pupiUorum et viduarum novum
auctoribus Jodoco Damhouderio I. C. Brugensi . . . et D. Borg-
nino Cavalcano I. C. Fivizanensi Correctius et emendatius
secundo nunc edäum, notationibusque nonnuUis auctum a F. M. I.
CS Francofurti ad Moenum, impensis Sigism. Feirabendii.
M.D. LXXXVI. Fol.
Von Modius dem Syndikus der Stadt Frankfurt, Heinrich Kellner,
gewidmet, 13. August 1586.»)
5. D. Joannis Sichardi lurisconsulti . ... in codicem lusti-
nianeum Praelectiones . . . nunc vero recognitae intentiore cura, et
ab innumeris mendis vindicatae, restitutis etiam legum capitulorum-
que aUegatorum capitibus per Franciscum Modium I. C. Brugensem
M.D. LXXXVI. Francofurti ad Moenum Impensis Sigis-
mundi Feyrabendii, Henrici Thacquii et Petri Fischeri Fol.
Der Widmungsbrief an Wilhelm Ursinus von Rosenberg, 1. Sep-
tember 1586, ist von Feyerabend unterzeichnet Es folgt darauf eine
längere Vorbemerkung von Modius für den Leser.^)
6. Pandectae triumphales siue, pomparum et festorum ac
solennlum apparatuum toml duo Opus . ... ex In-
>) Vgl Ruland im Serapeum XIV 131 f.; Roersch a. a. O. 930 f.
*) Ruland und Seibt führen diese Ausgabe gar nicht an, Roersch a. a. 0. 932
scheint sie nur auf Qrund des modianischen Eintrages, daß er 50 Qulden fOr die
Dedikation belcommen hatte, zu zitieren.
*) Nur von Roersch a. a. 0. 933, aber nicht nach Autopsie angefahrt
^) Fehlt bei Ruland, Seibt und Roersch. Es ist eine Neuauflage der zuerst
im Jahre 1565 zu Frankfurt gedrudcten Vorlesungen des Tübinger Juristen Johannes
Sichardtts.
22 P» Lehmann,
finitis, cum veteribus, tum recentibus scriptoribus coUectum, partim
ex variis monimentis, publicis, privatis, cusis, scriptis; Germanica,
Itcdica, Gallica, Belgica lingua loquentibus conuersum et Latinitate
donatum, hocque ordlne digestum, a Francisco Modio I. C. Brugensi
Francofurti ad Moenum, impens. Sigismundi Feyrabendü.
M.D.LXXXVI. Fol. 2 Teile in 1 Bande.
Mit zwei Widmungsbriefen von Modius, deren erster an die
fränkische, schwäbische und rheinische Ritterschaft, deren zweiter an
Marcus Schweickher, den Syndikus der fränkischen Ritterschaft, ge-
richtet ist. Beide tragen das Datum des 1. September 1586. ^)
1587.
7. Rerum criminalium praxes, et tractatus omnium nobi-
liorum qui ad hunc diem exiuerunt iureconsultorum tributa
in tomos duos opus . . . nunc a mendis .... magno studio
indefessoque labore repurgatum et coniunctim in lucem editum ä
Francisco Modio I. C. Brugensi .... 1587. Francofurti apud Joan.
WecheUim, Impens. Sig. Feyrab. Fol. 2 Bde.
Das Widmungsschreiben an Georg Joh. Vollbracht und Konrad
Grafen Riedesel von Eisenbach trägt Feyerabends Unterschrift
1. April 1587.«)
8. Repertorium sententiarum et regularium tributum
in tomos duos, quorum prior promptuarii et locorum communium,
alter lexici vicem sustinere potest. Uterque quidem nuper a Petra
Comelio Brederodio . . . summo studio et iudicio collectus, et thesauri
titulo editus: sed nunc hac iterata editione recognitus, emendatus,
interpolatus et subinde locupletatus a Francisco Modio I. C. Brug.
Francofurti ad Moenum, impens. Sigis. Feyrabend,
Henrici Thack, et Petri Vischeri sociorum. M. D. LXXXVIL Fol.
2 Bde.
Von Modius Georg Ludwig Hütten gewidmet, 13. Juni 1587.»)
9. Historia rerum in Oriente gestarum ab exordio mundi et
orbe condito ad nostra usque haec tempora Francofurti, im-
pensis Sigismundi Feyrabendü 1587. Fol.
Als Dedikator erscheint der Verieger, Empfänger ist der Würz-
burger Dompropst Nithard Thflngen. Dafi Modius der Herausgeber
^) Vgl. Ruland im Archiv 48—50, im Serapeum 83, 116—123; Seibt a. a. O.
36 f.; Roersch a. a. O. 931.
*) Roersch a. a. O. 932.
») Roersch ebd.
Frandscus Modius' Leben. 23
war, zeigt einmal die Notiz in seinem Tagebuche und dann der Mefi-
katalog von 1592.^
10. Bamabae Brissonü Lexicon juris siue de verborum
quae ad ius pertinent significatione librl XIX ..... Item Francisci
Hotomanni iurisconsulti clariss tractatus .... Opus selectis-
simum, lange absolutisslmum nunc primum in hoc corpus
redactum, digestum et magna industria recognitum a Francisco
Modio I. C. Brugensi: qui Modius adiunxU etiam leges Regias et
Decemuirales .... coUectas et digestas a CL V. Justo Lipsio. 1587.
Francofurti apud Joan. Wedielum, impensis Sigismundi Feyrabendii,
Henrici Thackquii, et Petri Vischeri, sociorum. Fol. 3 Teile in
1 Bande.
Von Modius Hieronymus Berchemius und Jacobus Campius ge-
widmet, Frankfurt 1. September 1587.«)
1 1. Corpus iuris civilis in IUI partes distinctum cuüectus
est commentarius auctore Dionysio Godofredo I. C
Editio omnium absolutissima et novissima, maxima cura atque in-
dustria adomata in gratiam tam docentium quam discentium a
Francisco Modio I. C. Brugensi, qui corollarii uice addidit notas
suas perpetuas 1587. Francofurti ad Moenum ex officina
Joannis Wedieli. Cum speciali Caes. M^ privilegio ad decennium.
Fol. 4 Bände.
Von Sigismund Feyrabend dem Erzherzoge Maximilian ge-
widmet, voran geht eine lateinische Elegie von Modius. >)
Wenn man von der einen Tatsache, dafi von den „Pandectae
triumphales* auf der Herbstmesse 1586 in kurzer Zeit nicht weniger
als 250 Exemplare zu* je 3 Gulden abgesetzt wurden,^) auf den
buchhändlerischen Erfolg der gesamten modianischen Publikationen
in Frankfurt schließt, wird man es verstehen, dafi der geizige Feyer-
abend eine so tüchtige Erwerbskraft durch gute Bezahlung sich zu
erhalten bemOht war.
Auch schon deshalb hatte Modius in diesen Jahren anfangs weniger
als sonst Grund, aber den Zustand seiner Finanzen zu klagen, weil ihm
von anderen Seiten namhafte Summen für die Widmungen zuteil
1) Vgl. C Becker, Jobst Ammann, Leipzig 1854, S. 146; Ruland im Archiv
50 f.; Seibt a. a. O. 37; Roersch a. a. O. 932.
*) Von sflmüichen Biographen Obersehen.
*) Nur bei Roersch S. 932 verzeichnet
^ Vgl. Stuttgart, Hist Fol 603 t5o.
24 P* Lehmann,
wurden. Zuweilen waren allerdings erst Mahnungen und Beschwerden
nötig, um die Zahlung der versprochenen Summen zu erwirken.
Z. B. liefien die Ritterschaften des fränkischen, schwäbischen und
rheinischen Kreises drei Jahre vergehen, ehe sie sich fOr die Wid-
mung der „Pandectae triumphales*" erkenntlich erwiesen. Und es
geschah auch erst, nachdem Modius alle möglichen Freunde und
Gönner in Bewegung gesetzt hatte. Er betrieb diese Angelegenheit,
deren Besprechung die aus dieser Zeit stammenden Briefe sehr
wenig erquicklich macht, um so eifriger, als er anscheinend fest auf
das Geld gerechnet und daraufhin schließlich sogar schon Schulden
gemacht hatte, namentlich um sich für eine italienische Reise standes-
gemäß ausrüsten zu können.
Wie aus einer bereits angeführten Bemerkung erhellt, hegte er
schon länger den Wunsch, Italien zu sehen. Nun schien sich ihm,
dank der Grofimut seines langjährigen Gönners, des Grafen Egmont,
eine günstige Gelegenheit zur Stillung seiner Sehnsucht zu bieten.
Hören wir, was er am 10. August 1586 darüber an Camerarius
schreibt:^) dd pascha in ItaUam consecuturus sum Comitem
Carolum Egmondanum {quem lamiam peterem, nisi Feyrabendio
adpasdia usque obligatus essem) futurus ei oeconomus, verbis dum-
taxat; curam enim hone alter sustinebit, ego Stipendium, praeter
victum meum duorumque famulorum et totidem equorum, accipiam
annue centum quinquaginta aureorum, quod tarnen non tarn me
Invitat, quam multa alia, quae tu facile divinare potes. Fatebor
autem apud te: cuperem quam honestissime, et, si dlcere licet, quam
splendidissime ad eum Principem adolescentem decedere; multum enim
hoc momenti habebit ad dignitatem et aesämationem ad posterum.
Auch in der vom 1. September 1586 datierten Zuschrift der
„Pandectae'' an Marcus Schweickher und in den Briefen an Camerarius
und Weidner vom 11. Oktober •) und 26, November») ist von der
Reise nach dem Süden als einem für Ostern folgenden Jahres ge-
planten Unternehmen die Rede. Von da an spricht er nicht mehr
davon. Aus nicht bekannten Gründen unterblieb die Fahrt, die für
Modius' innere Ausbildung gewiß von Wert gewesen sein würde.
Vielleicht hoffte er aber noch längere Zeit auf die endliche Erfüllung
seines Wunsches. Denn noch 1591 erzählt Giphanius in einem Briefe
') München, Coli. Cam. XIX 136.
») München, CoU. Cam. XIX 137.
*) Stuttgart, Hist. Fol. 603ts8.
Frandscus Modius' Leben. 25
an Lipäus,0 <1^ Modius den Plan einer Romfahrt gehabt, nunmehr
aber aufgegeben habe.
Kai m?h diese Reise damals und später nicht zu stände, so
doch die Vereinigung mit Egmont; allerdings erst nach Überwindung
von mancherlei Hindernissen. Einmal band Modius der Kontrakt
mit den Frankfurter Druckern länger, als ihm nun erwünscht war.
Und als er sich endlich im Winter 1587 nach Belgien aufmachte,
widerfuhr ihm am 23. Dezember in Bonn ein Mißgeschick, das ihn
lange zurückhielt uiid überhaupt verhängnisvolle >X^rkungen hatte:
er wurde bei einem nächtlichen Überfall Bonns durch Martin Schenk
von Nideggen*) verwundet, ausgeplündert, gefangen genommen
und schliefilich in den Kerker geworfen. Erst die Fürsprache des
einflußreichen Dechanten Jacobus Campius befreite ihn am 23. Februar
1588 aus seinem Gefängnisse, nachdem er ein bedeutendes Lösegeld
hatte zahlen müssen, das ihm eben jener Campius vorgeschossen
hatte. Von den Folgen dieses Schlages hat sich Modius nie wieder
ganz erholt Er war körperlich und seelisch gebrochen. Man kann
nicht ohne Mitgefühl die Briefe lesen, die von diesem Zeitpunkte an
erhalten sind, sie atmen alle eine Unzufriedenheit mit dem Schicksal,
die sich bis zum Lebensüberdrufi steigerte.
Die Situation, in die er durch das Bonner Mißgeschick geriet,
war deshalb besonders unangenehm, weil er seines gesamten Bar-
vermögens verlustig ging. Noch dazu meldeten sich nun auch die
älteren Gläubiger, denn trotz seiner bedeutenden Einnahmen hatte er
in Frankfurt Schulden hthterlassen. Erst nach vielen Verhandlungen
gelang es, dank der Unterstützung opferwilliger Freunde, eines Weidner,
Camerarius, Rochus Veldius') u. a., alles so weit in Ordnung zu
bringen, dafi sich Modius am 23. September 1588 auf den Weg zu
Egmont machen konnte. Vermutlich traf er mit ihm in Aire zu-
sammen, wo Egmont am 15. März 1588 zum Propst des Kapitels von
S. Peter gewählt war.*) Hier bekam Modius dann im Jahre 1590
*) Burmann, Sylloges epistolarum 1 340.
*) Vgl. Seibt a. a. O. S. 40 f. und Annalen des historischen Vereins für den
Niedenheln, Heft 42 (1884) S. 76 ff.
*) Eine nicht näher bekannte, bei Feyerabend beschäftigte Persönlichkeit, die
die Bargschaft fOr Modius' Schulden übernommen hatte. Von seinem Briefwechsel
mit Modius hat sich nur ein Stück erhalten (s. o.); wegen der modianischen Geld-
angelegenheit korrespondierte er viel mit Weidner, vgl. die Briefe in Stuttgart,
Hist Fol. 603.
*) A. Rocrsch, La biblioth^que de Fr. Modius et R. de Pan, Saint-Omer
1900, S. 9.
26 P- Lehmann,
ein Kanonikat, — nicht erst 1595, wie Seibt*) angibt Man würde sich
tauschen, wollte man meinen, er habe nun die Annehmlichkeiten
seiner Pfründe in aller Behaglichkeit genossen. Schon im Winter
1590/91 machte er sich wieder auf die Reise; vielleicht war anfänglich
Italien das Ziel.
Anfang Februar befand er sich bei Johannes Posthius in Heidel-
berg,*) dann besuchte er Marcus Welserus') in Augsburg und Hubertus
Giphanius*) in Ingolstadt, wo er von Mai bis Juli blieb.*) Jetzt bot
sich ihm eine günstige Gelegenheit, eine seinen Wünschen entsprechende
Anstellung an einer deutschen Universität zu erlangen: auf Grund
einer Empfehlung des Giphanius hatte ihm nämlich der Bischof Julius
von Würzburg eine Professur des kanonischen Rechtes an seiner
Universität angetragen.
Mi optatissime et optime Camerari, ego ille, qui numquam
futurum sperabam, ut Germaniam reviserem, schrieb Modius am
19. Juli,«) iam etiam in penitiorem etus partem me insinuavi; qua
causa scies praesens ex praesente cum deo intra paucos admodum
dies. Cogito enim et meditor reditum ad Reverendissimum Dominum
lUustrissimum Principem Wirceburgensem, a quo satis honestis con-
ditionibus vocor ad aliquam professionem.
Anfang August begab er sich in der Tat über Nürnberg, wo
er einige Tage bei Camerarius weilte, nach Würzburg. Die weiteren
Verhandlungen mit dem Bischöfe kennen wir besonders aus einem
Briefe, den Modius am 1. Oktober 1591 in Würzburg an den Kanzler
der Universität schrieb, ^) er erklärte darin, mit den Bedingungen des
Fürstbischofs einverstanden zu sein und intra trimestre seine pro-
fessio canonica beginnen zu wollen, bat aber noch um Aufklärung
darüber, ob er zuvor die Lizentiatenwürde erwerben müsse. Schließ-
lich knüpfte er noch die Bitte um eine Extragratifikation von fünfzig
>) A. a. 0. 43.
•) In Postiiii Parcrga poctica, Heidelberg 1595, VL 281—284 steht ein Gedicht
mit der Unterschrift Haidelbergae Kai, Feb, /. Franciscus Modius An. 1591.
^ ») 1558—1614; ADB. IX (1879) S. 182—185 und namentiich P. Joachimscn,
Marx Welser als bayerischer Geschichtsschreiber, München 1905 (Progr. des Wilhelm-
gymnasiums).
*) 1534—1604; ADB. IX (1879) S. 182—185.
*) Vgl. Burmann a. a. 0. 1 340 und die Modiusbriefe in Basel GM 22 fol. 108
(Beilage 4) und G> 1 18 fol. 112 sq.
•) München, CoU. Cam. XIX 139.
') Virorum doctorum epistolae selectae, ed. Freytag, Leipzig 1831, S. 188.
Franciscus Modius' Leben. 27
Gulden fOr Kleider und Bücher und um Erlafi der üblichen münd-
lichen Prüfung an.
Indes verzichtete er nach einigen Monaten übenaschenderweise
auf den Lehrstuhl, bevor er ihn je innegehabt hatte. Als Haupt-
grund hierzu gibt er in den Briefen seinen schlechten Gesundheits-
zustand an.i)
Anfangs hielt er sich für kräftig genug, um nun in den
Dienst des Bischofs von Bamberg zu treten, der sich gleichfalls um
seine Person bemühte, aber kaum war er nach Bamberg gekommen,
als sich die Krankheit verschlimmerte. Jetzt hiefien ihn die Ärzte,
jegliche Tätigkeit aufzugeben und sich zur Kur nach Ingolstadt zu-
rückzuziehen. Die wenigen Briefe, die wir aus dieser Zeit von ihm
haben, erschöpfen sich in Klagen über seine Krankheit, die aus ihr
erwachsenden Unkosten und über die unfreiwillige Untätigkeit. Erst
ganz allmählich besserte sich das Befinden, am 19. April 1592 teilte
er Welserus mit,*) dafi er nunmehr wieder etwas zu arbeiten beginnen
könne, und bat ihn, ihn den Kaufherren Fugger zu Übersetzungen
aus dem Französischen, Italienischen, Deutschen und Vlämischen ins
Lateinische zu empfehlen. Bald darauf war er soweit wieder her-
gestellt, daß er selbst nach Augsburg kommen konnte. Von diesem
zweiten Aufenthalt in Augsburg ist mir weiter nichts bekannt, als daß
er aufier mit Welserus auch mit Adolphus Occo, dem bekannten Numis-
matiker, verkehrte und ihn am 19. Oktober 1592 andichtete.') Danach
weilte er eine Zeit lang wieder in Würzburg und bemühte sich beim
Bischöfe um den Auftrag einer Geschichte Frankens.*) Ob Julius
auf den Vorschlag eingegangen ist oder nicht, Modius' „Historia
Franconica" ist jedenfalls nie im Drucke erschienen.
Im Sommer 1593 kehrte Modius endlich nach Aire zurück und
blieb nun dort bis zu seinem Lebensende. Sein Gesundheitszustand
scheint sich zeitweilig gebessert zu haben, so dafi der rastlose Ge-
lehrte seine Studien wieder aufnehmen, zuweilen in der Bibliothek
des benachbarten S. Bertin arbeiten und sogar an neue Ausgaben ver-
schiedener Schriftsteller wie des Curtius, Frontinus und der Panegyrici
>) Vgl, aufier der BeUage 4, Stuttgart, Hist. Fol. 60365c.
*) Vgl. Beilage 4.
*) Die Verse finden sich bei J. Brucker, Historia vitae Adolphorum Occonum,
Leipzig 1734, S. 96. Ueber Occo (1524—1606) vergleiche man außer dieser Arbeit
den Artikel in der ADB. XXIV (1887) S. 127.
«) Vergleiche den am 4. Mal 1593 in WUrzburg geschriebenen Brief, dessen
Adressat nicht genannt, vielleicht Videnveltius ist, von Freytag a. a. 0. 189.
28 ^' Lehmann,
latini denken konnte. ^) Aber allen diesen Plänen machte der Tod
ein Ende. Frandscus Modius starb im Alter von nur 41 Jahren am
23. Juni >) 1597 zu Aire und wurde in der dortigen Peterskirche bei-
gesetzt Ein kurzes wechselvolles Leben, nicht ohne Glanz und Er-
folg, aber bar aller Ruhe war beschlossen, ein Leben, das ein Bio-
graph >) des 17. Jahrhunderts mit dem des Odysseus vergleichen
konnte.
>) Vgl. Seibt a. a. O. 44 ff.
*) Warum Roersch, La biblioth^que de Fran^ois Modius etc., Saint-Omer
1900, S. 11, den 22. Januar als Todestag angibt, ist mir unklar. Ich schreibe, wie
es in den älteren Arbeiten und in desselben Roersch Artikel in der Biographie
nationale de Belgique XIV (1897) Sp. 934 steht, 23. Juni.
*) Valerius Andreas, Bibliotheca Belgica, Löwen 1623, S. 277.
Beilagen.
Aus Modius' Briefwechsel.
1. Justus Lipsius an Modius.
Löwen, 7. Januar 1576.
J. Lipsius Fr. Modio S. D.
Amidtiam fädle iungere, iunctam constanter colere soleo; eo
magis te quanquam ex recenti dilectum amicum cum Giselino et
Lemutio veteranis vocandum ad convivium putavi, quod Licentiae
meae debetur, quae futura est: XXUL mensis huius. Si id tuo com-
modo prodest, venies tarn gratus hospes quam Troianus ille Euandrus.
Lovanü. VD. eid.O,Jan. CD.D. LXXVI.
Adresse fehlt
Original in Stuttgart, K. B., Hist. Fol. 603ö7.«)
2. Modius an Joachimus Camerarius.
Würzburg, 15. Februar 1582.
Frandscus Modius Joachimo J. F. Camerario. S.
De Plinio nepote, vir d<arissime>, magnas imo ingentes tibi
ago gratias, sperans futurum, ut eum brevi consequantur avunculi
eins Codices, quibus tum parens tuus sanctae memoriae, tum Ges-
*) Lipsius gebrattcht diese Form für idus auch sonst zuweilen.
*) Ich fand dieses BiUet mitten zwischen den Briefen an Johannes Weidnenis,
dem es Modius vermutlich geschenkt hatte. Bei der Entzifferung der bekanntlich
schwer lesbaren SchriftzUge des Lipsius wurde ich von den Bibliothekaren der Stutt-
garter öffentlichen Bibliothek hi liebenswürdiger Weise unterstützt
30 P* Lehmann,
nerus olim usi sunt^) Ipse interea non desino conquirere unde-
quaque alia etiam ad institutum nostrum adiumenta et iam redii in
memoriam Nannianum Plinium infinitis locis a doctiss<iino> illo viro
notatum et illustratum, emendatumque apud Suffridum Petrum, iam
olim mihi familiärem, asservari,*) qui nobis non parum profuturus
videatur. ea igitur de re ad illum scribo. de tuis, uti dbd, Plinianis
codicibus et Ferdinandi Pindani') notis bonum factum mihi videretur,
si proxima occasione per aurigam Haiensem Comburgum ad Syn-
dicum perveherentur. cupio enim statim reversus, quod felix faustum-
que Sit, recognitionem huius tanti scriptoris auspicari, absolutis iam
fere Epistolicis meis de quibus exspecto quid egeris cum Wecheli
haeredibus. mihi sane in dies maius crescit desiderium, ut hoc opus
in Germania mihi natum et Germanis ex bona parte inscriptum in
Germania etiam potissimum excudatur; de Plantino enim, inter hos
motus Belgicae nostrae, et longa et anceps res est . praeterea vereor,
ne misellae epistolae meae tam infestis itineribus in via iugulentur;
tum, si maxime Antverpiam salvae perveniant et recte suoque tempore
excudantur, unde hie nobis illarum exemplaria? Bibliopolis huius
regionis propter caritatem, ut aiunt, aut nullos omnino aut certe paucos
libros a Plantino cusos ementibus. Plane te oro, ut me gratia tua hie
iuves. et videor sane posse affirmare, vendibile opus fore, si non ob
alia, certe propter varietatem tum rerum tum styli. constitui enim
Epistolicis librum singularem carminum annectere maximeque haec
velim inprimi,^) uti dicere praesenti tibi memini, in quarto, ut vocant,
quae forma ea, quam in octauo nuncupant, non parum augustior est;
et habebat Wechelus typos, qui ei, quam dbd, in quarto formae con-
venirent Sed de hac re satis.
1) Im Jahre 1580 hatte Caspar Wolf die von dem bekannten Naturforscher
und Bibliographen Conrad Qesner mit zahlreichen handschriftlichen Bemerkungen
ausgestatteten Ausgaben des Theophrastus, Dioskorides und Plinius um 25 fl. an
Camerarius verkauft; vgl. J. Hanhart, Conrad Gesner, Winterthur 1824, S. 293.
*) Auch Nov. Lect 293 spricht Modius von dem Handexemplar des Plinius,
das der Löwener Professor Petrus Nannius (f 1557) dem Suffridus Petrus ver-
macht hatte.
*) Der spanische Gelehrte Ferdinandez Nuües de Guzmann (= Nonnius
Pincianus) hatte 1544 »Observationes in loca obscura et depravata Historiae natu-
ralis C. Plinii' veröffentlicht, die großes Ansehen genossen. Vgl. über ihn (1488
bis 1552) Nouv biogr. univ XXn 976 f.
*) Dieser Plan ist nicht zur Ausführung gekommen. Auch Format und Typen
der »Novantiquae Lectiones' entsprachen nicht seinen früheren Wünschen.
Fiandscos Modius' Leben. Beilagen: Aus Modius' Briefwechsel. 31
Neque enim faciundum existimo, ut saepius idem te orem.
illud potius a te contendam, ut, si quae litterae Antverpia, Colonia
aut aliunde ad te perferentur mihi inscriptae (et mandavi meis, ut id
fieret propter tabellariorum, qui ex illis regionibus Wirzeburgum com-
meant, tarditatem), eas ut proxima semper occasione Comburgum
mittere digneris. quidquid in hanc rem expendes, id tibi tuo arbitratu
a me et cum voles restituetur. Ignosce quod tam multa tibi imponam.
vereque tibi persuade ideo hoc me facere confidentius, quod omnia
ipse tua caussa facturus libenter sim. ut re exsperiere, sit modo ali-
quid, in quo tibi commodare possim. Patronus noster bene adhuc,
quod gaudeo, valet verebar enim, quod quidem inter nos sit, ne
quem Federici mors^ ^^^ ^ imaginatione morbum afferret. ita ea,
etsi dissimularet, sedulo animo illum constematum vidi, quod meum
augurium falsum fuisse serio laetor, maloque artem hanc divinandi
in perpetuum deponere quam vera simili in re aliquando praevidisse
videri.
In diebus pauds hinc Bambergam et inde porro Comburgum
redituri sumus, ubi, ut dixi, spero me inventurum Plinios tuos et
ad has responsum, nisi forte Bambergam ad nos litteras dabis quod
fieri a te porvelim. Vale, V<ir> cl<arissime>, et nos redama. Wirze-
burgi CD. D- LXXXIL XV. Kl. Martias.
Adresse: Clarissimo viro et Nobili Medico D. Joachimo J. F. Ca-
merario Domino et amico suo,
Noribergam.
Original in München, Hof- und Staatsbibliothek, Coli. Cam. XIX 11 7.
Als Tag der Ankunft ist der 21. Februar 1582 vermerkt.
3. Modius an Joachimus Camerarius.
Frankfurt a. M., 22. Juli 1585.
Fr. Modius Joachimo Camerario M. S. P.
Cum ante triduum ex misera nostra Belgica reversus ad te, vir
clariss<ime>, mire de extremis quibus cum malis luctorscribere haverem
intellegeremque hunc hospitem meum Henricum Tack et Feyrabendium
ad te profecturire, per eos potissimum agendum mihi tecum litteris
existimavi, quibus fatillimum esset tuas mihi vicissim in diebus paucis
^) Modius notierte den Tod des Federicus, des Neustetterschen Hausnarren,
in seinem Tagebuche mit den Worten: Februarü 7. anno 1582 obiit Fedeiicus
mono Domini Neustetteri, und feierte den Dahingeschiedenen durch eine latei-
nische Elegie. Vgl. Ruland, Archiv 16 und 24.
32 P- Lehmann,
referre. Quod te oro et obtestor, ut ne frustra ^erasse arguar
dignerisque me qualicumque responso, et miseriam meam si non
relevare aut potueris, aut, quod abominor, volueris, consilio saltem,
si potest, iuves. Res enim meae, ne te verbis ducam, tales sunt, ut
non mode nudus vix ex Belgica elapsus sim, sed et hie aere alieno
ante meum in fatalem eam Belgicam decessum contracto irretitus
tenear, facturus earum omnium rerum iacturam, quas in vita carissi-
mas habeo, quarumque nomine huc redactus sum, nisi praesenti
auxilio sublever. quod ut plenius intellegas, scire debes, mi Camerari,
me ante menses fere undecim a D. Neustettero dimissum cum viatico
thalerorum centum; quam pecuniam cum liberatis ante nominibus,
quibus obstringebar, Fuldae^ pene universam consumsissem, dum do
ibidem operam collationi Isidori Etymologiarum, Martiani Capellae,
Columellae et Palladii de agricultura, Augustini de civitate dei, openim
aliquot Tertulliani et, quod Caput est, describendis Servii in Vir-
gilium commentariis ubivis hactenus vulgatis longe et uberioribus et
emendatioribus. Francofurtum tantum non inanis veni ad hunc
hospitem meum, qui me mensa et tecto excepit, donec iampridem
patrui*) mei litteris evocatus et in patriam properans, subducta ratione
reperi me eidem hospiti meo reliquos debere florenos 24, pro quibus
ei pignori reliqui universam supellectilem meam vestiariam et libra-
riam atque in hac notas ad varios scriptores meas, et quos dixi
Servianos commentarios: existimans prona mihi omnia fore quem
manerent haereditates domi tres, quarum una quaeque studiis meis
alendis sufficeret Sed — o spes vana! — nondum Brugas calami-
tosissimas attigeram et iam intelligere coepi, quam essem frustra. per-
rexi tamen et omnia quae dici possunt incommoda perpessus patriam
ingressus, quae ipsa etiam Antverpiensi urbe fame, peste et inopia
rei pecuniariae grauius urgetur, usque eo, ut aegre viaticum ad reditum
ingenti foenore sumserim, quod ipsum me defecit, antequam Mogun-
tiam perveni. Nunc igitur omnium egenus et insuper debitor hie
sedeo, debitumque quotidie cresdt, quod in septimanas singulas huic
hospiti meo thaleros duos solvere cogar, a quo si absolutus essem,
consilium foret vivere quam tenuissime quadra propria et operam
meam typographis hie venditare auctoresque a me emendatos paula-
tim in lucem edere, ex qua quoque re fructus fortasse aliquis ad me
redundaret quod te, mi Camerari, per genium tuum et studia haec
») Vgl unten.
*) Vielleicht ist Nansins gemeint.
Frandscus Modius' Leben. Beilagen: Aus Modius' Briefwechsel. 33
nostra rogo quaesoque, digneris mihi mutuos dare aliquot triginta
florenos ad Nundinas usque Vemales anni proximi CD. ID. LXXXVI.
daboque sanctissimum ius iurandum et oppignerabo eadem omnia
mea: vestem, libros, scripta; salvam tibi tum eandem pecuniam fore.
Deinceps enim facile opera mea victum quaeram et ad eas, quas dixi
Nundinas, iusta mihi pecuniae summa Brugis debetur. quae urbs tum
aut cum capta Antverpia etiam tum hostium vim sustinente necessario
cum reliqua Flandria in partes HoUandiae et Zelandiae rursum con-
cedet, quarum partium si permansisset hodie misella non laboraret.
Intereaque exiverint unus et item alter ex scriptoribus, quos prae
manibus habeo; ex quibus decrevi, nisi tu aliter censes, Episcopo
Bambergensi dedicare emendatos a me et scholiis illustratos Isidori
Etymologiarum sive Originum libros, opus varium et arduum quod-
que magno mihi labore constitit, adiuncto Martiano Capella cum notis
perinde meis. Est etiam in animo Catalecta Serviana mea statim
edere auspiciis D. Neustetteri. quod opus spero Germaniae non nihil
decoris allaturum, cum Galli annos iam viginti eodem frustrentur.
sed quia de D. Neustettero dubius animi sum, vellem eundem per te
hac de re certiorem ante fieri, ne mihi oleum et opera hie pereat,
qui in eadem Serviana iam nunc amplius 50 florenorum sumtum
fecerim. Sunt et alia multa, quibus Patroni parandi sunt, et in iis
Amobii et Minucii Felicis opera, Symmachi epistolae, Sidonii epistolae,
Ennodii epistolae, Ivonis epistolae etc. In summa spero nihil mihi
defuturum, hanc unam difficultatem si superavero, praesertim si apud
Feyrabendium operam meam commendaveris, ut intellegat me et
posse et velle Uli servire, modo sit iustum operae pretium; Weche-
liani enim, quod inter nos sit, ad rem attentiores videntur, etsi ne
ab Ulis quidem abhorreo. Valde enim vellem posthac Deo et mihi
stud Usque meis vivere. Magnatum enim quam fluxa et vana sit
gratia, satis mihi didicisse iam videor et iactatjones commessationes-
que iUae assiduae haud dubie vitae abrumpendae sunt. Frugalis
igitur exhinc victus placet, qui cum parvo constet, quid ni sperem
quam facillime me acturum, principia haec ubi superavero. quae
ut adiuvare, ut dixi, velis, iterum te obtestor, cui in manu est quid
Modio fiat: qui tarnen qualiscumque et ubicumque semper totus tuus
erit Vale, vir cl<arissime>, et si, quod spero, adiuvandum me putabis,
per ipsum hunc Feyrabendium rem confice, numerata et pecunia et
per eum rursus tuo tibi arbitrio cavebo. Illud etiam te rogo, ne aut
Feyrabendius aut hie hospes meus ita plene de his angustiis meis
cognoscant, quia, sicubi mea opera uti vellent, minoris eam facerent
Qttelltir n. Uotcnndi. z. Ut Philologie des MA. m, 1. 3
34 P- Lehmann,
et suo me arbitrio versarent. De D. Neustetteri erga me animo a
decessu meo si quid intellexisti, quaeso, ne cela; ut enim is est, ad
id litteras, quas statim acceptis tuis ad eum daturus sum, accomodabo.
De Posthio quoque quae nosti quaeso significa. Hie enim nihil
quidquam de eo auditum est et ego eum iam Heidelbergae agere
certo persuasum habeo. Iterum vale, amiciss<ime> Camerari, et
cl<arissimo> viro D. Philippo Camerario multam a me salutem.
Francofurti ad Moenum, XXII. Julii CID, ID. LXXXV. stylo veteri.
Adresse: Clarissimo Viro D. Joachimo Camerario Norimbergensi
ArchiatrOy Domino et amico suo observando,
Norimbergam
par amys.
Original in München a. a. O. 129. Als Tag der Ankunft ist von
Camerarius auf der Adresse vermerkt: 85. 26. Juli.
4. Modius an Marcus Welserus.*)
Ingolstadt 19. April 1592.
Humanitas illa tua vel potius patema prope pietas, qua me
ante annum domi tuae excepisti et proceribus quibusdam commen-
dasti, facit, Vir Observandissime, ut revolutus in pristinam fortunam
non verear nunc quoque auxilium et consilium a te expetere. Quod
tamen antequam facio, illud mihi praevertendum puto, ut te prius
paucis doceam, qua spe aut desperatione potius huc redierim. cuius
rei causa haec est. Evocaverat me hinc per litteras Cancellarii sui
ante menses fere decem Reverendissimus et Illustrissimus Würce-
burgensis opera mea nimirum usurus. sed cum mihi, postquam ad-
venissem, solam iniungeret lecturam publicam Juris Canonici et ego
per vires animi corporisque intellegerem me illi parem esse non posse
nee tamen ullam excusationem Princeps acciperet, consumptis fhistra
Würceburgi mensibus amplius sex de alia conditione alibi eiusdem
Reverendissimi consensu dispicere coepi. quo cognito Reverendissimus
') Anrede und Adresse fehlen in der Abschrift Doch kann kaum ein
Zweifel daran obwalten, daß Welserus der Empfanger ist, da wir wissen, daß
Modius 1591 bei ihm gewohnt hat (vgl. oben S. 27). Von anderem abgesehen»
bricht auch die Nachschrift daffir.
Frandscus Modlus' Leben. Beilagen: Aus Modlus' Briefwechsel. 35
et lUustrissimus Bambergensis^) nuper electus statim me ad se venire
iussit; cui cum comparuissem et aeger pervehendum me Bambergam
curassem ibique morbus meus ita ingravesceret, ut ei rei satis utilis
medicorum iudido non viderer, in qua opera mea Princeps uti de-
creverat, hinc quoque ob corporis imbecillitatem exclusus ex consilio
potissimum eonmdem medicorum huc redii valetudini operaiti daturus.
Quae cum nunc Dei opt<imi> inax<imi> beneficio talis sit, ut, licet
lente admodum procedat, domi tamen possim aliquid meditari aut ex
aliis Unguis in Latinum vertere, faciundum putavi, cogente praesertim
necessitate et inopia praesenti coactus exsuccus alioqui et exsanguis
meo hie succo cochlearum more vivere, ut te rogarem dignareris hanc
meam egestatem apud Illustres Fuggeros istic commendare, ut, si
quid volent ex Gallico, Italico, Germanico, Belgico sermone in Latinum
transferri, id, qualecumque sit, ad me mittant statim convertendum.
Qui si alioqui etiam pro innata sibi generositate me aliquo munere
donarent, facerent sane et solita magnificentia rem dignissimam et
perinde eam pecuniam coUocarent ac si captivos eadem ex vinculis
redimerent, cum et ipse adhuc premar gravi aere alieno lytri nomine
contracto, quod Bonnae ante paucos annos solvere coactus sum.
Misissem ad eosdem Illustres Fuggeros versus quosdam sacros
superiore quadragesima in morbo a me scriptos, nisi prius cupivissem
de ea re consilium tuum et, quibus ac quomodo inscribendi essent,
cognoscere. Caeterum ut constet tibi et per te aliis rem se, ut dixi,
habere, mitto ad te litteras prius Cancellarii Würceburgensis eius-
demque binas scidas scriptas ad me Würceburgi decumbentem, dein
litteras ad me Reverendissimi Bambergensis tum instrumentum
publicum de infortunio meo Bonnensi, etsi puto me ante quoque id
tibi communicasse, quae, ubi iis sicut orsum erit usus eris, remitti mihi
cupio. Vides, vir colendiss<ime>, quo redactus sim; itaque pro pietate
semper erga me tua iuva qua potes non sua culpa miserum et quic-
quid est officii, quod ad me proficisci potest, obsequentissime vicissim
perpetuo tibi deserviet. Vale, vale, ingens solaque prope in hoc
tempore spes mea.
Datum Ingolstadii, XIX. Aprilis M.D.XCII.
Excellentiae tuae addictissimus Franciscus Modius Brug<ensis>
Canonicus Ariensis.
*) Nithard von Thüngen, 1591—1594. Modius war mit ihm schon wflhrend
seines Aufenthaltes bei Neustetter bekannt; vgl. Ruland im Archiv 22 u. 50 f.
3*
36 P- Lehmann, Frandscus Modius' Leben.
Si Inscriptiones tuae Hispanicae^) exierunt tandem aliquando»
valde aveo eas videre.
Adresse fehlt
Original feMt, Abschrift in Basel, U.B., G« I 22 fol. 108.
^) Anscheinend nie erschienen. 1590 hatte Welser .Inscriptiones antiquae
Augustae Vindelicorum' veröffentlicht
II.
MODIUS ALS HANDSCHRIFTENFORSCHER.
1. Die philologischen Veröffentlichungen.
Franciscus Modius ist auf mehreren Gebieten schriftstellerisch
tätig gewesen: er hat eine beträchtliche Anzahl lateinischer Gedichte
verfaßt, verschiedene umfangreiche juristische Werke neu bearbeitet,
historische und kulturhistorische Sammlungen herausgegeben, nirgends
aber hat er mit der Liebe und Beharrlichkeit gewirkt wie in der
lateinischen Philologie. Und hier ist es ausschliefilich die Textkritik
gewesen, der er spätestens seit seinem Studium in Löwen seine Kräfte
gewidmet, in deren Dienst er alle seine antiquarischen und sprach-
lichen Kenntnisse gestellt hat
Für die Untersuchung dieser Wirksamkeit kommen als Quellen
neben und vor den bereits für die Lebensgeschichte herangezogenen
Briefen seine besonderen philologischen Veröffentlichungen in Be-
tracht, die ich bisher nur im Vorübergehen erwähnt habe. Außerdem
einige nicht von ihm selbst publizierte Arbeiten: Kollationen und dergl.,
von denen wir namentlich dadurch Kunde bekommen haben, dafi
sie von anderen Gelehrten verwertet worden sind. Ihrer wird bei
Besprechung der einzelnen Handschriften gedacht werden.
Im Hinblick auf die Wichtigkeit der eigenen modianischen Ver-
öffentlichungen für die folgende Abhandlung sei es gestattet, sie in
zeitlicher Folge aufzuzählen und zu beschreiben. Es sind. sechs Aus-
gaben lateinischer Autoren und ein Band textkritischer Kollektaneen.
1579.
1.
MAPHEI I VEQII LAVDENSIS | Asfyanax & Vellus
Aureum, \ Nunc primum edita, opera FRANCISCI | MODU
BRVGENSIS. I Ad I Nobilissimü & generosissimum | Comitem
40 P- Lehmann,
CAROLVM I EGMONDANVM, CANTEU \ NU
BARON EM&c\limc\imt\c\\tri\COLONI^\ Apud Matemum
Cholinum. \ M. D. LXXIX. \ Cum gratia & Priuilegio Caes. Maiest.
12°. 32 ung. Bll.
[München, Hof- und Staatsbibliothek.]
Nach dem Titelblatte 9 SS. mit der Widmung an Kari von Eg-
mont, Köln 18. August 1578, und 1 S. mit einem Gedichte auf Eg-
mont. — 11 SS. Maphei Vegü Astyanax, 35 SS. Maphei Vegü Vellus
aareum. — 4 SS. mit einer Elegie von Modius auf Hieronymus Ber-
chemius und 1 mit einer Elegie von Carolus Utenhovius auf Modius'
Ausgabe des Vellus aureum. — Letzte S. leer.
Die Ausgabe ist besonders durch das Vorwort für Modius' Be-
urteilung als Handschriftenforscher wichtig. Über den Text und seine
Grundlage vgl. unten. In den bibliographischen Handbüchern steht
durchweg als Erscheinungsjahr fälschlich 1589.
2.
Q. CURTII RUFI HISTORIARUM | MAONI
ALEXANDRI MA- 1 CEDONIS LIBRI OCTO. | Noue ediü
et recognUi \ A | FRANCISCO MODIO | BRVOENSI, I
Ad I Reuerendissimum et lUustrissimum | Principem IVLIVM,
Episco- I pum Herbipolensem, Fran- ciae Orientalis Du- | cem etc. [
Seorsum excusce eiusdem MODU \ in eundem CVRTIUM \ Notce. \
COLONIAE, I Apud Matemum Cholinum. | M. D. LXXIX. | Cum
Gratia & Priuilegio Cces. Maiestatis.
8°. 8 ung. Bll. 343 SS. 17 ung. SS., 180 SS. 2 ung. SS. (Titelblatt
als S. 1 gerechnet.)
[München, Hof- und Staatsbibliothek.]
Die auf das Titelblatt folgenden 7 Bll. enthalten die Dedikation
an Bischof Julius von Würzburg, femer 2 Elegien von Janus Pal-
merius Mellerus und Janus Gulielmus. Nach einem leeren Blatt
folgen auf S. 1 — 343 Q. Curtii Ruft historiarum libri VIII und auf
16 SS. ein Index dazu. Nach einer leeren Seite beginnt der 2. Teil
mit einem neuen Titelblatt:
Modius als Handschriftenforscher. 41
FRANCIS=|CI MODU BRV-|GENSIS|in|Q.CVRTIl
KVrl, I Historiaram, Magni Ale- 1 xandri Macedonis, | libros octo |
Noue a se editos et recognitos, j NOTAE.
S. 2 — 5 Widmungsbrief an Ludovicus Lautius, S. 6^181 Mo(üi
notae. Auf einem letzten Blatt ein Druckfehlerverzeichnis.
Ein vollständig unveränderter Neudruck dieser Ausgabe erschien
1591 zu Köln bei Petrus Horst, dem Nachfolger von Matemus Cho-
linus. Wenn Schweiger, Handbuch der klass. Bibliogr. II 318, die Aus-
gabe von 1591 als beste Ausgabe von Modius bezeichnet, so ist das
Lob in gleicher Weise und mit grOfierem Rechte auf die von 1579
zu beziehen. In den Jahren 1598, 1604 und 1620 erschienen neue,
durch Druckfehler entstellte Abdrücke ohne die Noten.
Text und Noten wurden in neuerer Zeit von Snakenburg (1724),
Zumpt (1826) und namentlich von Mützell (1841) benutzt Vogel
(1881) läflt im kritischen Apparate Modius mit 40 Sonderiesarten zu
Worte kommen.
1580.
FLAVI VEGETII RE | nati v. inl de
RE MILITARI, | ubH Quatmr. I SEXTI IVLll FRONTINI
Stratagemat&n^ libri totidem, | i^LIANVS de instruendis aciebus. |
MODESTVS de vocabulis rei militaris. | Omnes quidem post
Hermolai Barbari, Bu- | daei, et quorumcumq. aliorum editiones di |
ligenter recogniti & emendati: VEGETI- | VS vero & subinde
FRONTINVS etiam | notis illustratis, \ A \ Francisco Modio Brug. |
AD I NobiUssimum & Qenerosiss. ADOLPHVM SCHEIF-
FARTVM A MERADE, | Bomhemü Dominum & cet. | CO-
LONIAE, I Apud Matemum ChoUnum. \ CID . D . LXXX. | Cum
Gratla & Primlegio Cces. Malest
8^. 24 ung. BU. 379 SS. 1 ung. S. 2 leere BU. 1 ung. Bl. 77 SS. 1 ung.
leere S.
[Braunschweig, Stadtbibliothek; München, Universitätsbibliothek.]
Auf den ersten 9 SS. Mdmung an Adolphus Scheiffartus a Me-
rade und auf 13 SS. eine Elegie an denselben und eine Ode
42 ^' Lehmann,
(2. asklepiadeische Strophe) auf die Ausgabe, verfafit von G. Rolan-
dius. Es folgen 13 SS. mit einem an den Drucker Matemus Cholinus
gerichteten Vorworte, in dem auch textkritische Proben gegeben und
handschriftliche Lesarten mitgeteilt werden, die in den Noten z. T.
übergangen sind. Dann 3 SS. Indices zu Vegetius de re militari,
nach drei unten zu besprechenden Handschriften und den Ausgaben,
Rom 1487 (oder 1494), Paris 1515 und 1532. S. 149—296 Frontinus
strategematicon. S. 297 — 364 Aelicmus de instruendis aciebiis. S.365 —
379 Modestus de vocabulis rei milUaris. Die letzten drei Schriften
sind blofie Abdrücke älterer Ausgaben. Nur im Frontintexte hat
der Herausgeber einige Konjekturen gewagt, die er in den Noten be-
gründet, sonst vitia et menda operarum^ incuria comnüssa, emen-
dasse contentus (Vorrede Fol. a5). — Neues Titelblatt:
FRANCISCI MODU BRVQENSIS, | ^i
Nobilißimum & Qenerosißimum ADOLPHVM SCHEIFFAR- \ TUM
A MERADE, Born- \ hemll Dominum &c. \ IN F. VEGETII
RENATI, I de re militari Libros IV. | NOTi^ | Loca aliquot
in S. IVLIO FRON- I TINO otUer notata ab eodem
MODIO.
S. 1—62 Modli notae in Vegetiim; S. 62—77 MoM notae in
Frontinum.
Die Noten zu Frontinus wurden in den Ausgaben des Godes-
calcus Stewechius, Antwerpen 1585 und Leiden 1592, sowie in
der des Petrus Scriverius, Leiden 1607, wieder abgedruckt Dieser
gab auch die Noten zu Vegetius vollständig, während Stewechius nur
Einzelnes daraus mitgeteilt hatte. Der neueste Herausgeber C. Lang
(Leipzig 1885) kennt Modius' Bemerkungen nur soweit sie Stewechius
verwertet.
1582.
4.
IVSTINI I EX TROGI ROM | PEI HISTORIIS |
EXTERNIS, I LIBRI XLIIII. | A FRANCISCO MODIO \
BRVOENSI I ex M. S. codicib. dellgenter emendatt. \ Adiecta est
monarchiarum omnium tabula | ex fidelissimis historiis coUecta. |
Modius als Handschriftenforscher. 43
Cum indice rerum & verborum locupletißimo \ Druckerzeichen. |
COLON! AE I in officina Birckmannica | Anno CD . D . LXXXII. |
Cum gratia & priuilegio S. Caes. Maiestatis.
8^ 16 ung. BU. 304 SS. 1 ung. Bl.
[Frankfurt a.M., Stadtbibliothek; München, Hof- und Staatsbibliothek.]
Nach dem Titelblatt 4 SS. mit dem Widmungsbriefe an Gabriel
Rolandus und einer Elegie des Janus Gulielmus auf die Ausgabe;
29 SS. Index, 1 leere S. und 1 leeres Bl. S. 1—304 Justini epitome.
Diese bisher übersehene, auch von Schweiger nicht verzeichnete
Ausgabe wurde mir durch das häufig von mir benutzte Auskunfts-
bureau der deutschen Bibliotheken (Beriin) als in Frankfurt, Mainz
und Bamberg vorhanden nachgewiesen. Nachträglich fand ich sie
auch in München. Ihre Existenz ging aus Bemerkungen in der
späteren Justinusausgabe hervor.
Die von Schweiger, a. a. O. II 489 verzeichnete Ausgabe von
1586 ist nur ein getreuer Abdruck dieser älteren.
1584.
5.
Franc. Modi Brug. NOVANTI ' QVAE | LEC-
TIONES, TRI- j butae in Epistolas centum, | & quod excurrit: |
In quibus infinitis locLs SUius, Censorinus, Hygi- \ nus, Macrobius,
Fulgentius; plurimis Cicero, \ Seneca, Martialis, Plinius, Calpurnius;
non-lnulUs Propertius, Ouidius, Lucanus, Valerius \ Maximus, Statius,
alU supplentur, emendan- \ tur, illustrantur, notantur. | CVM
TRIPLICI INDICE. | Druckerzeichen. | FRANCOFVRTI |
Apud heredes Andreae Wecheli, i MDLXXIII.
8^. 26 ungez. BU. 583 SS. 1 ung. S. 10 ung. BU.
[München, Hof- und Staatsbibliothek.]
Nach dem Titelblatt 16 SS. mit der Epistola dedicatoria an
Erasmus Neustetter, 10 SS. mit Epigrammen auf das Werk von
Posthius, Brismannus, Reusnerus, Melissus, Leius, Weidnerus, Bers-
manus, Petreus und Sylburgius, 4 SS. mit dem alphab. Verzeichnis
der Briefempfänger (92 Namen), 3V« SS. mit dem alphab. Verzeichnis
der emendierten Autoren (27 Namen), 16V« SS. mit kurzen Inhalts-
angaben aller Briefe, dann S. 1—583 die Novantiquae lectiones in
133 Briefen, 17 SS. Index, 1 S. Errata, 3 SS. leer.
44 P« Lehmann,
Zur Vorgeschichte des Werkes ist zu bemerken, daß Modius schon
in der Vorrede zur Vegetiusausgabe von 1580 von den Novantiquis
quas paro spricht. Die Ausführung des Planes verzögerte sich noch
einige Jahre, namentlich infolge der Schwierigkeiten, einen Verlier
zu finden. Anfangs erbot sich der berühmte Drucker Christoph
Plantin. Als Modius darauf einging, verzögerte Plantin seine Ant-
wort so lange, bis der Autor ungeduldig wurde und sich entschloß,
einen anderen Verieger zu suchen. Zuerst dachte er an einen Würz-
burger Drucker,*) schließlich übernahmen, dank der Fürsprache von
Joachimus Camerarius,») die Wechelschen Erben in Frankfurt a. AI
den Druck.*)
Die Gattung der philologischen Abhandlungen in Briefform war
nicht neu und gerade damals bei den niederiändischen Gelehrten für
textkritische Beiträge sehr beliebt Modius verfuhr dabei so, daß er
eine Anzahl seiner Briefe an hervorragende Freunde und Gönner aus-
wählte, den ursprünglichen Text etwas veränderte^) und dann mehr
oder weniger unvermittelt seine Emendationen anfügte. Eine bestimmte
Absicht in der Anordnung der Episteln ist nicht zu erkennen.
Die Nov. Lect wurden namentlich in früherer Zeit vielfach,
leider nicht immer mit der erforderiichen Vorsicht und Sorgfalt be-
nutzt. Ein wenig guter Abdruck findet sich in Jani Gruteri Lampas
sive Fax liberalium artium V, Frankfurt 1605, S. 1 — 339.
1587.
IVSTINVS. I TROGI POMPEII | HISTO-
RIARVM PHILIP- 1 PICARVM EPITOMA: | Nuper
>) Vgl. den Brief an Gimerarius vom 30. März 1583 in Th. Crenii Anim-
adversiones philol. et bist IX 18 und auch den Brief an Weidner vom 9. November
1582 in Stuttgart, Hist. Fol. 603 tt9 sowie oben S. 30.
«) Vgl. Burmann, a. a. 0. 1 107.
*) Vgl. den Brief an ihn vom 14. Dezember 1583 in München, ColL dm.
XIX 119.
^) Der Briefwechsel mit Camerarius enthält auch Mitteilungen über die Ver-
handlungen betreffs der Typen, des Formates u. s. w. Die Entscheidung lag bei
Fr. Sylburg, der damals Korrektor der Wechel war.
^) Der Vergleich des 46. Briefes der Nov. Lect mit dem Original in München,
Coli. Cam. XIX 115 zeigt, dafi die Veränderungen im allgemeinen nur gering-
fügig waren.
Modius als Handschiiftenforscher. 45
ex Manascriptis codiclbus emendata; & Pro \ logis ä BON-
QARSIO aucta: Nunc vero secundo re\cognUa & ad Mss. item
librorum Fuldensium maxime \ fidem ex Uitegro emaculata ä Fi\.
MODIO BRVO. IN EANDEM NOT/E. | ex-
cerptiones Chronohgicae: VARIARVM LECTIONVM |
Ubellus Bongarsü cum eiasdem Modii tarn in lusti \ num quam Pro-
logos SpicUegio. \ Druckerzeichen. | FRANCOFVRDI | Apud
loannem Wechelum, | MDLXXXVII.
12». 14 ung. BU. 2 leere BU. 271 SS. 3 ung. BU. 146 SS. und 102 SS.
[Wolfenbflttel, LandesbibUothek.]
6 SS. mit Widmungsschreiben und Gedicht an Friedrich, Pfalz-
grafen bei Rhein. 1 S. Distichen von Janus Gulielmus, 8 SS. Vonede
des Jacobus Bongarsius, 2 SS. mit Gedichten auf Bongarsius und
seine Justinausgabe von 1581, 9 SS. Trogi Pompeii fragmenta, 2 leere
BU. S. 1—255 Justini epitome. S. 256 leer, (S. 257) neues Titelbl.:
PROLOGI I HISTORIARVM | PHILIPPI-
CARVM I POMPEII TROGI, | nunc iterato editi; | Et a
FRANC. MODIO, post BONGARSIVM, ex m. ss. co- \
dicibus Fuldensibtts emendaä. &, \ quod potest, in integrum re-
stUuti.
S. 258 Vonede von Bongarsius, S. 259—271 Prologi, S. 272 leer,
dann neues Titelbl.:
IN IVSTINI HI- 1 STORIAS NOTAE, | ET |
EXCERPTIONES 1 Chronologicae.
Rückseite leer, dann 4 SS. mit einer Vorrede von Bongarsius,
S. 1—85 Die Noten des Bongarsius, S. 86—87 Index, S. 87—106
Excerptiones chronologicae, S. 107 — 146 Notae Francisci Modii,
S. 1—83 Variarum lectionum libellus von Bongarsius, S. 84—102 Index.
Ein unveränderter Neudruck erschien 1591.
Wie aus der Beschreibung ersichtlich, ist Modius' Ausgabe nur
eine Erweiterung der Bongarsischen von 1581. Der lustintext ist
unverändert abgedruckt, aber in besonderen Noten werden wichtige
46 P* Lehmann,
Emendationen vorgeschlagen. Dagegen ist von den Prologen, wenn
auch unter Zugrundelegung des bongarsianischen Textes, mit Hilfe
zweier Handschriften ein neuer Wortlaut hergestellt, der dann in An-
merkungen begründet ist Modius' Ausgabe ist seit I. G. Graevius,
Utrecht 1668, bis zu Rühl und Gutschmid, Leipzig 1886, mit Recht
von den Herausgebern stark benutzt worden, leider aber nicht immer
mit der nötigen Akribie.^)
1588.
7.
T. Livii PATAViNi | HISTORICORVM
OMNIVM ROMANORVM | LONGE VBER-
RIMI, ET FACILE | PRINCIPIS LIBRI OMNES,
QVOTQVOT I AD NOS PERVENERE; | NOVE
ED/T/, ETRECOGN/T/, ETÄDVETVST/S-\
simorum manu exaratorum codicum Fuldensium, Moguntinensium & j
Coloniensium fidem emendati | A | FRANCISCO MODIO
BRVGENSI. I
. . . 1588 Francofurti, impensis Sigism. Feyrabendij & sociorum.*)
Fol. in 3 meist zusammengebundenen Teilen.«) I: 4 ung. Bll., 52
und 682 SS. II: 4 ung. Bll., 613 SS. und 1 ung. S. III: 1 leeres ung.
81. 59 SS: und 1 ung. S.
[München, Hof- und Staatsbibliothek.]
I: 3 SS. mit der Widmung an Karl von Egmont, 1 S. mit einer
Vorbemerkung des Herausgebers für den Leser, 1 S. mit dem Ver-
zeichnisse der in den Bänden enthaltenen Schriften, S. 1 — 7 Ver-
zeichnis der in dem livianischen Geschichtswerke enthaltenen Reden,
S. 14 — 52 Schriften von Caelius Secundus Curio, Pomponius Laetus,
*) Rühl z. B. schöpft seine Angaben nicht direkt aus der Ausgabe des Modius»
sondern aus den Zitaten Dübners, Leipzig 1831, und übernimmt so dessen Un-
genauigkeiten. Z. B. ist seine Angabe zu Üb. XLin 2,9 falsch, was insofern von Be-
lang ist, als es sich um Lesarten der besten leider verlorenen Handschriften
handelt.
«) Die Zeilen 2, 3, 7 sind rot
') Schweiger a. a. O. II 532 beschreibt nur die beiden ersten Teile, doch kann
an der Zugehörigkeit des dritten kein Zweifel obwalten.
Modius als Handschriftenforscher. 47
Jo. Barthol. Marlianus und Publius Victor; S. 1 — 602 Uvü ab u. c.
libri, nebst der Epitome, S. 603 — 682 Index rerum et verbonim.
II: Neues Titelblatt, 3 ung. Bll. und S. 1 — 484 Noten von Glareanus,
Sigonius, W. Godelaevus, Laurentius Valla, Sabellicus, Velcurio, Beatus
Rhenanus und Sig. Gelenius, Emendationes ex codice Theodorici
Morelli, Noten von lo. Saxo, S. 485 — 544 Francisci Modii Brug. in
Titum Livium Notae, partim ab eo scriptae, partim ex Lipsii,
Brissonü etc. enuUtissimis ingeniis, monimentis exscriptae. S. 545
bis 613 Livii fragmenta.
III: Neues Titelblatt. S. 3 — 5 Widmungsbrief an loa. Grellius vom
1. November 1568, S. 6 — 59 Chronologia in Titi Livii Historiam.
Von Modius stammen im 1. Bande nur Widmungsschreiben und
Vorwort, im 2. die Rezension des Liviustextes und die Noten.
Alles übrige ist aus der Frankfurter Ausgabe von 1568 ab-
gedruckt — Nach Gruter (Frankfurt 1608) hat besonders Draken-
borch die Ausgabe des Modius für seine eigene (Leiden 1738 — 1746)
mit Sorgfalt benutzt Vgl. sein Urteil über die modianische Arbeit
rni Stuttgarter Neudruck XV p. LXXVII— LXXIX.
Allem Anscheine nach hat Modius in späteren Jahren nochmals
einen Liviuskommentar verfafit, ohne ihn jedoch zum Drucke zu
bringen.
Ich verdanke den Hinweis auf diese Tatsache Dr. Th. Gottlieb
(Wien). Er fand auf einem Autograph der Wiener Hofbibliothek
folgenden Vermerk:
> Autograph des Franc. Modius, Verfasser des berühmten Werkes:
Pandectae triumphales. Diß Gurker bischöfliche Bibliothek besitzt
von ihm ,Notae in Livium' mit der Schlufischrift: Finitum opus hoc
per me Franc. Modium a9. MDXCII in die parificationis B, M. V.
Laus Deo. Die darin vorkommende Schrift ist mit der vorliegenden
nach genauer Vergleichung eine und dieselbe, so daß man mit voller
Gewißheit annehmen kann, daß dieses interessante Fragment ein
Autograph des Franc Modius ist. Budik.<
Da Budik in der Mitte des 19. Jahrhunderts Bibliothekar der
Studienbibliothek zu Klagenfurt war, ist an dem einstmaligen Vor-
handensein dieser Liviusnoten nicht zu zweifeln. Leider aber haben
sie sich trotz mehrfacher Nachforschungen, bei denen mich nament-
lich Herr Dr. Ortner, Kustos der Studienbibliothek in Klagenfurt, unter-
stützt hat, nicht wiederfinden lassen. Die bischöfliche Bibliothek von
Gurk befindet sich zur Zeit in Klagenfurt.
48 P- Lehmann,
Da ich die Wiener Handschrift, die ein .Argumentum ex Hesiodo'
enthält, nicht selbst gesehen habe, vermag ich nicht zu entscheiden,
ob Budik sie mit Recht ein Autograph des Modius nennt Auffällig
ist der Gegenstand des .Argumentum", Modius beschäftigte sich, so-
weit ich weiß, höchst selten mit griechischen Schriftstellern.
2. Geschichte und Eigenart der Forschungen.
Zu den führenden Geistern der Wissenschaft gehört Modius
gewiß nicht Durch ein Moment aber werden seine Arbeiten doch
über den Durchschnitt erhoben und vor vielen zeitgenössischen aus-
gezeichnet: durch die Fülle und nicht zuletzt auch durch die
Erlesenheit seines Handschriftenmaterials.
Man kann diese Tatsache freilich nur dann als eine Besonder-
heit ansehen, wenn man seine Blicke von den modernen Verhält-
nissen abwendet und die Schwierigkeiten bedenkt, die sich damals der
Benutzung der Bibliotheken, ja allein schon der Kenntnisnahme ihres
Vorhandenseins entgegenstellten. Bei dem Fehlen jeglicher gedruckten
Kataloge, die uns heute die Arbeit, mehr als man es sich immer klar
macht, erieichtem, waren förmliche Entdeckungsfahrten nötig, wollte
man sich nicht mit dem zufällig Gegebenen begnügen; ich erinnere
nur an die Reisen eines Poggio und Enoch von Ascoli, an die Streif-
züge der Erasmianer Sichardus, Beatus Rhenanus, Grynaeus und Ge-
lenius und an die Unternehmungen der Magdeburger Centuriatoren.
In die Reihe dieser Forscher gehört nun auch Modius. Seine
ersten Bibliotheksreisen erstreckten sich «auf seine belgische Heimat
und sind in die Zeit von etwa 1575 — 1578 zu setzen. Er unter-
richtet uns darüber in der 1578 abgefaßten Vorrede zur Aus-
gabe des Vegius, Köln 1579.*) Nachdem er in allgemeinen Wen-
dungen von der Beschäftigung mit der antiken Literatur und einigen
Grundsätzen seiner kritischen Methode gesprochen hat,«) sagt er:
Cum Belgicae nostrae vehementes motus, out, verlas ut dicam,
fatalis quaedam conversio imminere videretwr, eam primtim tempore
et studiis et rei publicae alienissimo pervagandam et quidquid In
ea bibliothecarum esset, excutiendum mihi esse decrevi, ne si quod
ante annos decem et quod excurrit, fieri memineram, barbaries
>) Vgl. oben S. 13 und 39.
«) Vgl. unten S. 54.
Modius als Handschliftenforscher. 49
seditiosissimorum hominum furor hone etiam partem grassata fuisset,
et Ulis praesiäiis haec honestissimis lUterarum studia, quibtis extin-
guendis monstra illa nuper videntur orta, privassent: nihil mihi
Belgica adferre passet adiamenti. Itaque ntUla, neque Uinerum dif-
ficültatis neque samtaum^ quos hone in rem immensos facere ne-
cesse füU, habita ratione: primam Arthesia, in qua tum forte eram,
deinde Hannonia, mox Flandria, Brabantia, Namurco et Leodio
peragratis et nobilissimis quibusque bibliothecis sedulo ac cum cura
pervestigatis, quod in HoUandia et Zelcmdia huiusmodi nihil eorum,
quos dixi, furor reliqui fecisset, Coloniam Agrippinensem veni, tarn-
quam ad certissimum studiorum portum.
Die hauptsächlichen der besuchten Statten finden sich in einem
bereits von Ruland^) wiedergegebenen Briefe der Nov. Lect auf-
gezahlt Es sind die Bibliotheken«) der Klöster Ter Duyn») und
Ter Doest, Saint-Bertin und Clairmarais,*) der Domkirche von
Tongern,*) sowie einiger nicht mit Namen genannter Stifter und
Klöster von Löwen und Lüttich.
Der erste Besuch von Saint-Bertin und Clairmarais in Artois
dflrfte kurz vor 1575 stattgefunden haben, als Modius in Douai
studierte. Andere Unternehmungen knüpften sich an den Studien-
aufenthalt in Löwen und wurden in Gemeinschaft mit Ludovicus Carrio,
der sich schon seit vielen Jahren mit handschriftlichen Studien be-
schäftigte, ausgeführt In hoc peregrinatione mea et in biblio-
thecarum indagatione non purum mihi commoditatis attulit Lud.
Carrio I. C. clariss.; et nomen, cum posui, sat est. is enim eodem
antiquitatis amore perpetuo incensus, et omne hoc, de quo iam dixi,
iter und mecum confecit et suo praecipuarum bibliothecarum cata-
logo, quid quovis in loco requirendum putarat esse, oportune sane
docuit.^) Von einigen dieser Exkursionen läßt sich die Route ganz
genau angeben. Es finden sich nämlich in Modius' Tagebuche^)
1) Serapeum XIV 83.
') Ich bemerke schon hier, dafi ich später nur den von Modius besuchten
Bibliotheken eine eingehende Untersuchung widmen werde, aus denen er nachweis-
lidi bestimmte Handschriften verwertet hat. Ober die anderen bringe ich gleich
hier einige kurze Daten.
•) Vergleiche unter Ter Doest
^) Die meisten Handschriften (116) sind in Saint-Omer, sechs in der Pariser
NationalbibUothek. Ueber letztere vgl. L Delisle, Le cabinet des manuscrits II 355.
^ Vgl. unten.
*) Aus der Vorrede zur Ausgabe des Vegius, Köln 1579.
») München, Call. 399, fol. 21'— 24r.
Qiidltn n. Untcrtacli. s. lat Philologie des MA. m, 1. 4
50 P- Lehmann,
einige hierher gehörige Aufzeichnungen, die bisher nur bruchstQck-
weise und fehlerhaft veröftentlicht sindJ) Sie sind Notanda quaedam
in Belgicae peregrinatione überschrieben und enthalten in lateinischer,
französischer und vlflmischer Sprache Angaben über die einzelnen
Stationen dreier Reisen, über die Entfernungen und die bedeutendsten
Sehenswürdigkeiten der besuchten Ortschaften. Die an erster Stelle
stehenden Vermerke über Bruxella et iter inde Antverpiam geben
keinen Aufschluß über die Zeit dieser Wanderung und enthalten nichts
über Bibliotheken. Die zuzweit skizzierte Reise fällt in den Herbst
1577. Es handelt sich, wie Modius schreibt, um einen Itus (!) üh
vanio Namurcum et inde Lovanium reditus; die Hauptstationen sind
S. Trou, Tongern, Lüttich, Huy und Namur. Im letz^enannten Orte
war man am 11. September 1577 >) und man kehrte dann über Lüttich
und Tienen nach Löwen zurück. Leider sind in die Notizen nur
ganz wenige Angaben über die besuchten Bibliotheken eingestreut.
Ganz kurz wird die Sammlung der Abtei von S. Trou>) erwähnt:
Vabbie du St, Truden assise en la ville ou qu'il y a une belle
bibUotheque que n'avions loisir d'cUler veoir.
Bei der Besprechung von Tongern heißt es von dem Chor-
hermstifte*) und dem der Maria geweihten Dome:») . . . En Regu-
Ueren clooster . . . magnifyc, schoone bibUotheque, sed pauci M.SS.
In bibliotheca porro D. Virginis omnes m. ss., sed sie, ut nihil ibi
Sit visu dignum praeter 3 Lucanos et 2 Horatios.^)
Vielleicht besuchten Modius und Carrio bei dieser Gelegenheit
in Lüttich die reichhaltige Büchersammlung des Laevinus Tpr-
rentius.7) Der einzige Ausflug von Löwen wird dies nicht gewesen
>) Ruland im Serapeum XIV 114.
*) A. a. O. fol. 21. Das einzige Datum!
*) Die meisten Handschriften sind jetzt in der Stadti>ibliothek in Lattich,
einige andere in Brüssel, Düsseldorf und in London.
^) Wo die Bibliothek jetzt ist, habe ich nicht ermitteln können. Ein umfang-
reiches Verzeichnis der Handschriften befindet sich in Sanders Bibliotheca Belgica
manuscripta, Lille 1641, 11 181—206.
») Vgl. auch oben S. 49. Ein TeU der Handschriften ist im Haag.
*) Ruland hat bei der Wiedergabe dieser Stelle im Serapeum XIV 114 das
Versehen begangen, die Bibliotheken der Stadt Lüttich zuzuweisen; der Irrtum ist
dadurch entstanden, dafi er sich aus den Worten, wo von Tongern als einer Urbs
ditionis Leodiensis die Rede ist, nur die Worte Urbs Leodiensis notiert hatte.
') Er erwähnt den Besuch Nov. Lect. 222. Nach Torrentius* Tode kam die
Sammlung an die Löwener Jesuiten.
Modius als Handschriftenforscher. 51
sein, einmal scheint man auch das nicht sehr fem gelegene Kloster
Gembloux und seine grofiartige Bibliothek besucht zu haben.
Den Beschlufi der Notizen macht die Beschreibung einer Reise
von Antwerpen durch Seeland, Vlissingen, dann über das Meer nach
Flandern. Nachdem man noch Gent und andere Orte durchstreift
hatte, begab man sich nach Brflgge. Höchst wahrscheinlich kehrte
Modius dann nicht mehr nach Löwen zurück. Am Schlufi der Notizen
findet sich noch ein kurzer, uns hier interessierender Vermerk: Brugis
ter doest abdie l^t [sc. mll.] bibliotheca satis instructa.^)
Ob Modius erst damals in Ter Doest und Ter Duyn gearbeitet
hat, ist ungewiß. Da Brügge seine Heimatstadt war, hatte er wohl
auch schon früher die Gelegenheit benutzt, diese und andere flandrische
Bibliotheken kennen zu lernen. In den Nov. Lect. erwähnt er einmal
emen allerdings ergebnislosen Besuch einer klösterlichen Sammlung
in Lille.«)
Daß sich auch an den kurzen Aufenthalt in Leiden, Frühjahr
1578, eine Bibliotheksreise schloß, ist möglich, aber nicht gewiß.
Oberhaupt sind ja die Nachrichten über Modius' Durchwanderung
Belgiens und Hollands sehr dürftig. Gewiß würden wir mehr davon
wissen, wenn die handschrifüichen Funde bedeutender gewesen
wären. Nur hie und da spricht Modius späterhin von belgischen
Handschriften. Unter den von ihm benutzten Codices, deren Pro-
venienz für uns nicht feststeht, mag allerdings mancher sein, der in
der Heimat aufgefunden war, aber das ist klar, daß Modius' Ausbeute
viel reicher wurde, als er sich 1578 nach Köln begab und von hier
aus alle irgendwie erreichbaren Bibliotheken durchforschte.*)
An erster Stelle war es die wertvolle Handschriftensammlung
des Domes, dann die des Pantaleonklosters,*) des Franzis-
kanerkonventes und des Collegium Laurentianum in Köln,
und fernerhin die Bibliotheken der benachbarten Klöster Sieg-
burg und Heisterbach; in denen er seine Forschungen anstellte.
') Auch hier erweist sich Ruland als ungeschickter Excerptor. Er läfit
a. a. 0. 114 die Worte ter Doest abdie /Vs tort und erweckt dadurch die Vorstel-
lung, als handele es sich um eine Bibliothek von Brügge, wo die des Klosters
Ter Doest gemeint ist
«) S. 498 f. Vgl. darüber auch Seibt a. a. 0. 10 f.
>) Vgl. die aus den Nov. Lect 188 f. abgedruckte Stelle im Serapeum XIV 83.
^ Bestimmte Handschriften aus dieser einst bedeutend gewesenen Bibliothek
werden von Modius nicht namhaft gemacht Ich kenne Codices S. Pantaleonis
Coloniensis in Brüssel, Düsseldorf, Hamburg, Köln, London, Rom, Wien, Wolfen-
büttd und im Privatbesitze.
4*
52 P- Lehmann,
Die Fülle der in dem einen Jahre vom Sommer 1578 bis zum
Herbste 1579 geleisteten Arbeit ist erstaunlich, auch wenn man als
wahrscheinlich annimmt, daß er einen Teil der Kollationen nicht selbst
oder erst bei spateren Besuchen Kölns erledigt hat Man kann in
der Tat mit Seibt^) von einem wahren Heißhunger reden, mit dem
er sich auf das Studium der Handschriften stürzte.
Auch als er dann (1581—1584) in Neustetters Umgebung
weilte, folgte er seiner edlen Leidenschaft, sobald er von seinen
mannigfaltigen Verpflichtungen und anderweitigen Beschäftigungen
Zeit erübrigen konnte. In erster Linie beutete er damals die von
seinem Patrone angelegte Bibliothek zu Komburg aus, daneben
aber auch die geistlichen und weltlichen (privaten) Büchereien in
Bamberg und Würzburg, die seines Freundes Weidner in Schwä-
bisch Hall u. a. Von Joachimus Camerarius t>emühte er sich,
anscheinend allerdings vergeblich, die berühmten Plautus- Codices
geliehen zu bekommen.«) Als er gelegentlich mit seinem Patrone
nach Nürnberg kam, traf er Camerarius nicht an und mußte daher
zu seinem Bedauern auf die Besichtigung seiner und anderer Nürn-
berger Sammlungen verzichten.*)
Besondere Unterstützung scheinen seine handschriftlichen Studien
während des Aufenthaltes in Franken durch Johannes Weidnerus, den
schon genannten Rektor von Schwäbisch Hall gefunden zu haben.
In den Briefen an ihn finden sich nicht selten Bemerkungen, wie
diese:*)
De libris veteribus scriptis effice siquid potes: non quidem ut
mancupio nostri fiant, sed omnino usu, supra quod nihil peto.
Offenbar hatte Weidner bedeutende Kenntnisse von Bibliotheken und
Handschriften. Das geht auch aus einer anderen Bitte Modius' her-
vor. Am 21. Juni 1584 schrieb, er ihm:*) rogo te, ut me laves pro
parte tua in eo, quod ante abitum molior; est autem hoc, ut biblio-
thecarum manuscriptarum omnium, quas fieri poterit, indices habecun
et exemplaribus meis studiis conducibilibus utar. Anno memini
fieri mentionem cuiusdam abbatiae in istis regionibus, ubi dicerentur
nonnulti scripti Codices repperiri; amabo, mi Weidnere, qua per te,
qua per alios hoc age, ut et horum et, si qui alii istic alibi forte
») A. a. O. 3.
«) München, Coli. Cam. XDC 131, 132, 133.
•) Nov. Lect 170.
«) Stuttgart, Hist Fol. 603114 (4. Mai 1583).
») Stuttgart, Hist Fol. 603 mi.
Modius als Handschriftenforscher. 53
sunt, eorum quoque indicem ad me mittas, quo primum fieri poterit
tempore . qua re nihil gratius mihi facere poteris.
Diese Stelle zeigt auch zugleich, wie systematisch Modius bei
seinen Forschungen vorging; von überall her suchte er Nachrichten
über Bibliotheken zu sammeln, um spätere Besuche vorbereiten zu
können. Leider hat sich von dem auf diese Weise gewonnenen
Materiale — das für die Bibliotheksgeschichte von außerordentlichem
Werte sein könnte — nichts erhalten. Wir wissen nicht einmal die
Namen der Stätten, die Modius zu besuchen gedachte, als er von
Neustetter Abschied nahm. Unsere Kenntnis ist um so geringer, als
von den geplanten und vorbereiteten Bibliotheksreisen damals nur
die eine nach Fulda zustande gekommen sein dürfte.
Der Besuch der Fuldaer Bibliothek vom 26. September bis zum
12. Dezember 1584 ist der letzte im eigentlichen Deutschland, der
für seine Studien von reichem Ertrage war. Während er als Kor-
rektor in den Offizinen Feyerabends und der Wechelschen Erben in
Frankfurt arbeitete, fand er wenig Mufie für seine handschriftlichen
Forschungen. Doch erstarb sein Interesse nicht. Als er sich 1588
auf den Weg zum Grafen Egmont machte, kam er auch nach Trier
(3. — 26. Oktober) und besichtigte hier das berühmte Kloster S. Maxi-
mini. Seltsamerweise enttäuschte ihn die Bibliothek. *) Vidi bibtio-
thecam eius satis instructam, sed non ex MSS. respondentibus anti-
quitati loci lautet der Eintrag, den er damals in sein Tagebuch
machte.«)
Bald darauf (1589) sehen wir ihn in Saint-Bertin eine Apuleius-
handschrift vergleichen. In den folgenden Jahren scheinen ihm seine
wechselvollen Geschicke, namentlich sein überaus schlechter Gesund-
heitszustand nur wenig Zeit und Kraft gelassen zu haben, die For-
schungen in der alten Weise fortzusetzen. 1593 und 1596 aber finden
wir ihn unter den Handschriften von Saint-Bertin wieder. Die Biblio-
thek, die zu den zuerst von ihm besuchten Stätten gehört, ist offenbar
auch diejenige gewesen, in der er sich zum letzten Male den geliebten
Manuskripten nach Herzenslust widmen konnte. Der Tod gebot ihm,
einzuhalten, ihm, von dem ein Zeitgenosse sagen konnte :»)
In studiis Modius nesclt habere modum.
^) Reste der Handschriftensammlung befinden sich in: Berlin, Braunau, Brüssel,
Gent, Heidelberg, Koblenz, London, München, Paris, Rom, Trier, Tunbridge Wells
und Wien.
>) Serapeum XIV 132.
^ Sweertius, Athenae Belgicae, Antwerpen 1628, S. 247, zitiert den Vers, ohne
54 P* Lehmann,
Hinter diesem rastlosen Suchen und Sammeln steckt mehr als
eine bloße Liebe zu alten Büchern, mehr als Sammelwut. Modius
verfolgte einen ganz bestimmten Zweck: die Reinigung der alten
lateinischen Texte nach einem methodischen Grundsatze, der für
ihn stets maßgebend gewesen ist, nach dem Grundsatze der
handschriftlichen Autorität. Er erkannte die vielfachen Ver-
derbnisse, die den Wortlaut der ihm vorliegenden Ausgaben ent-
stellten, und sah das vornehmste Mittel, sie zu beseitigen, in dem
Zurückgehen auf die Überlieferung. V^'n haben schon oben die Vor-
rede zur Vegiusausgabe von 1579 zitiert und müssen auch jetzt wieder
auf sie zurückgreifen, da sie gewissermaßen Modius' Programmschrift
ist. Sie gibt in wenigen Worten die Grundzüge seiner textkritischen
Methode.
Auch hier kämpft er bereits gegen den Mißbrauch der Kon-
jektur, den so viele Emendatoren getrieben haben. Neque enim
eorum indastriam unquam laudare potiü, qiü, his praesidüs [sc.
librorum mss] destituti, ad nodos coniecturas cUlabuntur et sola
ingenii fiducia quosvis auctores emendare aggredUmtur. Ebenso
scharf spricht er sich im Widmungsschreiben der Vegetiusausgabe
von 1580 dagegen aus: . . . sine quibus [sc. libris mss.] nugas agat
et temere adeo faciat meo quidetn iudicio, qui auctorem aUquem
recensendum in manus sumat. enim periculosa est semper in alieno
opere nimia diligentia: tantoque periculosior quanto is, qui in tali
negotio versatur, eniditione et ingenio excellit aut certe excellere
postulat.
Ähnliche Äußerungen ließen sich namentlich noch aus den Nov.
Lect. anführen. Besonders der 25. Brief, den er am 22. April 1582
an Janus Gulielmus geschrieben hatte, ist von Reiz und Interesse;
Modius verwahrt sich darin ausdrücklich gegen den Vorwurf, die
Arbeit der Leute würde von ihm unterschätzt, qui, iudicii bonitate
Ingenii felicitate subnixi memoriaque multarum rerum et eniditione
plurima ac assidua tractandi bonos scriptores consuetudine confir-
mata adiuti, quam phirimos sibi auctores emaculatis, quae passim
in iis contaminata occurrebant, demerendos existimarunt^) Sein
Eifer gelte nur denen, qui sola ariolandi fiducia nitentes scriptorem
aliquem in integrum restituendum suscipiunt Die Konjektur sei
den auch mir unbekannt gebliebenen Verfasser zu nennen: Vere de illo quidam
cecinit,
>) Nov. Lect 119.
Modius als Handschriftenforscher. 55
wohl ein in gewissen Fällen erlaubtes und notwendiges, aber doch
immer mit äußerster Vorsicht und Beschränkung zu gebrauchendes
Mittel in manuscriptomm et veterum codicum inopia. Eben um
diesem Mangel abzuhelfen, suchte er von Jugend an möglichst viele
und gute Handschriften kennen zu lernen.
Wohl verstand er es im allgemeinen, den Wert bezw. Unwert
einer Textquelle zu erkennen, oder vielmehr herauszufühlen, aber, in-
sofern er nicht aber die Zeitanschauungen hinauskonnte und zu einem
wirklichen Verständnis der Oberlieferung in allen ihren Bedingungen
nicht sich durchzuringen vermochte, mußte sein Verfahren unvoll-
kommen bleiben und im Eklektizismus verharren. Modius' Ausgaben
entstanden weder auf Grund einer systematischen Abwägung der ge-
samten Handschriften, noch durch bloßen Abdruck einer einzigen
bestimmten Handschrift, sondern so, daß ein älterer gedruckter Text
zugrunde gelegt und unter Bevorzugung bald dieser bald jener Hand-
schriften verbessert wurde. Ober die größeren Veränderungen wurde
in besonderen Noten Rechenschaft abgelegt, nur kleinere, ihm un-
bedeutend oder selbstverständlich scheinende stillschweigend vor-
genommen: satis habeat lector, nihil temere aut sine librorum
auctoritate m hoc nostra editlone tentari aut loco suo moverl,
ceterum iisdem Ulis libris suadentibtis adeo multa, partim emendata,
partim genuinae venustati restituta, ut Notae hae fines suos longe
excessurae sint, si non, silentio transmissis levioribus, eorum tantum
mentionem hie faciam, quae vel momenti maioris vel certe minus
certa et hoc nomine aliorum quoque iudicio subiiciunda videantur.^)
Waren wirklich einmal Konjekturen nötig gewesen, so betonte er das
in den Anmerkungen mit besonderem Nachdruck. Sehr oft wagte
er es jedoch nicht, sie in den Text selbst zu setzen, wenngleich sie
ihm persönlich gut erschienen. Und auch handschriftliche Lesarten,
die er billigte, nahm er oft nicht auf, weil er die Möglichkeit einer
anderen Auffassung einsah.
Eines Urteils über die Güte seiner Verbesserungsvorschläge
enthalte ich mich; es sind viele Falschheiten mit anerkannt glänzen-
den Emendationen gepaart. Nur vor der ungeschichtlichen Verächt-
lichkeit wäre wohl zu warnen, mit der moderne Gelehrte über die
Art dieser älteren Forscher aburteilen.
Da der Hauptwert der modianischen Arbeit für die heutige Text-
kritik darauf beruht, daß er uns von vielen, höchst wichtigen, jetzt
») Not in Vcgetium p. 28.
56 P* Lehmann,
aber schmerzlich vermifiten Handschriften Nachricht gegeben hat, wie
von den Justinuscodices aus Fulda, dem Silius Italiens aus Köln u. a.,
so lassen wir ein kurzes Wort über die Glaubwürdigkeit folgen,
die seine Angaben über handschriftliche Lesarten verdienen.
Am wenigsten kann man aus den von ihm konstituierten Texten
selbst gewinnen, da hier oft das Gut älterer Editionen und mehrerer
Handschriften vermengt ist Es ist nur dann im allgemeinen mög-
lich, festzustellen, ob eine Lesart aus irgend einem Codex stammt,
wenn man alle Lesarten ausscheidet, die aus Ausgaben genommen
sein können; dies ist mühsam, aber möglich, da er die von ihm be-
nutzten Editionen meist namentlich anführt Es ist jedoch ratsam,
hierbei alle Exsilentioschlüsse auf Übereinstimmung der benutzten
Handschriften mit den Drucken zu vermeiden, da Modius eklektisch
vorgeht Ist erst einmal die Klassenzugehörigkeit des Manuskriptes
durch Betrachtung der Noten bestimmt, so läfit sich allerdings oft
mit einiger Wahrscheinlichkeit die Herkunft der einzelnen Lesung
bestimmen.
Reichere Ausbeute geben die den Ausgaben beigefügten Noten.
In ihnen handelt es sich zumeist um einzelne Wörter, zu denen
Varianten notiert werden. In diesem Falle ist Modius durchaus zu-
veriässig, wenn sich auch hie und da einmal Ungenauigkeiten fmden
lassen: es ist nur zu bedauern, daß er die Handschriften nicht immer
genau bezeichnet, obwohl er oft mehrere nebeneinander benutzt; nicht
selten sagt er weiter nichts, als daß er die Lesart aus membranae.
Über. ms. etc. (s.u.) genommen habe.
Dieselbe Glaubwürdigkeit gebührt auch den Varianten, die er
in den Nov. Lect. für einzelne Wörter beibringt.
Schwieriger wird die Sache, wenn er, wie namentlich in dem
eben zitierten Werke, umfangreichere Stücke aus den Handschriften
vorführt Er stellt hier der Vulgata einen Text gegenüber, der nur
scheinbar ganz und gar aus den Handschriften entnommen, in Wahr-
heit nur an einigen Stellen mit ihrer Hilfe gereinigt ist. Man hat
demnach einmal zu sehen, welche Ausgabe er zugrunde legt und
dann, worauf es ihm bei der Emendation besonders ankommt Zu-
weilen erlaubt er sich Konjekturen nach Anleitung der handschrift-
lichen Lesart, betont es aber fast stets ausdrücklich.
Einer der wenigen modernen Gelehrten, die Modius' Angaben
mit Wohlwollen und Verständnis benutzt haben, ist H. Blaß. Ihm
\ erdanken wir eine Prüfung des modianischen Verfahrens für Censo-
rinus und Silius Italiens, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen darf.
Modius als Handschriftenforscher. 57
Es sei deshalb das Endergebnis seiner Untersuchung mitgeteilt, das
fflr alle, die mit Ausgaben des Modius arbeiten wollen, von maß-
gebender Bedeutung isti^
»Die Veranlassung für Modius in seinen Nov. Lect. eine Stelle
zu besprechen, ist so gut wie ausnahmslos die, daß die ihm vor-
liegende Handschrift Besseres bot Wenn er die Vulgata in seinen
gereinigten Text wieder aufnimmt, so folgt daraus nicht, daß so auch
der Coloniensis biete, sondern nur, ^ daß er eine Änderung sachlich
nicht für geboten erachtete; ändert er die Vulgata, so folgt nur, wo ein
positives Zeugnis, welches die einzusetzenden Worte namentlich aus-
hebt, vorhanden ist, mit Sicherheit, daß dies Eingesetzte im Coloniensis
stehe, mit der Reserve, daß ein richtiges Wort vielleicht in etwas
veränderter Wortform gegeben ist. Wo dieses Zeugnis fehlt, folgt,
da Modius, wenn auch sehr vereinzelt und in verschwindend kleiner
Anzahl, ohne es zu erwähnen, Konjekturen von sich bringt, nur mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit, daß die gegen die Vulgata vor-
genommene Änderung auf den Coloniensis zurückgehe Ober
die ,bona fides' aber ist ein Zweifel nicht zulässig."
3. Die benutzten Handschriften.
Ehe ich dazu übergehen kann, von den einzelnen durch F. Modius
benutzten Bibliotheken und Handschriften zu sprechen, muß ich noch
einige mehr allgemeine Erörterungen vorausschicken.
Modius' Forschungen verdanken wir, wie bereits erwähnt, die
Kenntnis von Lesarten verschiedener wertvoller nunmehr veriorener
Handschriften. Nur dann aber können wir aus diesen Angaben wirk-
lichen Nutzen für die Textkritik ziehen, wenn es uns gelingt, über
Herkunft, Alter, Schrift und dergl. der betr. Codices Genaueres zu
ermitteln. Leider sind Modius' Handschriftenbeschreibungen
ziemlich dürftig, wenn sie auch einige Vorzüge vor anderen zeit-
genössischen aufweisen. Einen Vorzug seiner Art und Weise erblicke
ich darin, daß er uns in den meisten Fällen über die Herkunft seiner
Handschriften unterrichtet. Die dabei gebrauchten Ausdrücke, die ich
nachher zu zitieren Gelegenheit haben werde, geben nur selten be-
1) Fleckeisens Jahrbücher für PhUologie etc., Supplementbd. VIII (1875)
S. 1941
58 ^* Lehmann,
sondere Rätsel auf. Allerdings redet er manchmal ganz allgemein
von einem liber Coloniensis, Bonnensls etc., ohne die eigentliche
Aufbewahrungsstätte in den genannten Orten anzugeben, ebenso wie
er bei Benutzung mehrerer Handschriften desselben Textes nicht immer
die Lesarten nach ihrem Ursprünge aus diesem oder jenem Exemplar
scheidet
Das Äußere wird oft nur sehr mangelhaft geschildert Meist
gebraucht er nur die wenig besagenden Bezeichnungen: manu ex-
aratus codex, liber scriptus oder liber manuscriptus (ms), exemplar
scriptum und ähnliche, besonders häufig: membranae und Über oder
codex membranaceus. Der eigentlich in letzteren Wörtern liegende
Begriff des Pergamentenen ist schon frühzeitig sehr abgeschwächt.
Bei vielen Gelehrten vor und nach Modius ist membranae gleich
Handschrift überhaupt^) Bezeichnet nun Modius im allgemeinen mit
jenen Ausdrücken wirkliche Pergamentcodices und redet er anderseits
zuweilen gewissenhaft von chartacei, so läßt er sich doch auch nach-
weislich in einem Falle die ungenaue Anwendung zu schulden kom-
men, wenn er die Komburger Papierhandschriften der Pliniusbriefe
membranae nennt. Sehr ungenau sind Modius' Alters- und Schrift-
bestimmungen. Adjektive wie vetus, antiquus wollen nichts besagen.
Sie werden ohne Unterschied für Handschriften des 9. — 13. Jahrh.
gebraucht, nicht aber, wie es sonst wohl vorkommt, für noch jüngere.
Mehr bedeutet es, wenn er im Superiativ redet, z. B. die Fuldaer
Justinhandschriften antiquissimae membranae, den aus dem 7. Jahrh.
stammenden Censorinus des Kölner Domes einen liber mire antiquus
nennt Es entging ihm nicht, daß sich die Handschriften von Fulda
und namentlich die der Kölner Dombibliothek im allgemeinen durch
hohes Alter vor anderen von ihm benutzten Sammlungen aus-
zeichneten.
Ober die Schrift der Codices schweigt er eigentlich ganz und
gar, zuweilen gebraucht er allerdings den Terminus scriptura longo-
bardica, ohne aber damit eine besondere Gattung zu bezeichnen.
Man redet schon zu Erasmus' Zeiten von .langobardischer Schrift**
und meinte damit eine in ihren Zügen auffallende wie z. B. die In-
sulare.«) Vielleicht schließt sich Modius dieser Anwendungsweise an,
>) Membranae bedeutet seiner ursprünglichen Bedeutung nach (und bei Mo-
dius oft) nur eine Handschrift
>) Vgl. L Traube in den SB. d. k. b. Akad. d. Wiss. 1900 S. 469 ff. und in den
Abh. d. k. b. Akad. d. Wiss. m. Kl. XXIV 1 S. 25.
Modius als Handschriltenlorscher. 59
wenn er die eine Fuldaer Justinhandschrift Longobardka littera
scriptus nennt. In anderen Fällen aber scheint er jede Minuskel-
schrift .langobardisch" zu nennen.^
Die Unvollkommenheit der Handschriftenbeschreibung ist weniger
ein individueller Mangel des Modius als ein allgemeines Zeitgebrechen.
Erst mit Mabillon beginnt die theoretische und systematische Paläo-
graphie.
Auf den folgenden Blättern stelle ich die einzelnen von Modius
benutzten Handschriften zusammen, indem ich zuerst die bestimmter
Klöster und Stifter, dann einiger privater und schließlich verschiedener
nicht genannter Sammlungen in alphabetischer Reihenfolge bespreche.
Ausgeschlossen sind, wie schon oben bemerkt, diejenigen von Modius
besuchten Bibliotheken, aus denen wir keine Handschriften bei ihm
nachweisen können. Der Besprechung der Codices schicke ich je-
weils einen kurzen Oberblick über die anderweitigen Benutzungen
und die letzten Schicksale der Bibliotheken voraus.
A. Handschriften aus Kloster- und Stlftsblbllotheken.
BAMBERG.
Dominikanerkloster.
Die Geschichte der Bibliothek dieses Klosters ist noch nicht
untersucht; doch auch wenn das geschehen wäre, würde man wohl
kaum erfahren haben, daß irgendwelche Handschriften dieser Samm-
lung jemals eine Rolle in der Geschichte der V^ssenschaft gespielt
hätten. Soweit ich weiß, ist Modius der erste und einzige Gelehrte
älterer Zeit, der von der Dominikanerbibliothek öffentlichen Gebrauch
gemacht hat
Ober den einstigen Bestand und etwaige Veriuste ist man schlecht
unterrichtet Die einzigen Entfremdungen, von denen ich weiß,
knüpften sich an den Besuch des berüchtigten Maugerard, durch
den 1795/96 einzelne Bücher dieses Bamberger Konventes nach Gotha
verkauft sind.«)
>) In der scriptura langobardica erscheinen ihm die Buchstaben s und r
leicht verwechselbar, vgl. z. B. Nov. Lect 2 u. 25. — Vgl. über Modius' Verwendung
des Ausdruckes auch unten.
«) Traube und Ehwald in den Abh. d. IIL Kl. d. k. bayer. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd.
IL Abt. S. 328, 349 u. 369.
60 P- Lehmann,
Bei der Säkularisation fanden sich 336 Handschriften des 11. bis
16. Jahrhunderts vor,^) meist scholastische Literatur enthaltend. Der
wertvollste Codex kam nach München (lat. 4460), die übrigen wurden
der königlichen Bibliothek zu Bamberg überwiesen.
Die von Modius benutzte Handschrift ist nicht mehr vorhanden.')
Ob er noch andere Handschriften der Dominikaner oder auch anderer
Klöster und Stifter Bambergs gebraucht hat, wissen wir nicht Es
ist aber sehr wahrscheinlich, da er in den Jahren von 1581 — 1584
häufig nach Bamberg gekommen ist, so daß ihm z. B. die Dom-
bibliothek kaum entgangen sein dürfte.
Die von Modius herangezogene Handschrift enthielt:
Valerius Maximus dictorum factorumque memorabilium libri.
Auf S. 296 der Nov. Lect schreibt er: ... Cum naper Barn-
bergae bibllothecas more mihi solenni excuterem eiusque exemplar
scriptum ibidem apud Dominicanos eruissem, operam lusurum me
non existimarem, si illud adPighianam editionem^) diligenter com-
pararem . . . und er teilt dann im 54., 96. und im 128. Briefe zu 24 Valerius-
stellen Lesarten des Bambergensis mit Die Mitteilungen sind weder
in älterer noch in neuerer Zeit von den Herausgebern berücksichtigt
worden. Soweit es Modius' Angaben erkennen lassen, hat man den
Bambergensis zu Kempfs^) ,codices deteriores' zu rechnen. Bemerkens-
wert ist, daß er Kempf ed. min. p. 11, 25 sqq. mit den beiden besten
Handschriften A und L geht und sich von der Interpolation aller
übrigen Handschriften frei zeigt
BONN.
Ungenannte Bibliothek,
In der Vorrede und in den Noten der Ausgabe von Vegetius
de re militari erwähnt Modius häufig einen Über Bonnensis, von
1) Vgl. Jaeck, Beschreibung der öffentlichen Bibliothek zu Bamberg, NOra-
berg 1831 f., I p. UV, U p. LXX sq., CXXV sq. und aufierdem Chr. von Murr, Merk-
würdigkeiten der fUrstbischOflichen Residenzstadt Bamberg, Nürnberg 1799, S. 130
bis 134.
*) Es befindet sich allerdings jetzt eine Valeriushandschrift in Bamberg
(M.V. 11 saec. XIII). Diese entstammt jedoch der Dombibliothek.
*) Antwerpen 1567. 8».
^) Größere Ausgabe, Berlin 1854; Ideinere, verbesserte Ausgabe, Leipzig
(Teubner) 1888.
Modius als Handschriftenforscber. 61
dem ihm der Dechant Jacobus Campius^) eine Abschrift verschafft
habe. Die Annahme liegt nahe, daß der jetzt verschollene Codex
damals im Besitze des dem Campius unterstellten Münsterstiftes')
war. Es scheinen sich gar keine unmittelbaren Reste dieser Samm-
lung erhalten zu haben. Ihre einstige Existenz geht aus einer Er-
wähnung in Schultings .Bibliotheca ecclesiastica" , Köln 1599,
11,13 und aus der Abschrift der Bollandisten in Brüssel 4495
(6828—69) hervor.
Eine genaue textkritische Würdigung des Bonnensis ist deshalb
möglich, weil sich die eigenhändige Kollation des Modius erhalten
hat. Ich fand sie in dem Exemplar der modianischen Ausgabe von
1580, das der Universitätsbibliothek München (Polit 302, 8<>) gehört
Das ganze Buch ist mit Papier durchschossen, und auf diesem wie
am Rande der bedruckten Blätter sind von zwei Händen des 16. Jahrh.
Varianten zum 1. Buche eingetragen. Was ich bereits beim ersten
Anblick vermutete, bestätigte sich bei genauer Schriftveigleichung,
in der mich mein Freund Ch. H. Beeson unterstützte: Die meisten
Vermerke — und zwar sind es die Lesarten, denen ein B beigefügt ist, —
rfHiren von keinem anderen als Modius her. Das Zeichen B wird
auf einem dem Prologe vorgesetzten Blatte als M. S. Bonriesis er-
klärt. Andere als textkritische Bemerkungen finden sich nur ver-
einzelt
Die Kollation macht den Eindruck großer Sorgfalt, selbst ortho-
graphische Abweichungen scheinen genau angegeben zu sein.
Die Einordnung der Handschrift, die C. Lang«) nach den Mit-
teilungen in Modius' gedruckten Noten vorgenommen hat, erweist
sich als durchaus richtig. Der Bonnensis steht P, dem Perizonianus
F 17 s. XI in Leiden, außerordentlich nahe. Ja, es erscheint mir sogar
als höchst wahrschemlich, daß die Handschrift des Perizonius, die erst
seit dem 18. Jahrhundert in Leiden liegt, mit der Bonner unseres Modius
>) In der Biographie ist Campius bereits mehrfach als Modius' Freund und
Beschützer erwähnt Er war seit 1576 Dechant des Cassiusstiftes in Bonn, zeit-
weiUg Vizekanzler des Köhier Kurerzbischofs und starb 1604 als Protonotar des
geistlichen Konsistoriums zu Mainz. Seine wissenschaftlichen Interessen lagen auf
dem Gebiete der Inschriftenkunde. Vgl. Freudenberg in den Bonner Jahrbüchern
XXDC/XXX 94 ff. und XXXDC/XL 175 ff. sowie R. Pick in den Annalen des historischen
Vereins für den Niederrhein 1884 S. 76 und F. Falk, Bibelstudien u. s. w. in Mainz,
Mainz 1901, S. 103 f.
«) Vgl Neues Archiv d. G. f. ä. d. Geschichtskunde XIU (1888) S. 147 ff.
*) In der Teubnerausgabe, Leipzig 1885, p. XU.
62 P- Lehmann,
identisch ist Ihre Herkunft aus Deutschland ist durch die alten Glossen
gesichert; eine eigentliche Provenienznotiz befindet sich nach gütiger
Mitteilung von Herrn Direktor S. G. de Vries in ihr nicht
Von den verschiedenen Vegetiusau^aben, die Modius in seinem
Bücherverzeichnisse von 1588 beschreibt, ist wohl die mit dem
Münchener Exemplare gleichzusetzen, die er als
V^etius etc. Ed. nostra coUata ex parte et cum Charta 8°
bezeichnet >) In der Tat enthält ja der vorliegende Druck nur ftlr
das erste Buch eine handschriftliche Kollation {coUata ex parte) und
ist mit Papier {cum Charta) durchschossen.
Es ist mir unklar geblieben, wie das Buch nach München ge-
langt ist Da6 es schon vor Modius' Tode aus seinen Händen kam,
dürfte der wohl noch aus dem 16. Jahrh. stammende Vermerk auf dem
Titelblatte zeigen:
Sam loannis Masil Müntzli Baccharacensis P. A^ 95 4 Cal. lunii.
Ich möchte hier noch eine Bemerkung daran anknüpfen, dafi
Modius in der Kollation seine Handschrift sigillatim mit B bezeichnet
Wir haben da ein frühes Zeugnis für den uns jetzt selbstverständlich
scheinenden Gebrauch, in den kritischeu Apparaten die Handschriften
durch einzelne Buchstaben zu unterscheiden. Wer jemals L. Traube
über solche scheinbar gleichgültigen Dinge hat reden hören, weiß,
daß ihre Geschichte oft die Entwicklung der Philologie überhaupt
illustriert. Er meinte, nach Poliziano, dem eigentlichen Philologen
des italienischen Humanismus, der seine beiden Ovidhandschriften
kurz als a und b bezeichnete, hätten erst der Bischof Pontacus (f 1604)
und ihm folgend Scaliger im .Thesaurus temporum" von 1606 den
Gebrauch wieder aufgenommen. Das ist nicht ganz richtig. Mag
immerhin Scaliger derjenige gewesen sein, durch dessen Autorität die
Einbürgerung erfolgt ist, auch er steht schon in einer Tradition.
Lange vor Erscheinen seines großen Werkes und auch noch vor
Modius verfuhr Theodor Poelmann so. Z. B. gebrauchte er in seiner
Ausoniusausgabe, Antwerpen 1568, für die Texteszeugen in Kürze
die Anfangsbuchstaben: M, C, G, V, P.
^) Vgl. Lang a. a. O. p. XXXIII und Steinmeyer, Althochdeutsche Glossen
IV 477 f.
«) Vgl. Serapeum XIV 103.
Modius als Handschriftenforscher. 63
B R U E G G E.
Ungenannte Bibliothek,
In den Noten zur Curtiusausgabe werden dreimal (S. 154 f.,
161, 176) Lesarten (zu Vffl 11,24; 1X3,10; X2,10) aus membranae
Brugenses angeführt, die dem Herausgeber, anscheinend nachträglich,
von Carolus Utenhovius^) zugeschickt worden sind (S. 154f.). Aus
welcher Bibliothek, ob aus einer öffentlichen, d. h. geistlichen, oder
einer privaten, der Codex stammt, wird leider nicht gesagt. Man
ist versucht, ihn mit dem in der Vorrede erwähnten liber Thosanus
zu identifizieren, da sich die Bibliothek von Ter Doest damals viel-
leicht bereits in Brügge befand. Gegen diese Annahme spricht jedoch
Modius' Behauptung Nov. Lect. 188, dafi er persönlich in Ter Doest
selbst gearbeitet habe.*)
Ob nun der Brugensis dem Thosanus gleich zu setzen ist
oder nicht, jedenfalls ist es ein handgreiflicher Fehler, wenn einige
verdiente Curtiusforscher älterer und neuester Zeit die Brügger
mit einer vermeintlich Speierer Handschrift identifizieren. Der
Irrtum stammt von H. Snakenburg, der in der Vorrede seiner
Ausgabe (Leiden 1724) schreibt: Modius usus est Codice Spirensis
Abbatiae a. V. CL Utenhovio ipsi misso, quas etiam membranas
Brugenses vocat, utpatet ad IIb. VIII 11, 24. Über Zumpt und Mützell
hat sich diese seltsame Angabe bis in die vorzügliche »Etüde sur
Q. Curce* von Dosson, Paris 1885, verpflanzt (S. 356). — Die Ent-
stehungsgeschichte des Versehens ist lehrreich genug: M. Rader zitierte
in seinem Curtiuskommentar (Köln 1628) häufig die Lesarten eines
»Spirensis*. Da er diesen nun dreimal die gleichlautenden Varianten
der membranae Brugenses Modii zur Seite stellte und sich dabei
etwas unklar ausdrückte, setzte Snakenburg Raders „Spirensis*" und
Modius' »Brugensis* gleich. Bei diesem ohnehin schon leicht-
fertigen Verfahren beging er insofern ein grobes Versehen, als es sich
in dem einen Falle nicht um Lesarten einer Handschrift, sondern
eines Druckes handelte. Rader bezeichnete mit „Spirensis* nämlich
die um 1470 bei Vindelinus Spirensis in Venedig gedruckte Ausgabe.
Schon die Nebeneinanderstellung des „Spirensis* und „Aldinus* an
der für Snakenburg maßgebend gewesenen Stelle (S. 55), femer die
ausdrückliche Bemerkung Raders, nur 3 Handschriften: eine Konstanzer
») 1546—1600; van der Aa a. a. O. XVIII (1874) S. 34,
') Und auch die Bemerkung, die Ter Doester Handschrift olim verglichen zu
haben (s. u.).
64 P. Lehmann,
und zwei bayerische benutzt zu haben, hätte ihn vor dem Iirtume
bewahren sollen, der allerdings anderseits durch den S. 55 fOr den
Spirensis gebrauchten Ausdruck antiqaissimus codex erleichtert wurde.
Wie so oft in älterer Zeit ist auch hier codex nur gleich Buch.^)
FULDA.
Benediktinerkloster,
Für Fulda liegen bereits zwei Arbeiten vor, die in Verbindung
mit der Geschichte der Bibliothek eine Übersicht über ihre Benutzung
seit den Tagen des Humanismus zu geben versuchen:
1. A. Ruland, Die Bibliothek des alten Benediktinerstifts zu
Fulda, Serapeum XX (1859) S. 273—286, 289—298 und 305—317.
2. F. Falk, Beiträge zur Rekonstruktion der alten Bibliotheca
ftildensis und Bibliotheca laureshamensis, 26. Beiheft zum Zentralbl
f. Bibliothekswesen (Leipzig 1902) S. 4—24 und 76.
Beide Aufsätze sind durchaus nicht fehler- und lückenlos. Trotz-
dem möchte ich mit den mir möglichen Berichtigungen und Er-
gänzungen warten und es überhaupt noch unterfassen, von der Be-
schäftigung der Humanisten mit Fuldaer Handschriften zu sprechen.
Bei der Beschränkung, die mir die Absicht dieser Arbeit auferiegt,
einerseits und der Stoffmasse und Problemenfülle des Themas: Fuldas
Bibliothek und die gelehrte Welt andererseits wäre es nicht mög-
lich, hier eine Darstellung zu liefern, die nicht in gleicher Weise wie die
genannten Arbeiten Rulands und Falks den Stempel des Notizenhaften
und Unverarbeiteten trüge. Gewiß kann auch bei meinen Be-
sprechungen der übrigen Bibliotheken nicht von Vollständigkeit die
Rede sein, aber dort liegt die Sache insofern anders, als es sich um
erste Versuche handelt. Ich verzichte um so mehr darauf, als ich in
einer vorbereiteten Abhandlung über den Kreis des Erasmus von
Rotterdam Gelegenheit haben werde, die Versäumnis nachzuholen.
Die Notwendigkeit einer sorgfältigen Zusammenstellung und
Verarbeitung aller Nachrichten über die Fuldaer Handschriftensamm-
lung dürfte jedem Forscher klar sein, der sich mit dem Mittelalter, sei
es als Philologe, sei es als Historiker, beschäftigt Die Notwendig-
keit ergibt sich aus der Bedeutung Fuldas als eines der hervor-
ragendsten geistigen Mittelpunkte Deutschlands im Mittelalter und den
traurigen, unaufgeklärten Schicksalen der Bibliothek, durch die sich
eben die kulturelle Bedeutung des Klosters am klarsten erweist
*) Vgl. unten.
Modius als Handschriftenforscher. 55
Aufier fragmentarischen mittelalterlichen Katalogen ^) besitzen wir
ein sehr umfangreiches Verzeichnis aus dem 16. Jahrhundert*) Man
liest dieses wertvolle Dokument nur mit schmerzlichen Empfindungen;
denn: wo sind jetzt die ca. 800 Bände Handschriften, die dort auf-
gezählt werden? Bisher hat man nicht emmal den 10. Teil davon
nachweisen können. Es befinden sich Fuldenses in Basel, Cassel,
Frankfurt a.M., Fulda, Göttingen, Hannover(?), Leiden, Mai-
land, MerseburgC?), Modena, Paris, Rom, Vercelli und Wien(?).«)
Die Geschichte der Bibliothek ist eben so dunkel wie ihr gegen-
wärtiger Bestand lückenhaft. Nur von wenigen der in den aufgezählten
Orten liegenden Codices Fuldenses ist es bekannt, wie und wann sie
aus Fulda fortgekommen sind. Inwiefern die Nachrichten über Be-
suche der Fuldaer Bibliothek in älterer Zeit geeignet sein können, zur
Aufhellung des Dunkels zu dienen, das über dem Schicksale der
Sammlung liegt, habe ich bereits im Vorworte angedeutet.
Mindestens ebenso wertvoll ist die Benutzung der Bibliothek
durch Philologen früherer Jahrhunderte aber dadurch geworden, daß
wir auf diese Weise Kunde von hervorragenden Codices bekommen
haben, die in der Folge verloren gegangen sind.
Betrachten wir nun, was wir von Modius' Arbeiten in Fulda
wissen und welchen Wert sie für die Wissenschaft haben.
Die Tatsache seines Aufenthaltes in Fulda war von jeher be-
kannt und ist natürlich weder Ruland noch Falk entgangen. Aber
beider Berichte sind durchaus unzulänglich; Falk hätte sicheriich
vorsichtiger gehandelt, wenn er nicht von Modius als , einem den
Philologen sattsam bekannten Gelehrten* gesprochen hätte. In
seinem kurzen Artikel*) über Modius nennt er keine der von diesem
>) G. Becker, Catalogi bibliothecanim antiqui, Bonn 1885, nr. 13, 14 und 128;
dazu kommt nun noch das Fragment in Basel F. in 15^, das trotz P. v. Winter-
felds Veröffentlichung in der Festschrift für Johannes Vahlen, Berlin 1900, S. 403
recht wenig beachtet worden ist, und schliefilich das gewiß mit Fulda zu ver-
bindende, bislang noch unveröffentlichte Verzeichnis im Bodleianus Land. Mise. 126,
auf ^ mich mein hilfreicher Freund L Bertalot aufmerksam gemacht hat, der
seinerseits den Hinweis L Traube verdankt
*) 1812 durch Kindlinger zuerst, jetzt besser von C. Scherer als Beilage zu
der angefahrten Arbeit von Falk S. 89—111 verOffentUcht
*) Vgl die allerdings nicht durchaus zuverlässige Zusammenstellung von Falk
a. a. O. 24—42.
^ A. a. O. 14 f.
QncUcn n. Untcnnch. 1. Ist PhUologle des MA. m, 1. 5
66 ^' Lehmann,
benutzten Handschriften, bei anderen Gelegenheiten ^) verweist er
ganz flüchtig auf die Tertullianus- und die Liviushandschrift.
Falk*) und Ruland') notierten einmal Modius' Eintrag in sein
Enchiridion: 23. Sept. 84 Francofurto cum nobUi Rhenano Spies toi
Fttldam. 26. Sept. veni Fuldam, ubi excussi biblioüiecam illamnobUem
usque 12. Decembris 1584. HabUabam Fuldae e regione Jesaitarum
apud institorem Philippum Mentz.
Femer führten sie*) einen Satz aus der Vorrede von Modius'
„Pandectae triumphales", Frankfurt 1586, an, der, wie folgt, lautet:
qui [sc. Erasmus Neustetterus] me ita, ut scis, triennio doml sitae
habiüt, ut filio praestare amplius nihil potuerit; discedentemque . . .
eo viatico prosecutus est, quod non tantum ad iter Belgicum
abunde mihi suffecit, verum etiam ad visendas bibliothecas aliquot
nobiles et inprimis Fuldensem illam tota Europa celeberrimam, ubi
per menses etiam aliquot (antiquissimorum voluminum causa, quae
partim exscripsi, partim cum cusis exemplaribus contuli) substiti.
Neue Nachrichten über den Besuch glaubte ich, wie man ver-
stehen wird, in Modius' Briefen finden zu können. Leider haben die
Funde den Erwartungen nicht ganz entsprochen, da gerade einige der
wichtigsten Briefe, die genauere Angaben enthalten zu haben scheinen,
verschollen sind. Johannes Posthius wußte von der Exkursion, er
teilte am 12. November 1584 Camerarius mit:^) Modius noster e
nundinis proximis in Fuldam se bibliothecae causa contulit, ubi
adhuc lotet. Vermutlich hatte ihm Modius aus Fulda geschrieben.
Dieser Brief ist jedoch ebensowenig erhalten wie der, auf den Modius
dem Camerarius gegenüber am 21. Januar 1585 anspielte:^)
Scripsi ad te Fulda, clarissime vir, ante septimanas sex,
Septem De profectu Fuldae facto a me scripsi nuper,
quae nunc non itero, ne quid videar promittere de me iactantius.
Rein zufällig kam er aber doch noch einmal auf seine Fuldaer Tätig-
>) A. a. O. 8 f. und 76.
>) A. a. 0. 15, jedoch nur die Worte 26, Sept 12. Decembris 1584.
•) Vgl. Serapeum XIV 129. XX 291 und im Archiv 21.
^) Falle a. a. 0. 15 und Ruland, Serapeum XIV 129 zitieren nicht unmittelbar aus
der Vorrede, sondern nach Modius' Biographen Melchior Adamus, \^tae philosophorum
Germanorum, Heidelberg 1615, S. 427, wo die Stelle mitgeteilt wird, allerdings, als
ob es Adams eigene Worte wären, weshalb Tür die Formen der ersten die der dritten
Person gesetzt sind.
») Erlangen, Coli. Trew. VI.
•) München, Coli. Cam. XIX 128.
Modius als Handschriftenforscher. 67
keit in einem uns erhaltenen Briefe vom 22. Juli 1585 zurück» ^) als
er Camerarius seine Geldnot klagte: er hätte die ihm von Neustetter,
geschenkte Summe besonders infolge seines langen Aufenthaltes in
Fulda fast ganz verbraucht, dum do ibidem operam collationi
Isidori Efymologiarum, Martiani Capellae, Columellae et PcUladil
de agricuUura, Augustini de civitate dei, openim aliquot TertulUani
et, quod caput est: describendis Servii in Virgilium commentarUs
ubivis hactenus vulgatis longe et uberioribus et emendatioribus.
Ehe ich nun dazu übergehe diese, sowie die in den Ausgaben
und sonstwo erhaltenen modianischen Angaben über Fuldaer Hand-
schriften zusammenzustellen und zu besprechen, möchte ich noch
einen gefährlichen Irrtum als solchen erweisen. Callewaert bemerkte,*)
scheinbar auf Grund des Enchiridion, über Modius in Fulda:
,11 donne aussi un catalogue des divers auteurs qu'il a trouv6s
dans la biblioth^que, mais se contente d'une simple Enumeration de
noms, par exemple: Raph. Volaterranus, Cyprianus, Lactantius, Ar-
nobius. Parmi ces noms nous rencontrons: Tertullianus 4°." Es ist
mir lange unerfindlich gewesen, wie Callewaert zu dieser Nachricht
kommen konnte, bis mir klar wurde, daß er oder sein Münchener Ge-
währsmann übersehen hatte, daß Modius in seinem Notizbuche erst
alle Recto-, dann alle Versoseiten voll geschrieben hat.') Auf der
Rückseite des Notates über den Fuldaer Besuch steht nun die Fort-
setzung des Index librorum quibus in Pandectis triumphalibus usus
sum und in dieser Liste werden die genannten Autoren-Ausgaben
aufgezählt.*) Müssen wir nun zwar diese Namen aus dem Verzeichnis
der von Modius herangezogenen Fuldaer Handschriften ausscheiden,
so bleibt doch immer noch eine ansehnliche Zahl zurück.
1. Augustinus de civitate dei, in jenem Briefe an Camerarius
zitiert Daß in Fulda diese weit verbreitete Schrift nicht fehlte, wissen
wir auch aus dem Kataloge des 12. Jahrh. (Becker 128 31—33) und
dem des 16. Jahrh. (Rep. I or. III 11 und II or. II 14). Bisher ist keiner
von diesen Codices wieder entdeckt.
Modius' Beschäftigung mit Augustins Werk geht auch aus seinem
Briefwechsel mit Weidner hervor. ^)
1) VoUstilndig als BeUage 3 zum I. TeUe mitgeteilt.
*) Le codex Fuldensis .... de 1' Apologeticum de TertuUien, Bniges 1902, S. 3.
•) Vgl. Scrapeum XIV 99.
«) Vgl. Rulands Abdntck im Serapeum XIV 123.
*) Er hatte sich von diesem eine Ausgabe entliehen, aber zurückzugeben
vergessen. Vgl. Stuttgart, Ms. Hist fol. 603sss und auch too.
5*
68
P. Lehmann,
2. Columella de re rustica, gleichfalls in dem Camerarius-
briefe angeführt Trotz ihrer Dürftigkeit ist die Nachricht, dafi Modius
1584 einen Columella in Fulda verglichen hat, von nicht geringem
Interesse, weil sie von neuem die Berechtigung einer von L. Traube*)
aufgeworfenen Frage dartut, in der das Hauptproblem der Ober-
lieferungsgeschichte Columellas eingeschlossen li^ Traube sagt:
,Es liegt in der Ambrosiana ein bisher unerkannter Fuldensis: der
Columella L 85 sup. m insularer fuldischer Schrift,*) wie Häußner
gezeigt hat, ist es der Codex des Poggio. Er mufi also zusammen
mit dem Ammianus Marcellinus vor dem Jahre 1423 Fulda verlassen
haben. Wie ist es nun zu erklären, dafi er im Kindlingerschen Kataloge
nicht nur noch angeführt wird (repos. IX or. III 17), sondern auch gerade
eine von den Handschriften ist, denen die frühere Signatur beigefügt
ist?* Die Tatsache, dafi noch am Ende des 16. Jahrh. eine Columella-
handschrift in Fulda war, läfit die Vermutung zu, dafi der Fuldensis
in Mailand erst nach 1584 seine Schriftheimat verlassen hat und nicht
Poggios codex Uteris langobardicls scriptus gleich zu setzen ist, aus
dem die jüngeren italischen Handschriften abgeschrieben sind. Da
nun aber diese jungen italischen Handschriften nahe Verwandtschaft
mit dem Ambrosianus aufweisen, so hat man sich die Oberlieferung
vielleicht so vorzustellen :•)
Itali
Ambros.
Pctropol.
>) Gelegentlich der Rezension des Falkschen Buches und der Neuausgabe des
Kindlingerschen Kataloges durch Scherer, Anzeiger f. deutsches Altert XXDC (1903) S. 1.
>) Eine Schriftprobe gibt F. Steffens, Ut. Palflographie, Freiburg 1903 bis
1906, Tafel 103.
*) Vgl auch Archaeological Institute of America, Supplementaiy Papers etc,.
voL 1 190 adn. 3.
Modius als Handschriftenforscher. 69
L^e Modius' Kollation vor und wäre der Ambrosianus und das
Verhältnis der Itali zu ihm genau untersucht, so würden die Schwierig-
keiten leicht zu beseitigen sein.
3. Diomedes ars grammatica. Dieses Werk lag schon im
9. Jahrh. in Fulda und wurde damals von Hrabanus Maurus fQr seine
Schrift »de arte grammatica Prisciani* exzerpiert Im 16. Jahrh. treffen
wir zwei Diomedeshandschriften in Fulda an: Rep. X or. III 5 und
or. rv 9, beide mit der älteren Signatur 40 or. Eine von diesen
kollationierte Modius mit einer älteren Ausgabe, und sein Hand-
exemplar gelangte durch Janus Gruterus an Putschius. Außerdem
war der Augsburger Freund des Modius Marcus Welserus im Besitze
von modianischen Notizen aus dem Fuldensis, die zuerst von Caspar
Sdoppius in den 1597 zu Nürnberg erschienenen »Suspectae lectiones*
hie und da verwertet wurden.^) Dann ließ sich Putschius die Papiere
schicken, sodaß er fQr seine Diomedesausgabe in den »Grammaticae
latinae auctores antiqui*, Hanau 1605, eine zwiefach genährte Kenntnis
der Fuldaer Handschrift besaß.
Auch mit diesem Fuldensis ist eine außerordenüich wichtige
Textesquelle verloren gegangen, allerdings scheint er aus demselben
Archetyp wie die erhaltenen Codices, von denen der Monacensis dem
Fuldensis am nächsten steht, geflossen zu sein.*)
4. Eutropius breviarium ab urbe condita. Die von ihm
in Fulda gefundene Handschrift dieses Werkes bearbeitete Modius
nicht selbst, aber er machte seinen Freund und Kollegen, den be-
kannten Philologen Fr. Sylburg, auf sie aufmerksam. Dieser ließ sie
sich dann unter Vermittiung eines gewissen Balthasar \^gandus schicken
und teilte Lesarten daraus im 2. Bande seiner »Scriptores historiae
Romanae«, Frankfurt a.M. 1588—1599, S. 902 ff. mit Die auf Modius
bezüglichen Worte Sylburgs in der Vorrede lauten: . . . post editiones
Schonhovii et Vinetl ad Codices Instituten id annitendum ptUavi, ut
ipse quoque veterem librum manuscriptum alicunde impetrarem, et
com a Francisco Modio antiquorum Ubronim diligenti scnüatore
cognovissem, optimae notae exemplar in Fuldensi bibUotheca superesse,
tandem eo per assiduas amicorum intercessiones sunt potitus.
>) Sdoppius bemerkt, dafi Modius auch einige treffliche Konjekturen ge-
macht habe.
*) Vgl. für die ganze DarsteUung Grammatici latini, ed. Keil I p. XXXU sq. —
Ob Modius' und Hrabans Handschriften identisch gewesen sind, und welche von
den im Verzeichnisse genannten die benutzte ist, dürfte kaum zu entscheiden sein.
70 ^' Lehmann,
Weder die unvollständigen alten Kataloge, noch der grofie aus
neuerer Zeit verzeichnen einen Eutrop, doch dürfen aus dieser Tatsache
keine Schlüsse gezogen werden, da die Katalogtitel ziemlich dürftig
sind und von den Miscellanbänden oft nur die erste Schrift angeben.
Schließlich sei bei dieser Gelegenheit noch einmal mit Nach-
druck bemerkt, daß der Fuldensis verloren und nicht mit dem Gothanus
1101 identisch ist, wie man lange Zeit behauptet hat^ Traubes
Forschungen >) haben den Nachweis für die Herkunft der Gothaer Hand-
schrift aus Murbach erbracht. Die frühere Annahme findet in der
weitgehenden Obereinstimmung des Murbacensis (Gotha I 101) und
des aus Sylburgs Angaben bekannten Fuldensis ihre Erklärung.')
5. Isidorus Hisp. etymologiae. In demselben Briefe an
Camerarius, in dem Modius von der in Fulda angefertigten Kollation
der »Etymologiae* spricht, erwähnt er auch seinen Plan, eine Aus-
gabe des Werkes zu veranstalten.*) Wie bekannt, ist es zur Ver-
wirklichung dieser Absicht nicht gekommen. Aber auch noch später
hat er Material zu der Arbeit gesammelt, z. B. eine Handschrift von
Saint-Bertin verglichen.^) Die Fuldaer Kollation dürfte als Isidorus
et Martianus Capella collati cum MSS. et emendati a me, fol. in dem
älteren Kataloge der modianischen Bibliothek verzeichnet sein und
zwar erst unter den ungebundenen und dann unter den gerade neu
gebundenen Büchern.«) Wir brauchen es wohl nicht durch Belege zu
stützen, daß in der Fuldaer Bibliothek frühzeitig Exemplare der viel
benutzten Enzyklopädie vorhanden gewesen sind. Vielleicht stammt
der Isidor-Codex der Universitätsbibliothek Basel F. III 15, saec. IX,
aus Fulda; allerdings weist er nicht dieselben Merkmale auf wie die
anderen dortigen Handschriften, deren fuldische Provenienz Paul
von Winterfeld nachgewiesen hat,^) namentlich fehlt die alte Signatur.
^) Z. B. begeht Falk a. a. O 31 noch den Irrtum.
«) Abh. der k. b. Akad. d. Wiss. IIL Kl. XXIII. Bd. II. Abt. S. 303 f., 312, 316
und 335 f.
*) Zur genaueren Würdigung der Handschrift vgl. die Ausgaben von W. Hartel»
Berlin 1872, und H. Droysen in MG., Auctt. antt. IL
*) Vgl. Beilage 3 des I. Teiles und S. 19.
*) Vgl. unten.
•) Scrapeum XIV 102 und 106.
») Festschrift zu Joh. Vahlens 70. Geburtstage, Berlin 1900, S. 402. — Wir
wissen, daß die Handschriften, deren Liste bei Winterfeld nicht voUständig ist»
durch Remigius Fäsch (f 1666) nach Basel gelangt sind, können aber leider den
Weg von Fulda zu Fäsch noch immer nicht überblicken. Für die naheliegende
Vermutung, daß der eifrige Sammler auf seinen Reisen, die ihn nachweisbar nach
Modius als Handschiiftenforscher. Jl
Trotzdem ist die Annahme möglich, weil die Handschrift in mehr-
facher Hinsicht verstammelt, namentlich auch mit einem neuen Ein-
bände versehen ist, wobei die Provenienznotizen, wie z. B. der Signatur-
zettel, verloren sein können. Die Schrift ist nicht ausgesprochen
fuldisch, zeigt aber in den Abkürzungen und Ligaturen insularen
Einfiufi.
6. und 7. Justinus epitome historiarum Philippicarum
Pompeii Trogi in 2 Exemplaren. Modius erklärt im Widmungs-
schreiben seiner Ausgabe von 1587, er würde nach Erscheinen der
Bongarsischen Ausgabe keine neue veranstaltet haben, wenn ihn nicht
folgender Fund dazu getrieben hätte, das Anerbieten des Veriegers
anzunehmen: incidit forte, ut Ftädam nobUlssimae quae ibidem
est bibliothecae Inspiciundae causa proficiscerer^ übt cum inter alia
vetustissimae antiquttatis monimenta cbio eiusdem Justini exemplaria
reperissem mire bona ....
Trotzdem ließ er mit Ausnahme der Prologe, den von J. Bon-
garsius hergestellten Text unverändert wieder abdrucken und be-
schränkte sich darauf, in besonderen Noten Mitteilungen aus seinen
Handschriften zu machen, vomehmUch aus den beiden Fuldenses.
Er bezeichnet sie häufig als besonders alt und gut, macht aber keine
klaren Angaben über ihr Äufieres. Wenn er den einen Codex als
Longobardica littera scriptus Justinus qui Fuldae asservatur (zu
Prol. II 7) zitiert, so ist damit an sich nicht etwas besonders Charak-
teristisches gesagt. Nach meinen Beobachtungen nennt Modius jede
Minuskel „langobardisch".^)
Man könnte allerdings daraus, daß er nur eine der beiden
Handschriften als »langobardisch* bezeichnet, den Schluß zu ziehen
wagen, daß es sich in diesem Falle doch um eine von der land-
läufigen karolingischen Minuskel abweichende Schriftart handelt.
Natüriich denkt man bei einem Fuldensis zuerst an die Insulare. Daß
mindestens der eine der beiden Codices in jene Zeit hinaufreicht, wo
der Grundstock der fuldischen Bibliothek durch unmittelbar von den
Hessen geführt haben, in der Fuldaer Bibliothek gewesen wäre und dort die Bücher
eigenhändig entwendet hätte, fehlen alle Beweise. Seine Bemerkung (Basel A. R.
1 11 fol. 1630 ^ BibUotheca Fuiäensi, uti apparet ex fine bei Beschreibung der
Qennanicushandschrift (Basel A. N. IV 8) würde befremden, wenn er den Codex sich
selbst aus Fulda geholt hätte. Gelegenheiten, alte Handschriften bei Trödlern auf-
zukaufen, gab es gerade im 17. Jahrhundert genug. — Fäsch und seine wertvollen
Sammlungen verdienten eine eigene Untersuchung, für die in Basel viel Material liegt
>) Vgl. oben S. 58 f. und unten S. 79.
72 P- Lehmann,
Inseln stammende Handschriften gebildet wurde und wo man auch
in der eigenen Schreibschule noch ganz und gar unter irisch-angel-
sächsischem Einfluß stand, ist aus mehreren Gründen sehr wahr-
scheinlich; zwar nicht deshalb, weil Modius' Altersbezeichnung von
vornherein verläfilich wäre, sondern weil sich das Vorhandensein eines
Justinus in Fulda für die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts anderweitig
feststellen läfit Lassen uns auch die mittelalterlichen Kataloge im Stich
— erst im Verzeichnis von 1560 tauchen unsere beiden Handschriften
als Rep. IX or. II 1 und III 1 mit dem unzweideutigen Titel: Über
historiarum Pompeii Trogi auf — , so besitzen wir doch statt dessen ein
literarisches Zeugnis, auf das ich mit einigen Worten eingehen möchte,
zumal da es in F. Rühls feinen vorbildlichen Abhandlungen^) keinen
Platz gefunden hat
Nachdem ich Rühls Bemerkungen:*) »Wer würde nicht glauben,
ihn bei Hrabanus Maurus oder Abälard oder Albertus Magnus be-
nutzt zu finden? Und doch haben sie nicht die geringste Notiz aus
ihm entnommen,* nachdem ich diese Worte gelesen hatte, unteriiefi
ich es einstweilen, des großen Fuldaer Kompilators unerquickliche
Schriften daraufhin durchzuarbeiten, bis ich auf eine Fufinote m
E. Dümmlers Hrabanstudien stieß, wo auf die Benutzung der Epitome
im Makkabäerkommentar hingewiesen wurde.') Und wirklich sind in
dieses Werk zahlreiche und umfängliche Abschnitte aus Justin ein-
gefügt, nämlich:
lib. XII 13, 6—14, 3 (Migne CIX 1131);
, XII 14, 6—16, 1 (Migne CIX 1131);
, XIII 1.9 (Migne CIX 1130);
, XXXIV 3, 5—3, 9 (Migne CIX 1177);
, XXXV 1, 1—2, 4 (Migne CIX 1188 f.);
, XXXVI 1, 1—1, 6 (Migne CIX 1192 f.);
, XXXVI 1, 7—1, 8 (Migne CIX 1201);
„ XXXVI 1, 9—1, 10 (Migne CIX 1208 f.);
, XXXVIII 9, 2—10, 11 (Migne CIX 1209 f.);
« XXXIX 1, 1—1, 8 (Migne CIX 1210).
') Die Verbreitung des Justinus im Mittelalter, Leipzig 1871, und Die Teztes-
quellen des Justinus, VI. Supplementband zu Fleckeisens Jahrbüchern für Idassische
PhUologie, Leipzig 1872, S. 1-160.
») Verbreitung S. 3.
») S. 13 Anm. 4.
Moditts als Handschriftenforscher. 73
Außerdem finden sich zwar noch an verschiedenen anderen
Stellen deutliche Anklänge an Justins Worte, aber das geht ohne
Zweifel auf die Benutzung des Orosius durch Hraban zurück.
Wie gewöhnlich, so sucht Hraban auch hier sein kompilato-
risches Verfahren durchaus nicht zu verhüllen, er nennt mehrfach
Justinus als Quelle.*)
Ob und wie weit Hrabans den ursprünglichen Wortlaut nie
verändernden Zitate die Textkritik fördern können, das zu zeigen,
ist hier nicht der Ort, und es wäre mir zur Zeit auch gar nicht recht
möglich, da wir noch keinen brauchbaren Text des hrabanischen
Kommentares haben. Um wenigstens die Klassifizierung des von
Hraban ausgeschriebenen Justinexemplares vornehmen zu können,
habe ich eine Anzahl für mich leicht erreichbarer alter Handschriften')
verglichen und da hat sich ergeben, daß der in Mignes Patrologie
abgedruckte Colvenersche Text auf sehr verderbten*) Handschriften
beruht, deren Justinvarianten nicht in Betracht gezogen werden dürfen,
daß vielmehr Hrabans Vorlage ein sehr reiner Vertreter von Rühls
transalpiner Klasse gewesen sein muß. Ohne Zweifel lag diese Justin-
handschrift schon im vierten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts im Kloster
Fulda, als dessen Abt seinen Makkabäerkommentar verfertigte und
dem kaiseriichen Hofkaplane, nachmaligen Corveyer Mönche, Gerold
widmete.
Bei der hervorragenden Stellung, die Fulda in der Überiieferungs-
geschichte der römischen Autoren einnimmt, ist Rühls Vermutung
nicht von der Hand zu weisen, daß sämtiiche deutsche Handschriften
der transalpinen Klasse (aus St Gallen, Konstanz, Weingarten, Mur-
bach, Engelberg u. a.^) von dem Fuldaer Exemplare abstammen. Ist
diese Vermutung richtig, dann könnten wir uns auch noch die andere
bemerkenswerte Tatsache der transalpinen Oberlieferung geschichtiich
*) Zuletzt hat hierüber £. Riggenbach, gesprochen; Die Ältesten lateinischen
Kommentare zum Hebrflerbriefe, Leipzig 1907, S. 34.
*) So Migne CIX 1130: Pompeius Trogus eiusque breviator Justinus: . . .,
mit ähnlichen Worten 1177, 1188, 1192, 1201, 1208, 1224.
*) Einsiedeln 185, Genf lat. 21 (vielleicht aus Murbach), München lat. 14046
(aus S. Emmeram) und 18187 (aus Tegemsee), Zürich (Rheinau) C b.
^) Die Korruption offenbart sich auch durch folgendes: der Druclc teih den
Kommentar in zwei, alle meine Handschriften, mit Ausnahme der Tegemseer, in
drd Bücher. Die Authentizität der Dreiteilung bezeugt Rudolf von Fulda in seiner
um 850 verfafiten sog. \^ta Hrabani (Migne CVII 66).
^) Vgl. neben Rühls Abhandlungen Manitius' Zusammenstellung im Ergflnzungs-
heft zum XLVIL Bande des Rheinischen Museums (1892) S. 38 f.
74 P. Lehmann,
auslegen, nämlich die, dafi neben der deutschen eine eng mit ihr ver-
bundene, aber doch in sich geschlossene französische Gruppe steht Da
der Vossianus lat. Q. 32 aus Fleury, mit dem nicht ganz fest zu lokali-
sierenden Puteaneus Jer Hauptvertreter der letzteren, deutlich auf
irgend eines der Loireklöster als den Ausgangspunkt des französischen
Zweiges weist, da wir bei Lupus von Ferneres eines der frühesten
karolingischen Justinzitate finden ^ und da wir schließlich über den
regen Handschriftenverkehr zwischen Lupus und Hrabanus, zwischen,
um einen Namen für mehrere zu nennen, Tours und Fulda gut unter-
richtet sind, so läßt sich ohne Gewaltsamkeit kombinieren, dafi ent-
weder Fulda an der Spitze der ganzen transalpinen Tradition steht,
daß von Fulda aus sowohl die süddeutschen als auch die mittel-
französischen Stätten ihren Justintext bekommen haben, oder, dafi
dieser sich von Tours aus in Frankreich und weiterhin über Fulda
in Deutschland verbreitet hat. Eine genaue Untersuchung der paläo-
graphischen und orthographischen Eigentümlichkeiten der transalpinen
Handschriften könnte wohl die Richtigkeit oder Unrichtigkeit meiner
Annahme erweisen. Dafi Tours oder Fulda ihrerseits das Geschichtswerk
erst von den Inseln erhalten haben, scheint mir unfraglich zu sein.
Kehren wir nun. nach diesem Exkurse zu Modius zurück! Gegen
die Gleichsetzung des Hrabanischen Justinus mit einer der von Modius
kollationierten Codices wird nichts einzuwenden sein. Leider zitieren
beide Benutzer niemals ein und dieselbe Stelle.
Wie schon bemerkt, stellt der moderne Herausgeber*) die
beiden anscheinend nahe verwandten Exemplare an die Spitze der
transalpinen Handschriftenklasse, zu der 9 noch vorhandene Codices
des 9. und 10. Jahrh. gehören. ») Wie diese enthielten auch die
Fuldaer die in der italischen Gruppe fehlenden Prologe und zwar in
besonders guter Form.*)
Aus dieser Würdigung entspringt die Verpflichtung zu möglichst
vollständiger Heranziehung dessen, was wir an Lesarten der wichtigen
Handschriften haben können. Dem nachzukommen, ist insofern nicht
ganz leicht, als Modius in den Noten zum Justintexte mindestens
5 Handschriften benutzt, aus denen er aber nur zuweilen die Fuldenses
>) MG. Epp. VI 1, 28.
>) Rühl, Leipzig 1886.
*) Teztesquellen S. 87 betont Rühl mit Recht, dafi die Verwandtschaft der
Fuldensis mit anderen Handschriften abweichende und interessante Lesarten nicht
ausschliefit
«) Vgl. A. von Gutschmid in Rühls Ausgabe p. LH.
Modius als Handschriftenforscher. 75
namentlich hervorhebt. Gesichert sind nur die Lesarten, gelegentlich
deren er die Provenienz nennt. Von diesen 12 Stellen fehlen 3 inter-
essante Sonderlesarten in den kritischen Apparaten von Dübner,^)
Jeep«) und Rühl,») eine 4. fehlt nur bei Rühl: VII 6, 11; XXIV 6,9; XLIII,
3, 11 und XII 16,5. Kaum zu bezweifeln ist der Fuldaer Ursprung
der Lesarten, die Modius durch Ausdrücke wie nostri membranacel
Übri scripü antiquissiml, duo mei antiquissimi. Ms. onus longe
C!p^//iti{5 einfahrt an 6 Stellen: 16,4; 118, 2; 1114,4; VI, 6; XXIX 4, 11;
XXXI 6, 5; die zweite fehlt bei Jeep und Rühl. Oberhaupt habe ich
die Beobachtung gemacht, daß Rühl trotz seiner außerordentlichen
Hochschatzung der Fuldenses die modianischen Angaben nur flüchtig,
vermutUch nur indirekt, benutzt hat Von den oben zitierten Aus-
lassungen abgesehen, notiert er manche andere bemerkenswerte Variante
nicht, die sich in anderen Handschriften des Modius vorgefunden
hatte.*)
Zu den Prologen benutzte Modius offenbar nur die Fuldaer
Handschriften und stellte in engem Anschluß an sie einen neuen
Text her. In diesem Falle zeugen nicht nur die in den Noten an-
geführten Stellen für unsere Handschriften, sondern auch — wenn-
gleich mit Vorbehalt — alle Abweichungen des von Modius konsti-
tuierten Textes von dem des Bongarsius. Von den in den Noten
vermerkten Varianten fehlen einige bei Gutschmid: II 7; III 2,4; VIII 7;
1X5; XIX 6.
8. Livius rerum gestarum ab u. c. libri I — ^X. In den Noten
der Ausgabe von 1588 werden zu sämtlichen Büchern der 1. Dekade
mit Ausnahme des 1. und 3. etwa 70 Varianten eines ms. Fuld.^
membranae Fuldenses etc. mitgeteilt Die Handschrift ist heute ver-
schollen und sonst von keinem Gelehrten älterer Zeit benutzt. —
Die nur Theologica enthaltenden Katalogfragmente des 9. — 12. Jahrh.
(Becker 13, 14, 128) registrieren natürlich keinen Livius. In dem
Kindlinger-Schererschen Verzeichnisse wird die Handschrift Rep. IX.
or. IV5: Titus Livius de rep. Üb. 10, 27 or 1. mit unserer identisch
sein. In dieser Notiz ist die zuletzt stehende Signatur, 27 or. /, be-
>) Leipzig 1831.
*) Leipzig 1859.
') Nach seinen Ausfühningen über die Ratio seiner Ausgabe p. XVII erwartet
man größere Genauigkeit.
^ Bei sorgfältiger Benutzung der Noten hätte er auch sehen müssen, dafi die
durch Konjektur gewonnene Herstellung von II 4, 6 nicht von Gronovius, sondern
von Modius stammt
76 P- Lehmann,
merkenswert, die nach Scherer aus dem 13./14. Jahrb. stammt mid
dadurch einen gewissen Anhalt für das Alter des Codex gewährt
Bei dem Rückstande der Forschung hinsichtlich der überlieferungs-
geschichtlichen Verhältnisse der 1. Dekade ist eine sichere Wertung
der Handschrift nicht möglich» In Zingerles Editio maiorO hat eine
Reihe von Lesarten des Fuldensis Beachtung gefunden.
9. Martianus Capella de nuptiis philologiae. Kollation
und Editionsplan werden in dem Camerariusbriefe erwähnt.*) Das
im Mittelalter sehr verbreitete Kompendium besafi Fulda im 16. Jahr-
hundert mindestens dreimal: Rep.VIII or. IV4; IX or. III 10 (39 or.);
II 17 (39 or). Bei der Fülle der erhaltenen, noch nicht durchforschten
Martianushandschriften ist es nicht ausgeschlossen, dafi Modius' Ful-
densis noch irgendwo erhalten ist.
10. Palladius de agricultura. Vgl. auch hierüber den Came-
rariusbrief.')
Die in Scherers Katalog Repos. VII or. IV 8 erwähnte Hand-
schrift: Palladius de agricultura et mediana pecorum. 28 or. 3 ist
heute verschollen.
11. Servius in Vergilii Aeneidem commentarii. Mit dem
Namen »Servius Fuldensis" bezeichnet man nach dem Fundorte der
Haupthandschrift die Erweiterung des servianischen Kommentares zu
Vergils Aeneis I — ^VI.*) Und Modius gebührt das Verdienst, als Erster
die gelehrte Welt auf diesen höchst wichtigen Text aufmerksam ge-
macht zu haben. Er fand die Handschrift im Herbste 1584 auf und
schrieb sie ab, in der Absicht, den ganzen Text im Druck erscheinen
zu lassen.^) Leider kam er nur zur Veröffentlichung einiger weniger
Stücke in den Noten der Justinausgabe von 1587:
auf S. 112 zu Aen. 1491,
. . 116f., . 1726,
. . 118 , „ 1201,
. „ 124 „ . 1288,
„ . 133 „ . 1340,
» . 139 , . III 80.«)
>) LIb. VI-X, Wien und Leipzig 1890.
>) Vgl. Teil I Beilage 3.
*) Vgl. Teil I Beilage 3.
^) Vgl. darüber und für das Folgende überhaupt Thilos Von-ede zu seiner
Ausgabe, Halle 1880.
•) Vgl. TeU I Beilage 3.
*) Diese Stellen sind von Thilo übersehen.
Modius als Handschriftenforscher. 77
Wie er die Handschrift beurteilte, mögen folgende Mitteilungen aus
seinen Bemericungen zeigen; a. a. O. 112: haec, inquam ad illum
VirgilU locam, Servius noster manu exaratus Faldensis non pseudo-
Servias iUe vütgatus, apud quem pleraque et meliorem komm
partem non invenias und 118: lubuU adscribere totum locum^ quia
in editionibus non tantum contamtnatissimus est, verum non igno-
bilis nie qul vulgo circumfertttr, sed membranaceus noster longe
doctissimus. Durch die Justinausgabe scheint dann Petrus Daniel,
der bekannte französische Philologe, von der Existenz des größeren
Servius gehört und sich von Modius, wahrscheinlich durch Vermitt-
lung eines gemeinsamen Bekannten, vielleicht Sylburgs, eine Teil-
kollation der ersten beiden Bficher haben schicken lassen, die
er an den Rand seiner Editio Fabriciana, Basel 1586 in fol., eintrug.
Dieses Exemplar gelangte später in den Besitz von Bongarsius und
schliefilich mit dessen Büchern in die Bemer Stadtbibliothek, wo es
sich heute unter der Signatur O 51 befindet^) Außer den Exzerpten
mufi ihm Modius einen Binio aus dem »Codex coUegii Fuldensis*
selbst geschickt haben. Nach Thilos Ansicht*) hätte er die Schollen
zu I 716 — 727 enthalten, die am Rande jener Editio Fabriciana mit
auffallender Vollständigkeit wiedergegeben sind.^) Als später, im
Jahre 1600, Daniel den Serviuskommentar in Verbindung mit Vergils
Werken zu Paris herausgab, benutzte er seltsamerweise diese Exzerpte
nicht, war aber so glücklich, noch in einer Appendbc zahlreiche Les-
arten des Fuldensis mitteilen zu können. Er verdankte diese Kol-
lation, die umfangreicher als die erste war, aber auch nur die beiden
ersten Bücher umfaßte, dem Bongarsius, der sie seinerseits von
Marcus Welserus und Caspar Sdoppius erhalten hatte. Thilo meint,^)
Sdoppius habe die Handschrift von neuem verglichen gehabt. Mir
dagegen erscheint es als ganz sicher, daß auch diese Kollation auf
Modius zurückgeht, da es mir, trotz aller Bemühungen, nicht ge-
lungen ist, einen Aufenthalt des Sdoppius in Fulda nachzuweisen,
dieser aber auch sonst modianische Arbeiten von Welser bekommen
hat^) Auffälligerweise stimmt von diesen drei Berichten über den
>) Es wurde mir im Sommer 1905 zur Benutzung in die U.-B. Göttinnen
flbersandt.
«) A. a. O. I p. UUL
*) Im Casselianus ist tiier eine gröfiere Lüclce.
^ A. a. O. p. UI n. 1.
■) Vgl S. 09 und unten S. 79 f. — Vgl. femer dazu Welsers Brief an Camerarius
vom 4 Februar 1598 (MOnciien, Coli. Cam. XX 13) : . . . Servium et variantes TertulUani
lectiones nondum vidi, sed omnia salva esse confido. Die variantes TertulUani
78 P* Lehmann,
Fuldensis auch nicht ein einziger mit den anderen in den Lesarten
völlig überein; da sie aber meiner Meinung nach zuletzt auf ein und
dieselbe Kollation durch Modius zurückzugehen scheinen, so mufi
man annehmen, daß sich, wenigstens in zweien, Ungenauigkeiten ein-
geschlichen haben.
Vom 17. bis 19. Jahrhundert lag die Textkritik des Servius
brach. Zuerst beschäftigte sich F. Dübner wieder damit Einer An-
regung Niebuhrs folgend, suchte er nach dem Fuldensis, zuerst in
Fulda selbst vergeblich, glaubte ihn aber dann, Mai 1831, zu Kassel
in der ständischen Bibliothek als Ms. poet fol. 6., saec. IX, wieder ge-
funden zu haben. Die von ihm beabsichtigte Ausgabe wurde
durch seine Übersiedlung nach Paris verhindert Nach ihm ver-
öffentlichte Th. Bergk den Text der ersten beiden Bücher in Mar-
burger Universitätsprogrammen von 1843 — 1845. Schließlich wurde
die Handschrift in der Serviusausgabe von Thilo und Hagen, Halle
1880 f. gründlich verwertet
Nun ist aber zu beachten, daß erstens die Fuldaer Provenienz
des Casselanus nicht durchaus gesichert ist und seinerzeit von den
Kasseler Bibliothekaren bestritten wurde und zweitens die von Modius
und Daniel angegebenen Lesarten des Fuldensis nicht immer mit
denen des Cassellanus übereinstimmen. Dennoch schließe ich mich,
solange kein neues Material, das einen sicheren Gegenbeweis er-
möglichte, voriiegt, Thilos Meinung •) an, daß die Kasseler Hand-
schrift aus Fulda stammt, obwohl der Einband ein anderer als der
dort übliche ist, weil ich in den Schriftzügen, obwohl sie nicht
den typisch fuldischen Charakter aufweisen, Spuren insularen Ein-
flusses zu sehen glaube und große Ähnlichkeit mit der Schrift des
gewiß Fuldaer Codex Kassel, Theol. fol. 49, gefunden habe, anderer-
seits, weil bei der oben konstatierten Ungenauigkeit der Danielschen
Angaben die Abweichungen in den Lesarten keine zwingende Be-
weiskraft haben.
13. Symmachus epistulae. Sunt et alia multa, quibus Patrom
parandi sunt, et in äs Symmachl epistolae schreibt Modius
lectiones sind die von Modius aus einer gleichfalls Fuldaer Handschrift notierten
Lesarten (s. u. S. 80). Bei dem Servius handelt es sich doch wohl auch um eine
— damals verschickte — Kollation des Modius.
>) Vgl. seine handschriftlich erhaltenen Briefe an Schoenemann in der Stadt-
bibliothek Braunschweig und seinen Aufsatz in Zimmermanns Zeitschrift für die
Altertumswissenschaft I, Gießen 1834, S. 1222—1230.
•) A. a. O. p. XLVm— LVII.
Modius als Handschriftenforscher. 7g
am 22. Juli 1585.0 Offenbar hatte ihn auch hierzu der Fuldaer Be-
such angeregt Die damals angefertigte Kollation der Symmachus-
briefe kam später in die Hände von Marcus Welserus und von
diesem an C Scioppius. Die ersten Mitteilungen daraus machte
Sdoppius 1597 in seinen «Suspectae lectiones" und seinem „De arte
critica . . . commentariolus" und schließlich gelegentiich seiner Neu-
ausgabe der Briefe, Mainz 1608. An allen drei Orten sind die An-
gaben über die Lesarten der verschiedenen benutzten Handschriften
nicht so genau, dafi man überall mit Bestimmtheit die Herkunft aus
der oder jener Handschrift feststellen könnte. Aus den gesicherten
Lesarten aber hat man mit Fug und Recht ersehen, daß wir in ^ dem
Fuldensis Modii (et Scioppii) einen für die Textkritik höchst wichtigen
Zeugen verloren haben. Vergleiche darüber O. Seeck in seiner Aus-
gabe des Symmachus in den «Auetores antiquissimi" VI (1883)
p. XXXV sqq., der zwar Modius, die eigentiiche Quelle seiner
Kenntnis, nicht erwähnt, aber im übrigen das von Scioppius Gebotene
voll ausnützt
Schon aus der besonderen überiieferungsgeschichtlichen Stellung
der Handschrift (cP) können wir auf ihr ansehnliches Alter schließen,
wetm sie auch nicht über die karolingische Zeit hinausgehen dürfte.
Bemerkenswert ist die Beschreibung der Handschrift durch Scioppius,
der vermutlich dabei modianische Äußerungen wiedergibt. Er sagt
in dem Büchlein ,de arte critica" :•) At lllum [sc.codicem BertinUmum
saec. XII.] tarnen aetate et bonitate FiUdanus codex, partim Romano
et veteri, partim Langobardico charactere scriptus, per omnia superat,
hoc uno inferior quod non est integer. Zum Verständnis der Schrift-
charakteristik müssen wir, bei der Unbestimmtheit des Begriffes
«langobardisch** und .römisch'' eine andere Stelle desselben Buches
heranziehen, aus der Scioppius' Ausdrucksweise deutiich erhellt:»)
plerique omnes qui hodie in bibliothecis existunt libri calamo ex-
arati, non maiusculo illo et Romano, sed litteris Langobardicis et
minoribus vulgo fere hodieque usitatis scripti sunt Die Fuldaer
Symmachushandschrift wäre demnach in Majuskeln (Capitalis oder
Uncialis) und Minuskeln geschrieben gewesen, und der Begriff des
Ungewöhnlichen läge hier nicht in dem Ausdrucke „langobardisch*.*)
>) Vgl. Teil I Beilage 3.
<) Fol *3r der Ausgabe, Amsterdam 1662.
•) S. 41.
«) Die gleiche, allerdings von Scioppius stark beeinflufite Auffassung be-
gegnet uns auch in Job. Clerid ars critica U, Amsterdam 1697, S. 11 und 160.
80 P* Lehmann,
Wahrscheinlich müssen wir die Beschreibung dahin verstehen, dafi
die Briefe in Minuskeln, die Ueberschriften der Briefe und vielleicht
ihre Anfänge in Majuskeln geschrieben waren.
Eine Handschrift, die aus dem Fuldensis geflossen wäre und
mit ihren etwaigen Verderbnissen die Mittel böte, den Schriftcharakter
der Voriage zu bestimmen, gibt es offenbar nicht Auch der Vermerk,
der sich am Schluß der Handschrift hinter lib. V 29 befunden haben
soll,0 gibt keine sichere Stütze für die Datierung. Diese Notiz:
Hie incipit Hazo bezieht sich auf die Verteilung der Abschrift unter
mehrere Mönche. In genau derselben Schreibweise findet sich der
Name in den „Annales necrologici Fuldenses** *) und in Dronkes
„Codex diplomaticus' >) nicht, wohl aber wird für 852 der Tod eines
,Azzo* und vom 8. — 11. Jahrhundert das Hinscheiden vieler »Hatto*
vermerkt.
Schliefilich sei noch die Angabe des Schererschen Kataloges
Rep. IX or. II 13 Epistolae Symadü Poetae ad diversos 39 or. ver-
zeichnet
14. Tertullianus apologeticus und Über adversus lu-
daeos. Man vergleiche auch hierzu den Camerariusbrief. Kurz vor
der Druckvollendung der Tertullianausgabe, Franecker 1597, erhielt der
Herausgeber Franciscus Junius von Scioppius die aus Welsers Be-
sitze stammende Kollation zugesandt,*) die Modius für die oben ge-
nannten Schriften in Fulda angefertigt hatte. So war es Junius mög-
lich, in einem Anhange zum zweiten Bande die Lesarten des Fuldensis
mitzuteilen.
Die Handschrift selbst, wohl gleich Rep. IX or. IV 16: Apo-
logeticum contra Judaeos 39 or.^ ist verioren; wir sind daher auf
Junius' Mitteilungen angewiesen; allerdings kommt für die cap. 1
bis 15 des Apologeticus die Originalkollation in einer Handschrift
der Stadtbibliothek Bremen C 48 hinzu.^) Davon, daß die ,scedae
Sdoppianae" im Besitze von Professor G. Wissowa (Halle) wären, was
») Sceck a. a. O. S. 131.
•) MG. SS. xni.
*) Kassel 1850.
^ Vgl. Junius' Dankbrief an Conradus Ritterstiusius vom 27. April 1597 bei
Struve, Collectanea manuscriptorum, Jena 1713—1717, II 381.
*) Ich wurde darauf von Herrn Professor Wissowa hingewiesen. Meiner
Meinung nach stammen die sehr sorgfältigen Angaben von Modius' eigener Hand.
Der Band stammt wohl aus Melchior Goldasts Bibliothek. Es befinden sich in
ihm bemerkenswerterweise auch mehrere Kollationen von Scioppius.
Modius als Handschriftenlorscher. 81
neuere Forscher, z. B. 'Callewaert und Rauschen, behaupten, kann
nach gütiger Mitteilung des Genannten keine Rede sein.
In neuester Zeit ist namentlich durch Callewaert die Aufmerk-
samkeit auf den Fuldensis gerichtet worden. Er suchte den Nach-
weis zu fahren, dafi die leider verlorene Handschrift die beste des
Apologeticus gewesen wäre. Nunmehr hat Rauschen*) dieses Urteil
dahin abgeschwächt, daß sie zwar häufig hervorragend gute Lesarten
böte, aber dennoch nicht frei von Verderbnissen wäre. Sie re-
präsentiere allerdings eine Handschriftenklasse für sich, dürfe aber
nicht als «beste Handschrift" betrachtet werden. Um andere vor Irr-
tümern zu bewahren, bemerke ich, dafi Hrabanus Maurus keine
Kenntnis von dem Apologeticus gehabt zu haben scheint. Wohl heifit
es bei ihm einmal im Kommentare zu den Büchern der Makkabäer:
sicut scribit TertuUianus in Apologetico.^) Aber diese und die dazu
gehörigen Worte sind einfach aus der Chronik des Hieronymus*)
übernommen.
GEMBLOUX.
Benediktinerkloster,
Kein Geringerer als Erasmus von Rotterdam hat zum ersten
Male öffentlichen Gebrauch von der schon im Mittelalter gerühmten^)
Bibliothek gemacht. Während seines Aufenthaltes in Löwen ließ er
sich den — jetzt verlorenen? — Katalog der Sammlung kopieren«)
und erwirkte dann von dem sehr weit entgegenkommenden^) Abte,
dafi ihm zwei dort verzeichnete C)rprianushandschriften zugeschickt
wurden, die er dann für seine Ausgabe, Basel 1520, verwertete. Am
17. Juni 1527 berichtete Martinus Lipsius an Erasmus») über einen
*) Le codex Fuldensis, le meilleur manuscrit de rApologeticum de Tertullien,
Bniges 1902, Sonderabdruck aus der Revue d'histoire et de litt^rature religieuses VII
(Paris 1902) S. 322—353.
*) Sonderausgabe des Apologeticus im Florilegium patristicum VI, Bonn
1906. Vgl namenüich S. 6 ff.
>) Migne CIX 1220.
^) Eusebi chronicorum canonum quae supersunt ed. A. Schoene, Berlin 1866,
S. 151.
•) Vgl. MG. SS. VIII 540.
*) Erasmi opp. III 446, Brief an den Abt Antonius Papinius vom 1. Juni 1519.
') Er schreibt a. a. O. 466: Quin si voles universa nostra Bibliotheca semel
ad te commigrabit, tota tuae fidei committetur,
*) Briefe an Erasmus, herausgegeben von J. Foerstemann und O. Günther,
Uipzig 1904, S. 79.
QacUen u. Uotenuch. z. Ut Philologie des MA. m, 1. 6
82 P- Lehmann,
Codex Gemblacensis, der den hieronymianischen Kommentar zur
Apokalypse enthielt. Zehn Jahre darauf konnte der Franziskaner
Petrus CrabbeO für seine Ausgabe der Konzilsakten, Köln 1538,
neben anderen auch 6 Handschriften aus Gembloux benutzen.*) In
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erscheint der Bibliothekar und
Schulmeister des Klosters Ludovicus Sonbecus als besonderer
Förderer der handschriftlichen Studien an den Gemblacenses. Fast
alle im Folgenden genannten Forscher erwähnen mehrfach voller Dank
seine bereitwillige Hilfe. Namentlich die Löwener Gelehrten standen
in enger Verbindung mit der Bibliothek. Johannes Molanus*)
konnte mehrerer Gemblacenses in seiner Ausgabe von «UsuarcU
Martyrologium", Löwen 1568, gedenken. Um 1573 sah er die unten
zu besprechende Fulgentiushandschrift, und für die Ausgabe der
Werke Augustins, Antwerpen 1577, hatte er nicht weniger als 30 Co-
dices aus Gembloux zur Verfügung. Suffridus Petrus*) berichtete
vor seiner Ausgabe der Philosophica des Cicero, Basel 1568: . . . ex
nobUi etiam et locupleti BibÜotheca monasterii Qemblacensis . . .
Ludovicus Sonbecus . . . exemplar castigatissimum separaüm sujh
peditavit in Somnium Scipionis; in alias Ciceronis partes alia con-
tulit . . . Auch das literargeschichtliche Werk des Sigebert von
Gembloux gab er nach einer ihm von Sonbecus vermittelten Hand-
schrift heraus.») Jacobus Susius, Ludovicus Carrio und Mo-
di us suchten vornehmlich nach antiken Texten in der Bibliothek«
Susius und Carrio kollationierten hier den berühmten Manilius,«)
außerdem verglich Carrio z. B. einen vetustissimus Sallustius und
ein Exemplar der Grammatik des Priscianus.^) Modius nimmt unter
den gelehrten Besuchern von Gembloux, von denen ich noch
manchen anderen hätte nennen können, nur einen bescheidenen Platz
ein. Im 17. und 18. Jahrh. waren namentlich die Bollandisten und
Mauriner eifrige Benutzer. Die Bollandisten brachten einen be-
1) 1470—1553; vgl. H. Quenün, Jean Dominique Mansi et les grandes col-
lecüons conciliaires, Paris 1900, S. 12—17, und unten an mehreren Stellen.
•) Vgl. die Liste der benutzten Handschriften im 1. Bande.
») 1553—1585; van der Aa a. a. O. XU (1869) S. 926 f.
^ Siehe oben S. 13 u. 30.
*) In den .De illustribus ecdesiae scriptoribus ... authores . . .', Köki 1580.
«) Jetzt Brüssel 10012. Als Entdecker der Handschrift hat Susius zu gelten;
vergleiche seine handschriftlich erhaltenen .Excerpta ex Manilio' in Berlin, Santen
95. Carrio machte Mitteilungen aus dem Codex in den .Antiquae lectiones', Ant-
werpen 1576.
') Vgl. die Schollen zur Sallust-Ausgabe, Antwerpen 1579, S. 195 u. a.
Modius als Handschriftenforscher. gß
deutenden Teil der Bibliothek nach Antwerpen in ihr „Museum*.
Hier blieben die Handschriften bis zur Aufhebung des Jesuitenordens
im Jahre 1773, wurden dann in die Burgundische Bibliothek ge-
schafft und gelangten so schliefilich in die Königliche Bibliothek zu
BrOssel.
Das Kloster selbst wurde in den Jahren 1678 und 1718 durch
Feuersbrünste heimgesucht und soll dabei fast seine ganze Bibliothek
verloren haben. Doch hat man diese weitverbreitete Ansicht wohl
als flbertrieben anzusehen, denn einmal befand sich damals bereits
ein bedeutender und wertvoller Teil bei den Antwerpener Jesuiten,
und dann fanden sich doch auch noch zahlreiche Handschriften im
Kloster selbst vor, ^s dieses 1791 aufgehoben wurde. Diese Hälfte
wanderte erst nach Paris und dann 1815 nach Brüssel. Heute ge-
hören die Codices Gemblacenses zu den umfangreichsten und wich-
tigsten Beständen*) der Königlichen Bibliothek zu Brüssel.
Es ist wahrscheinlich, aber nicht erwiesen, dafi Modius selbst
ui Gembloux gewesen ist. Die eine Handschrift, von deren Be-
nutzung durch ihn wir Kunde haben, war ihm offenbar nach Löwen
übersandt:
FulgentiusPlanciades mythologiae. Nov. Lect 275 spricht
er von tribusque alüs venerandae antiquUatis codidbus^ quibus olim
Lovanii a Gemblacenslbus et nuper Coloniae usus sunt und S. 548 f.
gibt er eine Lesart aus dem Gemblacensis an. Es war wohl dieselbe
Handschrift, die um 1570 Molanus gesehen und in der Vorrede der
von VUmmerius besorgten Ausgabe der Werke des Fulgentius Ruspensis,
Antwerpen 1574, mit den Worten erwähnt hatte (S. 9): Quamquam
ego Opas ipsum nullius arbitrer esse out episcopi out theohgi. nam
in bibliotheca Gemblacensis monasterii me hos Mythohgias vidisse
memini sub nomine cuiusdam Placiadis Fulgentii. Jetzt ist die Hand-
schrift verschollen.
HEISTERBACH.
Cistercienserkloster,
Eucharius Cervicornus«) hatte für zwei seiner Haimo-Aus-
gaben: für das Homiliar und für den Kommentar zu Jesaias, die
1) Vgl. z. B. Voyage lit^raire de deux religieux bdn^dictins de la congr^gation
de Saint-Maur 0, Paris 1747, S. 202, und Ziegelbauer, Historia rei literar. OSB. I,
Augsburg und Warzburg 1754, S. 479 f.
*) Ein wirkliches BUd des Reichtumes der Bibliotheca Gemblacensis wird
erst nach Abschlufi der Brüsseler Katalogisierungsarbeiten zu entwerfen möglich sein.
*) 1485—1565; vgl. A. Kirchhoff, Beitrage zur Geschichte des deutschen
6*
84 P- Lehmann,
beide 1531 zu Köln herauskamen, Heisterbacher Handschriften zur
Verfügung gehabt Modius zog um 1580 einen Caesar-Codex aus
dem Dunkel hervor. Damit sind meine Notizen zur älteren Biblio-
theksgeschichte Heisterbachs schon erschöpft Das ist gewiß wenig,
und doch bieten diese Nachrichten über drei jetzt nicht mehr nach-
weisbare Codices eine willkommene Ergänzung des Wenigen dar,
was sich von der Bibliothek selbst erhalten hat
Wenn der Verfasser der «Mahlerischen Reise am Nieder-
rhein", Köln 1784, S. 47 sagt: „die Bibliothek ist zahlreich und hat
eine schöne Menge alter und seltener Werke*, so wird damit die
Sammlung gedruckter Bücher zu verstehen sein, die im Beginne des
19. Jahrhunderts der Landesbibliothek zu Düsseldorf einverleibt
ist. Nach meinen Erkundigungen ist die Zahl der dorthin aus Heister-
bach gelangten Handschriften ganz gering, so dafi man die Behaup-
tung Hoefers*) «auf die Erhaltung des Archivs und der Bibliothek
hat die Abtei stets grofie Sorgfalt gelegt. Dieser Fürsorge ist es zu
danken, dafi die Sammlungen ziemlich vollständig auf uns gekommen
sind*, sehr übertrieben nennen mufi und höchstens für das 18. Jahrh.
gelten lassen kann. Ein Heisterbacensis ist auch die Handschrift
739 der Bonner Universitätsbibliothek.
Die Handschrift von Caesar commentarii de hello gal-
lico, die Modius bei seinem Besuche») 1578 — 79 gefunden hatte,
ist offenbar verschwunden.
Im 30. Briefe der Nov. Lect kommt er auf die Meinung zu
sprechen, dafi der Verfasser jener Kommentare nicht Julius Caesar,
sondern Julius Celsus wäre und führt sie auf die mifiverstandene
Subskription eines Celsus zurück, die in vielen Caesarhandschriften
zu finden ist. Ut magis scias me verum dicere, iube sis Pulmannum*)
Buchhandels I (Leipzig 1851) S. 41 ff. und A. v. Dommer, Die Ältesten Drucke aus
Marburg i. H., Marburg 1892, S. (12—17), 44—60 und bei mir unten.
>) Vgl. E. Riggenbach, Die ältesten lateinischen Kommentare zum Hebraer-
brief, Leipzig 1907, S. 94—102 und 126.
*) Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Cisterdenserorden
XII (1891) S. 113. Vgl. auch in derselben Zeitschrift XX (1899) S. 622, wo Hoefer
die Behauptung wiederholt, ohne neue Mitteilungen über die Bibliothek zu machen.
») Vgl. Nov. Lect. 189.
^) Theodor Poelmann (1512—1581). Vgl. Biographie nationale publice par
l'acad^mie royale de Belgique XVII (1903) Sp. 874—884. — Bücher aus seiner
Bibliothek, die ihm selbst manchen Codex für eigene Veröffentlichungen bot, be-
finden sich namentlich im Museum Plantin-Moretus zu Amsterdam und vereinzelt
auch in Brüssel und in Wien.
Modius als Handscfariftenforscher. 85
nostrum ad te nüUere eum Caesarenij quem ego cum longe anti-
quissimo codice qui est Eysterbacensis abbatiae ad SepticoUes dUl-
gentissime coUatum ei^ cum nuperrime [sc. 1580] Antverpiae cum
legatione essem^ lub. mer. donavL Detaillierte Mitteilungen macht
er leider nicht Die von ihm notierte Subskription: Julius Celsus
vir clarissimus et comes recensui^ weicht von der sonst überlieferten
etwas ab.^) Besonders wichtig und bemerkenswert ist das recenstU
statt des gewöhnlichen legi.
K O E L N.
Köln gehört zu denjenigen Bibliotheksstätten Deutschlands, die
bereits die Aufmerksamkeit der italienischen .Handschriftenjäger* des
15. Jahrh. auf sich zogen. Um 1420 fand hier Poggio den damals
im Kreise der italienischen Humanisten noch unbekannten satirischen
Roman des Petronius,«) und 1426 wußte Guarino von Werken zu
berichten, die sich Coloniae, urbis Germaniaey in bibliotheca pulve-
nUenta, ubi pervetusti Codices octingenti (!) carceri mancipaü
videntur, aufgefunden hätten. >) Sein Gewährsmann, ein Legat des
Kardinals Orsini, scheint kein anderer als Nicolaus von Cues ge-
wesen zu sein. Dieser »Nicolaus Treverensis" machte offenbar vor-
zugsweise Mitteilungen aus Handschriften des Kölner Domes.*)
Wieder einige Jahre später, im Jahre 1433, sah Äurispa in Köln
und zwar wohl auch gerade in der Dombibliothek die Schrift des
Chirius Fortunatianus über die Redekunst.*) In der Folgezeit ver-
schwinden die Kölner Bibliotheken wieder gänzlich im Dunkel.
Erst im 16. Jahrh. beginnt sich das Interesse für sie neu zu
regen, wiederum besonders für die Handschriftenschätze des Domes.
Aber diesmal waren es vorzugsweise deutsche Gelehrte.
Daß der vielgeschmähte Sponheimer Abt Johannes Trithe-
mius,<) dem man zum mindesten eine außerordentliche Bücher-
>) Vgl. Meusels Ausgabe, Berlin 1894, p. DC.
') Poggii epistolae, ed. Tonelli II, Florenz 1859, S. 3.
*) Vgl R. Sabbadini, Le scoperte dei codici Latin! e greci ne' secoli XIV
e XV, Rorenz 1905, S. 110.
*) Vgl. den reichhaltigen, zusammenfassenden Aufsatz von Hermann Grauert
.Nie von Cues als Humanist, Handschriftenforscher und Staatsphilosoph' in der
Köbiischen Volkszeitung 1897, liter. Beilage 28 (14. Juli) und neuerdings Sabbadini
a. a. O. 109—113 u. a.
*) Sabbadini a. a. O. 116. Es handelt sich wohl um Cod. CLXVI des Domes.
<) 1462—1516; vgl. die bei W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen
im Mittelalter 1 3, angeführte Literatur.
g6 P. Lehmann,
kenntnis zugestehen mu6, über die Handschriften der KObier Biblio-
theken unterrichtet war, geht schon aus dem einen Briefe von 1516
hervor, in dem er einen Widukind-Codex bei St Pantaleon erwähnt
1526 gab Gerardus Bolsvinge den Orosius auf Grund von drei
Codices heraus, quorum unum vix hodie notis out legibilibus läerarum
figuris descriptum bibliotheca maioris ecclesiae Colotüensis suppedi-
tavity und ungefähr zu gleicher Zeit benutzte Johannes Cochlaeus*)
eine Handschrift der Artistenfakultät und eine des Domkapitels fOr seine
Rezension der Werke des Rupert von Deutz, Köln 1527. Hermann
Graf von Neuenahr») und Eucharius Cervicornus gehören als
Benutzer von Pantaleon-Handschriften hierher; jener wegen der erst
erst nach seinem Tode erschienenen Ausgabe des einem Octavius
Horatianus zugeschriebenen medizinischen Werkes, Strafiburg 1532;^)
dieser wegen der Herausgabe des Kommentars zur Apokal3rpse von
Autbertus, Köln 1531. Dafi die Grundlage von des Grafen Hermann
Text der Mulomedicina Vegetii, Köln 1528, gleichfalls ein Coloniensis
war, ist nur wahrscheinlich.^) Dagegen wissen wir bestimmt von
einem anderen in St Pantaleon aufbewahrten Codex derselben Schrift,
der 1537 von einem ungenannten Gelehrten abgeschrieben wurde. <)
In den folgenden Jahrzehnten mußten die Bibliotheken Kölns
die Waffen für den literarischen Kampf gegen das Luthertum her-
geben. Aus dieser Streittendenz heraus erwuchs die für ihre Zeit
vorzügliche Sammlung der Konzilsbeschlüsse von Petrus Crabbe,
Köln 1538—1551.7) Die Fülle der Handschriften, die Crabbe für sein
großes Unternehmen in Köln fand, ist erstaunlich. Allein die Samm-
lung des Domes spendete 13 Handschriften, außerdem waren es die
Bibliotheken des Pantaleonklosters, der Karthäuser, Kreuzträger, Domini-
kaner, der Universität u. a., die das Rüstzeug liefern mußten. An
^) J. Chmel, Die Handschriften der k. k. Hofbibliothek zu Wien u.s.w. I (Wien
1840) S. 315. — A. Kehr, dem hervonragenden letzten Herausgeber, ist die Notiz
entgangen. Trotzdem sich der Codex zur Zeit nicht nachweisen Ulfit, braucht man
an der Richtigkeit der Angabe nicht zu zweifehl, zumal da wir in dem Stein-
feldensis eine gleichfalls aus der Kölner Gegend stammende Handschrift besitzen.
*) t 1552. Vgl. M. Spahn, Johannes Cochlaeus, Berlin 1898.
») 1492-1530; ADB. XXUI (1886) S. 485 f.
^) Vgl. darüber Theodori Prisciani euporiston libri III, ed. V. Rose (Leipzig
1894) p. IV sq.
*) Ed. Lommatzsch (Leipzig 1904) p. m.
•) L c p. X sq.
T Vgl. oben S. 82.
Modius als Handschriftenforscher. 87
dieses Werk schlofi sich im Jahre 1567 die Konzilsaktensammlung
des Karthäusennönches Laurentius Surius.^) Man darf annehmen,
dafi auch er Kölner Codices benutzt hat, aber leider bewies er, wie
bei der Behandlung der einzelnen Texte so auch bei den Angaben
über sein handschriftliches Material, nicht die philologische Sorgfalt,
die man bei Crabbe beobachten kann. Auch in seinen übrigen Aus-
gaben, z. B. in den Bänden ,De probatis vitis sanctorum*, Köln
1570 — 1581, fehlen die Nachrichten über die Handschriften fast völlig.
Allein nicht nur zur Bekämpfung, sondern auch zur Verteidigung
des Protestantismus und zum Angriff auf Rom wurden die Kölner
Sammlungen benutzt In der Hinsicht sind besonders Cornelius
Gualtherus*) und Georgius Cassander*) zu nennen. Es gelang
den Magdeburger Centuriatoren, ihre Unterstützung zu gewinnen.*)
Leider ist ihr V^rken noch nicht so genau untersucht, daß man sagen
könnte, den Text nahmen sie aus dieser, den aus jener Handschrift,
aber wir wissen doch bereits, dafi Cassander und Gualtherus vereint
seit etwa 1545 durch die Bibliotheken von Köln und Umgegend
streiften, z. B. in St. Pantaleon eine Handschrift mit Honorius de prae-
destinatione et libero arbitrio, in St Martin zwei Schreiben des Prosper
und Hilarius an Augustin für ihre Ausgabe, Köln 1552, kopierten,
femer auch Werden, wo sie den Ulfilascodex ^) fanden, und Siegburg«)
besuchten.
Fernerhin wissen wir,^) dafi sie 1554 Abschriften aus dem be-
rühmten »Codex Carolinus*, der einstmals dem Kölner Erzbischofe
V^Uibert gehört hatte, und aus einer ebenfalls im Besitze des Dom-
kapitels befindlichen Handschrift der Bonifatiusbriefe machten, und
wir können vermuten, dafi diese beiden Codices und vielleicht auch
noch andere gerade durch sie an Caspar von Nidbruck und von
diesem in die Wiener Hofbibliothek gelangt sind. In ihrem Auftrage
>) t 1578. Beste Zusammenstellung seiner Werke bei J. Hartzheim, Biblio-
fheca Coioniensis, Köln 1747, S. 218—222.
«) t 1582; van der Aa a. a. O. VII (1862) S. 529.
») t 1566. Vgl Sax, Onomasticon Literarium III. Utrecht 1780, S. 233.
^) Vgl. E. SchaumkeU, Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Magdeburger
Centurien, Ludwigslust 1898, S. 28—35 und die dort angeführte altere Literatur.
*) Vgl. R. KOgel, Geschichte der deutschen Literatur I 189.
•) VgL unten.
') Vgl. Nürnberger im Neuen Archiv der GeseUschaft für altere deutsche Ge-
schichtskunde XI 16 ff.
88 P* Lehmann,
arbeitete auch Franciscus Fabricius Marcoduranus für die
Centurien, indem er 1555 die Kölner Handschriften von Cassiodors
Variae abschrieb bez, verglich*«) Für eigene textkritische Arbeiten
benutzte der genannte Fabricius die Orosius- und Cicerohandschriften
des Domes.
Cassander und Gualtherus wirkten aber nicht ausschließlich ftlr
das großartige Sammelwerk des Flacius Illyricus. Sie wurden mit
der Zeit überhaupt zu vielbefragten Autoritäten auf dem Gebiete der
alten christlich-lateinischen Literatur. Von ihnen ging die Erschließung
der rheinischen Bibliotheken für die Geschichte der mittelalterlichen
Messe aus. Sie gaben einmal selbst darauf bezügliche Werke, nament-
lich karolingischer Schriftsteller, heraus,*) besonders aber regten sie
auch andere zu weiteren Forschungen an, die sie mit ihrem hand-
schriftlichen Material unterstützten. So gedenkt ihrer Melchior
Hittorpius*) mit Dank. Hittorpius gab 1568 unter dem Titel „De
divinis catholicae ecclesiae officiis ac ministerüs" mehrere über den
Gottesdienst handelnde Schriften des Isidorus, Albinus, Amalarius,
Hrabanus Maurus u. a. heraus. Die textliche Grundlage bildeten
Handschriften des Kölner Domes und des Dominikanerkonventes,
wertvolle Handschriften, die nur noch zum Teil auf uns gekommen
sind. In engster Verbindung mit ihm und seinen wissenschaftlichen
Bestrebungen stand der Brügger Jacobus Pamelius.^) Er verdankte
es dem Hittorpius, daß er für sein großes Sammelwerk der «Litur-
gica Latinorum", Köln 1571, Domhandschriften heranziehen konnte
und schon vorher für seine Cyprianausgabe, Köln 1568, eine Hand-
schrift von S. Pantaleon^) hatte benutzen können.
Auch die folgenden Gelehrten mußten oft der Hilfe des Melchior
Hittorpius gedenken. Wit Cassander, Gualtherus und Pamelius so
Vgl. über ihn die Biographie von Schmitz, Köln 1871, und meine Miszelle
im Rhein. Museum UC (1905) S. 624—629.
*) Vgl. die Briefe im Neuen Archiv XI 31 und bei Burmann. Syll. epp.
U 237, außerdem die Einträge im Gudianus 95, mitgeteilt in den MG. Auctt antt XII
p. CIX.
«) Vgl. Georgii Cassandri opera omnia, Paris 1616. — Von Gualtherus ex-
istiert nur eine Ausgabe des Hegesippus de hello iudaico, Köln 1559.
^ 1525—1584; bis 1583 Licenüat und Kanonikus an der Stiftsldrche S. Ma-
riae ad Gradus, dann Dechant an der Kollegiatkirche S. Cuniberti. Vgl. Ennen hi
der ADB. XII (1880) S. 507.
•) t 1587. Vgl. über ihn ADB. XXV (1887) S. 113 f.
•) Jetzt Brüssel 918 (1052—53) s. XI.
Modius als Handschriftenforscher. 89
waren auch die in den nächsten Jahrzehnten die Kölner BibUotheken
besudienden Forscher zumeist Brügger oder wenigstens Belgien
Hatte man bisher, d. h. wenn man von den genannten itaUeni-
schen Humanisten absieht, fast ausschliefilich christlich-lateinischen
Texten nachgespürt, so begann nun die Zeit, in der die antiken litera-
rischen Schätze Kölns gehoben wurden.
Der früheste und vielleicht glücklichste Finder war Ludovicus
Carrio-O Während seines bis zum Jahre 1564 währenden Studien-
aufenthaltes in Köln konnte er in der Dombibliothek die später leider
verloren g^angene Handschrift der Punica des Silius Italiens und
den ertialtenen Censorinuscodex auffinden und vergleichen. Zur
öffentlichen Verwertung kamen die Kollationen jedoch erst 1576 in
den .Emendationes et observationes'. Die Bekanntschaft mit anderen
wertvollen Colonienses: Charisius, Priscianus, Sallustius und Sergius
erwies er in den Noten zur Sallustausgabe, Antwerpen 1579.
Kurz darnach schickte Johannes Metellus«) zwei jetzt ver-
schollene Exemplare desValerius Maximus aus Köln an Stephanus
Pighius,») die dieser für seine Ausgabe, Antwerpen 1576, verwerten
konnte. Die Glanzzeit der handschriftlichen Arbeiten der Belgier und
ihrer Freunde in Köln bedeuten die Jahre 1578—1584. Jetzt kam
Carrio wieder*) und in semer Begleitung befand sich Franciscus
Modius, über dessen Kölner Studien ich unten eingehend sprechen
werde. Jetzt konnte der Brügger Janus Palmerius Mellerus*) in
seinem »Spicilegiorum commentarius primus", Mainz 1580, viele Les-
arten aus Priscianus-, Terentius- und Sallustiushandschriften des Domes,
der Universität, des Pantaleonklosters, der Apostelkirche u. a. mitteilen,
der Lübecker Janus Gulielmus«) Cicero-, Martialis-, Quintilianus-
und Terentiuscodices') verschiedener Bibliotheken und Godescalcus
Stewechius») den Censorinus und Vegetius») vergleichen.
^) Vgl. oben S. 8, 10-12 und 49 f.
«) Vgl. oben S. 13.
») Vgl. Biographic nationale de Belgique XVII 501—509.
^ Von Köln aus wandte er sich nach Bonn, wo die Vorrede zur Sallust-
ausgabe von 1579 geschrieben ist, und dann nach Frankreich.
•) t 1580. Vgl. Sax, Onomasticon literarium lU, Utrecht 1780, S. 531.
•) Siehe oben S. 13.
») Vgl seine .Verisimilium libri tres", Antwerpen 1582, .Plautinarum quae-
stionum commentarius", Paris 1583, und die Ciceroausgabe von Gruterus, Ham-
burg 1618.
•) Vgl. oben S. 11.
*) Vgl. seine Amobiusausgabe, Antwerpen 1604, S. 325 und unten S. 102.
90 P. Lehmann,
Die letzte grofie Veröffentlichung des 16. Jahrb., die sich auf
Kölner Handschriften stützte, war die «Bibliotheca ecclesiastica" des
Cornelius Schulting,^ zu Köln 1599 in 4 Foliobänden erschienen.
In ihr findet man eine gewaltige Masse von Breviarien, Homiliarien
und dergl. aus den Bibliotheken des Domes, des Karthäuser- und
Pantaleonklosters, der Stiftskirchen S. Gereon und Severin u. a.
verwertet.
Das 17. Jahrb.«) mit seinen unaufhörlichen Kriegswirren rief
naturgemäß einen Stillstand in der wissenschaftlichen Ausbeutung der
Bibliotheken Deutschlands und besonders Kölns hervor. Ganz in
Vergessenheit gerieten dessen Handschriftenschätze allerdings nicht,
dafür sorgten einmal die zahlreichen Arbeiten von Johannes und
AegidiusGelenius,*) die vorzugsweise historische Quellen, Heiligen-
leben u. a. enthaltende Handschriften heranzogen. Aegidius Gelenius
war es, der nachdrücklich auf das ehrwürdige Alter der Dombibliothek
hinwies und zum Belege dafür ein Ausleihverzeichnis des 9. Jahrh.
veröffentlichte,*) dessen Handschrift dann bis zum letzten Jahrzehnte
des 19. Jahrh. verschollen war.*)
Und auch im Gedächtnisse einzelner fremder Forscher lebte der
Name Kölns als einer hervorragenden Bibliotheksstätte fort So
kamen die Philologen J. G. Graevius und N. Heinsius nach Köln,«)
um nach den von Carrio, Modius u. a. erwähnten Handschriften zu
suchen. 1657 durchforschte Graevius die Klosterbibliotheken, ohne
jedoch seinen Zwecken entsprechende Funde zu machen.
Um den Einlaß zur Bibliothek des Lorenzgymnasiums und des
Domes bemühte er sich vergeblich sowohl damals als auch 1672/73.
Dagegen scheint N. Heinsius vor 1669 in der Dombibliothek ge-
») t 1604. Vgl. über ihn ADB. XXXII 701.
*) Hierfür und für das 18. Jahrhundert verweise ich auf die eingehende Be-
handlung von Frenken, Das Schicksal der im Jahre 1794 über den Rhein ge-
flüchteten Wertgegenstände des Kölner Domes, insbesondere die Zurückführung der
Manuskriptenbibliothek, Köln und Neuß 1868, S. 75 ff.
<) Johannes f 1631, Aegidius f 1656. Vgl. über beide ADB. VOl (1887)
S. 534— 537.
^ Pretiosa hierotheca, Köln 1633, S. 42 f.
*) Wieder aufgefunden und neu herausgegeben von A. Decker in der Fest-
schrift der 43. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, Bonn 1895,
S.228f.
<) Aus ihrem Briefwechsel in Burmanns Syll. epp. IV kommen in Betracht
die Stellen auf S. 14, 83. 142, 150, 161, 166, 169, 174. Auf Mitteilung und genaue
Besprechungen habe ich verzichtet, weil schon mehrfach darüber geschrieben ist,
so von Frenken a. a. O. 76 ff.
Modius als Handschriftenforscher. 91
wesen zu sein; er erinnerte sich 1669, dort eine alte Cicerohand-
schrift gesehen zu haben. Später aber erfuhr er dieselbe Abweisung,
über die sich sein Freund Graevius beklagt hatte. Anscheinend
hatten die Bibliothekare schlechte Erfahrungen mit Bibliotheksbenutzern
gemacht
In der Tat wurden damals die Sammlungen nicht nur infolge
der Kriege und ihrer Nöte, sondern auch durch friedliche Besucher
ihres besten Schmuckes beraubt Lauter als alles spricht dafür die
Tatsache, daß eben jener Graevius mehrere der von ihm gesuchten
wertvollen Domhandschriften bei einer Mittelsperson aufkaufen konnte,
Handschriften, die aus Graevius' Nachlasse 1703 in die kurfürstliche
Bibliothek zu Düsseldorf kamen und ein Jahrzehnt später heimlich
von Zamboni für den Lord Oxford (Hariey) angekauft wurden J)
Größeres Entgegenkommen fanden die BoUandisten, sie ent-
nahmen nicht wenige ihrer Texte aus Kölner Handschriften, nament-
lich des Karthäuserkonventes.
Im 18. Jahrh. spielte wiederum die Dombibliothek eme gewisse
Rolle, als J. G. von Eckhardt«) in ihr 1724 unter anderem die — jetzt
veriorene — Handschrift der sogenannten „Annales Colonienses
brevissimi* fand und für seine «Commentarii de rebus Franciae orien-
talis", Würzburg 1729, verwertete, und als J. Hartzheim») außer
seiner »Bibliotheca Coloniensis'', Köln 1747, für die viel handschrift-
liches Material der verschiedensten rheinischen Bibliotheken verwandt
ist, seinen Katalog der Handschriftensammlung des Domes, Köln 1752,
und die Akten der deutschen Konzile, Köln 1759 — 61, veröffentlichte.
Konnte er gerade zu dem letztgenannten Werke heute veriorene Hand-
schriften benutzen, so besteht dennoch kein großer Unterschied zwi-
schen dem damaligen und dem jetzigen Bestände. Die schwersten
Verluste, die die Sammlung erlitten hat, sind in frühere Zeiten, ins
17. Jahrh., zu setzen. Nur selten wissen wir, wann, wie und wohin
die einst vorhandenen Codices verschwunden sind. Das gilt nicht
nur für die Dombibliothek, sondern auch, und zwar in nicht geringem
Maße, für die übrigen geistlichen Büchersammlungen der niederrheini-
schen Metropole. Mit der Geschichte dieser Bibliotheken hat man
sich, weil sie geringer an Alter und Bedeutung waren, noch weniger
1) Vgl. C. A. Clark, Neue Heidelberger Jahrbücher I (1891) S. 238—253.
^ Vgl. über ihn W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittel-
alter P (1904) S. 17f.
») t 1763. Vgl. ADB. X (1879) S. 721 f.
92 P- Lehmann,
beschäftigt, SO dafi man nirgends Angaben darüber findet, auf welche
Weise sovieles aus diesen Sammlungen in alle möglichen Gegenden
verschlagen ist.^
Aus der großen Zahl der kölnischen Bibliotheken möchte ich
hier nur diejenigen etwas näher besprechen, die als Arbeitsstätten des
Modius in Betracht kommen.
a) Domkapitel^)
Es ist nicht sicher, ob mit der Bibliothek von 800 Codices, die,
wie oben erwähnt, Guarino^) in Köln gesehen haben will, die Samm-
lung des Domes gemeint, und, wenn dies wirklich der Fall sein sollte,
ob die Angabe nicht stark übertrieben ist Schon zu Modius' Zeiten
scheint die Zahl der Handschriften nicht sehr bedeutend gewesen zu
sein. Dem entspricht es auch, daß sich heute nicht viel mehr denn
200 Bände als erhalten haben nachweisen lassen. Von diesen durch
Alter und Inhalt ehrwürdigen Schätzen befindet sich der Hauptteil noch
jetzt im Besitze des Domes zu Köln. Einzels ist bereits im Anfange
des 15. Jahrh. mit der Sammlung des Amplonius Ratinck nach Er-
furt gekommen, anderes durch Caspar von Nidbruck in die kaiser-
liche Hofbibliothek nach Wien,*) z. B. Pal. Vind. 449, 751 und viel-
leicht 1014. Aus der Bibliothek des J. G.Graevius kamen verschiedene
Handschriften im Anfange des 18. Jahrh. nach London ^) und ge-
hören jetzt als Harieiani dem Britischen Museum. Schließlich liegen
einige Stücke der Sammlung in der großherzoglichen Hofbibliothek
zu Darmstadt (z. B. 1948), wo sich die ganze Kölner Dombibliothek
einige Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hindurch befunden hat
Modius arbeitete namenüich in den Jahren 1578 und 1579 in
der Bibliothek. Mit Recht gab er ihr den Vorzug vor allen übrigen
und fällte über sie Urteile wie das folgende:«)
^) Man vgl. z. B. die von mir S. 51 angeführte Liste der Orte, in denen
meines Wissens Handschriften aus S. Pantaleon liegen.
*) Da ein kurzer Oberblick über die Benutzung der Domhandschriften vom
15. bis 18. Jahrh. schon in den vorhergehenden Bemerkungen gegeben ist, be-
schranke ich mich auf einige Angaben über die vorhandenen Reste der Sammlung.
*) Vgl. oben S. 85. Es kflme sonst besonders die sehr stattliche Bibliothek
von S. Martin in Betracht, aus der Handschriften erhalten sind in Beiiin, Breslau,
Brüssel, Düsseldorf, Köln und Leipzig.
<) Vgl. oben S. 87.
•) Vgl. oben S. 91.
•) Nov. Led. 189.
Modius als Handschriftenforscher. 93
Ex his Omnibus [sc. bibliothecis] tarnen nulla aeque conatus
nostros adiavit atque ea, quae est in Metropolitana Coloniensium
ecelesia: non tarn librorum copia, qua Bertiniensi longo intervaUo
cedit, out bonitate qua Bertiniensis eadem fortasse^ (sint licet hie
Colonienses Codices ex potiore parte Caroli Magni et primo aut certe
altero ab illo saeculo exarati) ipsi aequum nacta iudicem, non sit
inferior; sed, quod illa potissimum Volumina in Agrippina biblio-
theca extarent, quae maxime facerent studiis meis.
Darin ist zweierlei besonders bemerkenswert, einmal, dafi die
Sammlwig schon damals nicht sehr umfangreich war, und zweitens
die Altersschätzung.
Modius zog Domhandschriften zurEmendation folgender Autoren
zu Rate:
1. Censorinus de die natali. Es ist die schon von Carrio
benutzte Handschrift in Unciale des 7./8. Jahrhunderts, die noch heute
in der Dombibliothek aufbewahrt wird und die Nummer CLXVI trägt
Bekanntlich bildet sie die Grundlage des Censorinustextes.^ Modius
emendierte mit ihrer Hilfe in den Briefen 5, 14, 27, 35, 42, 47, 56,
67, 82, 89 und 125 der Nov. Lect etwa 60 z. T. umfangreiche Stellen.
Für den Codex gebrauchte er Ausdrücke wie membranae Agrippi-
nenses, Colonienses etc., oder er redete auch (S. 380) von mem-
branis Ulis, quibus in Ubiis ab eruditissimo et amicissimo Melchiore
HUtorpio usus sum. Die Bezeichnung der Handschrift (S. 161) als
liber .... mire antiquus war durchaus berechtigt.
2. und 3. Cicero orationes. In 11 Briefen der Nov. Lect. (5,
32, 39, 45, 69, 87, 97, 104, 113, 129 und 131) emendierte Modius
zahlreiche Stellen der Catilinarischen Reden (16), der Rede „pro
Deiotaro (7), ,pro lege Manilia* (29), „pro M. Marcello (5), „pro
Ligario* (5) und „pro Milone* (12) aus 3 Handschriften, die er S. 569
als tres mss. Codices, quorum duo sunt Metropolitanae Ecclesiae
Coloniensis, tertius viri doctissimi nühique amicissimi Suffridi Petri
/. C. bezeichnete. Die mitgeteilten Lesarten entstammten hauptsäch-
lich den Colonienses. Mit großer Berechtigung haben sie in der
Textkritik der Reden vom 16. Jahrh. bis auf unsere Tage eine wich-
tige Rolle gespielt.
>) Vgl. dieAusgaben von O.Jahn, Berlin 1845; F. Hultsch, Leipzig 1867, und
J. Cholodniak, Petersburg 1889.
94 P* Lehmann,
Vielleicht benutzte sie schon, um 1556, Dionysius Lambinus,^)
und gewiß kollationierte sie etwa im Jahre 1580 Janus Gulielmus.*) In
neuester Zeit hat dann Clark im Codex Harleianus 2682 saec. XI (H)
eine der verloren geglaubten Handschriften wieder gefunden und ein-
gehend untersucht s) Sie gehört zu den Handschriften, die aus Graevius'
Sammlung nach London gekommen sind.
Clarks Behauptung, daß Modius diesen Codex benutzt hat, ist
sicherlich richtig. Einzelne Abweichungen sind auf Versehen, andere
darauf zurückzuführen, dafi Modius nicht die Lesarten einer, sondern
dreier verschiedener Handschriften anführt, des Erfurtensis, den er
allerdings nur aus der Kollation des Suffridus Petrus kannte, und
zweier Domhandschriften. Schon Baiter hatte zwei Kölner Handschriften
annehmen zu müssen geglaubt und C. F. W. Müller war ihm in dieser
Annahme gefolgt, aber Clark ->) wies mit guten Gründen ihre Argu-
mente zurück, unteriiefi es jedoch, zu der oben angeführten modiani-
schen Notiz Stellung zu nehmen, in der deutlich von zwei Gcero-
handschriften des Kölner Domes gesprochen ist Aufier dieser einen
Stelle der Nov. Lect. kommt noch eine gleich darauf folgende in Be-
tracht, wo eine Lesart der dicti tres mss. angeführt wird. Beide
Bemerkungen finden sich nun allerdings bei der Besprechung einiger
Verderbnisse in der Rede „pro Deiotaro" und gerade diese steht zwei-
mal in H: fol. 134—135' und 142 — 145^, weshalb man vermuten
könnte, Modius meinte mit den dtio Codices diese beiden Abschriften.
Die Unhaltbarkeit letzterer Annahme ergibt sich indes daraus, daß
die Rede in der ersten Abschrift nicht vollständig ist und nie voll-
ständig war, sondern schon mit 1216,26 ed. Halm schUeßt,*) die be-
treffenden modianischen Zitate aber 1220,i7 und 1219,io ff. ed. Halm
entsprechen, also nur einmal in H stehen.«)
*) Vgl. Clark in den .Collations* (s. u.) p. VII. Die von ihm zurückgewiesene
Annahme, dafi Lambinus zu seiner 1566 erschienenen Ausgabe die modianische
Kollation benutzt hätte, ist schon aus dem einfachen Gnmde irrig, dafi Modius
damals erst 10 Jahre alt war. Dieses Argument ist Clark entgangen, weil er als
Modius' Geburtsjahr 1536 statt 1556 ansah.
') Vgl. seinen .Plautinanim quaestionum commentarius* , Paris 1583, und
Gruters Ciceroausgabe, Hamburg 1618.
*) Collations from the Harleian Ms. of Cicero 2682, in den Anecdota Oxo-
niensia, Classical Ser. VII, Oxford 1892. Außerdem vgl man Gnrlitt in Fleckeisens
Jahrbttchera, 22. Supplementbd. (1896) S. 536 ff.
*) Collations p. VI.
*) Qark a. a.0.27.
*) Man überlege, für welche Annahme z. B. folgender Fall spricht: Modius
sagt zu 1219,11 ed. Halm: lego quomodo etiam dicti tres mss. constanter referunt.
Modius als Handschriftenforscher. 95
Es erscheint mir auch als wahrscheinlich, daß ebenso Gulielmus
zwei Kölner Handschriften benutzt hat, da er einmal bei einer Lesart
seines .Basilicanus" (= Domhandschrift) sagt: quod tarnen ceteri
tres^) mei agnoscunt. Qarks Annahme*) eines Druckfehlers für duo
scheint nur allzu willkürlich zu sein.
4. Curtius Rufus historiae Alexandri Magni. Zu seiner
1579 erschienenen Curtiusausgabe konnte Modius 4 Handschriften
benutzen, darunter membranas summi huius urbis [sc. Coloniensis]
templi, cum earum usus beneficio humanissimi et eruditissimi
D. Melchiorls HUtorpii mihi hie nuper concessus esset. Und zwar
rfiumte er gerade dem Coloniensis einen besonderen Einfluß auf die
Textgestaltung ein, weshalb er ihn in den Noten häufig zitierte und
als optimtis et antiquissimus codex vor den anderen auszeichnete,
ohne jedoch zu verkermen, daß er zuweilen auch schlechtere Lesarten
bot und überhaupt von den Verderbnissen und Einschiebseln der
meisten Curtiushandschriften nicht frei geblieben war.
Der Codex ist heute verschollen.
Seine Einordnung in den Stammbaum der Handschriften ist
zuerst von Foss») versucht In neuester Zeit hat dann G. Dostler*)
diese Forschungen bestätigt und ergänzt. Danach ist es wahrschein-
lich, daß die Handschrift nicht älter als saec. XII gewesen ist, und
daß man sie als den Stammvater einer Reihe junger interpolierter
Handschriften anzusehen hat, die sämtlich in der Gegend von Florenz
geschrieben zu sein scheinen, wie einiger noch jetzt in Florenz
Uzender Handschriften, wie femer des Budensis, Monacensis und Oxo-
niensis A, vielleicht auch des modianischen Sigebergensis.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich einen Irrtum Dossons^) be-
richtigen, der behauptet, Modius habe außer dem Sigebergensis,
Tbosanus und Brugensis drei Codices Colonienses herangezogen.
nisi quod in duobus est, ^inuidia esse", pro Jn inuidia esse". Der Erfurtensis
Soffridl Petri hat das ,hi' nicht, dagegen bewahrt es H. Nach Qark wäre also
Modius' Angabe unwahr, nach meiner Auffassung hat Modius die Lesart .inuidia
esse' aus dem Erfurtensis und dem verlorenen, .in inuidia esse' aus dem erhaltenen
Coloniensis.
>) 1. Werdensis, 2. Erfurtensis, 3. Coloniensis I.
•) A. a. O. p. VI.
>) Quaestiones Curtianae, Altenburg 1852, S. 23 ff.
«) Curtiana, München 1904 (Diss.), S. 28—38.
*) Ehide sur Quinte Curce, Paris 1887, S. 355.
% P. Lehmann,
Dosson hat hiermit einen von Snakenburg^) stammenden Fehler
übernommen, der aus der falschen Auffassung einer Bemerkung
Raders«) entstanden ist: Coloniensis* tarnen codex vetus ettam
^Sueuos*" edidit (y 112,6), novus „Suauos*, novissimus ^Susiique',
Der Stern hätte ihn auf die am Rande stehende Zahl 1542 aufmerk-
sam machen und ihm den Gedanken nahelegen sollen« daß Rader
an dieser Stelle nicht von Kölner Handschriften, sondern von Kölner
Drucken des Jahres 1542 u- s. w. spricht.
Die Bezeichnung einer Ausgabe mit codex ist im 16. und
17. Jahrh. weder selten noch auffallend. Ein ähnliches Mißverständnis
hat, wie ich oben») zeigte, zur Konstruktion einer von Modius ver-
werteten Speierer Handschrift geführt.
5. Fulgentius Plane, mythologiae. Die Fulgentiushand-
schrift erwähnt Modius nur zweimal ganz flüchtig, Nov. Lect 275,
unter den codicibus qtiibus oUm Lovanii . . . et nuper Coloniae a
MetropoÜtanae ecclesiae praefectis . . . usus sunt und 548 f. : tres-
que cUii, quorum mihi Lovanii olim et nuper Coloniae Agrippinae . . .
facta est copia mit einer Lesart zu 12,5 f. ed. Helm. Die Güte der
Handschrift scheint er nicht recht erkannt zu haben. Sie ist als
Harieianus 2685 saec. IX/X erhalten.*) Auch sie ist aus Graevius'
Nachlasse nach London gekommen.^)
6. Silius Italiens de hello Punico. Die Oberlieferung«)
des Epos beruht auf zwei Handschriften, die beide noch zur Zeit des
Humanismus in deutschen Bibliotheken gelegen haben, nunmehr aber
verloren sind: einem Sangallensis und einem Coloniensis. Während
von jenem seit dem 15. Jahrh. Abschriften in stattlicher Zahl gemacht
sind, aus denen wir, wenn auch mühsam, den ursprünglichen Text
des einen Überiieferungszweiges herausschälen können, stammt unsere
Kenntnis der Kölner Domhandschrift nur aus unvollständig über-
kommenen Kollationen, die Carrio und Modius zwischen 1564 und
») Curtiusausgabc, Uidcn 1724, fol. ♦**3r.
*) Prolusiones etc. etc. commentarii ad Curtii Rufi de Alexandro Magno
historiam, Köln 1628, S. 216.
«) S. 63 f.
*) Vgl. R. Helm in seiner Ausgabe, Leipzig 1898, p. Xsq.
•) Vgl. Qark a. a. O. 247 und 253.
*) Vgl. besonders H. Blafi .Die Textesquellen des Silius Italicus' im VIII. Supple-
mentbd. von Fleckeisens Jahrbüchern (1875) S. 161—251 und die kritische Ausgabe
von L Bauer, Leipzig 1890—92, rezensiert von Rofibach in der Deutschen Literatur-
zeitung 1890 Sp. 18701. und 1892 Sp. 720ff.
Modius als Handschriftenforscher. 97
1584 angefertigt haben. ^) Über das Alter und die Schriftart des seit-
dem verschollenen Codex steht nichts fest, doch können wir ihn
wohl mit Carrio als in bester karolingischer Zeit geschrieben ansehen.
Modius hebt nur im allgemeinen sein hohes Alter und die Schönheit
der Schriftzüge hervor,«) betont») aber auch die Un Vollständigkeit am
Schlüsse, die mehrfachen Lücken, Flecken und entstellenden Korrek-
turen der Handschrift, wovon wir durch Carrio nichts erfahren. Der
Text reichte — die genaue Angabe rührt von N. Heinsius her — bis
lib. XVI 557 und ermangelte der durch den Sangallensis überlieferten
Verse lib. II 375— 377; IV 750, 752; VIII 46; X565, hatte dagegen
folgende Verse und Versteile mehr: lib. I 550, 551 ; 1126,302; V343;
VII 620 und 1566—568; 11534—537; XVI 354— 355.
Modius hatte anfangs daran gedacht, bei Chr. Plantin eine kom-
mentierte Ausgabe des Silius Italiens drucken zu lassen,*) beschränkte
sich aber aus unbekannten Gründen auf gelegentliche Mitteilungen
aus seinem Apparate. Die Nov. Lect. enthalten in 40 Briefen ^)
242 Stellen, die Noten der Curtius-«) (1579) und Liviusausgabe (1588)
je 2 und 5.
Allerdings wird Silius in den Liviusnoten nicht weniger als 89 mal,
unter Anfügung oft sehr langer Abschnitte, zitiert. Aber leider sieht man
sich in der Erwartung, hier große Stücke aus dem Coloniensis kennen
lernen zu können, empfindlich getäuscht. Trotz der einführenden
Worte wie z. B. Silius non viUgatus sed noster gibt Modius zumeist
den ungebesserten Vulgattext.')
Hie und da, z. B. VIII 320, scheinen zwar auch andere als die 5
von Blaß angenommenen Stellen gebessert zu sein, doch haben wir
kein methodisches Mittel, ihren Kölner Ursprung zu beweisen.
') Aus ihren gedruckten und ungedruckten Mitteilungen ist alles geflossen,
was andere Gelehrte wie Livineius, Dausqueius, Barthius, N. Heinsius und Draken-
borch über die Handschrift und ihre Varianten sagen.
«) Vgl. Nov. Lect. 15, 56, 221, 250 etc.
») Diese wichtige Stelle aus den Nov. Lect. 250 ist von H. Blaß a. a. O. 162
wiedergegeben.
<) Vgl. den Brief an Lipsius vom 25. Oktober 1582, in Biirmanns Syll. 1 106:
et malo Plantinum a vetere aliquo scriptore, mea opera meliore, nostri
quoque nommis formis suis elegant issimis celebrandi initium facere, iamque adeo
absolvi notando Silium, in quem mox etiam commentarium daturus videor,
») Br. 1, 4, 7, 10, 13, 16, 19, 22, 26, 28, 31, 34, 38, 41, 44, 46, 48, 50, 53.
55, 57. 59, 62, 64, 66, 68, 76, 78, 81, 83, 86. 88, 90, 93. 94. 98, 101. 106, 110
und 115.
•) Die auf S. 112 der Noten zitierte Stelle hat Blaß übersehen.
^ Vgl. Blass a. a. O. 197 f.
QueUeo u. Untersuch, z. lat. PhUologie des MA. m, 1. 7
gg P. Lehmann,
Von großer Wichtigkeit würde es sein, wenn sich die in Richards
de Pan Bibliothekskataloge 1) verzeichnete Handschrift: Silius Italiens
de 2^ hello punico /actus a Modio M. S. wieder auffinden ließe.
Bekanntlich hat H. Blaß die Glaubwürdigkeit der modianischen
Angaben in einer sorgfältigen Untersuchung geprüft und dife Grund-
sätze der bei ihnen verwendeten Technik dargelegt.*) Nur an 8 Stellen
sind wir berechtigt, unserem Humanisten Versehen oder falsche An-
gaben vorzuwerfen.
Gewiß haben sich nicht sämtliche von Modius* textkritischen
Vorschlägen als annehmbar erwiesen, und weiterhin ist die Fülle der
richtigen Verbesserungen nicht zum geringsten Teile in der Güte der
Handschrift, die er benutzen konnte, begründet, doch wird durch diese
Erwägungen sein Verdienst kaum geschmälert: er bewies sein philo-
logisches Verständnis dadurch, daß er gerade die Stellen im Colo-
niensis herausfand, die für die Gestaltung des Siliustextes wichtig
waren. Es liegt eine hohe Anerkennung der modianischen Kritik
darin, wenn Blaß*) von N. Heinsius sagt: „Er bringt die größeste
Anzahl von Lesarten aus dem Colon, bei, obwohl nicht die besten,
denn die hatte Modius zu seinen evidenten Emendationen vorweg
genommen."
b) Älteres Franziskanerkloster.
Während wir über die Bibliothek des 1589 gegründeten Fran-
ziskaner-RekoUektenklosters „zu den Oliven* durch einen Katalog
unterrichtet sind,*) fehlen Nachrichten fast ganz über die Sammlung
des älteren Konventes, der hier allein in Frage kommt, weil Modius*
Besuch in die Zeit von 1578/79 fällt.
In der Textkritik von Senecas Briefen und den Schriften „de
dementia" und „de beneficiis** kommt ein jetzt nicht mehr vorhandenes
Fragmentum Coloniense a fratribus minoribus Colonia transmissum
vor, das Gruterus in seiner Ausgabe, Heidelberg 1593, verwertete.
Femer werden von Possevinus^) einige Mss. mit Werken des Gui-
^) A. Roersch, La biblioth^que de Frangois Modius et Richard de Pan, Saint-
Omer 1900, S. 24.
«) Vgl. oben S. 56 f.
•) A. a. O. 205.
*) Vgl. A. Schmidt im Zentralbl. f. Bibliothekswesen XXII (1905) S. 523—529. —
Es handelt sich hierbei fast ausschliefilich um Drucke, die sich jetzt zu einem
großen Teile in Darmstadt befinden.
^) Apparatus sacer, Köln 1608, I in appendice und II 42.
Modius als Handschriftenforscher. 99
bertus Tomacensis und Ludovicus a Turre erwähnt. Von einer Hand-
schrift der „Variae" des Cassiodorus wissen wir durch einen Eintrag
in dem Wolfenbütteler Gudianus 95 saec. XV: est etiam eiusdem
materiae ^olumen apud fratres minores in Colonia scriptum in
pergameno in magna libraria eiusdem convictus.^)
Im Laufe des 17. Jahrh. muß die Sammlung bedeutende Verluste
erlitten haben. Der Geschichtsschreiber der Kölner Minoriten Bern-
hard von der Beck erwähnt um 1740 bei einer Beschreibung der
Kunst- und Bücherschätze des Konventes außer Drucken nur drei
Choralbücher, eine »Vita S. Francisci", „Sermones parvi dominicales
et de sanctis* aus dem Jahre 1373, einen „Sermo super regulam*
aus dem Jahre 1493, die „Summa alphabetica praedicantium*" des
Johannes Broymardus, die Dialoge Gregors des Großen, Schriften
von Albertus Magnus und die „Sancta communitas" des Anton
Wissing.*)
Die jetzige Aufbewahrungsstätte dieser Handschriften kenne ich
nur zu einem geringen Teile: die beiden 1299 von Johann von
Falkenburg geschriebenen und illuminierten Gradualien befinden sich
jetzt im Erzbischöflichen Museum zu Köln») und in der Bonner
Universitätsbibliothek.*)
Bereits vor der Mitte des 18. Jahrh. müssen die drei jetzt in der
Dombibliothek aufbewahrten Codices XXX, XCV, CLXXDC, die den
Minoriten im 13. Jahrh. vom Domkapitel überiassen waren, diesem
zurückgeigeben sein.^) Um 1400 wurde die Handschrift Erfurt,
Amplon. Fol. 5, zur Zeit der BoUandisten Brüssel 638—642 der
Minoritenbibliothek entfremdet.
Modius benutzte mindestens eine der Minoritenhandschriften.
Tertullianus apologeticus. TeriuUianum, clarissime
Pameli, omnes a te avidissime iam dudum expectamus .... con-
tulimus nos quoque nuper in Ubiis Apologeticum eius ad exemplar
scriptum, quod ibidem in Franciscanorum bibliotheca servatur . . .
qui si quod spero ad officium redierint: ibunt notae illae quates-
») Vgl. Mommsen in MG. Auctt. antt. XII p. CIX.
«) Vgl K. Eubel, Geschichte der Kölner Minoriten-Ordensprovinz, Köln 1906,
S. 61 ff.
*) Erwähnt bei K. Lamprecht, Initialoraamentik des VIIL— XIII. Jahrhunderts,
Leipzig 1882, S. 32.
^ Vgl. Chirographorum in Bibliotheca Academica Bonnensi servatorum cata-
logus. Bonn 1858—1876, S. 113.
») Vgl. Jaff^-Wattenbach, Eccl. metropol. Colon, codd. mss. p. VIII.
7*
100 ^* Lehmann,
cumque s tat im ad te, scilicet, sin pertendent ; tum tibi difficile non
erit, eruditissimi Melchioris Hittorpii opera, eiasdem libri Agrip-
pinensis usum ad dies paticulos impetrare schreibt Modius Nov.
lect. 449 in einem undatierten Briefe, den wir uns etwa 1579 ge-
schrieben vorstellen müssen. Der Adressat Jacobus Pamelius hat
den Rat befolgt; in seiner Tertullianausgabe, Paris 1579, wird im
Manuskriptenverzeichnis gesagt: Coloniens. cod. MS. Apologetici quem
per Melchiorem Hittorpium subinde consuluit Pamelius. Auffälliger-
weise wird jedoch in den Noten auch nicht eine einzige Lesart der
Kölner Handschrift angeführt.^
Weitere Nachrichten über die Handschrift fehlen.
c) Lorenzgymnasium.
Von einer Handschriftensammlung des „CollegiumLaurentianum*,
einer mit einem Alumnate verbundenen Lateinschule, hört man nur zwei-
mal, einmal gelegentlich des Besuches durch Modius im Jahre 1579
und dann, als 1672 und 1673 N. Heinsius und J. G. Graevius
nach der von Modius benutzten Handschrift suchten. Ovidiani Fasti,
quos Modius evolvit, olim apud sodales Laurentianos extabant
Coloniae: sed ante annos aliquot eorum magister mihi affirmavit,
codicem illum a se non posse reperiri. Ipsam tarnen bibliothecam
tum mihi perlustrare non licuit, nescio quas ob causas, quas prae-
texebat,^) klagte J. G. Graevius am 16. Dezember 1672 von Utrecht
aus seinem Freunde Nicolaus Heinsius und ebenso am 2. März 1673:»)
ad bibliothecam tamen cathedralis ecclesiae et Gymnasii Laurentiani
aditus quoque mihi semper fuit occlusus, nee ulla ratione potui eum
patefacere mihi. Auch Heinsius scheint es nicht gelungen zu sein,
die Sammlung besichtigen zu dürfen: in Laurentiano Oymnasio libros
variis locis iacere dispersos audio, esse tamen in iis Codices quos-
dam vetusta manu descriptos in membranis. non inficiatus est ille,
qui bibliothecae catalogum aliquando se concinnasse nobis narrabat,
sed in quem volumina, quae dixi, scripta non essent relata, ut hie
quoque frustra fuerim, mußte er am 24. Februar 1673 berichten.*)
^) Was auch schon bei A. Hamack, Geschichte der ahchristlichen Literatur 1 2,
679 bemerkt ist.
«) Burmann Syll. cpp. IV 150.
») Burmann a. a. O. IV 169.
*) Burmann a. a. O. IV 166.
Modius als Handschriftenforscher. 101
Damit hören die Nachrichten von Handschriften des Gymnasiums
auf; die Schule selbst wurde in der Zeit der französischen Revolution
aufgehoben und dabei ihre nur aus gedruckten Büchern zusammen-
gesetzte Bibliothek mit der des ehemaligen Jesuitenkollegiums ver-
einigt, i)
Heinsius und Graevius waren auf die Sammlung bei der Lek-
türe der Nov. Lect. des Modius aufmerksam geworden. Modius hatte
auf Grund von membranae coUegii Laurentiani apud Agrippinates
im 63. Briefe 15 Stellen von Ovidius Fasti verbessert.*) Die hier
gemachten Mitteilungen finden sich — nicht ganz vollständig und
nicht fehlerfrei — benutzt in R. Merkels Ausgabe, Beriin 1841, wo der
treffliche Herausgeber p. CCLXXXII über den verschollenen Codex
sagt: qui praestantissimus utique fuisse videtur et 2, 394 atque
alibi Vera suppeditaL In der Tat kann man auffällige Übereinstim-
mungen mit den ältesten und reinsten Handschriften, daneben einige
beachtenswerte Besonderheiten konstatieren.
d) Ungenannte Bibliotheken,
1. Hyginus astronomicon. Im 11., 37., 60., 73. und 121. Briefe
der Nov. Lect. werden 66 Hyginstellen verbessert, offenbar stets mit
Hilfe derselben Handschriften, die Modius meist nur oberflächlich
mit Ausdrücken wie codex vetus bezeichnet. Ein einziges Mal macht
er eine genauere Angabe, S. 515: in antiqiässimo scripta codice, quo
ab eruditissimo /. C Suffrido Petra usus sunt. Wir würden an ein
im Privatbesitze befindliches Buch denken, wenn es nicht bekannt
wäre, daß Suffridus Petrus einst in der Lage gewesen war, einem
anderen Freunde eine Hyginhandschrift zu besorgen, die einer Kölner
Bibliothek gehörte. Am 17. Mai 1571 schrieb er an Laevinus Tor-
rentius: ») anno superiori octavo die Julii cum hie esset piae memoriae
D. Carolas Langhius a me utendum sumsit . . . manuscriptum co-
dicem membranis colligatis, in forma ut vocant quarta, in quo codice
erant officia et paradoxa Ciceronis et Hyginus et, nifallor, quaedam
alia. Transmiserat autem hunc codicem ad me Colonia huc inter-
posita fide sua Arnoldus Birckmannus, ea conditione, ut cum ego
usus essem istuc remitterem, ut bibliothecae restitui posset unde
>) Vgl. F. J. von Bianco, Versuch einer Geschichte der ehemaligen Universität
und der Gymnasien der Stadt Köln. Köln 1833, S. 22 ff., 175—182.
«) I 345, 396, 404, 409; II 214, 289. 339, 394, 470. 583, 737, 799 f., 805, 862.
«) lUustrium et clarorum virorum epistolae, ed. S. A. Gabbema. Harlingen
1669. S. 253.
102 ^* Lehmann,
sumptus est ... . Schefferi) hat die Vermutung ausgesprochen, daß
es sich in diesem Briefe und bei Modius um ein und dieselbe Hand-
schrift handehe, und dieser Annahme schließe ich mich an, glaube
dagegen nicht wie er, daß der Herausgeber der »Astronomica veterum
scripta etc.-, Heidelberg 1589, den »Codex Modii* benutzt hat Die
zur Sttltzung der Behauptung angeftlhrte Übereinstimmung in einigen
Sonderiesarten beweist, meines Erachtens, noch nichts, da ftlr die
Heidelberger Ausgabe die 5 Jahre zuvor erschienenen Nov. Lect. heran-
gezogen sein können. Außer Scheffer verwertete Bunte«) die modi-
anischen Lesarten. Nach Kauffmann «) gehört die Handschrift zu den
»Codices deteriores*.
2. Livius ab urbe condita libri I — ^X. Modius teilte zuerst
in den Nov. Lect. im 30. Briefe 13 Stellen des 1. und 3. Buches, dann
in den Noten der Ausgabe von 1588 etwa 40 Lesarten der Bacher 2, 4
und 9 mit: in beiden Fällen redete er nur allgemeinhin von mem-
branae Coloruenses, ohne die Bibliothek anzugeben. Ebensowenig
wie über die Herkunft bin ich über den Verbleib der Handschrift
unterrichtet.
Ohne die mehrfachen Verderbnisse zu verkennen, halte ich die
Handschrift auch textkritisch für bemerkenswert;^) eine feste Darlegung
des Verwandtschaftsverhältnisses zu den zahlreichen anderen Hand-
schriften ist bei dem heutigen Stande der Kritik^) noch nicht möglich.
3. Vegetius de re militari. Von der Handschrift, die Modius
neben dem Bonnensis zur Vegetiusausgabe, Köln 1580, heranziehen
konnte, sagt er im Widmungsschreiben: copiam fecit . . . optimus et
eruditissimas Theologus Melchior Hittorpius, ad D. Mariae Coloniae
Canonicus. Der Zusammenhang mit Hittorpius macht die Herkunft
des Codex aus der Dombibliothek wahrscheinlich, aber immerhin
^) In der Ausgabe, Hamburg 1674.
*) Leipzig 1875. — Eine wirklich brauctibare Ausgabe fehlt zur Zeit noch.
<) Breslauer philol. Abhandl. m4 (1888) S. 14 Anm. 23.
*) Charakteristisch erscheinen mir unter anderem die Lesarten: I 6, 1 auocasset
(mit MRDFP gegen NBETA); 1 10, 6 /ot/w /^^r^^r/ (anscheinend gegen alle übrigen
Handschriften und Drucke, die Jupiter F, haben); I 27,8 erigerent (mit V gegen
alle übrigen); 117,8 ibi (mit MFPV gegen RDNLOET), iussis (mit MFP gegen
RDNOET); U 23, 10 a/ (mit FPV gegen MHRNOESI); lU 31, 4 eademque {mit
VOTQ gegen MRPF).
•) Vgl. L. Traube, Abh. d. K. B. Akad. d. Wiss. lU. Kl. XXIV. Bd. 1. Abt. S. 15 f.
Modius als Handschriftenforscher. 103
nicht ganz gewiß.*) Kurz nach Modius benutzte O. Stewechius*)
die Handschrift und teilte neue Varianten daraus mit, leider ebenfalls
ohne die Provenienz mit hinreichender Genauigkeit anzugeben. Er
bezeichnet mit H den liber manuscriptus, quem a D. Melchiore
HUtorpio Decano sancti Cuniberti Colon, utendum accepL
Nach dem Urteile des letzten Herausgebers C. Lang») verweisen
die Lesarten die Handschrift in die schlechteste Klasse (k).
K O M B V R G.
Ritterstift,^)
Als die um 1075 gegründete Benediktinerabtei Komburg bei
Schwäbisch Hall 1488 in ein Ritterstift umgewandelt wurde, waren
nur wenige Bücher vorhanden.^) Die Verarmung des Klosters im
Laufe der letzten Jahrhunderte des Mittelalters hatte zur völligen Ver-
wahrlosung der Bibliothek, ja sogar zu ihrer Verpfändung (um 78 S)
an die Cistercienser von Schönthal geführt. Auch die Chorherren
scheinen anfangs wenig für die Bibliothek getan zu haben. Erst die
gelehrten Dekane Eitel Treutwein (1535 — 1536) und Gernand
von Schwalbach (1537 — 1550) begannen mit Liebe und Sach-
kenntnis zu sammeln.
Als der eigentliche Begründer der „Bibliotheca Comburgensis"
hat jedoch Erasmus Neustetter von Schönfeld zu gelten, und
dank ihm hat sie für einige Jahrzehnte eine, wenn auch bescheidene,
Rolle in einem geschlossenen Kreise von Gelehrten und Literatur-
freunden gespielt.
^) Keinesfalls ist sie mit der aus der Kölner Minoritenbibliothek stammenden
Handschrift in Erfurt Fol. 5 identisch, die .Vegetius de re militari* entiiält Wie
ich schon oben bemerkt habe, befindet dieser Codex schon seit etwa 1400 in Er-
furt. Möglicherweise ist er aber seinerzeit aus dem Codex Modii abgeschrieben.
*) Ausgabe Antwerpen 1585. Die Kollation fällt zeitiich zwischen den Be-
ginn des Hittorpschen Decanates 1583 und seinen Tod 1584.
«) Uipzig 1885, p. XLVI.
«) Vgl. R Mttller, Geschichte des Ritterstifts Komburg, in den Württemb. Jahrb.
f. Statistik und Landeskunde, Jahrg. 1901 S. 11—39.
») Vgl. F. D. Qräter, Ober die Merkwürdigkeiten der Bibliotiiek des ehemaligen
Ritierstifts Komburg am Kocher, Hall 1805—1809, und die Erweiterung dieses Auf-
satzes in Qräters Bragur, ein literarisches Magazin der deutschen und der nordischen
Vorzeit VII, Breslau 1812, S. 224—375. — Ch. F. Stalin, Zur Geschichte und Beschr.
alter u. neuer Bttchersammlungen im Königreiche Württemberg, Stuttgart und Tü-
bingen 1838, S. 88 f. — W. von Heyd, Die historischen Handschriften der öffentiichen
Bibliotiiek zu Stuttgart, Stuttgart 1889 f., p. VII und schliefilich den angeführten
Aufsatz von H. Müller.
104 ^» Lehmann,
Neustetter,!) der Sproß eines alten fränkischen Adelsgeschlechtes,
war von 1551—1583 Dekan, von 1583—1594 Propst des Stiftes Kom-
burg. Obwohl er noch zahlreiche Nebenämter hatte — er war z. B.
Domkapitular in Bamberg und Würzburg, Landrichter des fränkischen
Herzogtumes, von 1589 bis 1591 Rektor der Universität Würzburg —
hielt er sich doch am liebsten und häufigsten in Komburg auf,
namentlich nach der ihm mißliebigen Wahl Julius Echters von Mespel-
bronn zum Bischöfe von Würzburg.
Nunmehr begann eine liebe- und verständnisvolle Pflege und
Vermehrung der Komburger Bibliothek. Die vorhandenen Bücher
wurden einmal um die gelegentiich von Neustetter, namentlich
auf den Reisen durch Italien, Frankreich, die Niederlande u. s. w.
gesammelten Handschriften und Drucke vermehrt, besonders aber
dann durch die Bibliothek Oswalds von Eck (t 1573), der
sich, 1564 in Gant geraten, noch zu seinen Lebzeiten genötigt
sah, sämtiiche Bücher an Neustetter zu verkaufen. Der eigentliche
Sammler war nicht Oswald selbst, sondern sein Vater der berühmte
bayerische Kanzler Leonhard von Eck (t 1550) und dessen mütter-
licher Verwandter Rudolf Halder gewesen. Jenem ist der Erwerb
der geschichtlichen, vornehmlich der hochwichtigen Aventinhand-
schriften,*) diesem die Erhaltung der Sammlung Dietrichs von
Plieningen*) zu danken, die uns in den Bereich des Heidelberger
Frühhumanismus und im besonderen zu Rudolf Agricola*) führt.
Neustetter enthielt die so gesammelten Schätze der Welt durchaus
nicht vor. Nicht wenige Bemerkungen von Zeitgenossen bezeugen
die Bereitwilligkeit, mit der er seine Bibliothek zur Verfügung stellte.
Ich führe nur einiges zur näheren Beleuchtung an: am 1. November
1576 bittet Johannes Paedianus den Rektor von Hall Johannes
Weidnerus, Pindamm si ex bibliotheca Combergensi impet rares
gratum mihi esset und am 8. Januar 1577 bestätigt er dankend den
^) Vgl. die für die Bibliotheksgeschichte und die oben S. 15 angeführte
Literatur.
") Vgl. Aventins sämtiiche Werke, herausg. durch die hist Kommission der
Münchener Akad. d. Wiss. V, München 1886, p. IV— VI.
*) t 1520, bekannt als Obersetzer klassischer Autoren und als Angehöriger
des Heidelberger Humanistenkreises. Seit 1501 stand er in bayerischen Diensten
und tat sich hier besonders im Jahre 1514 als Wortführer der Stände hervor. Vgl.
S. Riezler, Geschichte Bayerns IV 14 ff.; V 24 f. und die dort genannte Literatur.
*) t 1485; vgl. die Literaturangaben bei K. Momeweg, Johann von Dalberg,
Heidelberg 1887.
Modius als Handschriftenforscher. 105
Empfang;^) 1580 gibt Nicolaus Cisnerus zu Frankfurt a. M.
des Aventinus bayerische Chronik nach den beiden jetzt in Stutt-
gart liegenden Handschriften heraus, die ihm Neustetter aus Kom-
burg übersandt hat. In demselben Jahre veröffentlicht Johannes
Posthius seine Elegie In Bibliothecam Erasmi Netistetteri^) Kurz
darauf feiert Franciscus Modius den feinsinnigen Sammler und
seine hervorragende Sammlung in tiberschwänglichen Versen und 1584
gibt er in seinen „Novantiquae Lectiones" zahlreiche Proben aus
mehreren Codices Comburgenses.
Man kann Modius geradezu als den Bibliothekar von Komburg
während der Jahre 1581 — 1584 ansehen. Ihm lag es ob, die Bücher
anzukaufen, wie z. B. die unten zu erwähnende Tacitushandschrift,
und binden zu lassen. Ehe er Neustetter veriieß, mußte er Rechen-
schaft fiber den Bestand der Sammlung ablegen, und er sorgte daher
für rechtzeitige Rückgabe der veriiehenen Bücher. Aus den deshalb
gewechselten Briefen erfahren wir, daß damals bereits ein Verzeichnis
der Bibliothek vorhanden war, das Modius einem gewissen Johannes
Mosellanus geliehen hatte. »)
Die Aventinushandschriften trugen den Namen der Komburger
Sammlung auch nach Bayern. Als Herzog Maximilian I. in groß-
artiger Weise die Quellen zur Geschichte seines Landes zu sammeln
begann, suchte er sich auch Neustetters Schätze nutzbar zu machen
und wandte sich um deswillen am 12. Juli 1595 an den Bamberger
Domherrn von Werdenstein mit der Bitte, nach Neustetters Büchern
zu forschen und ihre Benutzung zu vermitteln.-*) In der Tat schickte
man am 7. April 1600 Annalium Ducum Bavariae authore Joanne
Aventino lib. 1. 2. 3, 4, 5. 6. et 7. Aventini chronicum germanice in
^or voluminibus: tomi duos in foL Et Catalogum Archiepiscoporum
Salzburgensium ad annum 1560 germanice in 4^^.^) Um dieselbe
Zeit benutzte der Mainzer Jesuit Nicolaus Serarius«) Hraban-
handschriften aus Komburg.
») Stuttgart, Hist. Fol. 60369 und 71. — Über Cisnerus vgl. ADB. IV (1876)
S. 267 f.
") Wiederabgedruckt in seinen »Parerga poetica* I, Heidelberg 1595, S. 211.
>) Stuttgart, Hist. Fol. 603 ist f.
*) Vgl. L. Rockinger, Die Pflege der Geschichte durch die Witteisbacher,
München 1880, S. 45 und Beilage IX 13.
») Vgl. Rockinger a. a. O. 43 und Beilage 1X8 a u. b.
^ Rerum Moguntiacarum libri V, Mainz 1604, S. 603.
IQQ P. Lehmann,
Nach Neustetters Tode (1595) erlebte die Bibliothek noch einmal
eine Blütezeit unter dem Dekanate des Konrad Ludwig Zobel
von Giebelstadt (1614 — 1619), der einen neuen Bücherraum her-
richtete, aus eigenen Mitteln zahlreiche Drucke und auch Hand-
schriften beschaffte und es durchsetzte, daß das Stift jähriich 100 fl.
für Bücheranschaffungen herzugeben beschloß. Es sollen damals
3197 Bände vorhanden gewesen sein.
Als im Jahre 1631 die Schweden und ihre Verbündeten nach
Komburg kamen, eriitt auch die Bibliothek ansehnliche Verluste. Die
Rechnungsbeamten schlugen den Wert der damals veriorenen Bücher
auf 3000 Taler an.^) Wohin der Raub geschafft wurde, vermag ich
nicht anzugeben, vielleicht gibt die Tatsache einen Hinweis, daß die
Dombibliothek von Strengnäs ein Exemplar von »Adolphi Occonis
imperatorum Romanorum numismata*", Antwerpen 1579, besitzt, das
die Original Widmung des Verfassers für Erasmus Neustetter enthält*)
Sieht man von der Plünderung durch die Schweden ab, so kann
man sagen, daß der Sammlung schwere und umfangreiche Verluste er-
spart geblieben sind. Andererseits ist aber vom 17. Jahrh. an nur
recht wenig für ihre Vergrößerung und Nutzbarmachung getan.
Als das Stift, dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 ge-
mäß, säkularisiert wurde, waren etwa 3500 Bände vorhanden; von
diesen kamen die 150 Handschriften und einige Inkunabeln im Jahre
1805, die anderen gedruckten Bücher einige Jahre später nach Stutt-
gart in die königliche öffentliche Bibliothek.
Ein Fragment einer Komburger Cicerohandschrift wurde von
Reuß in Würzburg aufgefunden.»)
Modius machte Mitteilungen aus folgenden Handschriften:
1. Fulgentius Plane, mythologiae. 62 kleinere und größere
Stellen dieses Werkes emendierte Modius im 9., 61., 100., 112. und
126. Briefe der Nov. Lect. auf Grund von membranae Neustetterianae,
denen er gelegentlich die Prädikate optimae und veteres beilegte.
Die Handschrift ist als Stuttgart, Theol. et philos. 4° 159 er-
halten, sie entstammt dem 13. Jahrh. und lag einst in der Bibliothek
der Genter Dominikaner,*) aus der sie auf mir nicht bekannte Weise
») Vgl. MüUer a. a. O. 29.
«) Vgl. Serapeum XXVI (1865) S. 300.
«) Vgl. Serapeum Vm (1847) S. 14 u. 122—142.
*) Auf der Rückseite des Deckblattes steht von alter Hand über fratrum
praedicatorum in gandavo, darunter der jüngere Vermerk Nunc ex Bibliotheca
KomburgensL
Modius als Handschriftenforscher. 107
in die Sammlung Neustetters gelangte. Der Miscellancodex enthält
die »Mythologiae* als ersten Text, Im ganzen und großen erweist
sich Modius' Benutzung als zuverlässig. ^
Mit scharfem Blicke wählte er Stellen aus, an denen der Text
des Comburgensis in der Tat besser war als der bis dahin gedruckte.
Und nicht selten sind es nicht Lesarten von diesem relativen Werte,
sondern solche, die wir nach Kenntnisnahme der anderen Hand-
schriften auch heute noch als richtig ansehen müssen. Aber im all-
gemeinen überschätzte er seine Handschrift doch. Sie ist vielfach
verderbt und steht an innerer Güte den älteren von R. Helm, Leipzig
1898, benutzten Handschriften weit nach.«) Anderseits ist ihr Text
reiner als der derHelmschen „Deteriores*. Ja, ab und an bietet der
G)mburgensis höchst bemerkenswerte Lesarten, in denen er von allen
bekannten Handschriften abweicht, so ed. Helm 142i, 32i6, 48ii,
538, 55t, 6928, 73i9. Helm hat diese Besonderheiten wohl durch
die aus Modius schöpfende Ausgabe von Ph. Munker und A. van
Staveren, Leiden 1742, kennen gelernt und in seinen Apparat auf-
genommen. Dem vetus codex Modii, von dem er S. 32i6 spricht,
nachzuspüren, hat er nicht für nötig gehalten.
2. und 3. Plinius See. epistulae. Nov. Lect. ep. XII, LI,
XCII, CVII uud CXXII suchen 40 Pliniusstellen auf Grund von Hand-
schriften Neustetters zu verbessern, die schon Nicolaus Cisnerus ge-
kannt hatte, s)
Angeblich waren sie von R. Agricola mit eigener Hand ge-
schrieben. Vgl. die Bemerkung Nov. Lect. 469: Notulas qtiasdam meas
et observatiunculas in C. Plinium Nepotem, cuius scripta duo olim
Rodolphi Agricolae Frisii {viri sua aetate citra controversiam eru-
ditissimi) manu exemplaria, quae tu, ampUssime Patrone, inter alia
innumera in insigni Uta tua Combergensi bibliotheca heroice plane
dedUasti, ruiper ad accuratissimam H, Stephani editionem novam*)
contendi sedulo et comparavi . .
Anderen Orts werden sie von Modius auch kurz membranae
Comburgenses oder Neustetterianae genannt, obwohl es sich um
Papierhandschriften handelt (s. oben S. 58).
*) Die Handschrift, die von den Fulgentiusforschern noch nicht berücksichtigt
ist, wurde mir bereitwillig in die Hof- und Staatsbibliothek München übersandt.
*) Eine Einordnung in Helms Handschriftenklassen ist kaum möglich. Einen
Begriff der Textgeschichte gibt diese Gruppierung ja auch noch nicht.
•) Vgl. seinen Brief an Neustetter von 1579, N. Cisneri opuscula, ed. Q.
Reuter, Frankfurt 1658, S. 1005.
*) Paris 1581.
103 P- Lehmann,
Einer der beiden Codices ist bestimmt erhalten: Stuttgart,
Cod. poet philol. 4° 30 saec. XV. Am Schluß der Briefe i) findet
sich von der Hand des Schreibers der Vermerk: finit C. Plirüi Secundi
novicomensis viri consularis et oratoris clarissimi epistolanim Über:
diligenter per rhodolphum agricolam frisum recognitus. exscriptus
pro theodorico plinio germano scolastico tunc ferrariae anno 1478.
26. FebruariL herciäe dace estense imperante foeliciter.
Verschiedene Namenseinträge, Wappen und dergl. zeigen, daß
die Handschrift von Dietrich von Plieningen (Theodericus Plinius)
an Rudolf Halder, von diesen an seinen Neffen Leonhard von Eck
und schließlich aus der Sammlung seines Sohnes Oswald durch
Neustetter nach Komburg gelangt ist. Die zweite der von Modius
verglichenen Handschriften befindet sich nicht in Stuttgart. Vielleicht
ist sie in Leiden, Voss. lat. 4® 80 erhalten, wo sich auf Fol. 136' die
Notiz findet: Rodolphus Agricola phrisius Ferrariae ab$olvU Anno
Christi MCCC^ LXXVIII^, kl, decembr Lector perpetimm vale.
Da sich nach Ausweis des Kataloges von 1605*) in Modius'
Bibliothek Epistolae Plinii manuscriptae vorfanden, kann man ver-
muten, daß Modius den einen Neustetterianus zum Geschenk bekom-
men habe und daß dieser Codex im 17. Jahrh. nach Leiden ver-
schlagen sei. Bei dem Fehlen jeglicher Provenienznotiz im Leidensis
läßt sich diese Annahme schwer beweisen. Um so schwerer, als wir
noch von zwei anderen Pliniushandschriften Rudolf Agricolas Kunde
haben: Johannes Sichardus ») veranstaltete seine Ausgabe, Basel 1530,
mit Hilfe zweier von Agricolas Hand geschriebener Bücher, die er
zu Ladenburg (bei Worms) in der Bibliothek Johanns von Dalberg
gefunden hatte.*) Daß die Ladenburgenses mit den Comburgenses
identisch wären, erscheint mir recht unwahrscheinlich. Von einem
bibliotheksgeschichtiichen Zusammenhange zwischen Ladenburg und
Komburg fehlt jede Spur. Der Stuttgarter Comburgensis kann nicht
aus Ladenburg an Plieningen gekommen sein, da dieser bereits 1520
gestorben, Sichardts Benutzung jedoch frühestens ins Jahr 1526 zu
') Fol. 126 V.
«) A. Roersch, La Bibloth^que de Fran^ois Modius etc., Saint-Omer 1900,
S. 20 und vgl. unten S. 129.
«) Ober ihn und seine Tätigkeit als Erforscher mittelalterlicher Büchersamm-
lungen gedenke ich in nicht allzu ferner Zeit eine Abhandlung zu veröffentlichen.
^) Eingehende Untersuchungen über die Bibliotheken Dalbergs und Agricolas
werde ich in der Arbeit über Sichardt vorlegen. Bis dahin benutze man das reich-
haltige schon genannte Buch von K. Momeweg.
Modius als Handschriftenforscher. 109
setzen ist. Der umgekehrte Weg von Plieningen nach Ladenburg und
dann nach Komburg ist deshalb nicht annehmbar, weil die Einträge
Rudolf Halders u. s. w. eine lückenlose Besitzerfolge geben.
Wir werden anzunehmen haben, daß Agricola zwei Handschriften
für sicfai) und zwei andere für seinen Freund und Studiengenossen
Dietrich von Plieningen angefertigt hat. Aus diesem Verhältnis heraus
ericlärt sich der teilweise frappante Zusammenfall der Sichardtschen
und modianischen Lesarten, ohne daß man daraus auf Identität der
benutzten Handschriften zu schließen gezwungen wäre.
Der Pliniustext war von Agricola offenbar aus jungen Hand-
schriften, Drucken und durch Konjektur hergestellt worden und besitzt
somit keinen überlieferungsgeschichtlichen Wert.*)
4. Tacitus de origine et situ Germanorum. Im 115. Briefe
der Nov. Lect. berichtet Modius einem Bamberger Freunde, wie er viso
catalogo libromm manu exaratorum, qui venales apud vos nuntiabantur
nach Bamberg gefahren sei und dort für die Bibliothek seines Patrones
eine Handschrift mit Tacitus' Germania gekauft habe. Allerdings sei er
in seinen Erwartungen sehr getäuscht worden, da es nur eine junge
Papierhandschrift gewesen sei. In den Nov. Lect. findet sich nur eine
Lesart dieser Handschrift angegeben (im 15. Briefe), dagegen hat
Modius eine vollständige Kollation an Justus Lipsius gesandt, wie
dieser in dem Vorworte zu seiner Tacitusausgabe, Leiden 1585, mit
Dank bezeugt. Eine Überschätzung des Codex lag ihm völlig fern.
Schon am 24. September 1582 schrieb er an Lipsius: ») Tacitus Barn-
bergensis indignus plane erat labore et sumtu, quod eius causa ex-
haust Bambergam excurrendo, übt vidi recentem omnino esse scrip-
turam qui titulum Cornelianae historiae mentiebatur, cum nihil in
iUo Taciti praeter pagellas aliquas ex libello de moribus Germa-
norum contineretur quas tamen ad tuam editionem etiam comparavL
.Die Handschrift scheint nicht erhalten zu sein, jedenfalls ist es
auf Grund der von Lipsius mitgeteilten Varianten kaum möglich, sie
mit dem. Comburgensis in Stuttgart, Hist. 4° 152*) zu identifizieren,
wie man geneigt sein könnte.
*) Die Briefe gehörten zu seinen Lieblingsautoren, die er stets bei sich zu
tragen pflegte. Vgl. Jo. Fichardus, Virorum, qui superiore nostroque seculo erudi-
tione et dodrina illustres atque memorabiles fuerunt, Vitae, Frankfurt 1536, fol. 85v.
«) Vgl. Keils Ausgabe, Leipzig 1870, p. XV.
«) Bunnann, Syll. epp. I 107.
*) Ober diese vgl. K. MüUenhof, Deutsche Altertumskunde IV 74—78.
110 P.Lehmann,
Die Lesarten, die Modius im 15. und 99. Briefe der Nov. Lect
zu 23 und 4 Stellen der Annalen und Historien mitteilte, waren
nicht einer Handschrift, sondern kritischen Bemerkungen entnommen,
die Agricola an den Rand einer Inkunabel (Hain 15218) geschrieben
hatte. Das Exemplar ist noch in Stuttgart vorhanden.
Während er in den Nov. Lect. nur einige Proben hiervon mit-
teilte, übersandte er das gesamte Material Lipsius, der darüber in der
»praefatio ad lectorem* der Ausgabe von 1585 berichtet Lipsius
sowohl wie Modius ^) standen den Lesarten skeptisch gegenüber, da
sie nicht selten bloße Konjekturen Agricolas zu erkennen vermeinten.
Ihre Ansicht erwies sich als richtig, als nach 100 Jahren der von
Agricola benutzte Codex auftauchte,*) um dann bald wieder zu ver-
schwinden.
(M A I NZ.)
Von der Benutzung Mainzer Bibliotheken durch Modius ist nichts
bekannt. Die Mainzer Handschrift der 4. Liviusdekade hat er nicht
eingesehen, wie man aus dem Titel der Ausgabe von 1588 und den
häufigen (330 mal) Anführungen des »Moguntiacus" in den Noten
schließen könnte. In Wahrheit verdankte er seine Kenntnis den
älteren Drucken (Angst, Carbach, Gelenius).»)
SAINT- BERTIN.
Benediktinerkloster.
Als erster nachweisbarer philologischer Benutzer der Bibliothek
scheint der rührige Herausgeber der Konzilsakten Petrus Crabbe*)
gelten zu müssen. Er berichtet: Ex monasterio quoque divi Benedicti
in eodem comitatu [sc. Flandriae] existente oppido sanctl Audomarl
singulare quoddam ac ramm opusculum divi Liberatt .... accepi
et hoc ipsum non obscure appeUatum est: Breviarium causae Nesta-
rianorum et Eufychianorum.
Da es innerhalb oder in nächster Nähe von Saint-Omer kein
anderes Benediktinerkloster als Saint-Bertin gegeben hat, trage ich
») Vgl. Burmann a. a. 0. 1 109.
*) Vgl. die Darstellung und das UrteU in der Ausgabe von Emesti, Leipzig
1801, p. XX sq.
*) Vgl. Drakenborch in der »Praefatio ad Lectorem', im Stuttgarter Nach-
drucke der Liviusausgabe vol. XV p. LXXVIII. — Vgl. auch L. Traube, PalÄographischc
Forschungen IV (= Abh. der III. Kl. d. k. b. Ak. d. Wiss. XXIV Bd. 1) S. 22.
^) Vgl. unter Gembloux, Köln und Siegburg.
Modius als Handschriftenforscher. m
kein Bedenken, die Crabbesche Handschrift mit dem aus dem 6. Jahrh.
stammenden Werke ^) gerade nach Saint-Bertin zu verweisen. Einige
Jahre darauf, etwa 1545, besuchten Petrus Gallandius«) und
Hadriantfs Turnebus«) die Sammlung. Gallandius sagt darüber
in seiner Ausgabe der Feldmesser, Paris 1554:
Cum ante annos decem, pace inter Carolum Caesarem et
Franciscum regem sancita, ego et Adrianus Turnebas Belgicae oc-
cidentalis aliquot oppida perlustraremus, et in singuUs monasteriis
libros veteres, veluti canes sagaces in lustris feras, diligenter con-
quireremus, in divi Bertini apud Audomari Phanum bibliotheca, inter
muUa venerandae vetustatis volumen unum quod varios libros eos-
qua maiore ex parte non ante visos continebat, invenlmus. Be-
sonders beachtenswert ist, was er einige Zeilen darauf bemerkt:
Qul [sc. libri\ quidem cum . ... ad linguae latinae locupletationem
necessaria plurima complecti nobis viderentur, ut per maius otium
et diligentius evolvi possent hoc [sc. Parisios] transferendos esse
monachis permittentibus, duximus. Diese Gromatikerhandschrift ist
schwerlich jemals wieder nach Saint-Bertin zurückgekehrt. Wir finden
sie am Anfange des 17. Jahrh. im Besitze des bekannten Philologen
Petrus Scriverius. Aus dessen Sammlung kam sie durch Marquardus
Gudius 1689 nach Wolfenbüttel: Gud. 105 saec. IX.*)
Sehr ähnlich ist die Sachlage bei dem berühmten „Codex qua-
dratus" des Lucretius in Leiden, Voss. lat. 4° 94 saec. IX. Auch er
lag im Mittelalter in Saint-Bertin und war um 1550 in Tumebus'
Händen.^) Dies und dafi er durch Gerardus Johannes Vossius^) nach
Leiden gelangt ist, hat man schon seit langem gewußt, sich aber
anscheinend nie gefragt, wie Vossius zu ihm gekommen war. Ich
glaube nun wahrscheinlich machen zu können, dafi Modius' Oheim
Franciscus Nansius der Vorbesitzer gewesen ist. Schon Hubertus
Giphanius wufite davon, wie aus einem in Prag 19./29. März') datierten
>) Vgl. PRE. XI (1902) S. 449.
«) 1510—1559; vgl. Nouv. Biogr. univ. XDC 287 f.
») 1512—1565; vgl. Nouv. Biogr. univ. XLV 732 ff.
^) Vgl. die Schriften der römischen Feldmesser, her. u. erl. von F. Bluhme,
K. ülchmann und A. Rudorf II, Berlin 1852, S. 42 f.
*) Die von T. angefertigte Kollation verwendete Dionysius Lambinus für
seine Ausgabe, Paris 1570.
•) 1577—1649; ADB. XL! (1896) S. 367—370.
Da sich Giphanius von 1599—1604 in Prag aufgehalten hat, ist der Brief
in diese Zeit zu setzen.
112 P. Lehmann,
Briefe!) an Franciscus Junius hervorgeht: omiseram fere de Lucretio,
cuius antiquissimum codicem ex bibliotheca monasterü Bertiniani
in Flandria Leidae habuit Nansius. codex an et tibi sit scdvus
magnopere scire uelim.
Zwischen Nansius und J. G. Vossius ist kein Besitzer mehr be-
kannt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ebenso die erwähnte Gro-
matikerhandschrift einst Nansius gehört hat, wissen wir doch, daß
er mehrere Handschriften mit Werken über Feldmeßkunst besessen
und daß Scriverius eine Anzahl Bücher aus seinem Nachlasse er-
worben hat.*) Noch weniger klar ist der Weg von Tumebus zu
Nansius. Möglicherweise hatte Modius die Hand dabei im Spiele.»)
Jedenfalls werden wir in Modius einen eifrigen Erforscher der
Sammlung von Saint-Bertin kennen lernen. Nach ihm arbeitete unter
anderen im Jahre 1601 Johannes Macarius (L'Heureux) dort und
vermißte die von Modius benutzten Handschriften.*) Im 17. und
18. Jahrh. waren namentlich die Mauriner und Bollandisten die
Benutzer der Codices Bertiniani.
Bis zur französischen Revolution blieb die Bibliothek als Ganzes
zusammen; nachdem sie von 1794 — 97 mit 771 Handschriften den
Grundstock des in Saint-Omer errichteten Depots gebildet hatte,
wurden 88 Handschriften der Zentralbibliothek in Boulogne-sur-mer
überwiesen und dieser Teil ist auch fernerhin dort geblieben und
gehört jetzt der Stadtbibliothek von Boulogne. Der größere Rest
ist in Saint-Omer geblieben und bildet jetzt mit 549 Bänden den
hauptsächlichen Handschriftenbestand der dortigen Stadtbibliothek.*)
*) Die angeführte Stelle steht in einem Leidener Autogramm und ist mir durch
Vermittlung des Direktors der Bibliothek de Vries von Herrn Dr. Molhuysen mit-
geteilt worden.
*) Vgl. Schriften der römischen Feldmesser II 57 ff. — Außer durch Vossius
und Scriverius sind durch Scaliger und Bonaventura Vulcanius Bücher aus Nansius'
nach 1595 versteigerter Bibliothek nach Leiden gekommen; ein Codex Nansianus,
der ebenfalls Scriverius gehört hat, befindet sich in der Bibliothek von Holkham
Hall. vgl. Philologus XLII (1884) S. 166, ein anderer in Rom, Reg. lat. 1987.
•) Vgl. unten.
^ 1540—1604; Biographie nationale de Belgique XII 88. Er war, wie Modius,
Kanonikus in Aire. Erst nach seinem Tode wurden einige seiner Arbeiten veröffent-
licht. Ober die Benutzung der Bibliothek vgl. A. Roersch, La biblioth^que de Fran^ois
Modius etc., Saint-Omer, S. 7.
*) Zur Geschichte der Bibliothek vgl. H. Piers, Noticc historique sur la biblio-
th^ue publique de la ville de Saint-Omer, Lille 1840, und die Vorreden zum 3. und
4. Bande der Departementskataloge.
Modius als Handschriftenforscher. 113
Verschiedene Handschriften waren schon früher, z. T. durch Tume-
bus (s, o.), z. T. durch die BoUandisten, z. T. auf mir unbekannte Weise
ihrer Heimstätte entfremdet worden. Außer Boulogne und Saint-Omer
besitzen nachstehende Bibliotheken Codices S. Bertini:
Brüssel, K. B. 8224—26, 8380, 8654—72, 15835, Phill. 324
und 327.
Cambridge, C. C. C. 223.i)
Haag, K. B. 69, 165,«) 284.»)
Leiden, U. B. Voss. lat. 4° 94 und Perizon. 2° 14.
London, Br. M. Reg. 8E. XV*) und 13 A. XXVII.^)
Paris, B.N. lat 6113,«) Nouv. acq. lat. 1825.')
Wolfenbüttel, H. B. Gud. 105.
Modius' Vergleich zwischen den Sammlungen des Kölner Domes
und des Klosters S. Bertin wurde bereits oben S. 93 angeführt. Wir
dürfen annehmen, daß er die Bibliothek in einem dieser Hochschätzung
entsprechenden Umfange benutzt hat, zumal sich in seinen letzten
Lebensjahren durch den Aufenthalt im benachbarten Aire gute Ge-
legenheit bot, die in der Jugend begonnenen Studien an den Codices
Bertiniani fortzusetzen. Aber nur wenige von diesen Arbeiten sind
bekannt geworden, z. T. wissen wir von ihnen nur durch Einträge,
die Modius in die Handschriften gemacht hat. So ist es bei dem
an erster Stelle zu nennenden Werke der Fall.
1. Ambrosius de figuris mysticis. In der Handschrift 27
von Saint-Omer, saec. IX, findet man die Notiz. »)
Usus sum hoc libro et repperi satis bonae notae, Ariae, mense
septembri anni M. D. XCIV. Fr. Modius canonicus Ariensis.
Hiervon abgesehen haben wir keine Nachricht über Modius'
philologische Beschäftigung mit Ambrosius.
2. Apuleius Madaur. metamorphoses. Im Jahre 1597 teilte
C. Sdoppius in seinen „Suspectarum lectionum libri V" Lesarten eines
») Vgl. MG. Poetae medii aeui III 526.
«) Vgl. L. Delisle, M^Ianges de pal^ographie, Paris 1880, S. 195 f. und
207—216.
») Vgl. Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde VIII 568.
^) Die Herkunft aus S. Bertin wird allerdings nur vermutet. Vgl. Catalogue
of andent rass. in the British Museum (Latin Serie), London 1884, S. 87.
») Vgl. MG. SS. rer. Ungob. p. 33.
•) Vgl. L. Delisle, Le cabinet des manuscrits etc. II 404.
') Vgl. Biblioth^que de l'^cole des chartes LXIV 25.
•) CSEL. XXXII, Wien 1897, p. LH.
QocUcn 0. Untersuch, z. lat. PhUologie des MA. m, 1. 8
114 P. Lehmann,
codex Bertinianus mit, die er aus Modius' Handexemplare kannte.
Weitere Varianten dieses Ms. veröffentlichte er dann in den „Symbola
critica in L. Apuleii .... opera*, Augsburg 1605, S. 35 — 109.
Das von ihm benutzte Buch des Modius, Leiden 1588 in 8^,
befand sich im Besitze des Augsburger Patriziers Marcus Welserus
und wurde von diesem 1603 Hellas Putschius geschenkt; aus dessen
Händen gelangte es auf unbekannten Umwegen an den Greifswalder
Professor Saalbach, wurde dann von Jo. Chr. Wolf in Hambuig ge-
kauft und geriet mit dessen Bflchersammlung in die Stadtbibliothek
Hamburg.^
Modius hatte nur für die 11 Bücher Metamorphosen Vari-
anten eingetragen und zur Erklärung folgende Worte in seine Aus-
gabe geschrieben: Libros hos omnes XI de Asino aureo contuÜ cum
ÄtS. Stl. Bertini, optima illo quidem, sed in Charta, satis recenä
characterls genere; ex eo igitur sunt omnes variantes, quibus aut
nihil aut M litera adiuncta est. Arlae Postr. Kai. Octob. a. CD.D.
LXXXIX F. Modius.
Aber nicht nur die Kollation, sondern auch die kollationierte
Handschrift selbst ist erhalten, als Saint-Omer 653. Modius' An-
gaben über das Äußere stimmen: es ist eine Papierhandschrift des
15. Jahrhunderts. Dagegen täuschte er sich in der Beurteilung ihres
textkritischen Wertes. Hildebrand, der die Varianten sorgsam aus
der Hamburger Kollation herausnotierte, betonte, daß der Bertinianus
für die Textesherstellung nur in allerietzter Linie in Betracht käme.
Seit Keils Forschungen wissen wir, daß selbst diese Bestimmung zu
günstig ist.
3. Genealogia Flandrensium comitum. In der Hand-
schrift Saint-Omer 746 steht auf fol. 64' der Vermerk:«) mense Sep-
tembri anni MDXCIV. Fr. Modius Ariensis Canonicus.
In welcher Absicht sich Modius mit diesem Bande, dessen In-
halt sehr mannigfaltig ist,») beschäftigt hat, kann ich nur vermuten.
Wahrscheinlich hatten ihn die fol. 64^ — 68^ stehenden genealogischen
Aufzeichnungen angezogen. Sein Tagebuch*) und die einstmals ihm
») Die Provenienznotizen, aus denen diese Geschichfe hervorgeht, werden
mitgeteilt in der Apuleiusausgabe von G. F. Hildebrand I, Leipzig 1842, p. LXVI sq.
U.LXXIV.
*) Steinmeyer, Althochdeutsche Glossen IV 588.
') Vgl. die Beschreibung bei Steinmeyer a. a. O. 587 f. und im Katalog von
Saint-Omer S. 333 f.
*) Serapeum XIV 114, 124 und 134.
Modius als Handschriftenforscher. 115
selbst angehörige Handschrift Saint-Omer 730 zeigen sein lebhaftes
Interesse für die Genealogie der belgischen Adelsfamilien.
4. Isidorus Hisp. Etymologiae. Wie aus dem oben^ mit-
geteilten Briefe erhellt, beabsichtigte Modius eine Ausgabe der Ety-
mologiae. Zu diesem Zwecke kollationierte er z. B. eine Fuldaer und
auch eine S. Bertiner Handschrift. Denn der beim Einbinden und Be-
schneiden beschädigte Vermerk«) in der Handschrift Saint-Omer 642
saec. XII: Usus sum hoc exemplari et repperi medlocri rührt
doch wohl von Modius her. Man vgl. die Einträge in die Ambrosius-
und in die Symmachushandschrift.
5. Panegyrici latini. In seinen letzten Lebensjahren verglich
Modius in Saint-Bertin eine Panegyrikerhandschrift und beabsichtigte
mit Hilfe des so gewonnenen Materiales bei Moretus») in Antwerpen
eine Neuausgabe zu veranstalten. Am 1. August 1596 schrieb er
darüber an Lipsius:*) Meditabar sie quoque tarnen extrudere hac
aestate Panegyricas meas lectiones, tibi multae, uti spero, non con-
temnendae delectaöunt te emendationes et castigationes bonae ex
Ubro scripto Bertinlensi non ninUs bona illo qtUdem, sed tarnen tali,
ut mihi ad eas faculam praeluxerit, nisi Moretus . . . Ubrum hoc
quidem tempore formis excudere gravaretur. Das Anerbieten, seine
Arbeit zu drucken, das ihm Henricus Stephanus gemacht hätte, er-
schiene ihm zu unsicher, er wollte lieber warten, bis Moretus bereit
wäre.*) Leider starb er, ehe er den Plan ausführen konnte. Doch
ging seine Arbeit der Wissenschaft nicht ganz verioren. Eine Kolla-
tion des Bertiniensis, die Modius an Welser nach Augsburg geschenkt
hatte, gelangte in den Besitz von Johannes Livineius und dieser ver-
wertete sie für^seine Ausgabe, die 1599 in Antwerpen erschien.«)
Hier wurden mit Sorgfalt und Geschick die Lesarten, die Modius aus
der Handschrift notiert hatte, am Rande angegeben.
Die Handschrift selbst ist niemals wieder aufgetaucht
Während Baehrens^ sie dem gleichfalls veriorenen Moguntinus
als gleichwertig an die Seite stellte, hat neuerdings Noväk«) behauptet,
>) I Beilage 3.
*) Vgl. Catalogue g^n^rale ... des biblioth^ques des d^partements UI 642.
>) Nachfolger des Chr. Plantin.
*) Burmann a. a. O. I ep. CV.
») Vgl. auch Seibt a. a. O. 47.
*) Vgl. sein Widmungsschreiben an Marcus Welserus.
T Panegyrici Latini, Leipzig 1874, p. XVIII sq.
*) ktsU Museum filologick^ VII (1900) S. 163 f.
8*
116 P.Lehmann,
dafi wie alle sonst bekannten Handschriften auch der Bertinianus aus
dem Mainzer Exemplar geflossen und zwar wahrscheinlich nicht
direkt, sondern durch Vermittlung des Upsaliensis. Diese Auffassung
ist nicht ganz unbedenklich. Da die jetzt in Upsala liegende Hand-
schrift, wie man bestimmt weiß, im Jahre 1458 in Mainz geschrieben
ist, könnte der Bertinianus erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. an-
gefertigt und müßte dann nach Artois verschlagen sein. Vielleicht trifft
man das Richtige, wenn man nicht eine Abhängigkeit von der Mainzer
Handschrift behauptet, sondern ihre Übereinstimmungen mit der Annahme
erklärt, daß beide, der Moguntinus und der Bertinianus, aus einer Vorlage
geflossen sind. Derartige Fälle sind in der Überlieferungsgeschichte
durchaus nicht selten und gerade die Handschriften von Saint-Bertin
und Mainz geben dafür ein Beispiel: der „Quadratus** des Lucretius
(Leiden, Voss. 4° 94) stammt aus Saint-Bertin, der „Oblongus" (Leiden,
Voss. 2° 30) aus St. Martin in Mainz.
Nebenbei sei bemerkt, daß die Lesarten zu den Panegyrid, die
Modius in den Briefen 25 und 79 der Nov. Lect mitgeteilt hatte,
nicht aus einer Handschrift genommen, sondern, wie er S. 118 f. aus-
drücklich sagte, durch Konjektur gewonnen waren.
6. Sallustius de hello Jugurthino und de coniuratione
Catilinae. Modius vermittelte dem Janus Palmerius Mellerus die
Kenntnis eines Sallustiuscodex, dessen Lesarten dieser in seinem
»Spicilegiorum commentarius primus", Mainz 1580, oft anführte. Er-
weist sich die Handschrift danach auch nicht als besonders rein, so
glaube ich dennoch nicht, daß sie mit der in Saint-Omer als Ms. 757
befindlichen S. Bertiner Handschrift identisch ist, die erst im 16. Jahrh.
angefertigt wurde.
7. Symmachus epistulae. C. Scioppius veröffentlichte in
seinen „Suspectae Lectiones" auch für diesen Schriftsteller einige
Varianten eines Codex Bertinianus, dessen von Modius angefertigte
Kollation ihm wiederum Marx Welser verschafft hatte. Ausführlichere
Mitteilungen machte er in seiner Ausgabe von 1608.
In neuerer Zeit war die Handschrift verschollen, bis sie R. Förster i)
in Saint-Omer 608 wiederfand, in einem Ms., das der Departements-
katalog«) fälschlich als „Libanius** verzeichnet hatte. Derselbe Ge-
lehrte konnte auf einen Eintrag») hinweisen, der die Benutzung ge-
>) Vgl. Rhein. Museum XXX (1875) S. 466 ff.
«) III 300.
•) Auf Grund der Notiz in den .Additions et corrections au catalogue des
mss. de la bibliotheque publ. de S.-Omer, publikes par la soci^t^ des antiquaires
Modius als Handschriftenforscher. 117
rade dieser Handschrift durch Modius erweist: Usus sunt et reperi
non pessimae esse notae anno MDXCIII. Fr. M. BrA) Ariensis
canonicus.
Die Handschrift entstammt dem 12. Jahrh. und entspricht viel-
leicht Becker 77204. Sie enttäuscht insofern, als sie nur eine der
weitverbreiteten Florilegienhandschriften ist, die keinen bedeutenden
Wert für die Textesherstellung haben.«)
S I E G B U R G.
Benediktinerkloster.*)
In die Bibliothek der Stiftung Annos von Köln treten wir zu-
sammen mit Eucharius Cervicornus, dem mehrfach genannten
sehr verdienten Kölner Drucker. Aus seiner Offizin ging im Jahre
1532 die Erstausgabe von dem Kommentare des Paschasius Radbertus
zu Jeremias hervor, deren textliche Grundlage eine Siegburger Hand-
schrift bildete. Aus den Worten des Widmungsbriefes muß man
schließen, daß bereits einige Jahre vorher der Abt Codices seiner
Klosterbibliothek zur Veröffentlichung hergegeben hatte. Leider konnte
ich näheres darüber bisher nicht ermitteln. Wohl aber vermochte ich
festzustellen, daß derselbe Verieger etwas später, im Jahre 1536, für
seinen Druck der Apokalypsenerklärung des Ambrosius Autbertus
neben anderen ein — damals schon des Einbandes beraubtes und
angefressenes — Siegburger Exemplar heranziehen durfte.
In der Reihe der gelehrten Benutzer der Siegburger Sammlung
folgt dann wiederum Petrus Crabbe.*) Er entnahm aus einer ihrer
Handschriften den Text des bis dahin noch nicht gedruckten „Liber
pontificalis", von dem er einzelne Abschnitte seinen Konzilsakten,
Köln 1538—1551, vorausschickte. «) Er führte im Register der Hand-
schriften den Codex mit folgenden Worten an: Ex monasterio fama-
de la Morinie', S.-Omer 1873, S. 62. Ich habe diese Nachträge vergeblich in den
deutschen Bibliotheken gesucht. Auch das Auskunftsbureau der d. Bibliotheken hat,
laut Mitteilung vom 13. August 1906, kein Exemplar nachweisen können.
*) = Franciscus Modius Brugensis.
«) Vgl. O. Seeck in den MG. Auctt. antt VI 1 p. XXVIII und XXXVI.
') Am gleichen Orte bestand auch ein Minoritenkloster; dessen Bibliotheks-
reste — 373 Bflnde gedruckter Werke — im Anfange des 19. Jahrh. in die Landes-
bibliothek Düsseldorf gekommen sind. Es existiert dort ein handschriftliches Ver-
zeichnis der bei der Säkularisation vorhandenen Bücher, das mir gütigst zur Ver-
^gung gestellt worden ist.
*) Vgl oben S. 82 und 86.
») Vgl. Mommsen, MG. Gesta pont. Rom. I, Berlin 1898, p. CVII.
118 P. Lehmann,
tissimo et antiquo Sigebergen. ordinis divi Benedicti non longe a
Bonna civitate Ubellus vitas summomm pontificum continens est
datus, quo etiam felicissime sunt usus. Die Handschrift ist jetzt
verschollen und war anscheinend auch schon 1554 nicht mehr in
Siegburg, als Caspar von Nidbruck^) nach ihr suchte. Quod de
libro, scilicet de vitis pontificum, quifuitprope Bonnam, scribis, fui
quidem in monasterio et omnes perlustravi, sed in eum librum non
incidi, nam monachus Ute compilator concUiorum non omnes libros
restituit, quod scio, schrieb er am 1. November 1554 an Matthias
Flacius Ulyricus.*) Sonstige Nachrichten über Nidbrucks Besuch in
Siegburg fehlen. Wohl aber weiß man, daß in derselben Zeit, viel-
leicht mit Nidbruck zusammen, Cornelius Gualtherus und Geor-
gius Cassander in Siegburg waren und für die Magdeburger Cen-
turien aus einer jetzt verschollenen Handschrift Briefe des Ivo von
Chartres und verschiedene Aktenstücke zur Staufergeschichte ab-
schrieben.») Die Originalabschrift ist in Wolfenbüttel, Aug. 27. 9. fol.
erhalten.*) Um 1560 kollationierte Franciscus Fabricius einen
Codex Sigebergensis des Q. Curtius Rufus, den nach zwei Jahrzehnten
auch Modius benutzen konnte. In derselben Zeit wie Modius oder
vielleicht noch früher stand Suffridus Petrus mit dem Kloster und
seiner Büchersammlung in Verbindung. Er zog für seine 1580 zu Köln
erschienene Ausgabe der »De illustribus ecclesiae scriptoribus authores
praecipul** als sechste Handschrift einen liber manuscriptus heran
ex Bibliotheca venerabilis Monasterii Sigebergensis, in quo erant
satis castigate descripti Hieronymus, Gennadius et Isidorus, Am
Ende des 16. Jahrh. durchsuchte der schon^) genannte Cornelius
*) t 1557; kaiserlicher Rat, bekannt als Förderer des Centurienwerkes, vgl.
darüber Schaumkell, Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Magdeburger Cen-
turien, Ludwigslust 1898, S. 20 ff.
') Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Oster-
reich XVIII (1897) S. 230.
») Vgl. Nürnberger im Neuen Archiv d. G. f. Ä. d. Geschichtskunde XI 25—30
und 32.
«) Nürnberger spricht sich über folgende Tatsache, die mir sehr aufgefallen ist,
nicht aus: nach H. Sudendorf, Registrum oder merkwürdige Urkunden für die
deutsche Geschichte II (Berlin 1851) p. VIII befinden sich in Hannover zwei Blätter,
auf denen sich eine Abschrift der Briefe des kaiserlichen Notars Burchard befindet,
die gleichfalls von Cassander oder Gualtherus zu stammen scheint In der Wolfen-
bütteischen wie in der Hannoverschen Kopie ist vermerkt: Ex libro epistolarum
Ivonis ex monasterio SibergensL
») S. 90.
Modius als Handschriftenforscher. ng
Schulung die Sammlung nach alten Breviarien und ähnlichen
Werken. In seiner Bibliotheca ecclesiastica, Köln 1599, IV 78, sagt
er: In antiqmssimis Bibliothecis Abbatlarum Benedictini Ordinis tU
S. Pantaleonis, Sigebergae et alibi passim inveniuntur MS, Missalia,
CoUectarü, Epistolares, Evangelistaria, Antiphonaria, Responsorialia,
Gradualia pulcherrime scripta, quorum quaedam mitte annos et
ampUüs excedunt, initia quorundam aureis literis depictae sunt, a
vetustate testanttir arrosae et detritae pergameni chartae .... Im
2. Teile S. 31 macht er Mitteilungen Ex homiliario vetusto Biblio-
thecae Siegeberg., tibi initio rtibeis literis sie habetur: ... S. 41 er-
wähnt er das Leben des heiligen Anno, das bekanntlich von einem
Si^burger Mönche verfaßt ist. Im 3. Teile S. 238 bemerkt er nebenbei:
CoUectas seu Orationes antiquas una cum precibus ad B. Mariam
Virginem ad singulos ex ordine psalmos adiunctis ex vetusto MS.
Codice Siebergensis [!] Bibliothecae ..... praetermisi et brevitatis
studio expunxL Und schließlich macht er im 4. Teile S. 194 auf eine
Handschrift der Gedichte des Venantius Fortunatus aufmerksam:
Magnum volumen carminum Fortunati MS, necdum editum extat
in Bibliotheca Abbatiae Siegebergensis . . ., qui Codex MS. dignis-
simus est, qui in lucem proferatur aliquando. Wohl auf diese An-
regung hin verwertete der Jesuit Christophorus Browerus^) die
Handschrift für seine Ausgabe des Venantius Fortunatus, Mainz 1603.
Dann verhallt die genauere Kunde von Siegburgs Bücherschätzen.
Aber noch im 18. Jahrh. stand die Bibliothek in gutem Rufe, ohne
daß sie damals intakt gewesen sein müßte. Der Literarhistoriker des
Benediktinerordens Ziegelbauer erkundigte sich bei Oliverius Legi-
pontius, einem vorzügHchen Bibliothekenkenner, und erhielt 1740
die wenig tröstliche Antwort:«) DE SIGEBERGENSI Bibliotheca
olim locupletissima nihil impraesentiarum habeo, quod referam, nisi
quod iaceat plane neglecta , . .
Die Reste der Sammlung kamen im Anfange des 19. Jahrh.
in die Landesbibliothek nach Düsseldorf. Nach dem damals auf-
genommenen Verzeichnisse*) fand man nur 874 Bände, meist theo-
logische Druckwerke des 16. bis 18. Jahrh. vor. An Handschriften
konnte nur ein vollständiges Adreßbuch und eine Vita S. Annonis
Archiepiscopi Colon, verzeichnet werden. Letztere ist die aus dem
^) t 1617, vgl. ADB. m (1876) S. 368 ff.
«) Historia rei litter. O.S.B. I, Augsburg und Würzburg 1754, S. 511.
») Es wurde mir im Herbst 1906 von der Düsseldorfer Landesbibliothek be-
reitwilligst zur Benutzung ins Stadtarchiv Braunschweig übersandt.
120 P« Lehmann,
12. Jahrh. stammende numnehrige Düsseldorfer Handschrift nr. 65.^
Man geht gewiß nicht fehl, wenn man in ihr die schon 1599 von
Schulung erwähnte Handschrift erblickt.
Losgelöst von diesem Restbestande hat sich noch eine Sieg-
burger Handschrift in der königlichen Bibliothek zu Brüssel als
Manuskript no. 5354 — 61 saec. X erhalten. Er ist der von Schul-
ung und Browerus benutzte Codex mit den Gedichten des Venantius
Fortunatus.«) Er war vormals im Besitze der BoUandisten; wie er
in ihre Hände kam, ist unbekannt. Äufierdem befindet sich in Wien
als Pal. 1879 ein Psalterium .... in usum monasterii Slegebergensis,
saec. XII.»)
Dafi die Bibliothek einst auch Klassiker besafi, bezeugen Modius'
Mitteilungen. In den Nov. Lect nennt er Siegburg unter den 1578/79
besuchten Stätten. Die von ihm gelegentlich erwähnten Handschriften,
von denen sich keine einzige erhalten hat, sind:
1. Q. Curtius Rufus historiae de Alexandro Magno.
Vgl. Modius* Worte in der Vorrede zu den Curtiusnoten, Köln 1579:
unum [sc, scriptum manu exemplar] Sigebergensis abbatiae misit ad
me C. V. Carolus Utenhovius,^) Nieulandiae dominus, quo Fran-
ciscum Fabricium olim usum esse aiebat. verum ab hoc uti adiutum
me aliquot locis non nego, ita Colonienses membranas bonUate, quae
tota fere in antiquitate est, longe Uli praestitisse non invitus pro-
fiteor. utinam tamen quemadmodum hunc Sigebergensem codicem,
ita et alios, quibus in Curtio emendando idem Fabricius usus fertur,
bona aliqua fortuna ad me domum detulisset. fuissent fortasse in
eis^ quorum nos minime paeniteret.
Die erwähnten Arbeiten des Franciscus Fabricius Marcoduranus
über Curtius haben sich leider nicht erhalten. Auch andere Gelehrte
waren auf sie aufmerksam geworden, wie man aus folgender Stelle
eines Briefes entnehmen kann, den am 16. Januar 1576 Gerhard Falken-
1) Vgl. Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde XI (1858) S. 752 und MG.
SS. XI 514—518.
«) Sic ist von dem letzten Herausgeber F. Leo MG. Auctt. antt. IV 1 (1881)
nicht verwertet Im Brüsseler Katalog von van den Gheyn II 293 steht als Pro-
venienznotiz Conventus Sigebert, Meine Vermutung, daß es sich nur um einen
Lese- oder Druckfehler für Conventus Sigeberg handelt, sehe ich durch Bethmanns
Angaben im Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde VIII 495
bestätigt.
») Vgl. den Katalog der Miniaturcnausstellung, Wien 1901, S. 12.
<) Vgl. oben S. 40 und 63.
Modius als Handschriftenforscher. 121
bürg an Bonaventura Vulcanius geschrieben hat:*) De Curtio Fabri-
ciano nihil tibi possum promittere. Non enim id in potestate est
Utenhovii nostri, sed vidaae, quae de lucro ex maritis faciendo
cogitat. Eundem fnistra petiit H. Stephanus noster. Sed, quid agas
cum imperitis nuäierculis et quidem viduis?
Modius macht in den Noten ziemlich häufig Mitteilungen aus
der Handschrift, die er seinerzeit wohl gesehen, aber nicht kollationiert
hat, sie scheint zu der Gruppe von Handschriften zu gehören, als
deren ältester Vertreter der Codex Coloniensis angesehen wird.«)
2. Fulgentius Plane, mythologiae. Modius berichtet in
den Nov. Lect. 275, daß er eine Fulgentiushandschrift aus Siegburg
habe benutzen können, — tribus aliis aeque antiquitatis codicibus,
quibus olim Lovanii a Gemblacensibus et nuper Coloniae a metro-
politanae ecclesiae bibliothecae praefectis et abbate Sigebergensi
usus sunt, — gibt aber nirgends eine Lesart daraus an.
3. Sallustius de hello Jugurthino und de coniuratione
Catilinae. Janus Palmerius Mellerus schreibt in seinem „Spid-
legiorum commentarius primus", Mainz 1580, fol. 17": De librisanä-
quis [sc. SaUustii\ ne ignores nulium inspexi; tres in totidem Ab-
batiis repertos et accuratissime a se collatos Franciscus Modius
Brugensis, adolescens doctus quem de edito Curtio nosse potes,
mecum communicavit: unum Sigebergensem mea causa diligenter
legit amicus meus loannes Guilhelmus Lubecensis, reliqui domi
C. Hieronymi Berchemii fuerunt. Im folgenden werden dann häufig
Stellen aus einem liber Thosanus, Bertinianus, Sigebergensis und
zwei Colonienses angeführt. Ob Modius auf den Sigebergensis auf-
merksam gemacht und Mellerus zu der nochmaligen Kollation durch
Gulielmus veranlaßt hat, ist mir nicht ganz klar geworden. Außer
S. Bertin und Ter Doest wird nur noch die eine Abtei Siegburg als
Lagerungsstätte der benutzten Handschriften genannt. Mellerus redet
aber von dreien, die Modius Sallusttexte geliefert hätten.
TER DOEST.
eist ercienserk lost er.
Aus dem 16. Jahrh. kommen nur späriiche Nachrichten über die
Benutzung von „libri Thosani". Cornelius Gualtherus verweist
in den Noten seiner Hegesippusausgabe, Köln 1559, für die „Ana-
^) lUustrium et daronim virorum epistolae selectiores superiore saeculo scriptae
vel a Belgis vel ad Beigas, Leiden 1617, S. 680 f.
«) Vgl. oben S. 95.
122 P- Lehmann,
cephaleosis" häufig auf eine Handschrift, die er p. 670 näher be-
zeichnet als: Codex manuscripttis, quem nobis suppeditavU mona-
sterium ordinis Cisterciensis prope Bnigas in Flandria, vtägo Ehest
nuncupatum.
Jacobus Pamelius zitiert in seiner Cyprianusausgabe von
1568 einmal einen Wiegendruck mit dem Bemerken vidi in biblio-
theca Thosana. L. Carrio benutzt in den Noten seiner Sallustius-
ausgabe, Antwerpen 1579, einen Priscianus aus Ter Doest, während,
wie wir sehen werden, F. Modius dort einen Curtius und Sallustius
vergleicht.
In größerem Maßstäbe führten im 17. und 18. Jahrh. die Bol-
landistenO und Mauriner*) „libri Thosani" an, und deVisch ver-
weist mehrfach auf solche in seiner Bibliotheca Cisterciensis, Köln 1649.
Schon als Modius die Bibliothek*) besuchte, war sie sehr ver-
armt; in den Religionswirren des Jahres 1571 wurde die Abtei fast
völlig zerstört und damit wohl auch die Hauptmasse der Bücher. Die
Mönche flüchteten sich nach ihren Niederiassungen in der Stadt
Brügge. 1624 wurde ihr Brügger »refugium Thosanum* den gleich-
falls (1578) vertriebenen Cisterciensem von Ter Duyn überwiesen
und nun ein neues „monasterium Dunense* innerhalb Brügges
erbaut.
Bei der Vereinigung der beiden Klöster wiu-den auch die Biblio-
theksreste verschmolzen und auf diese Weise eine statüiche Samm-
lung hergestellt, von deren Handschriften ein 1638 angefertigtes Ver-
zeichnis voriiegt.*) Seit der napoleonischen Zeit befmdet sich die
Bibliothek zum größten Teil in der Stadtbibliothek von Brügge (etwa
470 Handschriften), ö) einzelne (etwa 50 Handschriften) sind im
») Vgl. z. B. Acta SS. Aug. III 229.
«) Vgl. z. B. Voyage litt^raire de deux religieux b^n^dictins etc II, Paris 1744,
S. 192.
*) Vgl. für das Folgende: A. Voisin, Documents pour servir k V histoire des
biblioth^ques en Belgique, Gent 1840, S. 108—118. — Annales de la sod^t^
d'^mulation de la Flandre occidentale II, Bruges 1840, S. 147—168. — Analecta Bol-
landiana X (1891) S. 453—466.
*) Sanderi Bibliotheca Belgica raanuscripta. Lille 1641, S. 150—207. Es sind
nicht, wie Voisin u. a. behaupten, 1025 Bände verzeichnet, sondern nur soviele Schriften,
von denen mehrere unzweifelhaft oft in einem Codex vereinigt gewesen sind.
^) Vgl. Laude, Catalogue des mss. de la bibliotheque publique de Bruges,
Bruges 1859. — Die Ter Doester und Ter Duyner Provenienz ist nicht immer unter-
schiedlich angegeben. Anscheinend ist die Zahl der aus Ter Doest erhaltenen Hand-
schriften geringer.
Modius als Handschriftenforscher. 123
bischöflichen Seminar zurückgeblieben, ^) das 1833 in den Räumen
der ehemaligen Abtei gegründet wurde.
Zur Zeit der Bibliotheksbenutzung durch Carrio und Modius
wird sich die Sammlung wohl noch in Ter Doest selbst befunden
haben. Die von Modius namhaft gemachten Handschriften sind:
1. Q. Curtius Rufus historiae deAlexandro Magno. Vgl.
die Vorrede zu den Noten der Curtiusausgabe: Nam etsi non indi-
Ügenter eum scriptorem olim cum manu exarato codice, quem ab-
batiae thosanae aliquando fuisse Uquei, contuleram. . . . Leider wird
der Codex in den Noten sellbst nicht ein einziges Mal besonders
angeführt. Jedenfalls befinden sich unter den durch allgemeine Aus-
drücke wie membranae, libri veteres etc. eingeführten Lesarten auch
manche aus dem Thosanus stammende. Vielleicht ist der Codex mit
dem mehrfach z. B. S. 144 als ms. meus zitierten identisch. Will
Modius mit dem aliquando fuisse tiquet auf die Obersiedlung der
Bibliothek nach Brügge oder auf die Entfremdung des Codex
deuten?
2. Sallustius de hello Jugurthino und de coniuratione
Catilinae. Modius selbst hat die Kollation nicht verwertet, wohl
aber Janus Palmerius Mellerus, der den „Codex Thosanus" an etwa
25 Stellen seines „Spicilegiorum commentarius primus" zitiert.
Beide Handschriften smd heute verschollen, bereits das Sandersche
Verzeichnis von 1638 (s. oben) registriert weder einen Curtius- noch
emen Sallustiuscodex.
WUERZBURG.
Die wissenschaftliche Ausbeutung der reichen Würzburger Biblio-
theken begann eigentlich erst mit J. G. von Eckhardts,*) des
Leibnizschülers, hochbedeutenden „Commentarii de rebus Franciae
Orientalis*, Würzburg 1729. Von früheren Benutzungen hört man
nur wenig: um 1555 besuchte der emsige Gehilfe der Centuriatoren
Marcus Wagner«) die Büchereien von St. Jacob und St. Stephan;
1581 — 1584 forschte Modius in Würzburg nach Handschriften. Er
1) Liste der dortigen Handschriften in den angeführten Annalen S. 157—168.
Aufierdem befinden sich einzehie Handschriften von Ter Duyn in Bedin, Brüssel,
Cambridge (Univ.) und Leiden.
•) Vgl oben S. 91.
*) 1 1597. Wagner hat zahlreiche Bibliothelcsreisen gemacht, die ihn bis nach
Schottiand führten. Vgl. über ihn J. W. Schulte, Beiträge zur Entstehungsgeschichte
der Magdeburger Centurien, Neisse 1877, S. 94—148.
124 P- Lehmann,
mag auch andere derartige Sammlungen gekannt haben, erwähnt
aber nur die von St Stephan und vom Dominikanerkloster.
Beider Bibliotheken Geschichte ist weder in älterer noch in
neuerer Zeit untersucht. Ihr Handschriftenbestand, der im 18. Jahrb.
als bedeutend gerühmt wird,') ist 1803 an die Universitätsbibliothek
Würzburg gekommen, einiges aber vorher verstreut, wie die be-
rühmte Handschrift von Hrabanus Maurus de sancta cruce, die aus
dem Stephanskloster nach Wien (Pal. 652) gekommen ist,«) wie der
IWer S. Stepharü in Rom (Pal. lat 217) und der nach Erfurt ver-
schlagene gleich zu erwähnende Senecacodex der Dominikaner.
a) Dominikanerkloster,
1. und 2. Seneca de dementia und epistolae ad Lu-
cilium. Im 21. und 49. Briefe der Nov. Lect wurden von Modius
15 Stellen des «über de dementia* ex libro membranaceo scripta
Domimcanorum Wärzeburgensium «) emendiert. Dieselbe Handschrift
konnte zwischen 1584 und 1588, dank der Vermittlung von Joachimus
Camerarius (f 1598), der französische Arzt und Philologe Dalechampius*)
benutzen. In dessen lange nach seinem Tode (1588) veröffentlichter
Senecaausgabe, Genf 1628, findet sich in der Liste der benutzten
Handschriften und Drucke folgende interessante Notiz:
Codex Germanicus excusus Tamisii anno
1568.
Codex manascriptus Abbatiae Sancti Ste-
phani Herpibolensis [!] quo usum fuisse
perspicacis ingenii virum Fr. Medicum [!]
ostendant ipsius Novantiquae Lectiones.
Codex M.S. Dominicanonim Herbipolensiam.
Bisher haben die Forscher die von Modius und Dalechampius
benutzte Dominikanerhandschrift^) für verioren gehalten. Es ist sehr
*) Vgl. Qercken, Reisen durch Schwaben, Bayern u. s. w. II, Stendal 1784,
S. 347 ff., und Hirsching, Versuch einer Beschreibung sehenswürdiger BiblioUieken
Teutschlands I, Erlangen 1786, S. 279—287 und 293—296.
•) Die Wtirzburger Provenienz der Handschrift ist mir nur bekannt aus dem
Katalog der Miniaturenausstellung, Wien 1901. S. 10.
•) A. a. O. 99, ebenda 223 heißt es: in libro scripto, quo hie Merbipolensi a
Dominicani Ordinis religiosis usus sunt.
*) 1513—1588; Nouv. biogr. univ. XII (1855) Sp. 804 ff.
•) In der Genfer Ausgabe der Schrift .de dementia* sind die Varianten der
Handschrift am Rande ftiit den Ktirzungen : Dom., Domi., Domin. und Domini. be-
zeichnet.
Hos tres Codices Jo-
cuhimvLs Norimber-
gensis Medicus No-
bilis nobis procu-
ravit
Modius als Handschriftenforscher. 125
fraglich, ob mit Recht. Denn wie aus Schums*) und Hosius'«) Be-
schreibung erhellt, trägt die Erfurter Handschrift 4° 3, saec.XII, (A)auf
fol. 1' den Vermerk: Sunt Dominicanorum Herbipolensium und enthält
auf fol. 95^ — 110 „Seneca de dementia*. Auch die Obereinstimmung
in den Lesarten macht es wahrscheinlich, dafi dies das von Modius
und Dalechampius benutzte Exemplar ist. Durch Ausfall der letzten
beiden Blätter fehlt jetzt der Schluß des Traktates, der um 1585 noch
vorhanden gewesen sein muß. Wie die Handschrift nach Erfurt ge-
kommen ist, steht nicht fest, jedenfalls nicht mit der Sammlung des
Amplonius Ratinck.
Der Erfurtensis enthält außer diesem Werke Senecas fol. 11 — 95'
seine Briefe an Lucilius, und da Modius z. B. S. 102 den Text der
Briefe ex membranis Dominicanorum verbessert, so liegt die Ver-
mutung nahe, daß wir in der Erfurter Handschrift auch die Quelle
der modianischen Lesarten dieses Textes vor uns haben. In der Tat
scheint das aus den Varianten sich zu ergeben.^) Man darf jedoch
nicht übersehen, daß die Würzburger Dominikanerhandschrift in Erfurt
nur ep. 1 — 52 bietet und nie mehr enthalten hat, daß andererseits
Modius aus seiner Würzburger Dominikanerhandschrift Stellen des
66. (S. 575) und 68. Briefes (S. 102) anführt. Die hierdurch entstehende
Schwierigkeit ist vielleicht durch die Annahme lösbar, daß Modius
zwei Codices der Dominikanerbibliothek benutzt hat, von denen nur
der eine vorzugsweise für die Schrift „de dementia* benutzte auf
uns gekommen ist
Aus einer anderen Stelle der Nov. Lect.*) wissen wir ja auch, daß
Modius für die Senecabriefe drei Würzburger Handschriften heran-
gezogen hatte. Remitto tibi, schreibt er am 29. Juli 1582 an Posthius,
anücissime Posthii, tres illos membranaceos manu exaratos episto-
lamm Senecae . . . Codices, quorum mihi tua intercessione usus nuper
concessus fuit, ut tu apud eorum dominos communem fidem nostram
Uberes ! . .
Von diesen würden also, wenn unsere Vermutung stimmt, zwei
aus dem Dominikanerkloster beschafft sein.
^) Beschreibung der Amplonianischen Handschriftensammlung in Erhirt, Berlin
1887. S. 287 f.
') In seiner Ausgabe I 2, Leipzig 1900, p. XIII.
') Die Obereinstimmung modianischer Lesarten mit entsprechenden in A hat
z.B. Roßbach, De Senecae phil. librorum recensione et emendatione, Breslauer
philol. Abhandl. II 3 (1888) S. 60 Anm. 53, beobachtet, ohne jedoch die Würzburger
Provenienz von A zu kennen.
*) S. 5.
126 P- Lehmann,
b) St Stephanskloster,
1. Seneca epistolae ad Lucilium. Neben den membranae
Dominlcanomm werden häufig auch solche aus St Stephan zitiert,
die ebenfalls die Briefe enthalten haben sollen. Z. B. S. 262 (zu
Senecae ep. 65) quod erat in S. Stephani Ubro veteri, S. 263 (zu Sen.
ep. 69) S. Stephani membranae, S. 537 (zu Sen. ep. 50) ita, inquam,
codex S. Stephani, quo tamen hoc parte deteriorem non esse exi-
stimo Dominlcanomm alium libram. u. a. — Desgleichen finden sich
am Rande der aus Dalechamps Nachlafi veranstalteten Ausgabe (s. o.)
viele Lesarten aus dem Codex 5. Ste., oder S. Steph., oder S. St.
Während Fickert und Janus behaupteten, alle von Modius kollatio-
nierten Senecahandschriften wären verloren, wies Roßbach auf Würz-
burg theol. q. 16. saec. XII als auf eine der modianischen hin.
Die einzelnen Lesarten stimmen im grofien und ganzen überein.
Dennoch zweifle ich an der Identität, weil der Würzeburgensis theol.
9. 16, wie der nahe verwandte Erlangensis nur die Briefe 1 — 66 wieder-
gibt, Modius aber auch für ep. 69 S. Stephani membranae zitiert
(S. 263), ebenso Dalechampius für ep. 68.
Man wird nicht umhin können, Modius' Codex S. Stephani als
verloren zu betrachten. Man darf sich nicht durch die weitgehende
Übereinstimmung in einzelnen Lesarten irre machen lassen, da es ja
nichts Auffälliges an sich hat, wenn zwei Codices desselben Klosters
nahe textiiche Verwandtschaft aufweisen. Der eine ist eben die kh-
Schrift des anderen, oder beide stammen aus gemeinsamer Vorlage.
Die Dominikaner- und Stephanhandschriften werden von Modius
nur an einzelnen Stellen äufieriich voneinander geschieden. Im ganzen
emendiert er im 3., 21., 36., 58., 70., 111., 120., 123, 127., 130., 132.
Briefe der Nov. Lect. 137 Stellen der Briefe 1—83. Sämtiiche Hand-
schriften gehörten also aller Wahrscheinlichkeit nach dem Überiieferungs-
zweige an, der nur die Briefe 1 — 89 bietet.
2. Seneca de beneficiis. An 20 Stellen der Nov. Lect. Br. 29
und 85 werden von Modius die ersten 4 Bücher des Tractates ,de
beneficiis" emendiert. Die Handschrift nennt er z. B. S. 136:
Non allter In m. s. membranaceo codlce, quo ab abbate S. Ste-
phani Wilrzeburgl usus sum, reperiri , . .
Auch Dalechampius führt häufig — öfter als Modius — Les-
arten mit dem Abzeichen St Ste. u. dergl. an, aber auch nur zu
*) A. a. O. 60.
Moditts als Handschriftenforscher. 127
Buch 1 — 4. Da er in seiner Handschriftenliste nur 1 Codex S. Ste-
phani verzeichnet, der demnach, wie nicht selten, die Briefe und die
Schrift ,,de beneficiis* enthalten haben mufi, so spricht auch dies
dafflr, daß die Würzbuiger Handschrift theol. q/ 16, die von Senecas
Werken nur die Briefe enthält, nicht die von Modius und Dalecham-
pius herangezogene Handschrift ist.
B. Handschriften einzelner Personen.
FRANCISCUS MODIUS.
Auch Modius' eigene Bibliothek muß in den Kreis unserer Be-
trachtung gezogen werden. Wir kennen ihren Umfang und Inhalt
aus zwei Verzeichnissen. Das eine stammt etwa aus dem Jahre 1588
und befindet sich in dem Enchiridion des Gelehrten im Münchener
G>dex gall. 399.^) Demnach war Modius damals im Besitze von
ungefähr 300 Bänden. In der Hauptsache waren es Ausgaben römi-
scher Schriftsteller, die, nach Ausweis des Kataloges, häufig mit Kol-
lationen versehen waren, femer gelehrte Eriäuterungsschriften und andere
philologische Werke; außerdem historische und juristische Schriften
und schliefilich neuere schöne Literatur in verschiedenen Sprachen.
Als Handschriften sind im Kataloge gekennzeichnet: 1. Cassiodori
variae, foL 2. Ennodii epistolae, 4^. 3. Idvii contiones, 4^. 4. Ovidii
metamorphoses, 4^. 5. Qmntilianl declamationes , 4^. 6. Sal-
vianus, 4^.
Als Modius am 23. Dezember 1587 in Bonn gefangen genommen
wurde, fiel auch em Teil seiner Bibliothek den Räubern in die Hände.
Er mufite dafür und für die erbeuteten Kleidungsstücke 19 Taler Löse-
geld zahlen. >) Zu seinem Glücke hatte er die Hauptmasse in Frank-
furt zurückgelassen, wo sie noch 1590 war.») Vermutlich ist dieser
größere Teil der Sammlung erst 1593 nach Aire geschafft worden.
Einzelnes ist allerdings auch dann noch in Frankfurt zurückgeblieben,
sei es aus Zufall, sei es auf Grund einer besonderen Bestimmung.
Zu den damals zurückgelassenen Büchern gehören die unten ^) zu
besprechende verlorene Martialishandschrift und die Martialiskollationen
1) Abgedruckt im Serapeum XIV 100—108, vgl. auch Seibt a. a. O. 49 f.
') München, gall. 399 fol. 75 v: Vicissim domino Decano reliqui actionem
19 thalerorum pro redemptione Ubrorum et vestium quae habebam pignori Bonnen-
sibus redimenda,
») Vgl. Stuttgart, Hist FoL öOSeoo.
^ S. 135 f.
128 P* Lehmann,
in Leiden und London, vielleicht auch die Vegetiusausgabe in
München.!) Anderes scheint Modius seinem Augsburger Freunde
Welser geschenkt zu haben.«)
Die in Aire befindliche Bibliothek gelangte nach Modius' Tode
(1597) an Richard de Pan, der eine Zeitlang mit Modius zusammen
Kanonikus in Aire gewesen war und 1598 nach dem benachbarten
Saint-Omer übersiedelte. Hier in Saint-Omer yurde 1605 von un-
bekannter Hand ein neues Verzeichnis aufgenommen, das vor einigen
Jahren von A. Roersch aufgefunden und herausgegeben ist>) Es trägt
den Titel:
Ubri qiü fuerunt Francisci Modii et sunt 1605 in manu
D. Richardi de Pan archediaconl Audomarensis prius canonici
Arcensis.
Bald nach dem Tode dieses Besitzers im Jahre 1614 wurde
die Sammlung, wie es scheint in alle Winde verstreut. Bisher haben
sich nur ganz wenige Bücher aus ihr in Saint-Omer,*) Brüssel*) und
Gießen«) wiedergefunden. Ich halte es jedoch für höchst wahrschein-
lich, daß noch sehr viele Modiana verboigen liegen, die dereinst vielleicht
ein glücklicher Zufall ans Tageslicht fördern wird. Man muß den Ver-
lust aufs tiefste bedauern und mit Spannung der VTiederentdeckung
und Wiederherstellung der Bibliothek harren, wenn man an die vielen
mit Kollationen versehenen Ausgaben denkt, die in den beiden Kata-
logen verzeichnet sind.
Auch das Verschwinden der Handschriften ist bedauerlich. Außer
mehreren KoUektaneenbänden, die uns, wenn sie erhalten wären,
interessante Einblicke in Modius* Arbeitsweise geben würden, findet
man in dem jüngeren Verzeichnisse folgende Handschriften.^)
») Vgl. oben S. 61.
«) Vgl. oben S. 69, 77, 79 f., 114, 115 und 116.
*) La biblioth^que de Fran^ois Modius et de Richard de Pan, Saint-Omer
1900, S. 15-25.
*) Außer dem Ms. 730 ein Exemplar der .Batavia' des Hadrianus Junius.
Vgl. Roersch a. a. O. 5 f. — Auf meine Anfrage hin hat mir die Bibliotheksverwal-
tung von Saint-Omer mitgeteilt, daß ihr, von diesen abgesehen, keine Bücher des
Modius in ihrer Sammlung bekannt wären.
») Vgl. unten S. 132 ff.
«) Vgl. unten S. 132.
Ich kann aus dem Kataloge natürlich nur die Bücher anführen, die aus-
drücklich als Handschriften bezeichnet werden. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen,
daß sich auch unter den anderen Büchern noch Handschriftliches befand.
Modius als Handschriftenforscher. 129
1. Antonii Astlefani civ. estensls^) III. Aurel. ducis Karoli secre-
tarii de origine et vario statu Mediotani Msc.
2. Antonii Verratelli epistolae et alii de republic. germanic. msc.
3. Über manuscriptus varior. Tullii, Sallustü . . ., Petrarchae etc.
4. Ovidii heroides manuscript pergamen.
5. Herold, epistolae manuscript.
6. Epistolae PlinU maniiscriptae.
7. Über manuscriptus de herbis.
8. Über orationum manuscript.
9. über 4 scriptus a Modio in quo ad Isidor. correctiones.
10. Pars Valerii Maximi manuscript.
11. Epistolae beati Hieronymi manuscriptae.
12. Metamorphoses Ovidii manuscripti obl.
13. Copia verbor. Erasmi et alia 4^ M.S.
14. Timothei ad Ecclesiam libri IUI et Peregrini contra haereticos
et epistola Theophili de Pascha M. S.
15. Metamorphoses Ovidii M. S.
16. Epistolae heroid. M. S. non bona lit.
17. De tristibus M.S.
18. Fasti M.S.
19. Heroid. Ovidii M.S.
20. Silius Italicus de 2^ hello punico f actus a Modio M. S
21. Quaedam Cypriani et Petri Blosensis^) 4^ M.S.
22. über . ... de 4 virtutibus M. S.
23. Fabius QuintUUmus recentiore manu scriptus.
24. Seneca manuscript.
25. Aurelius Cassiodorus M.S, recent
26. Metamorphoses Ovidii fol. M.S.
27. Ennodius manuscript.
28. Ovid. de arte amandi M. S.
29. SaUustius pergam. M. S.
30. Quintilianus M.S. 4^.
31. Fasti M.S.
32. Fasti M.S.
Eine eingehende Besprechung widme ich nur den wenigen (3)
dieser Handschriften, die von Modius selbst oder zu seinen Leb-
zeiten für die Wissenschaft benutzt sind. Aufierdem habe ich aber
*) Vermutlich von Roersch verlesen für Antonii Astesani civis astensis.
•) Wohl versehentlich für Blesensis.
QueUeo n. Untersuch, z. lat. PhUologie des MA. m, 1. 9
130 P- Lehmann,
noch einige andere in Betracht zu ziehen, die sich in dieser Liste
nicht finden, aber nachweislich wenigstens zeitweise in Modius' Be-
sitze gewesen sind.
1. Arnobius adversus gentes. Die Schicksale der Amobius-
handschrift, die einige Jahre Modius gehört hat, sind sehr mannig-
faltig:^) in der Mitte des 16. Jahrh. erwarb sie Matthias Flacius lUyricus
aus dem Kloster St Michael in Lünebuig,') von ihm erbte sie seine
Witwe, die sich 1577 mit Henricus Petreus wieder vermählte. Petreus *
lieh sie Modius, den er wohl um 1580 in Frankfurt kennen gelernt
hatte.«) Auf Grund der von Modius angefertigten Kollation machte
G. Stewechius in seiner schon 1586 abgeschlossenen, aber erst lange
nach seinem Tode (1586) in Druck erschienenen Ausgabe, Antwerpen
1604,*) die ersten öffentlichen Mitteilungen aus der Handschrift
Später scheint Modius das ihm anfangs leihweise flberlassene Buch
geschenkt bekommen zu haben. Er behandelte es wenigstens ganz
wie sein Eigentum. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dafi er
es widerrechtlich zurückbehalten hat Denn vielleicht ist die Mit-
teilung, die Rochus Veldius am 11. September 1590 Johann Weidner
machte:*^) Scripsit ad me etiam humaniss, D. Petreus Scholae
nostrae quondam Rector, qui etiam conqueritur se D. Modio aÜquot
libros matuo dedisse quos nullibi invenio, mit auf den Arnobius zu
beziehen.
Auch Modius konnte sich des rechtmäßigen oder unrechtmäßigen
Besitzes nicht lange erfreuen. Sein ehemaliger Freund Carrio wußte sich
in des Eigentümers Abwesenheit die Handschrift zu verschaffen und
verzögerte die energisch verlangte Rückgabe bis zu seinem Tode am
17. August 1595. Und auch jetzt kam sie nicht an Modius zurück,
da sie der Testamentsvollstrecker, dem letzten Willen Carrios gemäß,
nach Antwerpen zu Laevinus Livineius schickte. Modius bat Lipsius
») Vgl. die Ausgabe von F. Oehler, Leipzig 1846, p. XXII und auch Seibt
a. a. O. 44—47.
«) Flacius' Bibliothek ist jetzt in Wolfenbüttel; mit ihr ist eine andere Hand-
schrift aus St. Michael dorthin gekommen: Heimst 141. Die meisten Handschriften
des Lüneburger Klosters sind jedoch in Göttingen und Hannover. Vergleiche das
Verzeichnis der Handschriften im preußischen Staate: Göttingen III 491.
») Petreus war 1577—1581 Rektor des Barfüßer Gymnasiums zu Fr. Vgl.
ADB. XXIV (1887) S. 519 f.
*) Vgl. C. T. G. Schönemann, Bibliotheca hist-liter. patrum latinorum I, Leipzig
1792, S. 164 ff.
») Stuttgart, Hist Fol. 603eoa.
Modius als Handschriftenforscher. 131
um Unterstützung, wurde aber von diesem im Stiche gelassen; Modius'
Tod machte dem widerlichen Streite ein Ende. Der Codex kam 1599
an das Jesuitenkolleg in Antwerpen, gelangte dann über Paris in die
Burgundische Bibliothek und gehört nunmehr als Ms. no. 10846/47
der königl. Bibliothek zu Brüssel.
Modius hatte seinen Amobius als membranaceum exem-
plar plane rarae et antiqtiae notae bezeichnet») Wie stimmt diese
Angabe zu der Reifferscheids:*) BruxelL, qui sextum decimum sae-
culum superare non videtur? In diesem Falle hat der moderne Ge-
lehrte Unrecht. Wie schon früher Oehler^) und neuerdings J. van
den Gheyn*) angegeben haben, stammt die Handschrift aus dem
12. Jahrh. Bei Reifferscheid liegt offenbar ein Versehen vor. Da-
gegen erklärt dieser mit Recht, daß der Bruxellensis für die Text-
kritik entbehriich ist, da er unmittelbar aus dem Parisinus reg. 1661
saec. IX geflossen zu sein scheint. Für die bibliotheks- und über-
lieferungsgeschichtliche Forschung ist jedoch das Vorhandensein dieser
Abschrift nicht ohne Belang. Wir müssen uns fragen, wie St. Michael
in Lüneburg zu dem im Mittelalter so außerordentlich seltenen Amo-
bius und wie gerade zu einer Kopie der jetzt in Paris liegenden
Handschrift kam? Diese interessante Frage ist mit der ebenfalls un-
gelösten nach der Herkunft eben dieses Parisinus verknüpft. Der
Präfekt der vatikanischen Bibliothek Faustus Sabaeus entriß ihn in
der Mitte des 16. Jahrh. der „Barbarei". Reifferscheid*) vermutete:
aus einer Schweizer oder deutschen Bibliothek. Der Zusammenhang
mit der Lüneburger Handschrift spricht für Deutschland.
2. Cassiodorus Variae. Von der in den beiden Katalogen ver-
zeichneten modianischen Cassiodorhandschrift wissen wir Genaueres
aus einer 1595 in Lyon bei Jac. Chouet erschienenen Sammelausgabe
von Schriftstellern zur Gotengeschichte. Neu «) waren in dem Bande
nur die Noten des Rechtsgelehrten P. Brosseus und einige von Modius
herrührende Beiträge. Diese bestanden einmal, wie im Titel ange-
^) Burmann a. a. 0. 1 111.
•) CSELIV(1875) p.Vm.
») L c p. XX.
*) Catalogue des Mss. de la bibl. royale de Belgique IT 20. Auf meinen
Wunsch hat der genannte Gelehrte die Handschrift nochmals untersucht und ist
dabei zu demselben Resultate wie zuvor gelcommen.
») A. a. O. p. VII.
*) Das übrige lag in der von G. Fomerius veranstalteten und Paris 1583
herausgegebenen Rezension vor.
9*
132 P- Lehmann,
deutet ist, in kurzen, den einzelnen Stücken der Variae voraus-
geschickten Summarien und in Lesarten, die an den Rand der Variae
und des ennodianischen Panegyricus (s. o.) gesetzt waren. Vße der
ungenannte Herausgeber zu Modius' Mitarbeit gekommen war, ist
zweifelhaft. Die Ausgabe selbst sagt darüber nichts. Auf der
15. ungez. Seite steht in einer Epistola ad candidum lectorem nichts
weiter als: Hohes {amice Lector) M. A, Cassiodorum multis locis
partim ingenio partim vetenim collatione, partim beneficio codicis
Francisci Modii doctissimi viri communicati restitutum . . Ich glaube
nicht an einen unmittelbaren Anteil des Modius. Vielleicht steht Jac.
Bongarsius in irgend einer Verbindung mit der Ausgabe, denn er hat
nachweislich an den Rand seines Exemplares der Pariser Ausgabe
von 1583 die ihm durch Sylburg vermittelten modianischen Varianten
des Panegyricus und der Variae eingetragen.*)
Die durch ein Kreuz ausgezeichneten Lesarten des Codex Modii
in der Editio Lugdunensis (1595) ermöglichten Th. Mommsen*) den
Schluß, daß die Handschrift der Universitätsbibliothek Gießen no. 83
mit dem Codex Modii identisch wäre, besonders deshalb, weil nicht
nur die einzelnen Lesarten zusammenfallen, sondern auch die Rand-
lesarten des Lyoner Druckes nur bis lib. VII, 1 reichen, wo der Text
der Gießener Handschrift abbricht. Zu Mommsens Annahme stimmt
auch, daß nach dem Kataloge der Codex Modii dasselbe Format
(fol.) hatte und ziemlich jung war, wie der Gießener Codex. Ich
sehe die Identifikation als berechtigt an, wenn mir auch der Weg
unklar ist, auf dem die Handschrift aus Modius' und Richard de
Pans Besitze mit der Senckenbergschen Sammlung in die Universitäts-
bibliothek Gießen kam. Nach gütiger Mitteilung von selten der Ver-
waltung dieser Bibliothek enthält die Handschrift keineriei Merkmale,
die auf Modius hinwiesen. Für die Herstellung des Varientextes be-
sitzt die Handschrift keinen selbstständigen Wert. Sie ist im 15. Jahrh.
geschrieben und wird von Mommsen in seine 6. Handschriftengruppe
verwiesen.
3.Ennodius epistolae, carminaetc. Unter den geplanten Aus-
gaben, von denen Modius am 22. Juli 1585 an Camerarius schrieb, be-
fanden sich auch Ennodii epistolae.^) VTir werden kaum mit der Ver-
mutung fehl gehen, daß ihn dazu die Handschrift angeregt hatte, die er
^) Vgl. Hagen, Catalogus codicum mss. Bemensium, Bern 1875, S. 521
und 529.
«) MG. Auctt antt. XU p. XCIII sq.
») Vgl. Teil I Beilage 3 und Ruland, Scrapeum XIV 122.
Modius als Handschriftenforscher. 133
1586 für seine »Pandectae triumphales* benutzte und dann auch in dem
Kataloge von 1588 verzeichnete. Wohl noch während seines Frankfurter
Aufenthaltes liefi er durch Sylburg, den Mitkorrektor, eine Kollation
des „Panegyricus in Theodericum* an Jac. Bongarsius gehen, der in
der Folge die Kenntnis der modianischen Handschrift für die oben
erwähnte Lyoner Ausgabe nutzbar gemacht zu haben scheint. 1605
finden wir den Codex in der Bibliothek Richards de Fan in Saint-
Omer; erst nach dessen 1614 erfolgten Tode ging er in den Besitz
der Jesuiten von Saint-Omer über. Vogel hat aus der Tatsache, daß
im Jahre 1607 der Jesuit Andreas Schottus eine Kollation anfertigte,
darauf geschlossen, daß die Handschrift schon damals an die Jesuiten
gelangt war. Der Schluß ist an sich unnötig und erweist sich auch
direkt als falsch durch eine von Roersch mitgeteilte Bemerkung.
Wann Heribert Rosweyde seine Kollation der „vita Epiphanii" gemacht
hat,«) ist nicht klar. Von Saint-Omer kam der Codex an die Jesuiten
nach Antwerpen und von da über Paris in die Burgundische Biblio-
thek. Heute trägt sie in der Königl. Bibliothek Brüssel die Num-
mern 9845—9848.»)
In diesem Manuskript hat uns Modius einen Ennodiustext über-
liefert, der für die Textgestaltung von einzigartiger Bedeutung ist.
Die Schrift des Bruxellanus ist kontinentale Minuskel des 9. Jahrh.
Seine eigentliche Herkunft ist nicht bekannt. Vielleicht stammt er
aus einer Kölner Bibliothek. Für diese Lokalisierung sprechen die
Notizen auf fol. 206^, die sich auf den — in Köln heimischen —
Kultus der 1 1 000 Jungfrauen beziehen, dafür auch Modius Aufenthalt
in Köln. Dagegen scheint die Benutzung der Handschrift durch den
Baseler Theologen Joh. Jac. Grynaeus, Basel 1569, zu sprechen.
Vogel traut ihm nicht zu, ,ut Codices ex remotis bibliothecis acqui-
sirit*. Ich halte es für recht gut möglich, daß ihm irgend ein in
Köln weilender Freund die Abschrift verschafft hatte. Vielleicht würde
1) La Biblioth^que de Fran^ois Modius etc. S. 8. In dem den Katalog ent-
haltenden Ms. befinden sich vier Blätter mit Abschriften aus der Handschrift, zu
denen bemerkt ist: in EnnodU manuscripto quodam haec continentur, qui fuit
Francisci Modii, nunc 1607 est D, Richardi de Pan Archediaconi Audomariensis
et officialis. Stammt die Kopie von Heribert Rosweyde?
«) Acta SS. Jan. ü, Antwerpen 1643, S. 364—377.
•) Vgl. für das Vorhergehende und Folgende Vogel in der Vorrede zu seiner
vorzüglichen Ausgabe MG. Auctt antt. VII (1885) p. XXXII— XXXVII. Seine Be-
merkungen über die Geschichte der Handschrift sind nicht ganz vollständig und
nicht frei von Versehen, die ich nicht im einzelnen hervorhebe.
134 P. Lehmann,
sich Genaueres aus dem umfangreichen Briefwechsel des Giynaeus
feststellen lassen, der in Basel aufbewahrt wird.
4. Lucanus Pharsalia. Nov. LecL 521 heifit es bei einer
Lucanstelle: Hie primum ex consilio membranarum non tuamm
magis, Weidnere, quam earum, quas meas oUm nunc donum habet
eruditissimas mlhique amicissimus Janas Gulielmus.
Meines Wissens hat Gulielmus keinen öffentlichen Gebrauch
von dieser Handschrift gemacht. Wir entbehren jeglicher fernerer
Nachricht.
5. Lucretius de rerum natura. Modius' Landsmann Janus
Mellerus führt in seinem „Spicilegiorum commentarius primus",
Mainz 1580, mehrmals Stellen aus Lukrez an. Darunter befinden
sich mindestens zwei, die aus einer Handschrift verbessert werden;
nämlich auf fol. 2'"-^ die Verse IV 600 f. und VI 349 f. Hierzu wird
bemerkt: sie in V.ißtere^ C.(pdieey doeti adoleseentis mihique amiei
Franeisei Modii. Genaueres wissen wir von diesem Codex Modii
aus Notizen, die N. Heinsius an den Rand einer zeitweilig im Besitze
des englischen Forschers Munro^ (gest. 1885) befindlich gewesenen
Ausgabe von 1575 geschrieben hat. Heinsius hatte seinerseits ein
jetzt verlorenes Exemplar der Pariser Ausgabe von 1565 benutzen
können, worin Modius Varianten angegeben und bemerkt hatte: Cot-
latus eum ms. meo 26. Junii 1579 Coloniae. Nach Munro war das
Buch von Modius an Nansius, von diesen an Gruterus, dann an
Lyraeus gekommen, der es Heinsius lieh. Die von Heinsius notierten
modianischen Lesarten stehen zu einem großen Teile auch in dem
Quadratus (B) Leiden, Voss. 4° 94, so daß Munro die Vermutung hat
aussprechen können, Modius' Codex und der Leidensis seien identisch.
Allerdings fehlen die Abweichungen nicht ganz, so daß man, will man
die Gleichheit der Handschriften aufrechterhalten, Modius (beziehent-
lich Heinsius) Ungenauigkeiten vorwerfen muß. Auch die von Pal-
merius angeführten Verse stimmen nicht ganz mit dem Texte von B
überein, so hat Palmerius IV 601 transviat für travolat.
Gewiß aber ist die Annahme der Identität nicht ohne weiteres
abzuweisen, wenn man mit den von Munro konstatierten Tatsachen
einige ihm unbekannte kombiniert, vor allem die, daß der Quadratus
einige Zeit Franciscus Nansius gehört hat.*) Da dieser Modius* Oheim
>) Vgl. den Textband von dessen Ausgabe, Cambridge 1886, S. 24.
«) Vgl. oben S. 111 f.
Modius als Handschriftenforscher. 135
und Vormund gewesen ist,i) kann man es sich sehr gut vorstellen,
daß der Codex von Modius an Nansius gekommen ist. Es ist zwar
nicht geradezu ausgeschlossen, daß Modius ihn von seinen Oheim
nur entliehen hatte, aber es ist doch unwahrscheinlich, da Modius
ausdrücklich von seiner Handschrift spricht und die Kollation in Köln,
also weit entfernt von Nansius' Bibliothek, vorgenommen hat. Ver-
mutlich hat er erst diese Kollation und dann die Handschrift seinem
Oheime überiassen und zwar vor 1588, da sich in den modianischen
Bibliothekskatalogen keine Lucretiushandschriften verzeichnet finden.
Die ftir die Überiieferungsgeschichte nicht wertlose Feststellung,
ob Modius eine verlorene Handschrift oder den Quadratus benutzt
hat, könnte vielleicht mittels einer Vergleichung der modianischen
Kollation mit der des Nansius in dem aus der Bibliothek des Isaak
Vossius stammenden Bande der Leidener Bibliothek, Hist 434, ge-
macht werden.
6. Martialis epigrammata. Dono dedit mihi his diebus Jo.
Weidnems noster manu exaratum Martialis codlcem, non quidem
vetustum omnino illum; quippe qui Romae anno demum CD. CCCC.
LXVIII. scriptas fuerit, sed haud dubie ex bonae plane notae exem-
plari expressum, schrieb Modius im Mai 1583') und auf Grund dieses
Codex verbesserte er dann in den Nov. Lect., im 23., 33. und
109. Briefe, 26 Martialstellen, wobei ihm die Editio Plantiniana von
1579 voriag.
Als er Frankfurt verließ, blieb die Handschrift versehentlich oder
absichtlich zurück und kam wohl mit der Wechelschen Druckerei an
Zacharias Palthenius (f 1614).») Von ihm erwarb sie Janus Gruterus.
Die Belege hierfür sind 1. eine Stelle aus einem Briefe des Gruterus
an Goldast ^) vom 19. Juni 1601: Martialis adhuc apud me est non-
dum datus typographo, promissus tarnen: ablegassem eo, quo desti-
navi, nlsl, nactus essem exemplar M.S., quo usus aliquando Modius;
iä prius excusum velim. 2. Gruterus' Vermerk und Kollation in
seinem Handexemplar.*^) 3. Die Benutzung in den Noten, die Gru-
») Vgl. oben S. 6 f.
«) Nov. Lcct. S. 153.
») Vgl. Pallmann im Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst N. F. VII
(1881) S.91, 116, 248, 257.
^) Epistolae virorum clarorum ad Melchiorem Goldastum, Frankfurt und Speyer
1688, S. 73.
•) Paris 1544, jetzt in Leiden. Inscripsit L Gruterus se anno 1601 contuUsse
cum MS., quod Modius Francofurti reliquisset sagt Schneidewin in seiner Aus-
gabe I, Grimma 1842, p. LXXIX.
136 P- Lehmann,
terus im Anschluß an die Ausgabe von Petrus Scriverius, Leiden 1619,
veröffentlicht hat*) Nicolaus Heinsius schöpfte*) aus eigenhändigen (?)
modianischen Exzerpten, die damals (1669) J. G. Graevius gehörten*)
und sich jetzt in London Hart. 5364 zu befinden scheinen.
Eine dritte Quelle für die Kenntnis des Weidnerianus haben
wir in Modius' Handexemplar, einer Ausgabe, die nach Leiden ver-
schlagen sein soll>)
7. Sallustius de hello Jugurthino und de coniuratione
Catilinae. Janus Palmerius Mellerus teilt in seinem schon so oft
angeführten Kommentare dreimal Lesarten ex scripta Modil libro
mit: fol.29^, 34 \ 38'. \rielleicht ist die benutzte Handschrift mit
einer der in dem Kataloge von 1605 registrierten Sallusthandschriften
identisch. In dem Verzeichnis von 1588 findet sich allerdings noch
kein Sallust, was gegen die Gleichstellung sprechen könnte.
8. Statins Achilleis und Thebais. Im 52. Briefe der Nov.
Lect. werden 13 Stellen der Thebais und 6 der Achilleis verbessert
S. 236 sagt Modius: contuli quldem et contendi oUm hunc poetam
ad quatuor vetustos manu exaratos Codices. Einer davon hat sich
in seinem Besitze befunden, wie er S. 141 schreibt: . • in donato
mihi olim Duaci membranaceo codice. In beiden Bücherverzeich-
nissen fehlt diese Handschrift.
9. Tacitus historiae. Auch über den einmal von Janus
Palmerius Mellerus (a. a. O. fol.27') angeführten scriptus Modii Über
der Historien habe ich nichts ermitteln können.
JOHANNES POSTHIUS.
Der Verkehr zwischen Modius und dem anfangs inwürzburgischen
später in kurpfälzischen Diensten stehenden Arzte Johannes Posthius
(1537 — 1597)^) hat seinen Niederschlag namentlich in beiderseitigen
Gedichten gefunden. So enthält allein die Sammlung von Posthius'
»Parerga poetica*, Heidelberg 1595, nicht weniger als 14 Gedichte
an Modius und 10 an Posthius. Der Briefwechsel ist bis auf die in
den Nov. Lect. (ep. 2, 20, 33, 42, 65, 89, 97 und 132) enthaltenen
Stücke nicht auf uns gekommen.
^) Vgl. dort S. 104: Quarto videbatur usus Franciscus Modius \ certe ab ipso
pervenerat in manus Zachariae Palthenü, ab eo ad me,
') Vgl. Roii animadversiones criticae in Martialis epigr. libb. XIV, Harderwyk
1797, p. XI sq.
•) Vgl. Burmann, Sylloges epistolanim IV 70.
*) Vgl. Schneidewin a. a. O. p. LXXXVII.
») Vgl. oben S. 14.
Modius als Handschriftenforscher. 137
Trotz der Dürftigkeit des Materiales läßt sich erkennen, daß
Posthius mehrfach Modius' Handscbriftenstudien gefördert hat, einmal
dadurch, daß er ihm den Zutritt zu den Büchereien der Klöster und
Stifter Würzburgs verschaffte und zweitens dadurch, daß er ihm aus
seiner eigenen als Ganzes nicht erhaltenen Bibliothek eine wertvolle
Handschrift zur Verfügung stellte, nämlich:
Propertius carmina. Modius war wohl schon durch Mit-
teilungen des Janus Palmerius in seinen „Spicilegia* auf eine Posthius
gehörige Properzhandschrift aufmerksam geworden. Mit Freude er-
griff er daher die günstige Gelegenheit, die sich ihm durch seinen
Unlgang mit Posthius in Franken bot, und erbat sich und erhielt die
Handschrift zur genaueren Einsicht.
Infolge dessen konnte er im 18. Br. der Nov. Lect. an 14 Stellen
Lesarten des Codex publizieren. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir,
daß Posthius die Handschrift von dem kaiseriichen Rate Johannes
Sambucus, einem als Gelehrten und Sammler bekannten Manne, ^)
zum Geschenk erhalten hatte. In selbsüoser Weise nutzte Modius
sie nicht voll für sich selbst aus, sondern schickte die variantes
lectiones ex codice manu exarato Posthii, quem ille Sambuci donum
habet, durch Lipsius an Janus Dousa den Älteren. >) Dessen gleich-
namiger Sohn verwertete das Material für die Anmerkungen, die er
seiner Ausgabe des Catull, Tibull und Properz, Leiden 1592, beifügte.
Hierauf ging auch die Kenntnis zurück, die Janus Lemutius (t 1619)
und Johannes Livineius (f 1599) von der Handschrift hatten. Im
Jahre 1669 taucht sie selbst im Kataloge der Bibliothek von Groningen
auf. Anscheinend war sie dorthin aus der Sammlung des 1629 zu
Antwerpen verstorbenen Andreas Schottus gekommen, dessen Name
auf dem ersten Blatte eingetragen ist. Woher Schottus sie bekommen
hatte, ist zweifelhaft.») Der Codex Posthii spielte namentlich zu
Lachmanns Zeiten eine hervorragende Rolle in der Properzkritik.
') 1531—1584; ADB. XXX (1890) S. 307 f. Er gehörte auch zu Modius' Kor-
respondenten, vgl. Nov. Lect ep. 18. Der Hauptteil der Bücher des Sambucus, von
denen die Handschriften zumeist aus Italien stammen, befindet sich jetzt in der
Wiener Hofbibliothek.
*) Vgl. Modius' Brief an Lipsius vom 23. März 1582 bei Burmann a. a. O.
1 108 und den von Lipsius an Dousa vom 11. Mai 1582 in Justi Lipsi epistolarum
quae in centuriis non extant decades XIIX, Harderwyk 1621, no. XVIIl.
*) Vgl. über die Geschichte des Codex H. Brugmans, Catalogus codicum manu-
scriptonim univ. Groninganae bibl., Groningen 1898 S. 73 f. Er ist ein Pergament-
codex, im 15. Jahrh. in Italien geschrieben.
138 P* Lehmann,
Neuerdings ist man von Lachmanns Wertung des Groninganus als
bester Textesquelle abgekommen.
JACOBUS SUSIUS.
Nach genauen Angaben über den Holländer Jacobus Susios
(Suys) wird man vergeblich suchen. Foppens«) weiß von ihm nicht
mehr zu berichten, als dafi er ein vornehmer und gelehrter Mann ge-
wesen sei, der 1590 einen Band lateinischer Gedichte herausg^eben
habe. Und van der Aa») muß gestehen: »Van dezen Latynschen
dichter is ons niets anders bekend dan dat hij bevriend was met
Justus Lipsius^) en Damas van Blijenburgh.* Wir können hinzufügen,
daß er es war, der zum ersten Male den Gemblacensis für die Text-
kritik des Manilius heranzog,^) und daß er mehreren Gelehrten vor-
zügliche Handschriften aus seiner eigenen Bibliothek zur Verfügung
stellte, so dem Stephanus Pighius einen Valerius Maximus für
seine Antwerpen 1567 erschienene Ausgabe, so dem Carolus Lang-
hius<^) einen Cicerocodex, der die philosophischen Schriften in einz^-
artiger Reinheit überlieferte,') so dem Godescalcus Stewechius
vier Exemplare des Vegetius Renatus für seine Ausgabe von 1585;
auch ein Hyginmanuskript scheint Susius gehört zu haben. ^)
Der Verbleib dieser Handschriften ist mir unbekannt, eine andere
ist auf uns gekommen: die berühmte Handschrift mit Germanicus
Aratea in Leiden, Voss. lat. 4°79, saec. IX. Ein Eintrag belehrt
uns, daß sie 1573 in Gent von Susius gekauft wurde; bald darauf,
etwa 1578, wurde sie von Giphanius erwähnt.») Ungefähr um die-
selbe Zeit sah sie Modius bei einem Aufenthalte in Mecheln. Er
schrieb in den Nov. Lect. 273: . . . quem Germanicum et in his ipsis
>) Vgl. die Literatur bei Schanz, Geschichte der röm. Uteratur H (1898)
S. 183 f.
*) Bibliotheca Belgica I, Brüssel 1739, S. 539.
») A. a. O. XVII 1085.
^) Justus Lipsius drückt am 8. Dezember 1592 Daniel Susius gegenüber sein
Bedauern über den Tod des Vaters aus, Cent. Mise. III ep. 6.
*) Vgl. oben S. 82 und M. Bechert, De M. Manilii emendandi ratione, Leipzig
1878, S. 6.
') Annotationes in Ciceronem, Antwerpen 1563.
Clarlc, Collations of the Harleian Ms. p. XIV 7 identifiziert den Über Susü
ganz unberechtigt mit einem von Mommsen im Rhein. Mus. XVIII 594 ff. besprochenen
Codex Didotianus, der jetzt als cod. lat. 4 o 404 in der 1^1. Bibliothek Berlin liegt.
«) Vgl. Kauffmann in den Breslauer philol. Abhandi. UI 4 (1880) S. 22.
«) Burmann, Syll. epp. II 306.
Modius als Handschriftenforscher. 13g
et passim corruptissimum utinam nobis aliquando locupletiore com-
mentario illüstratum daret ex eo, quem vidi aliquando Machliniae
apud eum, antiquissimo codice membranaceo nobilissimus et erudi-
tissimus Jacobus Susius . . . Lesarten der Handschrift machte er nicht
bekannt, die Verwendung für die Wissenschaft begann erst mit „Grotii
Syntagma Arateorum* von 1600. Ober Dousa, Grotius und Isaac
Vossius gelangte der Codex schließlich nach Leiden.^)
JOHANNES WEIDNERUS.
Der Rektor der Lateinschule von Schwäbisch Hall, Johann
Weidner (tl606),«) ist zwar nicht selbst mit wissenschaftlichen Ar-
beiten an die Öffentlichkeit getreten, hat sich aber in der Stille seiner
\Mrkungsstätte vielfach mit gelehrten Fragen beschäftigt und mit Rat
und Tat manchen Forscher unterstützt. Dafür zeugt sein ausgedehnter
Briefwechsel, der in einem Bande der königl. öffentlichen Bibliothek
zu Stuttgart vorliegt.») Von bekannten Männern gehörten Martinus
Crusius, David und Nathan Chytraeus,Melissus, Posthius, Reusnerus und
nicht zuletzt Franciscus Modius zu seinem Freundeskreise. Weidner
und Modius lernten sich im Jahre 1580 kennen, als Modius mit Ried-
esel in Franken weilte, und standen von da an 10 Jahre in enger
persönlicher und brieflicher^) Verbindung. Ich habe bereits oben zu
beleuchten versucht, in welcher Weise Weidner — von pekuniären
Unterstützungen abgesehen — Modius bei seinen Arbeiten half, und
ergänze diese Angaben nun noch durch den Hinweis darauf, dafi
er unserem Gelehrten Drucke und Handschriften seiner eigenen
Bibliothek schenkte oder lieh. Ganz unbedeutend scheint die Samm-
lung nicht gewesen zu sein, aber leider ist sie nicht auf uns gekom-
men. Einige Handschriften werden sonst, wie ich gleich berichten
werde, auch von Martinus Crusius erwähnt. Die von Modius ge-
nannten sind die folgenden zwei:
1. Lucanus Pharsalia. Modius macht in den Briefen 24, 65,
^) Eine sorgfältige Besprechung findet man bei G. Thiele, Antike Himmels-
bOder, Berlin 1898, S. 77 ff. und A. Breysig in der Ausgabe, Leipzig 1899, p. XIV sq.
Vgl dazu auch P. v. Winterfeld in der Festschrift für J. Vahlen S. 401. — Herr S.
Q. de Vries teilte mir mit, dafi auch vereinzelte Drucke aus Susius' Bibliothek in
Leiden sind.
«) Vgl. W. von Heyd, Die hist Handschriften der k. ö. Bibl. zu Stuttgart, S. 256 f.
und oben S. 5 und 52 f.
») Hist Fol. 603 s. 0.
*) Außer den oben genannten Originalbriefen sind drei durch die Nov. Lect
(ep. 31, 75, 119) erhalten.
140 P- Lehmann,
80, 95, 103 und 119 der Nov. Lect an 50 Stellen Mitteilung aus einer
Lukanhandschrift, die er S. 297 wie folgt beschreibt:
Usus sunt his diebus a Weidnero nostro Lucani manu exarato
codice, non illo antiquissimo quidem et optimae omnino notae, sei
tarnen nee plane etiam recentis scripturae out nullius bonitatis, et
aetatem quidem suam, quod raro solent membranacei Ubri, diserte ipse
loquebatur, qua parte sub finem narrabat extremam sibi manum
impositam anno CDCCXVII . . .
Daß Weidner die Handschrift schon einige Jahre zuvor an den
Tübinger Gräzisten Martinus Crusius verliehen hatte, geht aus einem
Eintrage in dessen Tagebuches hervor, der in bemerkenswerter Aus-
führlichkeit das Äußere des Codex angibt:
UBRI MANUSCRIPTI commodato nostri dati.
Die 14. Jan, 79 accepi ./. Lucanum Poetam, nüttente D.Joanne
Weidnero Halae Suevorum Ludimagistro Latino, in .4^. forma
Regali, membranis descriptum, additis in marginibus SchoUis, in
assercuUs ligatum, rubro corio obductis, et .2. clausuris more Lati-
norum. Elegans, licet vetustus. Über est Idem etiam IL Aug. 79
manuscriptam HistoHolam membranaceam misit per D. Christoph.
Graeterum, Halae Diaconum. Remisi^) 26. Septeb. ambo: quando mihi
Heptaplum Mirandulani misit. Am Rande steht außerdem noch:
Lucanus hie scribendo absolutus fuit. I. Septeb. 1217.
In einem Nov. Lect. 507 abgedruckten Briefe versprach Modius
dem sächsischen Gelehrten Gregor Bersman,») ihm eine Kollation des
Codex Weidneri zu schicken. Offenbar genügte diesem das aber nicht
und er machte sich hinter Posthius, um die Handschrift selbst zu be-
kommen und es gelang ihm. Weidnerus gestattete Modius,^ sie durch
>) Tübingen ÜB. Mh. 466, Bd. 2 S. 74. Ich habe bereits in der Zeitschrift
für Kirchengeschichte XXVII 335 ff. auf die mit Unrecht vernachlässigten Aufzeich-
nungen hingewiesen.
') Der die Rücksendung begleitende Dankbrief ist erhalten in Stuttgart Hist
Fol. 603 115. Von der historiola sagt Crusius hier: vixit Autor, cuius nomen deest,
ante et post ConciUum Constantiense. Auch die Lukanhandschrift wird kurz be-
sprochen. Neues findet sich darin nicht.
*) Vgl. C. Bursian, Geschichte der klassischen Philologie in Deutschland,
München und Leipzig 1883, S. 245 f.
«) Modius bedankt sich am 25. März 1586 bei Weidner für die Obersendung
der Handschrift und verspricht sie Posthius zur Weiterbeförderung an Bersman zu
geben (Stuttgart, Hist Fol. 603iii). — Am 16. Juni 1587 schreibt Posthius an Weidner:
Remitto tibi Lucanum tuum manuscriptum, quem a Fran. Modio nostro ante bien-
Modius als Handschriftenforscher. 141
Posthius an Bersman zu schicken. So konnte dieser Weidners Lukan-
codex für seine Ausgabe, Leipzig 1589, benutzen. Da er außerdem noch
3 andere Handschriften verglichen und sein kritischer Apparat die
Lesarten dieser 4 nur selten geschieden hat, ist das aus dem Weid-
nerianus genommene Gut nicht festzustellen. So viel erhellt aber
doch daraus und namentlich aus Modius' Angaben, daß das Ms. zu
den Mss. der Paulinischen Rezension gehört hat. Modius' maßvolles
Urteil kann man getrost unterschreiben.
Heute ist die Handschrift verschollen. Vielleicht läßt sie sich
aber noch gelegentlich mit Hilfe der Beschreibung, die Crusius und
Modius gegeben haben, aus der Masse der Lukanhandschriften
herausfinden.
2. Martialis epigrammata vgl. die Besprechung der modia-
nischen Bibliothek.
C. Handschriften unbekannter Herkunft.
1. Calpurnius, Gratius, Nemesianus carmina. Modius'
erste philologische Arbeit, von der wir Kunde besitzen, bezog sich auf
diese Bukoliker.*) Lange Zeit trug er sich mit dem Plane, sie heraus-
zugeben, aber stets kam eine neue Schwierigkeit, so daß er allmäh-
lich selbst an der Ausführung des Planes zweifelte. Accipe potias
emendatiunctUas, schreibt er im 105. Briefe der Nov. Lect., aliquam
multas ex eo poeta enotatas quem Nemesiano et Oratio ut iam de-
cenrüum totum more elephantis parturio, ita an aliqiiando paritunis
sim, quae sunt tempora, in incerto est. Sein Pessimismus behielt
recht Nur aus den Nov. Lect. kennen wir etwas von seiner Arbeit.
Im 17., 43., 68., 93., 105. und 124. Br. machte er 38 Verbesserungs-
vorschläge für Calpurnius, im 93. und 108. 37 für Nemesianus, alle
auf Grund ein und derselben Handschrift, die nur als vetus codex
oder membranae bezeichnet wurde.
Textkritisch gehört sie zu den „Codices interpolati*. Modius
half nicht selten durch — z. T. glänzende — Konjekturen nach. In
nium accomodato acceptum Gregorio Bersmano viro doctissimo et poetae ceie-
berrimo transmiseram, qui auctorem illum annotationibus suis illustratum pro-
pediem inprimi curabit et tiu quoque mentionem procul dubio faciet honorificam
(Stuttgart a. a. O. 413).
») Vgl. oben S. 10.
142 P- Lehmann,
neuerer Zeit haben Glaeser*) und Keene«) seine Emendationen ver-
wertet, H. Schenkl ») ansclieinend nicht
2. Curtius Rufus historiae de Alexandro Magno. Hier
möge die Besprechung einer Handschrift Platz finden, die man,
wie ich glaube, fälschlich mit Modius in Verbindung gebracht hat
Im Jahre 1874 hat nämlich O. Schüssler ^) die Behauptung aufgestellt
und zu beweisen gesucht, Modius habe für seine Ausgabe still-
schweigend, aber in großem Mafistabe eine Handschrift benutzt, die
sich jetzt als Cod.Can. lat 136 in der Bodleiana zu Oxford (A) befindet
Ein Teil der Gelehrten hat diese Annahme unbedenklich als erwiesen
betrachtet So redete Hug*) von dem überzeugend geführten Nach-
weise, dafi Modius unseren Codex für seine Ausgabe, in ziemlich
schlauer Weise seine Quelle verdeckend, benutzt habe. Auch Schanz^
hat Schüssler beigestimmt Dagegen drückten schon C F. Kinch^)
und neuerdings G. Dostler ^) ihre starken Zweifel an der Richtigkeit
der Identifikation aus.
Meiner Meinung nach waren diese Zweifel sehr berechtigt Ich
halte Schüsslers Behauptung allein schon vom bibliotheksgeschicht-
lichen Standpunkt aus betrachtet für falsch: die Handschrift stammt, was
Schüssler ebenso wie das Alter (saec. XV) verschweigt, ») aus dem Be-
sitze der Florentiner Familie de Forteguerra ^^) und ist in die Bodleiana
mit anderen Büchern derselben Herkunft gelangt, als im Jahre 1817
die bedeutende Sammlung des Jesuiten Matteo Luigi Canonici (f 1805)
von Italien nach England geschafft wurde. ^0 Canonids Bücher
stammten fast ausschliefilich aus Oberitalien. Da es höchst unwahr-
scheinlich ist, dafi die Handschrift in früherer Zeit Italien verlassen
hätte und dann wieder zurückgekehrt wäre, andererseits Modius nie-
>) Göttingen 1842. Modius' Angaben sind sämüich in den Apparat über-
nommen.
«) London 1887.
^ Leipzig und Prag 1885.
*) De Q. Curtii Ruft codice Oxoniensi, Nordhausen 1874.
^) In Bursians Jahresbericht über die Fortschritte der klass. Altertumswissen-
schaft, Jahrgang 1873 S. 505.
•) Geschichte der röm. Literahir II 2 (1901) S. 210.
^) Quaestiones Curtianae criticae, Kopenhagen 1883, S. 16.
») Curtiana, München 1904, S. 36.
•) Nach einer Beschreibung des Codex wird man bei ihm überhaupt vergeb-
lich suchen.
>o) VgL Catalogus codicum mss. bibl. Bodl. in, Oxford 1854, S. 68.
") Vgl. Annais of the Bodleian library 1890 S. 290—302 und F. Madan, A
summary catalogue of the westem mss. etc. IV, Oxford 1897, S. 313 ff.
Modius als Handschriftenforscher. 143
mals im Sflden gewesen ist, könnte man sich allerhöchstens denken/
daß ein in Italien weilender Freund dem Modius eine Kollation ver-
schafft hätte. Aber dann wäre es sehr seltsam und widerspräche
gänzlich Modius' Art und Weise, wenn er dieser Hilfe mit keinem
Worte gedacht hätte.
Die Identifikation mit einer der von ihm ausdrücklich nach ihrer
Lagerungsstätte benannten Handschriften ist natürlich nicht angängig
und auch nicht von Schüssler versucht. Die Unrichtigkeit der obigen Be-
hauptung wird vollends klar, wenn man die von Schüssler zum Beweise
angeführten Übereinstimmungen in den Lesarten genau betrachtet
Schüssler hat sich nicht gescheut, Lesarten bald aus Modius' Texte,
bald aus seinen Noten mit denen des Oxoniensis zu vergleichen,
sogar ohne davon solche auszuschließen, die Modius als durch Kon-
jektur gewonnen bezeichnet, oder solche, deren Provenienz er genau
angibt Um ganz sicher zu gehen, habe ich sämtliche von Schüssler
konstatierten Übereinstimmungen auf ihre Beweiskraft geprüft und
habe gefunden, daß der Zusammenfall vieler Lesarten schon deshalb
nichts beweist, weil sie sich schon in einer oder mehreren vor-
modianischen Ausgaben finden lassen. Da es sich gerade um solche
Lesarten handelt, die nicht in Modius' Noten, sondern in seinem
Texte stehen, so wird es jedem Kenner alter Editoren unzweifelhaft
sein, daß Modius hier einfach das Gut der betreffenden früheren Aus-
gaben übernommen hat, zumal er deren mehrfach gedenkt.
Emzelne der zitierten Lesarten des Textes und die Notenlesarten
erweisen sich allerdings als nicht aus den Ausgaben entnommen,
meistens sind es aber solche, die auch durch mehrere andere Hand-
schriften als A überliefert sind, also nicht aus diesem genommen
sein müssen.
Von Schüsslers 140 Lesarten finden sich nur 12 scheinbar allein
bei Modius und in A. Ich glaube, daß auch dieses Dutzend ver-
schwände, wenn man genauere Nachrichten von den zahlreichen noch
nicht kollationierten jungen Handschriften hätte.
Die teilweise Übereinstimmung des modianischen Textes mit
dem Oxoniensis beweist nur eins, nämlich, daß Modius Handschriften
zur Verfügung standen, die zu derselben Gruppe gehören wie A. In
der Tat haben es die Untersuchungen von Foss und Dostler *) wahr-
scheinlich gemacht, daß Modius' Haupthandschrift der Coloniensis an
der Spitze einer Reihe von Handschriften steht, zu denen neben
») Vgl. oben S. 95.
144 P« Lehmann,
mehreren anderen aus Florenz stammenden interpolierten Codices
auch der Oxoniensis gehört
3. — 5. Justinus epitome historiarum Philippicarum Pom-
peii Trogi. Nach einer Bemerkung in den Justinusnoten zu XIII 10
benutzte Modius im ganzen mindestens 5 Handschriften; aufier den
vortrefflichen Fuldenses nennt er sonst keine. Schon 1579^) konnte
er scripta duo Justini exemplaria erwähnen. Besonderen textkritischen
Wert scheinen sie nicht besessen zu haben. Dieselben Handschriften
dürften für die Ausgabe von 1582 benutzt sein.
6. — 9. Lucanus Pharsalia. Außer dem Codex Weidneri und
dem J. Gulielmus geschenkten Ms. werden in den Nov. Lect an-
scheinend noch 4 Codices verwertet, deren Provenienz nicht an-
gegeben wird. So heißt es S. 222: interpolo ex fide sex manu
exaratorum librorum. Vielleicht befanden sich die die tres Lucani
darunter, die Modius in der Dombibliothek von Tongern«) gesehen
hatte. Über den Verbleib der Tongrenses ist mir nichts bekannt
10. Macrobius in somnium Scipionis commentarii. In
den Worten Nov. LecL 385: verum lectionem repono ex libro scripta
Franciscanorum apud vos dürfte auf die Macrobiushandschrift eines
süddeutschen Franziskanerkonventes angespielt sein, da der Empfänger
des Briefes, ein gewisser Hieronymus Hagius in Neustetters Be-
gleitung erscheint. >) Bestimmtes hat sich nicht ermitteln lassen.
11. Priscianus institutiones grammaticae. Unklar ist
gleichfalls die Nachricht des Janus Palmerius Mellerus in seinem
„Spicilegiorum commentarius primus" fol. 101^: in vetere codice
Prisciani invenio, ut manu Modii ad oram libri notatum est etc.
12. Mapheus Vegius Astyanax und vellus aureum. Ober
die handschriftliche Grundlage seiner Ausgabe der Gedichte des
italienischen Humanisten (1407 — 1458)*) sagt Modius nichts weiter
als: Inciderunt anno in manus mea poemata quaedam MAPHEI
UEGII.
Ein Irrtum ist es, wenn er auf dem Titel von beiden Epen als
nunc primum edita spricht. Das Gedicht über den Tod des Astyanax
>) Noten zu Curtius S. 68 und auch S. 73.
«) Vgl. oben S. 50.
») Vgl. Ruland im Archiv 20: 30. JulU {sc, 1584] profectus est Dominus cum
Hieronymo Hayo. Für Hayo ist jedoch nach dem Enchiridion, dem die Stelle ent-
stammt, Hagio zu setzen.
^) Vgl. über ihn Voigt, Wiederbelebung des klassischen Altertums II (1893)
S. 39 ff. und Minoja im Archivio storico di Lodi 1895 S. 105—160, 169—184;
1896 S. 10-44, 57—71.
Modius als Handschriftenforscher. 145
war schon 1475, 1497, 1505 und 1519 veröffentlicht, dagegen konnte
er mit Fug und Recht sich als den Erstherausgeber des »goldenen
Vließes* betrachten.
Der Text beider Stücke, der von A. Schottus in der Kölner
.Magna bibliotheca patrum* XV (1622) und 1677 in der Lyoner
»Maxima bibliotheca patrum" XXVI 764 — 773 gegeben wurde, war
der modianische. Übrigens hielt auch Schottus Modius für den ersten
Editor des „Astyanax". Vgl. a. a. O. 632: Lusit et Veglus de morte
Asfyanactis librum unum, quem nuper Coloniae in UbUs Franc.
Moduls evulgavit Der Herausgeber beider Gedichte in den »Car-
mina illustrium poetarum Italorum" X (Florenz 1724) S. 262 — 296
hatte sich auf eine andere Oberiieferung wie Modius stützen können.
Doch fehlten in ihr die letzten 60 Verse des „Vellus aureum", so
daß wir für das vollständige Werk immer noch auf den modianischen
Text angewiesen sind.
QacUcn u. Untenuch. z. Ut Phflologie des MA 10, 1. 10
\
1.
R
HandS(
e g i s t e r.
chriftenverzelchnls.
Antwerpen (Museum
Plantin-Mo-
Brfissel 8380
11$
retus)
84
— 8654—8672
11$
Bamberg
60
-9845-9848
133
— M.V11
60
- 10012
82; 138
Basel
65
— 10846/47
131
— F. III 15
70 f.
- 15835
113
— F. III 15b
65
— PhiU. 324
113
- G. 1 18
c
i;26
327
113
~ G. I 22
c
>; 26; 34—36
Cambridge (Universitttsbibl.)
123
— A. N. IV8
71
— (Bibl. des Coipus
Christi
Col-
— A.R. 111
71
lege) 223
113
Berlin
53; 92;
123
Cassel und Cöln v0.
Kassel
und
— lat. 40 404
138
KOln
— Santen 95
82
Dannstadt 1948
92
Bern 51 [Druck mit handschrift-
Dorpat Briefcodex
Dflsseldotf
5
lichen Eintragen]
77
50;
51; 84; 92
Bonn 384
99
— 65
120
— 739
84
Boulogne s. m.
112
Einsiedeln 185
73
Braunau
53
Effurt
92
Braunschweig Briefe an
Schönemann
78
- 20 5
99; 103
Bremen C48
80
— 40 3
124; 125 f.
Breslau (Stadtbibl.) gr.
21
13
Erlangen CoU. Trew. VI
66
Brügge (Stadtbibl.)
— (Seminarbibl.)
122
123
Frankfurt a. M.
Fulda
65
65
Brüssel 50; 51; 53
;83
;84;92:
123
— 638—642
99
Genf lat 21
73
- 1052/53
88
Gent
53
-5354-5361
120
Giefien 83
132
— 6828-6869
61
Gottingen
65; 130
-8224-8226
113
Gotha
59
Register.
147
Gotha mbr. I 101 70
Groningen 159 137
Haag 69 113
— 165 113
— 284 113
Hamburg 51
— SupeU. Ep. Uffenb. et Wolf. XLVI 5
Hannover
— 897
Heidelberg
Holkham HaU
65; 130
118
53
112
Kassel 65
— Poet2o6 78
— Theol. 2o 49 78
Koblenz (OymnasJalbibl.) 53
Köln (Erzb. Museum) Graduale Jo-
hannis de Falkenburg 99
— (Domkapitel) 92
XXX 99
XCV 99
CLXVI 85; 89; 93
CLXXDC 99
Leiden
- Voss.lat2o30
40 32
4079
40 80
4094
- Periz. 20 14
20 17
- Pap. 2
65; 112; 123
116
74
1381.
108
111; 113; 116; 134 f.
113!.
61 f.
112
Hist.434 [Druck mithandschrift-
lidien Eintragen] 135
Leipzig 92
London 50; 51; 53; 91; 92
- Reg. 8 E XV 113
13A.XXVU 113
- Harl. 2682 94 f.
2685 96
5364 136
JWailand
65
vcr^ciu
— L 85 sup.
68
Wien
Merseburg
65
— Pal. lat 449
Modena
65
652
München (Hof- und Staatsbibl)
53
751
lat 4460
60
1014
14046
73
1879
Mündien (Hof- und Staatsbibl.) lat
18 187 73
gall. 399 3; 49 f.; 66 f.; 127
Coli. Cam. XDC 4; 11; 16; 17;
18; 19; 24; 26;
29-34; 52; 66
XX 77
— (UniversitätsbibL) Polit 302 80
[Druck mit handschriftlichen Ein-
trägen] 61 f.
Oxford Uud. Mise 126 65
— Can. lat dass. 136 142 ff.
Paris
— lat 1661
4950
6113
— Nouv. acq. lat 1825
Rom
— Pal. lat 217
— Reg. lat 1987
Saint-Omer
— 27
— 608
— 642
— 653
— 730
— 746
— 757
Strengnäs
Stuttgart
53; 65
131
74
113
113
51; 53; 65
124
112
49; 112
113
116 f.
115
114
115; 128
114
116
106
106
— Hist 20 603 4 t; 14; 17; 23; 24;
27; 29; 52; 67; 127;
130; 139; 140 1
40 152 109
— Poet et phUol. 4o 30 108
— TheoL et philos. 4o 159 106 1
Trier 53
Tübingen Mh. 466 140
Tunbridge WeUs 53
65
51; 53; 65; 84
87; 92
124
87; 92
92
120
10*
148
Register.
Wien Autograph des Modius 47
Wolfenbüttel 51
— Heimst. 141 130
— Aug. 27. 9. 2o 118
— Qud95 88; 99
105 111; 113
WOrzburg 124
— TheoLq. 16 126 t
— Cicerofragment aus Komburg 106
Zürich (Kantonsbibl.) Rheinau Cb 73
2. Schriftstellerverzeichnis.
Aelianus
Agrimensores
Albertus Magnus
Albinus
Amalarius
Ambrosius
Ammianus Marcellinus
Annales Colon, brev.
Antonius Astesanus
Antonius Verratellus
Apollinaris Sidonius
Apuleius
Amobius
Aventinus
Augustinus
Ausonius
Autbertus
41 f.
Ulf.
99
88
88
113
68
91
129
129
19; 33
113 f.
33; 130 f.
105
32; 67; 82
62
86; 117
Bonifatius 87
Broymardus, Job. 99
Burchardus, notarius imp. Frederici 1 18
Caesar 84 f.
Calpumius, Gratius, Nemesianus 10; 43 ;
141 f.
Cassiodonis 88; 99; 127; 129; 131 f.
Censorinus 43; 56; 58; 89; 93
Charisius 89
Cicero 43; 82; 88 f.; 91; 93 ff.;
101; 106; 129; 138
Codex Carolinus 87
Columella 32; 67; 68 f.
Condliorum acta 82; 86 f.; 91
Curtius 14; 27; 40 f; 63 f.; 95 f.; 97;
118; 120 f.; 122 f.; 142 ff.
Cyprianus 81; 88; 122; 129
Diomedes fio
Ennodius 19; 33; 127; 129; 132«.
Eutropius 69 f.
Fortunatianus 85
Frontinus 27; 41 f.
Fulgentius 43; 82; 83; 96; 106 f.; 121
Oenealogia Flandrensium comitum 114 f.
Gennadius
Germanicus
Gradualia
Gregorius Magnus
Guibertus Tomacensis
Haimo
Hegesippus
Hieronymus
Hilarius
Honorius Augustodunensis
Horatius
Hrabanus Maurus
118
71; 138 f.
99; 119
99
98 f.
Hyginus
Isidorus Hispalensis
Ivo Camotensis
Justinus
83 f.
121 f.
118; 129
87
87
50
69; 72—74; 81;
88; 105; 124
43; 101 f.; 138
19;32f.;67;70f.;
88; 115; 118; 129
19; 33; 118
42; 44 f.; 56; 58 f.;
71-75; 76; 144
Liberatus HO f.
Liber pontificalis 117 f.
Uvius 46 f.; 66; 75 f.; 97;
102; 110; 127
Lucanus 43; 50; 134; 139 ff.; 144
Lucretius 111; 116; 134 f.
Ludovicus a Turre 99
Lupus Ferrariensis 74
Register.
149
Macrobius 43; 144
Manilius 82; 138
Marsilius Mirandulanus 140
Martialis 43; 89; 127; 135!.; 141
Martianas Capella 19 ; 32 f . ; 67 ; 70 ; 76
Minucius Felix 33
Missalia 119
Modestus 41 f.
Octavius Horatianus 86
Orosius 86; 88
Ovidius 43; 100 f.; 127; 129
Salvianus 127; 129
Seneca 43; 98; 124—127; 129
Sergius 89
Sermo super regulam 99
Sermones parvi dominicales et de
sanctis 99
Servius 19; 32!.; 67; 76—78
Sigebertus Gemblacensis 82
Silius Italicus 43; 56; 89; 96 ü.; 129
Statius 43; 136
Symmachus 19; 33; 78 ü.; 116 ü.
Tacitus
109!.; 136
Palladius
32; 67; 76
Terentius
89
Panegyrid latini
27; 115!.
Tertullianus 32; 66 !.
;77; 80!.; 99!.
Paschasius Radbertus
117
Theophilus
129
Peregrinus
129
Timotheus vgl. Salvianus
^
Petrarca
129
Petronius
85
Ulülas
87
Petrus Blesensis
129
Usuardus
82
Pindanis
104
Valerius Maximus
43; 60; 89;
Plinius See.
29!.
129: 138
Jun. 29; 43;
58; 107—109; 129
Vegelius 11; 14; 41!.; 60 ü.; 86;
Priscianus
82; 89; 122; 144
89; 102!
.; 128; 138
Propertius
43; 137!.
Vegius, Maplieus
13 f.; 39 f.; 48;
Prosper
87
54; 144 f.
Psalterium Sigebergense 120
Venantius Fortunatus
119; 120
Quintilianus
89; 127; 129
Vita S. Annonis
119
Vita S. Francisci
99
Rupertus Tuitiensis
86
Vitae Sanctorum
87
Sallustius
82; 89; 116; 121;
Widukindus Corbeiensis
86
122 !.; 129; 136
Wissing, Antonius
99
3. Personen
Verzeichnis.
Agricola, R.
104; 107—110
Bolsvinge, G.
86
Amerbach, B.
vm
Bongarsius, J. 45; 71; 77; 132; 133
Amman» J.
19 ü.; 23
Borgninus, C.
21
Aurispa, J.
85
Brederodius, P. C.
22
Brismannus, J. L
43
Barzius, A.
6
Brissonius, B.
23
Beck, B. von der
99
Brosseus, P.
131
Berchemius, H.
13; 23; 40; 121
Browerus, Chr.
119; 120
BerUpsius, E. V.
17
Busserius, H.
7
Bersmanus, Gr.
43; 140!.
Birckmann, A.
43; 101
Camerarius, J. 4;
6; 15 ff.; 24 ff;
Bollandisten
VIII; 61; 82; 91;
29-34; 44;52; 66!.;
99; 112!.; 122
70;
76 f.; 124; 132
150
Register.
Camerarius, L
4
-, Ph.
16; 34
Campius, J.
13;
23;
25; 61; 127
Canonici, M. L.
142
Carrio, L.
8— 12; 49!.; 82; 89;
93;
961
.; 122; 130
Cassander, G.
87 f.; 118
Ccrvicoraus, E.
83; 86; 117
Ctiolinus, M.
40 ff.
Chytraeus, D.
139
- N.
139
Cisncras, N.
105; 107
Cochlaeus, J.
86
Colster, A. van den 9
Crabbe, P. 82; 86; 110!.; 117 f.
Cresperus, V. 5
Crusius, M. 16; 139 ff.
Cues, N. von 85
Dalechamphius, J.
124 ff.
Damhoudcrius, J.
6; 21
Daniel, P.
77
Dousa, J.
12; 137; 139
Eck, L. von 104; 108
— , O. von 104; 108
Ecktiardt, J. G. von 91; 123
Egmont, C. von 13 f; 24 f.; 40; 46; 53
Enoch von Ascoli 48
Epo, B. 7
Erasmus, D. von Rotterdam 64; 81 ; 129
Ernst, Bischof von Bamberg 21 ; 27; 33
Fabricius, Fr.
88; 118; 120 f.
Faesch, R.
70 f.
Falkenburg, G.
120 f.
Feyerabend, S.
18-25; 33; 46; 52
Fischer, P.
18; 21-23
Flacius, M.
88; 118; 130
Forteguerra, de
142
Friedrich, Pfalzgraf
bei Rhein 45
Fugger
27; 35
Oallandius, P.
111
Gelenius, Ae.
90
- J.
90
- s.
VIII; 18; 48
Gesner, C.
30
Giebelstadt, K. L. Zobel von 106
Giphanius, H. 5; 24; 26; 111; 138
Giselinus, V. 8 f.; 29
Godofredus, D. 23
Goldast, M. 80; 135
Graeter, Chr. 140
Graevius, J. a 90 ff.; 96; 100 i; 136
Grotius, H. 139
Gruterus, J. 69; 98; 134; 135 f.
Grynaeus, J. J. 133 L
— , S. VÜI; 48
Gualtherus, C. 87 f.; 118; 121 f.
Guarinus Veronensis 85; 92
Gudius, M. 111
Guliehnus, J. 13; 40; 43; 45; 54; 89;
94 f.; 121; 134; 144
Hagius, H. 144
Halder R. 104; 108; 109
Hartzheim, J. 91
Hautenus, J. 12
Heinsius, N. 90 f.; 97; 98; 100!.;
134; 136
Hittorpius, M. 13; 88; 93; 95;
100; 102 f.
Hoius, A. 7
Horst, P. 41
Hotomannus, Fr. 23
Hütten, G. L von 22
Isabella von Frankreich 21
Julius, Bischof von Würzburg 14 ; 16 ; 26 f.;
34; 40; 104
Junius, Fr. 80; 112
Kellner, H. 21
Lambinus, D. 94; 111
Langhius, C. 101; 138
Lautius, L. 41
Legipontius, 0. 119
Uius, C. 16; 43
Leoninus, E. 7
Lemutius, J. 8 f.; 11; 29
Lipsius, J. 4; 8—11; 13; 23; 25;
29; 97; 109; 110; 115;
130; 137 f.
— , M. 81
Livineius, J. Laev. 115; 130; 137
Lyraeus, J. 134
Mabillon, J. 59
Macarius, J. 112
Marivorda, Ad. 6
Register.
151
Marivorda, Ae.
Masius, J.
-,J.
Maugerard, J.-B.
Mauriner
6
7
62
59
VUI; 82; 112; 122
Maximilian I. von Bayern 105
— , Erzherzog 23
Melissus, P. 16; 43; 139
MeUerus, J. Palmerias 40; 89; 116;
121; 123; 134;
136; 137; 144
Mentz, Ph. 66
Metellus. J. 13; 89
Molanus, J. 82; 83
Moretus, J. H5
Mosellanus, J. 105
Nannius, P. 30
Nansius, Fr. &-9; 12; 111 f.; 134 f.
Neuenahr, H. von 86
Neustetter, E. 15 ff.; 19; 33 ff.; 52;
66 ff.; 103—110; 152
-, J. Chr. 20
Nidbruck, C von 87; 92; 118
Nideggen, M. Schenk von 25
Occo, A. 27; 106
Paedianus, J. 104
Palthenius. Z. 135 f.
Pamelius, J. 88; 100; 122
Pan, R. de 25; 98; 128; 132; 133
Papinius, A. 81
Peckius, P. 7
Petreus, H. 43; 130
Petrus, S. 13; 30; 82; 93 ff.; 101 ; 118
Peussius, H. 7
Pighius, St 89; 138
Pindanus, F. 30
Plantinus, Chr. 30; 44; 97
Plieningen, D. von 104; 108 f.
Poelmann, Th. 62; 84
Poggius, J. Fr. 49; 68; 85
Politianus, A. 62
Pontacus 62
Possevinus, A. 98
Posthius, J. 10; 14 ff.; 18; 26; 34; 43;
66; 105; 125; 136-138;
139; 140
Putschius, E. 69
Ramus, J.
Ratinck, A.
Reusnerus, N.
Rhenanus, B.
Riedesel, A. H. von
— , K. von
Rittershusius, C.
Rolandius, G.
Rosenberg, W. U. von
Rosweyde, H.
7
92; 125
16; 43; 139
VUI; 18; 48
14 f.
20
5; 80
42 f.
21
133
Sabaeus, F. 131
Sambucus, J. 137
Scaliger, J. C. 62; 112
Scheiffartus, A. a Merade 41 f.
Schottus, A. 133; 137; 145
Schulung, C. 61; 90; 118 ff.
Schwalbach, G. von 103
Schweickher, M. 22; 24
Sdoppius, C. 69; 77; 79; 80;
113 f.; 116
Scriverius, P. 42; 111 f.; 136
Serarius, N. 105
Sichardus, J. 18; 21; 48; 108
Sonbecus, L. 82
Spies 66
Stephanus, H. 107; 115; 121
Stewechius, G. 11; 89; 130; 138
Surius, L. 87
Susius, J. 82; 138 f.
-, D. 138
Sylburgius, Fr. 43 f. ; 69 f. ; 132 f.
Thack, H.
Thüngen, N. von
Torrcntius, L.
Treutwein, E.
Trithemius, J.
Tumebus, H.
Utenhovius, C.
Valerius, C.
Veldius, R.
Vendivilius, J.
Videnveltius
Vigaitdus, B.
VUmmcrius, J.
Vollbracht, G. J.
Vossius, G. J.
18; 21 ff.
22; 35
50; 101
103
85
111 ff.
40; 63; 120
7
5; 25; 130
7
5; 27
69
83
22
Ulf.
152
Berichtigungen
und Nachtrige.
Vossius, J.
Vulcanius, B.
139
113; 121
Weidner, J.
Wagner, M.
Wamesius, J.
Wechel, J.
18;
33;
123
7
21 ff.; 30;
43 ff.; 52
Welser, M
Werdenstein,
Wolf, C
5; 14-17; 24 f.; 43 L;
52; 67; 104; 130; 134;
135; 139—141; 144
5; 26 f.; 34-36; 69;
77; 114; 115; 116
>mherr von 105
30
Berichtigungen und Nachträge.
S. 84 Anm. 4 lies Antwerpen statt Amsterdam.
S. 92 lies Einzelnes statt Einzels.
Zu S. 103 ff. ist nactizutragen, dafi Dr. Schottenloher in seinem auf der achten
Bibliothekarversammlung gehaltenen, im letzten August-Septemberhefte des Zentralbl.
f. Bibliothekswesen gedruckten Vortrage über .Bamberger Privatbibliotheken aus
aher und neuer Zeit' auch der Sammlung des Erasmus Neustetter Erwähnung ge-
tan hat. Besonders interessant ist die a. a. O. S. 437 zitierte Stelle aus Neustetters
Testament von 1590, wonach er seine Bücher, deren Wert er auf mehr als 3000 fl.
schätzte, unter der Bedingung dem Stifte Komburg vermachte, daß dieses 2000 fl.
für ein Pfründnerhaus hergäbe.
Quellen und Untersuchungen
zur
lateinischen Philologie des
Mittelalters
herausgegeben von
Ludwig Traube
Dritter Band, zweites Heft
Textgeschichte Liudprands von Cremona
von
Dn phil. Josef Becker
MÜNCHEN 1908
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
l
TEXTGESCHICHTE
LlUDPRANDS VON CrEMONA
VON
DR. PHIL. JOSEF BECKER
MIT ZWEI TAFELN
MÜNCHEN 1908
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
THE NEW YORK
PUBLIC LIBRARY
AtTOfI, LCNOX ANB
TILDEN F- 'NOATlONe.
R *9U L
C. H. Beck'sche Bucbdruckerei In Nördliogen
Vorwoft
Die vorliegende Untersuchung, die auf Veranlassung meines
unvergeßlichen Lehrers Ludwig Traube entstanden ist, hat die Ober-
lieferungsgeschichte Liudprands von Cremona zum Gegenstand. Sie
will zur Erfüllung einer allgemein als notwendig anerkannten For-
derung beitragen und für eine etwaige Neuausgabe des Autors eine
neue kritische Grundlage schaffen. Zu diesem Zweck wird zum
erstenmal das gesamte handschriftliche Material in umfassender Weise
herangezogen und verwertet. Aufier den Florentiner und Mailänder
Kodizes und den Trierer Exzerpten, bei denen ich auf schriftliche
Mitteilungen und Photographien angewiesen war, habe ich sämtliche
Handschriften selbst einsehen und benutzen können dank dem Ent--
gegenkommen der Bibliotheksverwaltungen von Berlin, Brüssel, Kloster-
neuburg, London, Metz, München, Paris, Trier, Wien und ZwetÜ.
Ihnen allen, besonders den Bibliotheksdirektionen von Beriin, Brüssel,
Paris und Wien, die mir die Handschriften nach München und Straß-
burg i. E. übersandten, sei auch an dieser Stelle herzlichst gedankt.
Rogasen in Posen bezw. Lörzweiier in Hessen, im Mai 1908.
Josef Becken
Handschriftenverzeichnis.
Berlin, lat fol. 358 13, 44
Brüssel 9904 (S) 11 f., 22 !!., 43
— 9884—89 15 f., 26
— 14923 (L) 13, 25 f., 41, 44
Florenz, Laur. Asburnham 15 11, 21 f., 43
Klostemeuburg 741 (C) 17 f., 28, 45
London, Harl. 2688 (H) 19, 28
— Harl. 3685 12. 24
— Harl. 3713 (G) 12, 25 f., 41, 44
Mailand, Ambros. P 107 14, 26
Metz 145 12, 24 ff., 41
München, lat. 6388 (F) 1 ff., 5 ff., 21, 39 ff., 43
Paris, bibl. nat lat. 5922 14 f., 26, 44
Trier, Stadtbibliothek 388 16, 27, 44
Wien, lat. 400 (früher hist. prof. 178) (J) . . . 18 f., 29, 45
— lat. 427 (früher hist. prof. 338) (V) ... 16 f.. 28, 45
Zwettl 299 (Z) 18, 29, 45
Inhaltsverzeichnis.
Vorwort V
Handschriftenverzeichnis VI
Einleitung 1
A. Die handschriftliche Oberlieferung 5
B. Die Genealogie der Handschriften 20
Anhang: Die indirekte Oberlieferung 37
C. Textgeschichte 39
1. Paläographische Vorbemerkung 39
a) Der Ursprung von München lat 6388 39
b) Die Herkunft von Harl. 3713 und Brilssel 14923 41
2. Textgeschichte 42
Tafel 1: Metz 145 fol. 204.
Tafel 2: 1. München lat 6388 Teil von fol. 53v;
2. München lat. 6388 Teil von fol. 7.
Einleitung.
Seit Fr. Köhlers i) gründlicher kritischer Untersuchung über das
angebliche Autograph Liudprands von Cremona ist die Dringlichkeit
der Revision unserer Ausgaben von keiner Seite verkannt worden.
Schon Dümmler«) gab in einem unmittelbaren Nachwort zu Köhlers
»Beiträgen" zu, dafi Köhler durch scharfen Nachweis der Mängel der
Oberlieferung die Notwendigkeit einer gründlicheren Neugestaltung
des Textes dargetan habe. Es hat dann Wattenbach in den Ge-
schichtsquellen ^) und noch nachdrücklicher in der neuesten Auflage
Traube«) eine neue Ausgabe als ein dringendes Bedürfnis erklärt.
Auch sie, desgleichen SickeM), bezeichnen Köhlers Nachweis, dafi die von
Pertz^) begründete und allgemein angenommene Ansicht einer eigenen
Mitwirkung Liudprands an der Handschrift München lat. 6388 unhaltbar
sei, als vollkommen schlagend und überzeugend. In der Tat hiefie
es Eulen nach Athen tragen, wollte man Köhlers eingehender Be-
gründung noch neue Stützen, deren sie nicht bedarf, verieihen.
Dennoch sei, um auch das letzte Bedenken zu beseitigen, noch ein
Moment hervorgehoben, das bei Köhler nicht scharf genug betont
erscheint.
Wie bekannt, findet sich in der Münchener, ehemaligen Freisinger
Handschrift, die Pertz seiner Ausgabe zu Grunde legt, die Hand eines
zweiten Schreibers, eines Korrektors, der die vielen Lücken der ersten
^) Fr. Köhler, Beiträge zur Textkritik Liudprands von Cremona. Neues Archiv
Vra (1883), S. 47^-88.
«) a. a. O. S. 89.
») Geschichtsquellen' I, S. 480.
*) Sickel, Das Privileg Otto I. für die römische Kirche S. 14 Anm.
») Archiv der Ges. f. ä. d. Gesch. VU (1839), S. 391—404.
Quellen u. Uatenuch. z. Itt PhUologie des MA. m, 2. 1
2 Josef Becker,
Hand, besonders die griechischen Stellen, ergänzte, zahlreiche Konek-
turen und Glossen machte und endlich das ganze VI. Buch der
Antapodosis selbst schrieb. Dieser Korrektor, so folgerte Pertz, ist
Liudprand selbst, der hier die endgültige Redaktion seiner Antapo-
dosis und Historia Ottonis^) vornahm. Dieser allgemein angenommenen
Meinung entzog Köhler den Boden, indem er aufier dem Hinweis
auf eine bessere Überiieferung in den Metzer Exzerpten auf die
zahlreichen Fehler und Unrichtigkeiten des Frisingensis aufmerksam
machte, freilich ohne dabei genügend zu scheiden, ob sie von der
ersten oder zweiten Hand herrührten. Nun wäre es aber — auf diese
letzte Ausflucht könnte ein Verteidiger der Pertzschen Hypothese
kommen — am Ende doch denkbar, dafi Liudprand nur flüchtig und
eilig einige Verbesserungen gemacht und die Lücken ergänzt, nur
provisorisch diese erste Reinschrift seines Konzeptes durchgesehen
habe, seine Werke harrten ja noch des Abschlusses durch ihn selbst,
und dann konnte ja noch eine endgültige, gesamte Redaktion vorge-
nommen werden. So könnte man, nicht ganz mit Unrecht, Pertzens
Meinung zu retten suchen. Aber auch diese letzte Ausflucht wird
sofort hinfällig, wenn wir uns einiges von dem vergegenwärtigen, was
der Korrektor mit eigner Hand niedergeschrieben hat. Zwar hat
dieses Moment bereits Köhler für die H. O. und Buch VI der A.»)
beachtet, die von Liudprand vollständig geschrieben sein sollten, indes
die H. O. rührt von einer dritten Hand her, und gerade die für das
VI. Buch gemachten kritischen Ausstellungen sind nicht schlagend
genug. Es seien daher noch einige kurze Bemerkungen gestattet,
welche die Pertzsche Hypothese definitiv beseitigen werden.
Pertz notiert im Apparat zum Kapitelverzeichnis von lib. I, das
nicht bloß teilweise, sondern, wie unten gezeigt werden wird, ganz
von der Hand des Korrektors geschrieben ist, neun Schreibfehler.
Die Schrift selbst ist sorgfältig, die Schreibfehler sind offenbar durch
ungenaues Lesen der Vortage entstanden. Ist es denkbar, daß der
Verfasser selbst diese Versehen begangen hätte, darunter Basillü,
*) Auch die Historia Ottonis wies man seitlier mit Pertz diesem Korrektor
zu. Es wird indessen gezeigt werden, daß sie von einer, auch zeitlich betrachtet,
dritten Hand herrührt. Schon dadurch wird die Pertzsche Ansicht von der voll-
endenden und abschließenden Arbeit des Autors am Frisingensis sehr zweifelhaft
•) Von der Relatio de legatione Constantinopolitana besitzen wir keine Hand-
schrift, sondern stützen uns nur auf den ersten Druck, sie kann daher für unsere
Untersuchung zunächst nicht in Betracht kommen.
*) Mit diesen Siglen sei künftig Antapodosis und Historia Ottonis abgekürzt.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 3
flagellantes flagellantes, iruit, Marico (für Marinco)? Dies die Probe
für ein vom Korrektor geschriebenes größeres Stück. Und seine
Korrekturen? A. II, 3 liest der Frisingensis Sanguine rieque statt
Sangttinemque, welche Lesart der Harl. 2688 noch erhalten hat,
während die dem Frisingensis näherstehende, aber von ihm unabhängige
Handschriftengruppe, von Pertz als V. Klasse bezeichnet, ebenfalls auf
die Lesart des Frisingensis hinweist, sie hat allerdings daraus Sanqtunem
neque gemacht. Sanguine neque beruht offenbar auf einer Ditto-
graphie in der den beiden Klassen gemeinsamen Vortage. Jedenfalls ist
die Lesart vollkommen sinnwidrig, und doch ist es der Korrektor,
dem die Schreibung des /w-Striches und von neque, somit dieser
Unsinn verdankt wird. A. III, 41 liest der Frisingensis serrari; dafi es
serari heißen muß, hat Köhler ^) bereits bemerkt. Ein Blick in den
Kodex lehrt uns, daß der Korrektor das Zweite r zugefügt, somit die
Verderbnis verschuldet hat. Die vom Frisingensis unabhängigen Hand-
schriftengruppen haben die richtige Schreibung. Auf die Stelle A.
III, 29 hat schon Köhler«) aufmerksam gemacht, er hat sie aber nicht
genügend ausgebeutet. Die Lesart des Frisingensis fere, woraus der
Korrektor foere machte, paßt nicht recht zum Sinn, ganz und gar
nicht in die Konstruktion des Satzes. Es ist statt dessen, wie Köhler
mit Recht feststellt, ferunt zu lesen, und alles ist in Ordnung. In der
Tat schreiben so denn auch die vom Frisingensis unabhängigen Hand-
schriften. Nun das Merkwürdigel Der Korrektor hat auf dem letzten
Drittel von fol. 50' die von der ersten Hand gelassene Lücke ausge-
füllt (III, 28 — III, 29 silogismos) und unten rechts in der Ecke ein
einsames ferunt ohne jedes Zeichen dabei niedergeschrieben. In
)X^rklichkeit hätte es auf die Versoseite gehört eben an Stelle jenes
fere, aus dem er beim Weiterlesen nach seiner Manier ein foere dann
machte. Es ist wichtig, festzustellen, daß dieses verschlagene ferunt
von der Hand des Korrektors herrührt, nicht wie Köhler anzunehmen
scheint, von der des ersten Schreibers. Offenbar hat in der Vorlage,
wie Köhler schon bemerkt, ein ferunt am Rande sich vorgefunden,
dieses hat der Korrektor im Frisingensis kopiert, ohne zu wissen oder
zu beachten, wohin es gehörte, was es bedeutete. ») Diesen Korrektor
— sein Korrigieren ist meist nur ein verständnisloses Nachtragen und
Ergänzen — mit Liudprand selbst identifizieren zu wollen, wäre eine
*) a. a. O. S. 63.
«) a. a. O. S. 62.
•) Das vom ersten Schreiber herrührende fere mag durch Verlesen oder Miß-
verstehen der Abkürzung fef entstanden sein.
1*
4 Josef Becker, Textgeschichte Liudprands von Cremona.
Absurdität; die Autorität des Frisingensis ist in alle Wege nicht mehr zu
erhalten. Somit ist die Grundlage des Pertzschen Textes erschüttert
und eine neue Fundamentierung erfprderiich. Den zerstörten Bau
neu zu b^ründen, wird nunmehr Angabe der positiven Kritik. Dieses
Ziel hat sich vorUegende Untersuchung gesteckt Ihr Verlauf ergibt
sich von selbst Es wird sich darum handeln: a) das handschriftliche
Material möglichst vollständig zu sammeln und zu beschreiben; b) es
dann zu ordnen, zu werten und zu klassifizieren; c) beide Teile
innerlich zu verbinden und historisch auszulegen in einer Text-
geschichte.
^) Uebrigens bedürfte auch der kritische Apparat unserer Ausgabe, selbst
wenn der Frisingensis Autograph wäre, dringend der Berichtigung in dem, was über
andere Handschriften notiert ist Fast unglaubliche Verwirrung ist hier geschehen.
Ganz unmethodisch ist die Art der Variantenangabe aus Klasse V. Z. B. wird
A. V, 24 bemerkt, dafi Kodex 1 libuit hinzufügt, aber auch die 5. Handschriften-
gruppe weist diese Interpolation auf. Sehr oft notiert der Herausgeber die Lesarten,
besonders die Konjekturen von 5 a. Dieser Kodex ist nach Pertz minder wertvoU
als 5, wahrscheinlich sogar aus diesem geflossen. Wenn daher eine Variante einfach
als 5 a angehörend bezeichnet wird, muß man annehmen, dafi sie sich in der besseren
Handschrift 5 nicht findet, und doch ist das fast stets der Fall. Dafi dies tatsächlich
zu Mißverständnissen geführt hat, davon später ein Beispiel. — A. HI, 45 fährt der
Kodex 5 eine Zeile vorher mit sciUcet aqua/n fort A. IV, 23 ist eine größere Lücke
bezeichnet, die den Handschriften 2 und 3 gemeinsam seien, woraus Köhler irrige
Schlüsse für die Stellung der beiden Handschriften zog, in Wirklichkeit aber findet
sich die Lücke nur in 2. Zu Beginn der H. O. bemerkt Pertz, die Ueberschrift
Incipit über septimus de Rebus Ottonis stände in 5 und 5 a, tatsächlich steht sie
nur in 5. — Ebenso ist es unrichtig, daß in Kodex 2 die H. O. mit Auslassung
eines größeren Stückes beginne, daß im Parisinus die H. O. erst mit Kapitel 15
anfange, während sie vollständig überliefert ist. Falsch ist endlich in H. O. C. 14
die Note C. Die hier angemerkte Lücke findet sich in 5 a überhaupt nicht, in 5 a*
nur zum Teil, indem der* Schluß der bekannten Bibelstelle durch ein etc. ausgedrückt
ist Dies eine Zusammenstellung der gröbsten Irrtümer. — Auch Potthast (Biblio-
theca I, 743) ist ein Fehler unterlaufen; die Handschriften Hart 2688 im britischen
Museum (nicht zu Oxford), Wien 338 und Klostemeuburg 741 enthalten nicht die H. O.
A. Die handschriftliche Überlieferung/)
München, lat. 6388 = Frising. 188 = Cim. IL 2 d. (F).
Die Inschrift über sancte Marie sanctique Corblh Frising. auf der
ersten Seite gibt uns Auskunft über die Provenienz des Kodex. Er
besteht in VTirklichkeit aus 2 wohl im 15. Jahrhundert zusammen-
gebundenen Handschriften, der des Liudprand (fol. 1 — 85) und der
des Regino (fol. 86 — 198). Der Einband besteht aus zwei Holzdeckeln
mit Lederrücken. Auf fol. 121 der Reginohandschrift findet sich die
Federprobe Abram episcopopus (sicl), sie gehört also wohl in die
Zeit des Bischofs Abraham von Freising (957 — 993). Da die Regino-
handschrift*) für unsere Zwecke hier nicht in Betracht kommt, be-
schränken wir uns auf die Beschreibung der ersten Hälfte, der Liudprand-
handschrift. ») Das Pergament ist, um den einfachen, wenn auch
unrichtigen Ausdruck zu gebrauchen, sogenanntes italienisches, im
Format von 18x25. Die Tinte des Hauptschreibers ist schwarzgrau,
diejenige der zweiten und dritten Hand blaßrot. Die Seite hat ge-
wöhnlich 27 Zeilen. Lagenordnung: fol. 1 — 7 bilden eine Lage in der
Gestalt |LJ| |l .-[ , sie ist nachträglich dem Ganzen vorgeheftet. Der
Text war auf 7 Blätter berechnet, jedoch erkannte der Schreiber gegen
Ende immer mehr, daß der Raum zu knapp bemessen war. Obwohl
er immer enger schrieb und die Zeilenzahl auf einer Seite vermehrte.
^) Die Handschriften werden nur insoweit beschrieben, als die bisher gegebenen
Beschreibungen einer Ergänzung oder Berichtigung bedürfen. Nur der Frisingensis, der
immerhin noch die wichtigste Handschrift bleibt, verdient vor allem auch der
Schwierigkeiten wegen, die er bietet, nochmals eine detaillierte Behandlung. Die
Reihenfolge der Kodizes richtet sich hier schon nach der unten zu begründenden
Klassifikation.
«) Vgl. darüber zuletzt Kurze, N. A. XV, S. 296 f.
») Beschrieben von Pertz, Archiv VII, S. 391 ff.
6 Josef Becker,
kam er nicht aus, es blieben noch lOV« Zeilen zu schreiben übrig. .
Dazu benutzte er die freigelassene Rektoseite des ersten Blattes des
Kodex, so daß nun die ganze Schicht von 7 Blättern hier vorgeheftet
werden mußte. Fol. 8' ist zu 2/3 frei; fol. 8^ 9^ und 6 Zeilen von
9^ enthalten den Titel der A. und das Kapitelverzeichnis von Buch I,
der Text beginnt mit fol. 10. Fol. 8 — 17 ist ein Quinio, m der
Mitte des unteren Randes der letzten Seite durch Q./. bezeichnet
Es folgen nun regelrecht 8 Quatemionen von fol. 18 — 81. Der zweite
trägt keine Signatur, alle anderen sind in der Mitte des unteren
Randes durch römische Zahlen bezeichnet. Irrtümlich trägt Lage VII
durch Korrektur die Signatur VIII und die Lage VIII die Signatur VII.
Fol. 82—85 ist ein Binio. Fol. 82^ enthält den kurzen Kapitelindex
von Hb. VI, im übrigen ist diese Seite und fol. 83' leer, auf fol. 83^ be-
ginnt der Text von Buch VI. Die Hauptarbeit an unserer Handschrift
fiel einem ungebildeten Schreiber zu, der seine Vorlage ohne Ver-
ständnis kopierte, zahlreiche große und kleine Lücken, vor allem für
sämtliche griechische Stellen freien Raum ließ. Seine Hand geht bis
A. V, 32 (nach Pertz V, 33). Ziemlich gleichzeitig anscheinend setzte
ein zweiter Schreiber da ein, wo der erste versagte, anfangs mit der
gleichen, von fol. 13 ab mit rötlicher Tinte. Er hat zahlreiche
Korrekturen und Glossen angebracht, die Lücken ausgefüllt, vor allem
die griechischen Worte mit Umschrift und Obersetzung nachgeholt
An zusammenhängenderen Stücken hat dieser Korrektor geschrieben:
A. I, 1 execrabilis paganorum — Scipionis Africani; A. I, 26 den
Vers Cannabe etc.; A. II im Kapitelindex Kapitel 6; A. III im Kapitel-
index die Zahlen 9—45 und 47—51; A. III, 28—29 silogismos; A. III,
Zevg xal ^'Hga bis divinando dicere; A. V, Kapitelindex 7 — 33 und
A. lib. VI. Pertz führt noch die Stelle A. II, 6 an, solcher kleinerer
Ergänzungen wären aber noch viele zu nennen. Soweit stimmen wir
mit Pertz überein, im übrigen wird hier eine Modifikation nötig sein.
Sogleich der Anfang der A. verfangt eine andere Erklärung. Wie
verteilen sich die beiden Hände in bezug auf den Titel und das
Kapitelverzeichnis von Buch I. Nach Pertz und Köhler, der ihm
folgt, hätte der erste Schreiber, von Pertz Kanzellist genannt, den
Titel und vom Inhaltsverzeichnis des ersten Buches die ersten 7 Kapitel
(die Zahl des 7. Kapitels nicht) und dann wieder Kapitel 41 — 43
(im Kodex irrig als 51 — 53 gezählt) geschrieben und zwar in schwarzer
Tinte, die fehlenden Kapitel der Korrektor in rötlicher Tinte. Die
Ansicht gründet sich auf den Unterschied der Tinten, ohne zu be-
achten, daß unmittelbar darauf der Korrektor sich derselben Tinte wie
Textgeschichte Liudprands von Cremona.
der Kanzellist bedient, also in der Tinte wechselt, was er auch hier
getan haben kann. Dafi das wirklich der Fall ist, beweist eine nähere
Vergleichung der Schrift. Sofort der mit schwarzer Tinte geschriebene
Titel der A. rührt von der Hand des Korrektors her. Man vergleiche
nur die kapitale Form des L an zahlreichen Stellen, wo die Frage,
ob es sich um Hand I oder II handelt, nie strittig war, und man wird
finden, dafi der Korrektor stets eine einfache aus zwei Strichen be-
stehende Form gebraucht, der Kanzellist aber stets einen wagerechten
Querbalken oben zufügt. Im Titel finden wir die einfache Form, er
ist also vom Korrektor geschrieben. Damit ist eigenüich die ganze
Frage erledigt. Denn es wäre höchst merkwürdig, wenn nun der
Kanzellist einige Zeilen geschrieben hätte, dann wieder der Korrektor,
endlich wieder der Kanzellist. Geht man in der Schriftvergleichung
weiter, so zeigt sich, dafi hier tatsächlich nur eine Hand voriiegt, dafi
der Kanzellist sonst sich ganz anderer Züge bedient Die Formen
' der Zahlzeichen für 1 und 10 pflegen in beiden Händen verschieden
zu sein, ebenso das zurückverweisende Zeichen, das beim Korrektor
durchgehends eine rechtwinklige Hakenform hat, beim Kanzellisten
viel einfacher aussieht. Man findet sogar oft, dafi der Korrektor beim
Korrigieren des Textes des Kanzellisten dessen Zeichen in das seinige
verändert.. Kurzum, wir haben im Titel und Inhaltsverzeichnis nur
einen Schreiber und zwar den Korrektor. Der erste Schreiber begann
unmittelbar mit dem Text. Davor stehen Titel und Inhaltsverzeichnis
auf zwei Blättern, wobei die letzte Seite fast ganz frei blieb. Die
erste Lage ist ein Quinio. Combiniert man dies, so drängt sich
folgende Vermutung auf: Der erste Schreiber begann sofort mit dem
Text, der die Arbeit überwachende Korrektor sah das Versäumnis;
noch war es Zeit, das Versäumte nachzuholen und zugleich durch
Änderung der Lage die Struktur des Ganzen zu erhalten, i) Trefflich
pafit zu dieser Erklärung Köhlers^) Annahme, dafi das Kapitelver-
561234
432165
No. 1, 2, 3, 4 bezeichnen die ur-
sprüngliche Lage. Hiervon wurde
die innerste Schicht No. 4 weg-
genommen und No. 5 und 6
außen zugefügt, so dafi ein Quinio
entstand.
«) a. a. O. S. 85 !.
Quellen und Untersuchungen
zur
lateinischen Philologie des
Mittelalters
herausgegeben von
Ludwig Traube
Dritter Band, zweites Heft
Textgeschichte Liudprands von Cremona
von
Dn phil. Josef Becker
MÜNCHEN 1908
C H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
TEXTGESCHICHTE
LlUDPRANDS VON CrEMONA
VON
DR. PHIL. JOSEF BECKER
MIT ZWEI TAFELN
MÜNCHEN 1908
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
10 Josef Becker,
als wenn Pertz zum Beweis der Gleichheit der Züge eine Vergleichung
von restituti in der H. O. und stituta beim Korrektor empfiehlt Er
wählt hierbei Worte, in deren Buchstabenformen die Schreiber über-
haupt wenig oder gar nicht zu variieren pflegen. Es dürfte somit
geboten sein, für die H. O. einen dritten Schreiber anzunehmen.
Den letzten, aber vielleicht den wichtigsten Teil der Be-
schreibung der Handschrift macht die Betrachtung der orthographischen
Eigentümlichkeiten aus.
Pertz 1) hat einige hierhin gehörige Bemerkungen gemacht, die
jedoch der tatsächlichen Unteriage entbehren. Er bemerkt, der Kor-
rektor schreibe regelmäßig Sarracenl und palcritudo, der Kanzeliist
Saraceni und pulchritudo. Beides ist unrichtig. Um nur eines heraus-
zuheben, man schlage fol. 58^ auf, und man wird dort vom Korrektor,
an dessen Urheberschaft hier kein Zweifel ist, Saracenus finden,
fol. 52 schrieb die erste Hand perpalcre, die zweite fügte ein h
hinzu. In Wirklichkeit ist hierin die Schreibweise nicht konsequent
Im Grunde sind das gleichgültige Feststellungen, wichtiger ist ein
anderes, das merkwürdigerweise noch nicht hervorgehoben ist Pertz*)
erwähnt zwar, daß Liudprand die Orthographie vernachlässigt, fehler-
hafte Wortformen und eine nicht ganz richtige Syntax angewandt
habe, nur zu einer Form bemerkt er, daß sich in ihr der Italiener
Liudprand verrate. Vergegenwärtigen wir uns die hauptsächlichsten
Eigentümlichkeiten :
Ä fehlt: oc, ostibus; in zahlreichen Fällen hat der Korrektor ein
Aspirationszeichen zugefügt.
Ä steht überflüssig: exhimit, hoccidua, horta.
Einfacher Konsonant für doppelten: sucensa, afinitatis, intelexit^
debelaturum, incalide, samos, quipe, ocurit, ingresus, posidet,
sanctisimus. Hato, qaatuor etc.
Doppelter Konsonant für einfachen: Basillü, summere, appeniU,
pisscis, Tussciae.
c fehlt vor ä, p, t und sonst: Mihahel, brahio, sique (für sicque),
defuntus, execare, suseptus, exitati, silicet, siscitatus.
c steht überflüssig: adgressci, exarscit, posscit
c steht statt g\ necabant.
s steht statt c: exersitio, ulcissL
^) Archiv VII, S. 293.
') Praef. der Ausgabe SS. III, 268.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. H
tt fehlt: coscenderet, costantia, costitiiit
Wechsel von e und /: diligires, io, miritricis, timporlbus.
Wechsel von o und n: copio, Hogo, mohisse, nuntios (für nuntitis),
commutus, cupularat^ infurtunia, inimicus (für inimicos).
Wechsel von b und p, d und t: blebem, occubabat, adveniad^
pordenderet, sei.
Noch können erwähnt werden Formen wie ablati für ablatis,
persecatore (für -m), visione (für -m), orbem (für orbe), occidere
(für -Q, percüssera (für -/) u. a. Auch der Korrektor ist von diesen
Formen nicht frei. Im VI. Buch findet sich octubris, depununtur (für
depon), mito. Bei der dritten Hand, in der H. O., sei auf die Form
da deam omnipotentem verwiesen. Es mag von dem Mitgeteilten
manches nur der Nachlässigkeit des Schreibers zuzuschreiben sein,
jedoch wird niemand den Einfluß des Romanischen, Vulgären ver-
kennen können.
Florenz, Laurent. Ashburnham 15, saec. X. ex.i) (A).
Ober die Provenienz der Handschrift ist uns nichts bekannt.
Bei einer Vergleichung mit anderen Librihandschriften des 10. Jahr-
hunderts fand ich viel Ähnlichkeit mit Laurent. Ashbumh. Libri 23;*)
möglicherweise also stammt die Handschrift aus Frankreich.
Brüssel, bibliothfeque royale 9904, saec. XL in.») (S).
Pergamentkodex im Format von 18 x 25 mit modernem Ein-
band. Eine Hand des XV. Jahrhunderts verrät uns durch den Ein-
trag Codex sancti Martini in Spanhey m einiges über die Provenienz
der Handschrift. Trithemius hat sie benutzt, offenbar hat er sie auch
für Sponheim erworben.*) A.V,32 dedit ad mulieres bis Ende des
Buches und das Kapitelverzeichnis von Buch VI fehlen. Es hängt
das wahrscheinlich mit dem quatemionenmäßig verteilten Abschreiben
zusammen. Pertz meinte, das Ausgefallene habe auf einem vor der
nächsten Lage stehenden Blatt gestanden, dem scheint aber die Ge-
stalt dieser Lage zu widersprechen. Die Handschrift ist von mehreren
Schreibern geschrieben, die genau abzugrenzen kaum möglich ist
An der Spitze von fol. 1 unmittelbar vor der H. O. hat der Spon-
') Beschrieben von Holder-Egger, N. A. XI, S. 260, 264 und von PaoU, I codid
Asbumhamiani, S. 28.
*) Paoli-Vitelli, CoUezione Florentina II, tav. 32. .
») Beschr. von Pertz, Archiv VII, S. 396 ff.
*) Vgl. Schneegans, W., Abt Joh. Trithemius und Kloster Spanheim (1882),
S. 80 ff.
12 Josef Becker,
heimer Abt Nicolaus Cerbetius notiert, daß er das erste Blatt, dessen
Schrift unleserlich geworden war, wieder hergestellt und auch sonst
Korrekturen vorgenommen habe nach der Baseler Ausgabe von 1532.
Die ursprüngliche Schrift des ersten Blattes hat er nachgefahren, aber
sie ist noch tiberall sichtbar; es ist mir deshalb unverständlich, wie
Pertz bemerken kann, der Kodex beginne erst gegen die Hälfte des
ersten Kapitels der H. O. zu mit WcUdpertus sanctae.
British Museum, Harleianus 3685, saec. XVL
Voriiegende Peutingerhandschrift ist ein Papierkodex, dagegen
ist im handschriftlichen Verzeichnis des Notars Schwarz in der
Münchener Hof- und Staatsbibliothek unter Nr. 35 ein Peutingerischer
Pergamentkodex Liudprands verzeichnet Wenn hier kein Versehen
vorliegt, hätte Peutinger zwei Liudprandhandschriften besessen. Em
Teil von Peutingers Handschriften kam in das Jesuitenkolleg nach
Augsburg, im Verzeichnis derselben ist auch ein Luitprandus ohne
weitere Angabe erwähnt. Dieser Kodex wird mit unserem Harleianus
identisch sein, da ein Teil der Jesuitenbibliothek tatsächlich nach
England kam. Über die Handschrift vgl. Pertz, Archiv VII, S. 400.
Exzerpte in Metz 145, saec. X. (M).
Vgl. Catalogue g6n6ral des manuscrits des bibliothfeques publi-
ques des d^partements V, 63; über die Exzerpte insbesondere Köhler
a. a. O. S. 78 f.
British Museum, Harleianus 3713, saec. XL ex. (G).
92 Pergamentblätter + je 3 papierene Vor- und Nachsatzblätter
im Format von 17 x 24 in modernem Einband, der die Aufschrift
saec. X trägt. Der Kodex besteht aus 12 meist regelmäßigen Quater-
nionen, nur die Lagen fol. 41 — 46 und fol. 87 — 92 sind Trinionen.
Am Ende von fol. 46 steht die Bezeichnung VI, die übrigen Signa-
turen fehlen teils, teils sind die unteren Ränder weggeschnitten. Es
ist daher auf Grund äußerer Indizien der Vertust einer Lage nicht zu
beweisen, doch mögen die fehlenden Kapitel A. 111,25 — 45 scUicet
aquam funderet etwa eine Lage eingenommen haben. Jede Seite
zählt 28 Zeilen. An den Kapitelanfängen stehen einfache Initialen.
Der Kodex ist wohl von einer Hand geschrieben, bei den Kapitel-
indizes und teilweise auch bei den übergeschriebenen Varianten wurde
eine feinere Feder benützt. Bei der großen Mehrzahl der Varianten
ist es nicht zweifelhaft, daß sie vom Schreiber der Handschrift her-
rühren. Über Herkunft und Datierung dieser und der folgenden
Handschrift wird eigens zu handeln sein.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 13
Brüssel, bibl. royale 14923, saec. XII. in. (L).
96 Pergamentblätter im Format von 15,5 x 25,5 in 12 regel-
mäßigen Quatemionen ohne Signatur mit modernem Einband. Nur
in der 11. Lage ist das 5. Blatt weggeschnitten, dafür aber ein
anderes eingesetzt. Jede Seite zählt 30 Zeilen. Die Oberschriften,
Anfänge und Zahlen der Kapitel sind mit roter Tihte geschrieben,
die Kapitelanfänge haben einfache rote Initialen. Die Kapitelverzeich-
nisse außer im ersten Buch sind in kleinerer Schrift von dem
Schreiber der Handschrift geschrieben. Nachträglich hat er einige
Stellen mit anderer Tinte korrigiert. Das vaticinium sibillae und die
beiden Briefe sind am Ende des XII. Jahrhunderts eingetragen. Der-
selbe Schreiber notierte auf fol. 95^ und 96^ die Worte: Über sancti
Petri Laubiensis ecclesiae, auf fol. 95^ mit dem Zusatz: Servanti
benedictio, tollenti maledictio. fiat. fiat. Auf fol. 1 endlich hat
nochmals eine neuere Hand die Worte Sancti Petri Lobiensis ein-
getragen. Pertz hat den Kodex als Gemblacensis bezeichnet, offen-
bar, weil er glaubte, Sigebert von Gembloux habe ihn benutzt. Selbst
wenn diese Annahme richtig wäre, gäbe sie uns kein Recht, entgegen
der beinahe gleichzeitigen Bezeichnung als Lobbiensis den Kodex
Gembloux zuzuschreiben, er gehörte vielmehr dem Kloster Laubach
(Lobbes) an. Inhalt: fol. 1' vaticinium Sibillae, fol. 1^ — 85' Anta-
podosis, fol. 85^ — 86' epistala Dom. Bernardi abbatis ad Eugenium
papam (Migne, Patrol. lat. Bd. 182, No. 238), fol. 86^—96' Historia
Ottönis, fol. 96' — 96^ Brief Bernhards von Clairvaux an die Bischöfe
von Ostia, Tusculum und Praeneste (Migne, Patrol. lat. Bd. 182,
No. 231). Anfangs versucht der Schreiber die griechischen Buch-
staben nachzumachen unter starker Latinisierung; später gibt er ein-
fach nur die lateinische Umschrift und die Obersetzung.
Berlin, ms. lat. fol. 358, saec. XIL ex.
166 Pergamentblätter im Format von 23 x 33,5. Das erste
Blatt vom ersten Quaternio ist weggeschnitten, sonst sind die Lagen
regelmäßig. Der Kodex ist in Pappband mit Lederrücken in neuerer
Zeit eingebunden worden. Die Bleistiftliniierung ist sehr fein und
sorgfältig. Zu Anfang der Bücher finden sich hübsche, bunte, groß-
zügige und langgestreckte Initialen, bei den Kapitelanfängen einfachere
Initialen mit wechselnder Farbe. Die Buchstaben am Rand zeigen,
daß sämtliche Initialen erst nach Vollendung des Kodex gemalt sind.
Kapitelzahlen, Anfang und Schluß der Bücher sind in roter Schrift
geschrieben. Am Satzbeginn stehen große Buchstaben mit einem
Punkt in der Mitte. Der Text ist in zwei Kolumnen geschrieben.
14 Jose! Becker,
Einige Korrekturen mit anderer Tinte, aber von derselben Hand,
zeigen, daß der Schreiber das Ganze noch einmal durchgesehen hat
Dieser ganzen äußeren Sorgfalt und Feinheit entspricht die Güte der
Abschrift und das Vorständnis für den Inhalt. Der Kodex enthält:
fol. 1—68 Guiberti dei Gesta per Francos, fol. 69—119 Fulcherii
Camothensis Gesta Francorum Ihenisalem peregrinantium, fol. 119
bis 122 Quomodo Tyrus ab Alexandra rege capta sit excerptum ex
decem libris hystoriae eiusdem (des Curtius Rufus), fol. 122^ Item
ex eisdem libris hystoriae magni Alexandri quomodo Gaza ab eodem
capta Sit rege, fol. 124—166 A. und H. O. Dazu die interessanten
Anweisungen für den Leser: Auf fol. 110^: O prudens lector si te
scire delectat quomodo Tyrus et Gaza ab Alexandro rege captae
sint require inferius et invenies sab hoc Signum. Auf fol. 124:
prudens lector si vis cognoscere ex qua progenie iste papa Johannes
descenderit et qualiter papa effectus fuerit lege inferius librum
secundum hystoriae Liudprandi et repperies ad hoc Signum; auf
fol. 142: O diligens lector si vis cognoscere qualis vitae iste papa
Johannes fuerit require superius et invenies ad hoc Signum. Ein
Faksimile aus der Handschrift gibt Amdt-Tangl», Tafel 24. Der
Kodex gehörte nach einer eingetragenen Notiz aus dem Jahr 1627
der Abtei Hautmont in der Diözese Cambrai.
Mailand, Ambros P 107, saec. XVI.
Vgl. Pertz, Archiv V, S. 471. Ein Eintrag des ersten Präfekten
der Ambrosiana Olgiati aus dem Jahr 1603 zeigt, daß die Hand-
schriften zum ältesten Bestand der Ambrosiana gehört. Woher sie
stammt, ist nicht festzustellen.
Paris, bibl. nat. lat. 5922, saec. XII., Excerpte. (P).
303 Pergamentblätter + je drei leere Vor- und Nachsatzblätter im
Format von 18,5 x 26,5 in 39 Lagen mit neuerem Einband. Fol. 1 — 72
bilden neun regelmäßige Quatemionen. Es folgt ein Binio, mit IX
bezeichnet; von der Ziffer ist unten ein Teil weggeschnitten. Blatt 4
des Binio ist ganz, das dritte bis auf einen schmalen horizontalen
Streifen weggeschnitten. Von fol. 76 — 123 folgen wieder regelmäßige
Quatemionen; fol. 124—127 (Lage XVI) = ein Binio, fol. 128—247
in regelmäßigen Quatemionen, fol. 248—253 = Trinio (= Lage XXXII),
ebenso (Lage XXXIII) von fol. 254—259, die Lagen XXXIV, XXXV und
XXXVI sind regelmäßig und nehmen fol. 260—283 ein, Lage XXXVII
= fol. 284—289, Lage XXXVIII = fol. 290—297, Lage 39 = fol. 298
bis 303, die zwei lezten Blätter der Lage sind weggeschnitten. Der
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 15
Text war an mehrere Schreiber verteilt, denn es sind am Ende der
ersten Hand Vis Blatt weggeschnitten, und am Ende der zweiten
Hand ist das lezte Blatt der Lage nur mit fünf Zeilen beschrieben.
Der erste und, wenn ich nicht irre, der dritte Schreiber hat die Linien
mit einem harten Blei, der zweite Schreiber mit einem Bleistift ge-
zogen. Alle drei Schreiber haben stets 19 Zeilen auf der Seite, nur
der dritte Schreiber hat von fol. 298—303 zwischen 19 und 22 Zeilen,
um gegen Ende mit dem Raum auszukommen. Die erste Hand schrieb,
fol. 1 — 75, sie ist deutlich erkennbar durch die eigene Form desg, die
zweite Hand geht von fol. 76—127, die dritte von fol. 128—303. Die
Hände 1 und 3 haben große wuchtige Buchstaben, die zweite Hand
ist zierlicher und feiner. Die drei Hände sind auch durch verschiedene
Tinte abgegrenzt Inhalt: fol. 1 — 204 Gregors von Tour Histor. Franc,
lib. I — IV, 16 parturientis et non effugient. Es folgt unmittel-
bar mit Incipit praefatio operis sequentis ohne Angabe von Titel und
Autor fol. 204—282 Regino mit Tulliensi urbe endend (SS. I, 612),
fol. 282 — 303 Auszüge aus Liudprand A. I, 5 — 11, VI, 5 bis arbores
subvehuntur, VI, 8, 9 und die ganze H. O. bis kurz vor Schluß ob
elemosinam endend, nicht wie Pertz merkwürdigerweise schreibt, erst
von Kapitel 15 ab beginnend. Die wenigen fehlenden Worte mögen,
wie Pertz meint, auf einem der nächsten weggeschnittenen Blätter ge-
standen haben. Die Inschrift Über Sanctae Marie Virginis in Otter-
bürg Maguntinae Diocesis gibt uns Nachricht über die Herkunft der
Handschrift.
Brüssel, bibl. royale 9884—89, saec. XVI.
162 gezählte Blätter + je 4 Vor- und Nachsatzblätter, darunter
je ein Pergamentblatt aus dem 14. Jahrhundert mit Fragmenten eines
scholastischen Trinitätstraktates. Auf dem dritten Vorsatzblatt liest
man, wie de Reiffenberg festgestellt hat, des Antonius Cautus Namen,
eines vielgereisten französischen Humanisten des XVI. Jahrhunderts,
nicht, wie Pertz las, Caucus und die Bezeichnung M S 9, auf der
Versoseite von jüngerer Hand Liudprandi Ticinensis diaconi non
Chronicon quod ei affingitur, sed gesta imperatorum et regum sui
praeciptie temporis quod vere est eius opus. Die Blätter sind ganz-
seitig beschrieben, durch vier vertikale mit hartem Blei gezogene
Linien eingeteilt und haben zwischen 29 und 32 Zeilen. Zu Beginn
der Bücher ist für Initialen größerer Raum gelassen, sie sind aber
dann nicht ausgeführt worden. Die lateinische Umschrift der griechischen
Stellen fehlt gänzlich; der Schreiber schreibt eine geläufige griechische
Minuskel, wenn auch mit lateinischen Formen vermengt. Wo die
16 Josef Becker,
Vorlage an den griechischen Stellen versagte, hat er mehr oder minder
umfangreiche Konjekturen vorgenommen. Die Handschrift wird wohl
von Antonius Cautus gegen Ende des XVI. Jahrhtmderts selbst ge-
schrieben sein. Beschrieben hat sie der Baron von Reiffenberg im
Bulletin de TAcademie Royale des Sciences et Belles-Lettres de
Bruxelles, tome X, part. I (1843), S. 375 ff.
Inhalt: fol. 1 — 7 Kapitelverzeichnisse sämtlicher Bücher, zusammen
dem Text vorangestellt Fol. 8, 9, 10 sind leer. Fol. 11—98 A. und
H. O., fol. 99 — 103 Theolog. Disputation zwischen Germinius und
Heraclianus, Firmianus und Heraclianus. Fol. 104 — 105 Urkunde
Friedrichs I. (Stumpf, Reichskanzler No. 4529), fol. 106' frei. Fol. 106^
Sequuntur S. Julianl Prognosticorum libri tres praemissis
epistola ad Idatium episcopum Barcinonensem et oratione ad deum,
Fol. 107—109 Epistola Juliani ad Idatium (Migne, Patrol. lat. X
C VI, col. 453 — 457), fol. 110—155' Oratio ad deum und Prognosticon
(Migne a. a. O. col. 460—524), fol. 155^ frei, fol. 156—157 Brief
des Idatius an Julianus (Migne a. a. O. col. 457 — 459), fol. 158
bis 159 frei.
Nun folgen von jüngerer Hand, nach de Reiffenberg der des
Andreas Schott, auf fol. 161 — 162 Notizen aus dem Codex Batavus
des Cornelius Nepos, dann eine Notiz über den Brief der Cornelia,
Mutter der Gracchen, aus Cornelius Nepos.
Trier, Stadtbibl. 388 Passionale, saec. XI. ex. (T).
Diese Handschrift enthält Auszüge aus Liudprand, die im An-
fang des XII. Jahrhunderts eingetragen wurden und zwar A. I, 25 tum
a Romanis ingrediendi urbem bis A. I, 36 a Deo, wo der Schreiber
et reliqua hinzufügt. Über den Kodex vgl. Keuffer, Katalog der
Trierer Stadtbibliothek, Heft IV, Liturg. Hss. Trier 1897.
Wien, lat. 427 (hist. prof. 338), saec. XII. (V).
148 Pergamentblätter im Format von 22x29, darunter von
fol. 46 — 71 eine spätere Papiereinlage, die Cuspinian einschob, als
die Handschrift neu gebunden wurde. Der ganze Kodex außer der
descriptio temporum (fol. 72^ — 74) und der Aufzählung der regna des
Isidor (fol. 120^ — 124) ist in einer Kolumne geschrieben. Lagen-
ordnung: fol. 1 — 6 = Trinio, fol. 7 — 15 = Quinio, dessen letztes Blatt
fehlt, fol. 16 — 39 drei Quatemionen, fol. 40 — 45 ein Quatemio, dessen
zwei letzten Blätter fehlen, fol. 46—71 eine Papierschicht, fol. 72—74
ein Binio mit weggeschnittenem ersten Blatt. Fol. 74' ist zu drei-
viertel, fol. 74^ und 75' ganz leer. Von den vorausgehenden Lagen
Teztgeschichte Liudprands von Cremona. 17
trägt nur die zweite eine Signatur. Mit fol. 75 beginnt eine neue
Lagenreihe mit eigener von vorn beginnender Zählung in acht
Quatemionen. Von der neunten Lage fehlt das erste Blatt, dafür ist
an das vorletzte Blatt ein neues angeklebt. Trotz der doppelten
Lagenordnung bildet der Kodex eine Einheit. Der Text des Isidor
beginnt noch innerhalb der ersten Lagenreihe mit fol. 72. Die Haupt-
störung ist durch den Einschub Cuspinians hervorgerufen. Außer
diesem haben die Handschrift drei Schreiber geschrieben. Fol. 42 in
der Mitte beginnt eine zweite Hand bis fol. 45, fol. 46 — 71 sind von
Cuspinian beschrieben, fol. 72 fährt die zweite Hand fort bis Einhard
auf fol. 125, von fol. 125 — 148 beschließt ein dritter Schreiber das
Ganze. Inhalt: fol. 1 De expeditione christianorum contra Saracenos
et de captis Hlerosolimis (= Kurzer Bericht des Erzbischofs Daimbert
von Pisa über den ersten Kreuzzug), fol. 2 — 41 Rudberti historia
expeditionis Hierosolymitane, fol. 43 — 71 Jahrestafel bis zum Jahr
1160, vom Jahr 167 ab von Cuspinian geschrieben. Fol. 72 — 125
Chronica Ysidori Yspaniensis, fol. 125 — 132 Einhards Gesta Caroli.
Fol. 132 — 148 Liudprandi historia. Es fehlen die Kapitelverzeichnisse
vom ersten und dritten Buch. Wie ein Eintrag besagt, ist die Hand-
schrift im Jahr 1540 von dem Wiener Bischof Johannes Faber ange-
kauft und dem Kolleg St. Nikolaus geschenkt worden zum Gebrauch
der .darin wohnenden Studierenden".
Klosterneuburg 741, saec. XII. (C).
202 Pergamentblätter einschließlich eines Vorsatzblattes + ein Nach-
satzblatt im Format von 21 x 29 in einem wohl aus dem XV. Jahr-
hundert stammenden Einband, der aus einem Holzdeckel mit Leder-
Tücken, Metallbeschlägen und -schließen besteht. Es gehören zu-
nächst 13 Lagen zusammen, die auf dem ersten Blatt signiert sind
und bis fol. 106 reichen. Der untere Blattrand ist mit der Signatur
meist weggeschnitten. Eine jüngere Hand hat dann sämtliche Lagen
des Kodex auf dem letzten Blatt neu mit arabischen Ziffern bezeichnet.
Da auf fol. 123' und 179' die Lagenbezeichnung III bezw. X steht
und zwischen fol. 107 und 108 ein Blatt weggeschnitten und nach
fol. 121 gleich 123 gezählt ist, beginnt mit fol. 107 eine zweite
Quatemionenreihe von 12 Quatemionen, dis bis fol. 202 reichen.
Jede Seite hat 30 Zeilen. Buch- und Kapitelanfänge sind mit teil-
weise hübschen Initialen geschmückt. Der Kodex scheint von einem
Schreiber geschrieben zu sein. Eine Hand des XV. Jahrhunderts hat
mehrmals die Worte über Sanctae Mariae virginis in Newnburga
claustrali eingetragen. Inhalt: Auf fol. 1 stehen einige 1656 ein-
QueUen u. Untersuch, z. Ut. Philologie des MA. III, 2. 2
18 Josef Becker,
getragene chronologisch-sachliche Inhaltsnotizen. Fol. 2 — 41 Eutrops
Historia Roraana fol. 42—71' Paulus Diaconus fol. 71'— 82^ Einhards
Gesta Caroli. Fol. 82^—107 Liudprands A. I— III, 37. Fol. 108 bis
202 Reginos Chronik. Das früher einmal auf einen Deckel aufgeklebt
gewesene Nachsatzblatt enthält nomina paparum a tempore Caroli
regis usque huc bis Alexander III. (1159--81).
Zwettl 299, saec. XII. (Z).
283 Pergamentblätter im Format von 17,5 x 26 im Jahr 1783
neu gebunden. Der Kodex besteht aus zwei ursprünglich getrennten
Teilen, die zwischen 1620 und 1640 schon zusammen gebunden
waren. (Vgl. Arthur Goldmann, Zur Geschichte der Bibliothek des
Zisterzienserstiftes Zwettl in Mitteilungen des österreichischen Vereins
für Bibliothekswesen VII, 15.) Es bilden zunächst fol. 2—72 (ein
Blatt ist doppelt gezählt) 9 regelmäßige Quatemionen mit Signaturen
auf dem letzten Blatt, dann fol. 73 — 83 einen Senio, dessen zweites
Blatt weggeschnitten ist, fol. 84 — 123 wieder 5 regelmäßige Quater-
nionen. Nun folgt von fol. 124 — 129 eine Lage, die ursprünglich
ein Binio mit weggeschnittenem vierten Blatt war, dann wurde ein
Doppelblatt eingefügt und das weggeschnittene Blatt wieder angeklebt.
Mit fol. 130 beginnt die neue Lagenzählung der zweiten Hälfte des
Kodex, an der mehrere Schreiber geschrieben haben. Fol. 130 — 231
bilden 13 regelmäßige Lagen (zwei Blätter sind doppelt gezählt),
fol. 232—234 einen binio ohne letztes Blatt, fol. 235—274 fünf regel-
mäßige Quatemionen, fol. 275 — 277 ein Doppelblatt mit angeklebtem
dritten Blatt, es schließt mit fol. 278—283 ein Trinio. Den Inhalt
des Kodex sieh in Xenia Bernardina II. Teil, Band I, S. 401. Der
in Zwettl 32 saec. XII. ex. überlieferte Handschriftenkatalog enthält
die Nummern 1 — 11 der Xenia, No. 13 ist in dem zwischen 1200
und 1246 geschriebenen Handschriftenverzeichnis, das in Zwettl
24 steht, enthalten, No. 12 ist in keinem der beiden verzeichnet, dgl.
nicht No. 14, 15, 16, 17, es sei denn, daß diese unter der Bezeichnung
Affricani historia des Katalogs Zwettl 24 miteinbegriffen sind.i)
Wien, lat. 400 (hist. prof. 178, olim hist. lat. 47), saec. XIII.
72 Pergamentblätter + 1 ungezähltes Vorsatzblatt im Format von
22,2 X 31,2 in modernem Einband. Es sind neun regelmäßige Lagen,
Quat. I ohne Signatur, Quat. II — VII auf dem unteren Rand des letzten
Blattes bezeichnet, die Quat. VIII — IX tragen die Signatur auf dem
^) Ich verdanke diese eingehenden Angaben der gütigen Mitteilung des
Herrn Stiftsbibliothekars P. Hammerl.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 19
ersten Blatt der Lage. Dem.Quat. I ist ein ungezähltes, aber zur
Handschrift gehörendes Blatt vorgeheftet. Der ganze Kodex scheint
von einer Hand geschrieben zu sein. Der Kapitelindex von über I
und III fehlt, bei dem von II fehlen die Zahlen. Der Text ist fort-
laufend geschrieben ohne Kapitelscheidung. Auf dem ersten un-
gezählten Blatt stehen auf der Rektoseite versus cuiusdam de nummo,
auf der Versoseite von neuerer Hand das Inhaltsverzeichnis der Hand-
schrift: fol. 1 — 8 S. Methodio adscripta prophetia, fol. 9 — 40^ B.
Victoris Uticensis de persecutione Vandalorum libri tres, fol. 40^ bis
51 Eginarti vita Caroli magni, fol. 51 — 72 Liudprandi Ticinencis
historia. Auch diese Handschrift wurde von Johannes Faber gekauft
und dem Nicolauskolleg geschenkt.
British Museum, Harleianus 2688, saec. XIII (H). Vgl.
Pertz, Archiv VII, 398 und Catalogue of the Hart, manuscr. II, 708.
Damit ist das Handschriftenmaterial, soweit es uns heute be-
kannt ist, erschöpft. Es muß ein Irrtum voriiegen, wenn Pertz in
der Vorrede zur Einhardausgabe*) in den Vindobonenses bist. prof.
1068 und Katalog Seh wandner 1080 die Antapodosis enthalten sein
läßt Der )^^ener Handschriftenkatalog berichtet das von den Hand-
schriften nicht, und eigene Einsicht in die beiden Kodizes bestätigt
die Pertzsche Angabe gleichfalls nicht. Ebenso ist mir die Notiz bei
Muratori*) unerkläriich, in der er von drei )^^ener Liudprandhand-
schriften redet, darunter zwei sehr alten. Er druckt dann die Ver-
gleichung der früheren Ausgaben mit bist. prof. 178 (jetzt No. 400),
ab, welcher Kodex noch mit einem ungenannten (cum altero simili
collatus) verglichen worden wäre, und die Vergleichung der Ausgaben
mit bist prof. 338 (jetzt No. 427). In Wien gibt es heute nur zwei
Liudprandhandschriften. — Ob mit dem ungenannten alter similis
irgend eine der anderen österreichischen Handschriften gemeint ist?
Aus den knappen Varianten ist es nicht zu ersehen.
>) Mon. Germ. SS. II, pag. 439.
*) Script, rer. Ital. tom. II. 2, pag. 1080.
B. Die Genealogie der Handscliriften.
Seit Köhlers gründlichem Nachweis, daß der Münchener Kodex
nicht das Äutograph darstellt, bedarf die gesamte handschriftliche
Überlieferung Liudprands von Cremona einer vollständigen Neu-
ordnung. Zunächst ist es notwendig, die von Pertz gegebene Klassi-
fikation durch eine den veränderten Verhältnissen entsprechende neue
zu ersetzen. Schon ein flüchtiger Blick auf unsere Überlieferung
zeigt uns evident drei Handschriftenfamilien. Die erste Familie,
am besten vertreten durch die Münchener ehemals Freisinger Hand-
schrift, gibt uns den vollständigsten und lückenlosesten Text, ihre
gute Erhaltung entspricht dem Alter einzelner ihrer Glieder. Zu ihr
gehören außer München lat. 6388 Ashbumham 15, Brüssel 9904,
Harieianus 3685.
Dieser Handschriftengruppe steht am nächsten eine zweite Familie,
sie tiberiiefert A. und H. O. und zwar die H. O. überall hinter der A.
Ihre Verwandtschaft erhellt aus den allen gemeinsamen Lücken A. I, 10;
I, 12; II, 4; IV, 30; V, 19; V, 31; V, 32; VI, 5; VI, 9; H. O. Kap. 14.
Zu dieser Klasse gehören Hart. 3713, Brüssel 14923, Beriin ms. lat
fol. 358, Brüssel 9984—89, Ambros. P. 107, die Exzerpte in Paris
lat. 5922 und Trier 388, deren Lesarten deutlich auf diese Klasse
weisen.
Jünger und in ihrer Erhaltung schwer geschädigt sind die Glieder
einer dritten Familie, zu der Hart. 2688, Wien, lat. 427 und 400,
Zwettl 299 und Klostemeuburg 741 gehören. Ihre Zusammenge-
hörigkeit geht hervor aus den großen Veriusten, die ihnen gemeinsam
sind. Der Hart, endet A. V, 18, die übrigen bereits in der zweiten
Hälfte des III. Buches, die H. O. enthalten sie alle nicht, sie alle
haben A. I, 42 einen ihnen allein eigenen Text, der eine zusammen-
Josef Becker, Teztgeschichte Liudprands von Cremona. 21
ziehende schwerfällige Überarbeitung des ursprünglichen Textes darstellt,
und einige Lücken gemeinsam wie A. I, 42; II, 6; II, 45, 66. Diese
Gruppe endlich ist frei von den Glossen und der Umschrift der
griechischen Buchstaben.
Es seien hier die Metzer Auszüge angereiht, die zwar nicht zu
dieser Klasse gehören, wegen ihres sehr geringen Umfanges, aber
auch nicht als eine eigene Klasse zu bezeichnen sind.
Die dreifache Scheidung unserer Handschriften ergibt sich auch
bei der Betrachtung der einzelnen Lesarten. Jede Gruppe ist reich
an Varianten, in jeder aber finden sich zahlreiche Fehler und Inter-
polationen, die ihre Heilung in einer, meist in den beiden anderen
Gruppen finden.
Es kann keinem Zweifel unteriiegen, daß unsere Handschriften
in drei Klassen zerfallen. Diese Tatsache involviert sofort zwei weitere
Fragen: 1. Wie gestaltet sich das genealogische Verhältnis innerhalb
derselben Klasse; 2. Welche Stellung nehmen die einzelnen Klassen
zueinander ein.
Schreiten wir zur Lösung der ersten Frage, so erhalten wir für
die Klasse I das wichtige Ergebnis, daß der Frisingensis ihr Archetyp
ist, ihr bester und vollständigster Vertreter, der auch ftirderhin die
Grundlage jeder Textrezension bleiben wird. Als Köhler die Autorität
des Frisingensis als eines Autographs erschüttert hatte, setzte man
große Hoffnung auf den ebenfalls alten Ashbumhamkodex.i) Indes
die gehegte Erwartung erfüllt sich nicht. Man muß vielmehr Holder-
Egger*) beistimmen, der bereits Belege dafür erbrachte, daß der jetzige
Laurentianus nur eine Abschrift des Frisingensis darstellt. Fast alle
Versehen und Fehler des letzteren sind übernommen, außer einigen
wenigen, die durch einfachste Konjektur zu beseitigen waren. Andere
Versehen des Frisingensis sucht der Kopist gelegentlich auch zu heilen,
z. B. hatte der Frisingensis im Kapitelverzeichnis von Buch I No. 1 1
durch Dittographie quod Imperator se non flagellantes flagellantes
non flagellaverit, ein flagellantes also zu viel. Der Kopist schrieb
zunächst beides ab, änderte aber dann se non flagellante flagellantes,
indem er ein s nachträglich ausradierte. Im übrigen ist die Abschrift
eine schlechte zu nennen, die zahlreichen Fehler des Frisingensis
sind um viele vermehrt. Man hat den Eindruck, als habe der Schreiber
») Dümmler im Nachwort zu Köhlers Beiträgen N. A. VIII, S. 89 und zuletzt
Traube in Wattenbachs Geschichtsquellen ^ S. 480.
») N. A. XI, S. 264.
22 Josef Becker,
zusammenhanglos Silbe für Silbe abgeschrieben, die zahlreichen
Dittographien und Silbenauslassungen scheinen darauf hinzuweisen;
oft sind ganz frappant sämtliche Abkürzungen des Frisingensis über-
nommen. Außerdem lehrt eine Nebeneinanderstellung beider Hand-
schriften, wie aus den Zügen der einen die falschen Lesarten der
anderen entstehen konnten. Gleich der Titel konnte veriesen werden.
Der Laurent, schreibt ANTCDnOAOTeCDC, weil im Frisingensis
die Formen von a und co sich sehr ähnlich sind. Die Form des N
in Uudprando führte zur Lesung Uudpralido, die des tj in hxri zur
Schreibung Arv; man vgl. auch die Formen von Ixf^aXooUi in beiden
Handschriften. Aus editus, dessen kapitales T im Frisingensis etwas
verwischt ist und wegen des schmalen Querbalkens einem / gleicht
wurde edius. A. I, 23 ist in ense das n übergeschrieben und zwar
in einer einem a sehr ähnlichen Form. Der Kopist las denn auch
ea se. Wollte man trotz dieser Erscheinungen den Asbumham immer
noch für einen Gemellus des Frisingensis halten, dann müßte man
annehmen, daß die Fehler des Frisingensis schon in seiner Vorlage
gestanden hätten, daß der Frisingensis seine Vorlage abgezeichnet
(vgl. Titel), daß er auch die verweisenden Zeichen (und a.) genau wie
in der Vortage übernommen, daß er seine Vortage so gut kopiert
habe, daß sein Gemellus uns wirklich keine besseren originalen Les-
arten mehr bieten kann. Unter dieser Annahme wäre es möglich
die These aufrecht zu halten, allein wer möchte dieser Annahme
zustimmen?
Von gleicher Herkunft ist femer der ehemalige Spanheimensis.
Pertz hatte dieses Abhängigkeitsverhältnis bereits erkannt, allein Köhler*)
machte starke Bedenken dagegen geltend: A. I, 26 fehlt im Span-
heimensis der Vers Cannabe etc., im Frisingensis ist er von zweiter
Hand am Rand nachgetragen. Köhler erklärt das daraus, daß der
Vers im Archetyp beider nachgetragen gewesen sei, so daß der erste
Schreiber des Frisingensis und der des Spanheimensis ihn tibersahen.
Ich glaube, daß auch die andere Erklärung eben so gut möglich ist:
der Schreiber des Frisingensis hatte aus irgend einem Grunde den
Vers ausgelassen, der Korrektor trug ihn am Rande nach, und diese
Randbemerkung übersah der Schreiber des Spanheimensis. Ähnlich
steht es mit anderen Bedenken Köhlers. Wichtiger erscheint die auf-
fallende Übereinstimmung des Spanheimensis in derselben Lücke
einmal mit der dritten (A. IV, 23) und einmal mit der fünften Klasse
>) a. a. O. S. 87 f.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 23
(A. VI, 5). Dagegen ist zu bemerken, daß die erste Lücke sich nur
in S findet, nicht auch wie Pertz falsch notiert, in H. Mit der zweiten
Obereinstimmung in derselben Lücke hat es seine Richtigkeit, jedoch
ist auch die Erklärung sehr einfach, indem in beiden Fällen die
Schreiber, irre geleitet durch das gleichlautende bant, von custodiebant
etwa um eine Zeile weiter zu emittebant abirrten. So können Köhlers
Einwände anderweitig erklärt werden und vermögen die po3itiven
Beweisgründe nicht zu erschüttern. Den Ausführungen von Pertz *)
sei noch einiges hinzugefügt. Zahlreiche Versehen von S lassen sich
bei Einsicht in F leicht erklären. SS. III, 284, 29 hat S den /n-Strich
in Verona durch das in F übergeschriebene dirigunt und das dabei-
stehende Einfügungszeichen übersehen. SS. III, 303, 20 hat in F die
Trennung am Zeilenende die Dittographie immensisitatem hervor-
gerufen, die von S kopiert wird. SS. III, 306, 8 schreibt F sed et
zusammen und zwar et in einer es sehr ähnlich sehenden Abkürzungs-
form, so daß S sedes liest. SS. III, 307, 45 schreibt F die Glosse
wie gewöhnlich über das zu erläuternde Wort. Dabei ist id est durch
ein undeutliches / über dem o von dtio bezeichnet. S weiß damit
nichts anzufangen und macht über duo einen Haken und schreibt
duo propter iuxta assisterent SS. III, 310, 20 steht in F potentieet,
S machte daraus potentie et. SS. 111,311, 5 sind in F die Worte
hec erat zusammengeschrieben, dann aber ist an c unten ein Trennungs-
zeichen angebracht. S kopiert zunächst das Trennungszeichen an c,
läßt aber dann einen Zwischenraum vor erat, SS. III, 311, 27 hat F
ursprünglich cruarent geschrieben, dann ci über u eingefügt und als
Einfügungszeichen einen Punkt unmittelbar auf den zweiten n-Strich
gesetzt, so daß dieser dadurch einem c ähnlich ist. Daher findet sich
in S cricicarent. SS. III, 344, 42 fehlen in S die Worte postquam
vero bis occidere voluit. Der Schreiber hat also statt hinter valuit
hinter voluit weiter gelesen, was sich daraus erklärt, daß in F voluit
in der nächsten Zeile unmittelbar unter valuit steht.
Man vergleiche auch die griechischen Stellen, z. B. die umfang-
reiche in A. III, 41, und man wird finden, wie S Strich für Strich F
kopiert. Auch hier wäre es merkwürdig, wenn alle diese Zufällig-
keiten der Übereinstimmung von F und S — es ließe sich die Zahl
dieser Erscheinungen reichlich mehren — schon im gemeinsamen
Archetyp gestanden und so die Irrtümer in beiden Abschriften hervor-
gerufen hätten. Auch ganz äußeriich stimmen beide Handschriften
») Archiv VII, S. 396.
24
Josef Becker,
vielfach überein. Beide haben das Format 18 x 25; auch in den
Lagenverhältnissen sucht sich S nach F zu richten. Auf fol. 45 oben
erzielt es ein Schreiber sogar, mit denselben Worten die Seite zu
beginnen und zu enden wie der Frisingensis. Dies gelingt bis fol. 50
des Frisingensis. Hier beginnen in beiden Handschriften aufs neue
die Lagen mit denselben Worten. Aus dem quatemionenweisen Ab-
schreiben ist auch die von S begangene Vertauschung der beiden
Lagen VII und VIII des Frisingensis (fälschlich VIII und VII bezeichnet)
zu erklären. Da S für die H. O. den ersten Quatemio verbraucht,
während F dafür eine nicht gezählte, weil nachträglich vorgeheftete
Lage verwendet, war F mit der Lagenzählung stets um eine Lage
voraus. Als er daher seine VIII. Lage begann, mußte er die VII. Lage
des Frisingensis suchen, aber die dort mit VII bezeichnete Lage war
in Wirklichkeit Lage VIII. Folgendes Schema zeigt deutlich, wie die
Unordnung in S aus der falschen Bezeichnung der Lagen in F ent-
standen ist.
Frisingensis
Spanheimensis
Inhalt
Wirkliche
(falsche) Signatur
Korrespondierende
Lagenordnung
Inhalt
III, 26-IV, ind.
IV, ind.— IV, 24
IV, 24— V, 9
V. 9-
VI
VIII
VII
DC
VI
VII
VIII
IX
VII
VIII
IX
X
III, 2e-IV. ind.
IV, 24— V, 9
IV, ind.-IV, 24
V, 9-
So erklärt sich die Vertauschung in S ohne Schwierigkeit und
ein Zurückgehen auf einen gemeinsamen Archetyp») ist nicht nötig.
Dies alles zeigt aufs deutlichste, daß S eine Abschrift von F ist. Da
auch der Peutingerianus Hart. 3685 eine Kopie von F darstellt, be-
sitzen wir in der Tat in der Münchener Handschrift den Puchetyp
der ganzen ersten Klasse.
Dem Frisingensis an Alter ebenbürtig sind die Metzer Auszüge.
Auf die Güte der hier voriiegenden Überiieferung hat zuerst Köhler»)
hingewiesen, wenn auch sein Urteil sehr einzuschränken ist. Das
von ihm als richtige Lesart behandelte aeque A. I, 11 weist keine
andere Handschrift auf. Außerdem liest auch der Frisingensis
A. I, 11 €ig t6 (nicht el t6), ox stehen in einer Ligatur, welche die
») Köhler a. a. O. S. 86.
«) a. a. O. S. 78f.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 25
Herausgeber übersehen haben. Auf Köhlers falsche Auffassung der
Punkte in A. I, 11 {articulos in condilum) hat schon Wattenbach
aufmerksam gemacht Der Hauptwert der Exzerpte liegt — das hat
vor allem Traube*) betont — in der Tatsache, daß die griechischen
Worte nicht wie gewöhnlich in lateinischen Handschriften in Unciale,
sondern in Minuskel geschrieben sind. Dies zeigt, daB sie dem
Original sehr nahe stehen. DaB in diesem Liudprand als Kenner des
Griechischen sich der Minuskel bedient hat, wäre an sich schon
wahrscheinlich, wenn es auch handschriftlich nicht bestätigt wäre;
nicht nur in den Metzer Auszügen, sondern auch in F finden sich
bei den Graeca noch einige Minuskelelemente, freilich selten im Ver-
^eich zu den Auszügen, und in letzteren stehen sie oft da, wo F
die übliche griechische Unciale verwendet. Damit kommen zu den
von Traube») aufgezählten Fällen griechischer Minuskel in lateinischen
Handschriften des IX. Jahrhunderts zwei aus dem X. Jahrhundert
hinzu. Infolge des geringen Umfanges der Exzerpte ist ihre Stellung
zu den verschiedenen Handschriftengruppen nicht festzustellen; jeden-
falls sind die Exzerpte nicht dem Frisingensis entnommen. Der Um-
stand, daB sie keine Umschrift der griechischen Worte haben, weist
vielleicht darauf hin, daß sie mit der III. Handschriftengruppe näher
zusammen gehören. Dahin deutet vielleicht auch das Folgende:
A. I, 11 (SS. III, 278,1) lesen die Exzerpte wie der Frisingensis
Mars trigonus te premit Am Rande folgen dann die Worte
Axovoov mit darüber stehendem audio, die der Frisingensis und
Gruppe II nicht überiiefern, wohl aber lesen wir in den Handschriften
der III. Gruppe Axovoov inquam Mars trigonus etc. Die übrigen
Lesarten der Exzerpte lassen keinerlei Entscheidung über ihre Stellung
zu den anderen Handschriften zu.
In der zweiten Handschriftenklasse sind die erhaltenen ältesten
Vertreter der Hart. 3713 und der Bruxellensis 14923, jener, wie unten
dargelegt wird, aus Gembloux (G), dieser aus Laubach (L) stammend.
Pertz ließ es dahingestellt, ob L von G oder von einer anderen Hand-
schrift derselben Klasse abzuleiten sei. Ich glaube, daß beide zu
coordinieren sind und Gemelli darstellen. DaB L von G unabhängig
ist, zeigt z. B. A. V, 29. G liest hier dei tyrannicosus mens, während
") In einer Note zu Köhler a. a. O. S. 53. Zu bemerken ist noch, daß das
Exzerpt oben rechts am Rande axovoov audio lautet, nicht wie Köhler druckt ^Lxoviov
audiens.
«) Wattenbach, Geschichtsquellen' S. 476, Note 2.
») Poetae Carol. III, 822 f.
26 Josef Becker,
L mit dei tironicosus mente dem Original näher steht. G utid L
sind zur Rekonstruktion dieser Klasse in erster Linie heranzuziehen.
Die übrigen Handschriften sind entweder Abschriften von ihnen oder
nur Fragmente von geringem Umfange. Der Berolinensis ist sicher
eine Kopie von L. Er hat dessen Konjekturen und Interpolationen
getreu übernommen. Im XVI. Jahrhundert hat Ant. Cautus G kopiert
Aus der editio princeps vom Jahr 1514 ist der heutige Ambrosianus
geflossen, er weist dieselbe Kapiteleinteilung und die gleichen Kon-
jekturen wie jene auf. Nicht dagegen sind aus den uns erhaltenen
Handschriften abgeleitet die Erstausgabe selbst und die in Hand-
schriften überlieferten Bruchstücke. Pertz hat recht, wenn er den
ersten Druck aus einer Handschrift der zweiten Klasse herleitet, nicht
genau genug hat er dagegen zugesehen, wenn er ihn aus L oder vielleicht
einer Kopie von L geflossen sein läBt. Die eine Tatsache, daB L Lücken
aufweist, die sich im Drucke nicht finden und deren richtige Ergänzung
nur aus einer anderen Handschrift stammen kann, widerlegt das.
L. Editio princeps.
A. III, 26 Zorf, Zoi fehlen Zoizone
A. V, 26 ambitionem et vanam ambitionem et kenodoxiam id
gloriam cognoscens est vanam ghriam cognoscens
A. VI, 5 pronus fehlt. prontis adorans.
Außerdem steht von den eigenen Konjekturen, die L machte,
in dem Drucke nichts. Der Drucker hatte eine andere Vortage. Also
etwa den Gemellus von L, G? Aus denselben Gründen nicht. So
schreibt die Editio princeps an der kurz vorher angeführten Stelle
fyroni vehemens; auf G geht diese Konjektur kaum zurück. Wenn
wir überdies sehen, daß die Editio princeps Lesarten der einen wie
der anderen Handschrift aufweist, daß sie aber nicht unter Benutzung
beider entstanden sein kann, weil es sonst unerklärlich wäre, daß der
Editor zum Teil den Lesarten von L gefolgt sei, dessen oft ganz
sinngemäße Konjekturen aber nie beachtet habe, so kommen wir zu
dem notwendigen Schluß, daß die Vortage von G und L die Quelle
für den Editor gewesen sein muß. Wo lag die Handschrift, aus der
G und L geflossen sind? G ist Ende des XI. Jahrhunderts in Gem-
bloux, L Anfang des XII. Jahrhunderts in Lobbes geschrieben. Nun enthält
der Bibliothekskatalog von Lobbes aus dem Jahr 1049 ^) einen Luit-
prandus. Ich glaube, wir gehen nicht fehl in der Annahme, daß dieser alte
>) Herausgegeben von H. Omont, Rev. des bibl. 1 (1891), S. 13. Facsimiles
in Pal. Soc. I, 61 und Reusens, Elements de pal. S, 190.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 27
Lobbiensis Quelle für G und L und später für den Editor geworden ist.
Was ist aus diesem alten Lobbiensis geworden? Ist er aus der Druckerei
nach Lobbes zurückgebracht worden und vielleicht dort dem großen
Brand von 1546 zum Opfer gefallen, oder ist er, was wahrscheinlicher
ist, wie so viele andere Handschriften in der Druckerei verschollen?
Noch eine Stufe weiter führen uns die Trierer Exzerpte, die in
einigen Punkten einen besseren Text bewahrt haben. Um ein Beispiel
anzuführen, die übrige Überlieferung dieser Klasse schreibt A. I, 27
vitam aviditate contempnunt, nur unsere Exzerpte überliefern das
von Klasse I und III bezeugte vitam laudis aviditate contempnunt
Ob die Handschrift, aus der die Exzerpte geflossen sind, auch die
Quelle für den alten Lobbiensis gewesen ist oder nur ein Gemellus
von ihm, vermag man nicht zu entscheiden, im einen oder anderen
Falle wird das Handschriften-Stemma verschieden sich gestalten.
Auf den älteren Lobbiensis oder was textgeschichtlich vielleicht wahr-
scheinlicher ist, eben diesen Trierer Kodex, aus dem die Exzerpte
geflossen sind, gehen wohl auch die Ottersberger Auszüge im Parisinus
zurück. Daß sie auf einer älteren Vortage beruhen, sieht man auch an
den griechischen Stellen, wo der Schreiber nicht die Versuche von G oder
L vor sich hatte, sondern eine originalere Gestalt, mit der er seiner-
seits sich abmühte. Der Stammbaum der II. Klasse könnte also sein:
X (Trier)
Paris 5922^ ^Trierer Exzerpte
y (Lobbes)
Marl. 3713'^
Brüssel
14923
^Ed. princeps
Ambros. P. 107
'^ Berlin 358
oder I
><
z
(Trier) j/ ^y (Lobbes)
etc. ... Im ersten Fall stellte der Trevirensis, der verioren ist, den
Archetyp der III. Klasse dar. Im zweiten Fall müßte noch ein dritter
zu Grunde gegangener Kodex als Archetyp angenommen werden.
28 Josef Becker,
Vermutlich gehören in die II. Klasse auch die nicht mehr erhaltenen,
ehemals in Egmond (saec. XI) und Stablo (a. 1105) liegenden Hand-
schriften. ^) In der letzteren Ifindet sich auch der den Handschriften
dieser Klasse eigene Titel Gesta regam et principum partis Europae.
Welche Stellung den beiden Handschriften innerhalb des obigen
Stemmas zukommt, läfit sich nicht feststellen.
Innerhalb der dritten Handschriftenfamilie ist das gegenseitige
Verhältnis leicht festzustellen. Es stehen sich der Hart. 2688, der die
A. bis V, 18 überliefert, und die heutigen österreichischen Hand-
schriften gegenüber, die schon innerhalb des III. Buches enden. Daß
sie dem Hart, zu koordinieren sind, zeigen einige Lücken desselben,
die sich in ihnen nicht finden, z. B. A. II, 26 — 40. Beide Teile sind aber
nicht unmittelbar aus demselben Archetyp geflossen, vielmehr sind
die österreichischen Handschriften durch ein Mittelglied hindurch-
gegangen. Das beweisen die groBen, ihnen gemeinsamen Lücken,
z. B. das Fehlen der Kapitelverzeichnisse im ersten und dritten Buch.
Sie weisen viele gleiche Verderbnisse im einzelnen auf, z. B. im
Kapitelverzeichnis von Buch II, No. 57 lesen sie alle Berto statt
Lamberto etc. Unter ihnen sind Wien 427 und Klostemeuburg 741
Gemelli. Ihre gegenseitige Unabhängigkeit zeigt eine Menge Lesarten,
deren Richtigkeit aus der Übereinstimmung mit den übrigen Hand-
schriften derselben und der anderen Klassen hervorgeht. Man vgl.
die folgenden Beispiele, die sich reichlich vermehren ließen.
I, 3 villule] V, ville C
I, 13 nominari\ V, vocari C
I, 17 tarn] V, in C
I, 23 ante porte ianuam] V, ante portam C
I, 32 ipsiüs] V, fehlt C
II, 25 munera] V, munerent C
II, 31 properare] V, propinquare C
II, 31 adeo] V, fehlt C
II, 34 bonis omnibus] V, modis omnibus C
II, 39 tactus] V, ductus C
I, 4 unus] C, unusquisque V
I, 27 dicunf\ C, vocant V
I, 32 etiam atque etiam] C, atque etiam fehlen V
') Ich wurde darauf aufmerksam durch die dankenswerte Zusammenstellung
»Geschichtliches aus mittelalterlichen Bibliothekskatalogen' von M. Manitius im N. A.
XXXII (1907), S. 689. Daselbst ist nunmehr die Bemerkung über Brüssel 9904 und
den alten Lobbiensis zu berichtigen.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 29
I, 35 exUi\ C, exigit V
II, 44 Gareliano] C, Gargliano V
II, 73 conibentes] C, contubentes V
III, 2 dilatatur] C, fehlt V
III, 4 Reliquiae {qui C) ^Ofl^] C, Reliqui qui V
III, 9 Fluvionm rex] C, r^;c fehlt V.
C seinerseits ist Vorlage von Z geworden. Die hier aus C
notierten Varianten finden sich sämtlich auch in Z. Z weist alle
Fehler und Interpolationen von C auf, ohne selbständige Lesarten
zu bieten. Seine Abhängigkeit von C zeigt aufs klarste folgendes:
A. I, 3 schreibt C incideritit, das zweite it ganz fein durchstrichen
und etwas verwischt. Z macht daraus inciderit in mucronis. II, 34
schreibt C statt adquireret irrig occurreret, indem das Auge des
Schreibers auf das etwa um zwei Zeilen höher stehende occurreret ab-
irrte. Z kopiert den Irrtum, der von da aus überging in J. Z ist
also, was schon Pertz erkannte, wiederum Quelle geworden für J.
Demnach gestaltet sich der Stammbaum der III. Handschriftenklasse
folgendermaßen:
Marl. 2688 -^ \(y
Klosterneuburg 741 ^ + ^ic" 427
Zwettl 299 ^
Wien 400 ^^
Während die seitherigen Betrachtungen zum Teil mehr eine
Grundlage für die Textgeschichte als für eine wirkliche Edition
schaffen konnten, ist die nun folgende Untersuchung des Verhältnisses
der drei Klassen zueinander von entscheidender Bedeutung für die
Textkonstitution. Wenn wir die verschiedenen Möglichkeiten, die
hier obwalten können, erwägen, so ist zunächst zweifellos, daß die
erste Klasse, vertreten im Frisingensis, den beiden anderen gegenüber
eine selbständige Stellung einnimmt und in keinerlei Abhängigkeits-
verhältnis zu ihnen steht. Dies bedarf keiner Begründung. Wohl
30 Josef Becker,
aber muß das umgekehrte Verhältnis, das ja bisher als richtig galt,
untersucht werden. Es bedarf der Prüfung, ob Klasse II und III in
einem Abhängigkeitsverhältnis zu Klasse I stehen. Das Abhängig-
keitsverhältnis könnte entstanden sein dadurch, daß entweder die eine
Klasse durch Vermittelung der anderen oder beide Klassen unabhängig
voneinander aus der ersten Klasse geflossen sind. Besteht dagegen
keine Abhängigkeit, dann führen alle drei Klassen selbständig auf
den Archetyp zurück. Die drei Möglichkeiten stellen sich schematiscb
also dar:
la) I. Kl. Ib) I. Kl. 2) I. Kl. 3)
/
n. Kl. III. Kl. IL ta. III. Kl. I.IÜ. n.Kl. I1I.K1.
itl. Kl. II. Kl.
Gelingt es uns, die Unmöglichkeit von Fall 1 und 2 darzutun,
dann besteht Fall 3 zu Recht, d. h. jede Klasse ist der anderen gegen-
über unabhängig. Beginnen wir mit dem Fall 1 a und 1 b, so ist zu-
nächst ersichtlich, daß die beiden Klassen II und III in der Gestalt,
wie sie uns heute in ihren ältesten und besten Vertretern voriiegen,
von einander unabhängig sein müssen. Große Lücken der zweiten
Klasse finden ihre Ergänzung in der dritten und umgekehrt. Daran
vermag auch nichts die Annahme zu ändern, daß einst der Archetyp
einer Klasse von diesen Lücken frei gewesen sei, so daß die andere
Klasse aus ihm abgeleitet sein könnte. Zunächst liegt zu dieser An-
nahme kein Grund vor; aber selbst wenn dem so wäre, so beweisen
die besseren Lesarten bald der einen, bald der anderen Klasse, die
Übereinstimmung bald der einen, bald der anderen mit dem Frisingensis,
daß Klasse II und III voneinander unabhängig sind, daß somit der
erste Fall unmöglich ist.
Wichtiger ist die Erörterung über die zweite Möglichkeit. Wohl
ist die erste Klasse am vollständigsten und äußerlich am besten er-
halten, dagegen, wie bekannt, im einzelnen sehr fehlerhaft. In den
meisten Fällen sind in den beiden anderen Gruppen diese Fehler
behoben, was vielfach durch einfache Korrektur geschehen sein könnte,
in vielen anderen Fällen aber nur durch eine methodische Kritik zu
erzielen gewesen wäre. Wenn man also an der Abhängigkeit der
zweiten und dritten Klasse festhalten wollte, müßte man — für beide
Klassen — einen Korrektor und Kritiker annehmen, der alles das
bereits geleistet hätte, was neuere Kritiker für die Emendation getan
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 31
haben. Aus der großen Ftille besserer Lesarten der zweiten und
dritten Klasse vergleiche man die folgende Auswahl. Sie wird uns
die Güte und Selbständigkeit der Oberlieferung in den beiden anderen
Klassen dartun und zeigen, wie notwendig ihre Verwertung für die
Textkonstitution ist.
A. II, 51 Landolfum quid super re huiuscemodi, ^quam
Africani agunt, Johannes consulit papa. In dem indirekten Frage-
satze fehlt das Verbum. Köhler*) schlug vor sentiat oder in Analogie
zu A. II, 6 faciendum esset Das letztere wird handschriftlich bestätigt
durch Kl. II, der Kontrolle durch Kl. III müssen wir hier entbehren.
A. III, 3 Extinguntur matres, pueri, innuptaeque puellae Sancta
catervatim moritur catecumina ples tunc etc. F macht zu dem
ersten Vers die Glosse ypermetrus versus. Kl. II und III lesen extin-
gunt Liudprand hat sonst das Versmaß genau eingehalten, sicherlich
auch hier, wo die überzählige Silbe leicht zu vermeiden war (z. B.
stinguntur, caeduntur etc.). Zweifellos hat im Original eine Verbal-
form von extingo gestanden, aus der dann extinguntur interpoliert
wurde. Es ist das die Lesart der Kl. II und III extingunt, die alle
Schwierigkeiten beseitigt, wenn wir also schreiben:
Extingunt matres, (;) pueri innupteque puellae,
Sancta catervatim moritur catechumena plebs tunc.
Es wird getrennt zwischen den Müttern und den Katechumenen,
den Knaben und Mädchen. Offenbar haben die Nominative im
Verse das Passiv extinguntur nach sich gezogen.
A. III, 29 Baianum autem adeofoere magicam didicisse. Außer dem
historischen Infinitiv Praesentis verwendet Liudprand nie einen absoluten
Infinitiv, suscepisse ist vielmehr von einem Verbum abhängig, das sich
hinter dem an dieser Stelle ganz unpassenden foere verbirgt und
ferunt (fertur) lautet, wie es der Frisingensis in einem am Rande
verschlagenen ferunt und Kl. II und III an der richtigen Stelle über-
liefern. Vorher geht aiebant und ut aiunt Ferunt scheint ganz sicher
zu sein und konnte kaum durch Konjektur gefunden werden.
A. III, 32 hunc praeter forma ceteros ist wie Köhler*) aus dem
Duplikat der Stelle A. I, 8 erkannte in Übereinstimmung mit der II.
und III. Kl. in hunc forma praeter ceteros zu ändern.
A. III, 34 in honorem summi et celestis militiae principis et
archangeli Michaelis. Auf die Notwendigkeit der Streichung des et
») a. a. O. S. 55.
>) a. a. O. S. 53
32 Josef Becker,
vor archangeli hat Köhler^) verwiesen, Kl. II und III bestätigen seine
Kritik.
A. III, 38 die Vermutung von Pertz, es sei zu lesen Argos für
agros und
A. III, 49 Gisleberto für Gilleberto und
A. III, 41 Köhlers Emendation serari und
A. IV, 12 das von Pertz hergestellte mstUoribm für institor
toribüs werden von Kl. II bestätigt
A. IV, 28 Quia facies merUis est speculum cordis, verecundiam
vultas rubore nudavit Unter den verschiedenen Emendationsvor-
schlägen hat Waitz*) das Richtige getroffen, der das Komma vor cordis
setzt. Während die III. Kl., die an dieser Stelle durch H allein ver-
treten ist, keineriei Interpunktion aufweist, haben alle Handschriften
der II. Kl. vor cordis interpungiert.
A. V, 33 In omni enim utrius sexus homo tamque ablactatus
quam lactens pro se nummum dedit Die Stelle ist verstümmelt
Der Verfasser will sagen, daB die Menschen beiderlei Geschlechts zu
zahlen hatten, außerdem sowohl der Säugling als der der Milch
entwöhnte, d. h. die Menschen jeder Altersstufe. Demnach ist mit
Kl. II richtig zu schreiben: In omni enim aetate utrüisque sexus
homo etc. _
A. VI, 3 das von Köhler») in utinam aufgelöste Ht steht in Ein-
klang mit dem utinam der II. Kl.
A. VI, 6 Hispanorum nuntii et nominatus Liutefredus regis
Ottonis nuntius magna ex eorum dominis parte munera detulerant.
Ego vero Berengarii ex parte nihil detuleram. Es werden entgegen-
gesetzt die übrigen Gesandten demjenigen Berengars, jene mit großen
Geschenken, dieser ohne jegliche Gabe. Magna gehört, wie Köhler*)
schon erkannt hat, zu munera. Statt dominis ist natüriich dominorum
zu lesen, und mit Kl. II lautet die Stelle: magna ex eorum parte
dominorum munera.
H. O. 4 Cumque eodem nuntii pervenissent, huiusmodi non a
quibuslibet sed ab omnibus aut paucis (sie F) Romanis civibus
responsa suscipiunt. Pertz schrieb . . . non a quibuslibet aut paucis
sed ab omnibus ; die richtige Lösung gibt uns Kl. II:
non a quibuslibet, sed ab omnibus haud paucis Romanis
») a. a. O. S. 55.
«) a. a. O. S. 57 Anm.
») a. a. O. S. 65.
*) a.a.O. 8.66 f.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 33
Nehmen wir an, dafi in der Vorlage von F haut stand, so erklärt
sich durch die von ihm beliebte Unterlassung der Aspiration die
ganze Korruptel auf einfache Weise.
H. O. 6 Manc^avit etiam dolose quaedam Leonem sus-
cepisset et quid quod sandus Imperator Das quod ist, wie
Köhler richtig feststellt, an verkehrte Stelle geraten; solcher Ver-
schlagungen finden sich in F ja manche, es sei nur an das oben
Seite 31 behandelte ferunt erinnert. Es ist mit Kl. II zu schreiben:
Mandavit etiam dolose quod quendam Leonem .... stiscepisset et
quia sanctus Imperator.
H. O. 16 pectora et armis intrepidi. Watterichs Konjektur
pectore ist sinngemäß und wird grammatisch erfordert. Sie findet ihre
handschriftliche Bestätigung in Kl. II.
So weit einige Proben besserer Lesarten der II. und III. Kl.
Es sind nun handschriftlich Emendationen belegt, unter denen einige
wenigstens nur aus eindringendstem Studium der Schriften Liudprands
sich ergeben konnten; daB diese Arbeit von Kopisten beider Klassen
selbst geleistet worden wäre, wird niemand behaupten wollen. Es
ist eine notwendige Folgerung, daß sowohl Kl. II als Kl. III nicht
aus Kl. I geflossen, sondern von ihr unabhängig sind. Nunmehr
sind wir imstande, dem Autograph um ein beträchtliches näher
zu kommen und zu versuchen, bis zu der Quelle vorzudringen,
von der aus der ganze Strom der Überlieferung sich ergossen hat.
Allerdings führen die drei Klassen nicht auf völlig getrennten Wegen
zum Original hin, vielmehr weisen die I. und II. Gruppe eine engere
Zusammengehörigkeit auf. Bevor wir dies positiv zu beweisen ver-
suchen, sei zunächst negativ erledigt, was für die engere Verwandt-
schaft der I. und III. Gruppe zu sprechen scheint. A. I, 1 schreibt
die erste Hand des Frisingensis Liuprandus, verbessert es aber dann
in LiudpranduSy A. I, 3 schreibt sie oppido, das sie aber dann in
mox ändert. Nun finden sich die beiden zuerst niedergeschriebenen
Lesarten in der III. Kl. {Liuprandus übrigens nur in H). Es liegt
nahe, zu vermuten, daß die ursprünglichen Lesarten in der Vorlage
standen, aber korrigiert waren, daß zunächst beide Abschreiber die
Korrekturen übersahen, der Schreiber im Frisingensis sein Versehen
aber nachträglich berichtigte. Das war schon Pertz aufgefallen; er
glaubte H sei aus F geflossen, bevor F in allen Teilen korrigiert
gewesen sei. Von ähnlichen Erscheinungen ließe sich hier anführen
a. a. O. S. 58.
Quellen u. Untersuch, z. Ut. Philologie des MA. DI, 2.
34 Josef Becker,
und aus der gemeinsamen Vorlage erklären das Fehlen von Laures-
heim dictam (A. IV, 28) in H, der hier der einzige Vertreter der
III. Kl. ist, während im Frisingensis diese Worte am Rande stehen.
Ebenso findet sich Ä. II, 5 in beiden Klassen das von der IL Kl.
überlieferte voti nicht. Wird es möglich sein, diese auffallenden Er-
scheinungen zu erklären trotz der näheren Zusammengehörigkeit von
Kl. I und II und des Handschriftenstemmas, das aus dem Nachweis
dieser näheren Verwandtschaft folgt? Dieser unten zu gebende Nach-
weis hat zur Konsequenz die folgende Gestaltung des Handschriften-
Stammbaums:
^ Autograph
jx Archetyp
Archetyp der UI. Klz. ^ \^y
*) Metzer Auszüge ^'^ ^^
Archetyp der I. Kl. u Archetyp der II. Ki.
= F
Versuchen wir auf Grund dieses Stemmas die oben angeführten
Erscheinungen zu erklären, so ist einmal anzunehmen, daß in X oppido
(und Liuprandus) gestanden, daß Y dies abgeschrieben, dann aber
mox daraus gemacht habe. Der Schreiber des Frisingensis übersah
zunächst die Korrektur, trug sie aber dann nach; der Archet)^) der
Kl. II übernahm ebenfalls die veränderte Lesart. Ähnlich wird es
sich vielleicht mit den Worten Lauresheim dictam verhalten, und das
nur in Kl. II bezeugte voti ist wahrscheinlich nur eine der vielen
Konjekturen dieser Klasse. Wenn demnach auch die Erklärung nicht
ganz ohne Rest aufgeht — weshalb sollte nicht einmal eine zufällige
Übereinstimmung möglich sein — so wird das doch die positiven
Beweismomente für die nähere Zusammengehörigkeit der Kl. I und II
nicht beeinträchtigen können.
A. II, 3 hat Pertz die richtige Lesart Sanquinemque hergestellt,
wie sie auch von dem besten Vertreter der III. KL, dem Hart., über-
liefert wird, die übrigen Handschriften dieser Klasse haben que aus-
gelassen. Kl. I dagegen liest Sangtiinem nemx}ue und Kl. II mit einer
*) Die Metzer Auszüge können nach der Art ihrer Überlieferung ebensogut
aus X stammen, es ist das nicht zu entscheiden.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 35
kleinen vorgenommenen Korrektur Sangainem neque. Offenbar be-
ruhen beide Irrtümer auf einer Dittographie der gemeinsamen Vorlage.
A. II, 4. Die Worte alios vero .... exitarunt sind in der
Münchener Handschrift ausgelassen und dann am unteren Rand nach-
getragen. Kl. II hat sie an unrichtiger Stelle eingeschoben. Die
Schreibung der Worte in der gemeinsamen Vorlage wird beide Ver-
sehen verursacht haben. In Kl. III stehen die Worte an richtiger Stelle.
A. III, 26 hat Pertz ebenfalls richtig hergestellt Zori Zoi während
Kl. I und II irrig Zoi Zoe haben. Hätte Kl. III aus derselben Voriage
geschöpft, dann hätte sie, da sie stets nur die in der Zeile stehenden
griechischen Worte abschrieb, Zoi schreiben müssen, sie überliefert
aber richtig Zoiy.
A. V, 10 schreibt die III. Kl. (H) richtig tempore, die I. Klasse
tnü'e und die II. itinere. Anscheinend fanden diese beiden in ihrer
Voriage tnüe (Abkürzung für tempore), was F einfach kopierte, während
Kl. II itinere daraus machte.
Bei den seitherigen Beobachtungen waren wir in der glücklichen
Lage, die Kontrolle für den Beweis der näheren Verwandtschaft der
Kl. I und II in Kl. III zu haben. Für andere Fälle müssen wir ihrer
entbehren infolge der vielen Veriuste der III. Kl., immerhin zeigen
sie, wie Kl. I und Kl. II aus derselben Voriage stammen.
A. V, 31: Der Schreiber des Frisingensis schrieb impudissimae,
verbesserte aber dann daraus impurissimae. Die II. Kl. liest impu-
dentissimae. Anscheinend stand in der Vorlage impudissimae, woraus
dann jeder Kopist sich seine Lesart zurechtmachte. Ebenso weisen
II, 61 viriliter statt inviriliter, II, 65 properas (der Frisingensis liest
auch properas, das scheinbare n ist ein Pergamentflecken), V, 24 das
überflüssige libuit und H. O. 20 die falsche Stellung contra eum,
Erscheinungen, die in beiden Klassen sich finden, auf die gleiche
Voriage. Wichtig ist außerdem, daß es in Kl. III griechische Stellen
gibt, die weder in Kl. I noch in Kl. II überiiefert sind, z. B. A. IV,
7, 8 und A. V, 14. Noch ist der auffallendste Punkt zu erwähnen.
Kl. I und II haben das Griechische mit lateinischer Umschrift und
Obersetzung, außerdem zahlreiche Glossen. Kl. III hat keineriei
lateinische Umschrift, keinerlei Glossen und in wenigen Fällen die
lateinische Übersetzung des Griechischen. Alle diese Momente zu-
sammengenommen dürften zur Genüge dartun, daß von den drei
Handschriftengruppen die erste und zweite enger zusammengehören,
und daß in der Tat das oben gegebene Stemma zu Recht besteht.
Nur in einem Punkt bedarf es noch der Begründung, in der Ansetzung
3*
36 Josef Becker,
eines Archetyps X. Wer die Lesarten der drei Handschriftengruppen
vergleicht, findet, daß sie wohl gegenseitig zur Sanierung des Textes
sehr viel beitragen, daß sie aber immerhin in einigen Fehlem und
Versehen übereinstimmen. Solche der gemeinsamen Vorlage ange-
hOrige Irrtümer liegen auch dann vor, wenn Kl. II scheinbar das
Richtige überliefert, denn aus dem Stemma folgen für die Rezension
ohne weiteres die grundsätzlichen Formeln:
Kl. III = Kl. I + Kl. II und Kl. III + Kl. I > Kl. II, und die
scheinbar richtigen Lesarten der IL Kl. haben als Konjekturen zu
gelten. Gemeinsame Fehler haben wir u. a.:
A. II. 4 Vulcano] vulno I, III, om. IL
A. IL 5 compotes sui effecti I, III. compotes voti sui effecti II coniec.
A. II, 7 colonis] coniec. II, colonobus I, colonibus III.
A. II, 31 proludium] coniec. II, ludium I, III.
A. II, 34 quiref\ nequiret I, III, posset II coniec.
A. III, 1 Constantinopoli\ II coniec; Constantinopolim I, III.
A. III, 5 exuviae] excubiae I, II, III.
Man sieht deutlich, daß in unserem Stemma Y und Z nicht un-
mittelbar aus dem Autograph sich herieiten, sondern durch eine Phase
hindurchgegangen sind, in der die gemeinsamen Fehler entstanden.
Im Anschluß hieran ist es geboten, die Frage betreffend die
Glossen und die griechischen Stellen nochmals zu erörtern. Köhler
hat zuerst den Gedanken ausgesprochen, daß die Glossen nicht von
Liudprand selbst herrühren. Man kann ihm nur lebhaft zustimmen,
wenn er die meisten von ihnen für so trivial hält, daß nicht abzusehen
ist, was Liudprand bewogen haben könnte, sie beizufügen. Von
einigen Glossen hat Köhler sogar gezeigt, daß sie unmöglich von
dem Verfasser selbst herrühren können. In gleicher Weise hat Köhler*)
die Urheberschaft Liudprands an der lateinischen Umschrift in Zweifel
gezogen und auch hier einige Beispiele gegeben, die sicherlich nicht
von Liudprand selbst stammen. Köhlers Ausführungen kommt nun
ein neues bedeutsames, sozusagen diplomatisches Moment zu Hilfe:
Die Glossen und die Transskription finden sich in den indirekt aus
dem Original geflossenen Handschriftengruppen, der direkt abgeleitete
Zweig (Kl. III und Metzer Exzerpte) weist keine Spur von beiden
auf. Wir schließen: Wenn es unwahrscheinlich, ja zum Teil unmöglich
ist, daß die Glossen und die Transscription von Liudprand selbst
») a. a. O. S. 81 ff.
«) a. a. O. S.85f.
Teztgeschichte Liudprands von Cremona. 37
herrühren, wenn femer ein direkter Zweig der Überlieferung von
ihnen nichts aufweist, dann dürfen wir annehmen, daß Glossen und
Umschrift in der Tat nicht auf das Original selbst zurückgehen,
sondern dem Strome der Überlieferung während seines Laufes (in
unserem Stemma in y) zugeflossen sind. Man hatte gegen Köhler
geltend gemacht,») daß die Berliner Handschrift ebenfalls die Um-
schrift habe; nunmehr nach Einsicht der gesamten Überlieferung wird
dieses Bedenken durch das völlig veränderte Handschriftenstemma
aufgehoben. Köhlers treffliche Untersuchungen erhalten auch in
diesem Punkt handschriftiiche Bestätigung.
Die indirekte Oberlieferung.
Die indirekte Überlieferung ist für die Konstitution des Textes
in unserem Fall ohne Bedeutung, da wir überall ihren Ursprung
nachweisen können, sie uns nirgends weiterführt. Wohl aber ist sie
interessant für die Textgeschichte, für die Benutzung Liudprands durch
mittelalterliche Autoren. Ra gewin wird den Frisingensis benutzt haben.
An den beiden Stellen, wo Liudprand Quelle ist, gibt Ragewin den
Inhalt mit geringer wörtiicher Anlehnung wieder, eine Vergleichung
mit den einzelnen Handschriften bleibt daher ergebnislos. Eine Hand-
schrift derselben Klasse, der Spanheimensis, bildete das Exemplar des
Trithemius. Einen Kodex aus der dritten österreichischen Klasse hatte
Magnus v. Reichersberg vor sich. Am meisten wurden die Hand-
schriften der IL Kl. benutzt. Zuerst von dem Biographen Gerhards
von Brogne, der nach Heinemann*) kurz nach 1038 schrieb und somit
keine der uns erhaltenen Handschriften ausgeschrieben haben kann.
In der Tat finden sich denn auch einige bessere Lesarten z. B. A. IV,
25 übereinstimmend mit dem Frisingensis und der auf dem alten
Lobbiensis beruhenden Editio princeps ediceret, nicht einfach diceret
Der Biograph wird vielleicht den alten Lobbiensis vor sich gehabt
haben. Sigebert schrieb G aus, der aus Gembloux stammt, nicht
wie Pertz annahm, seinen Gemellus L, der erst im Anfang des
XII. Jahrhunderts geschrieben worden ist. Denselben Kodex wohl
benutzte Frutolf und der Chronist von Farfa. Dieser hat nicht, wie
Pertz annimmt, eine Handschrift der III., sondern der IL Kl. benutzt,
wie das Exzerpt aus A. I, 30 zeigt.
») Wattenbach, Geschichtsquellen ^ I, S. 480.
«) N. A. XV, S. 596.
38
Josef Becker, Textgeschichte Uudprands von Cremona.
Klasse I und III
Klasse II
Chron. Farf.^)
Forosum e sepulcro
extrahere atque
in sedem Romani
pontificatus
sacerdotalibus
vestimentis indutum
collocare praecepit
Formosum e sepulao Formosum e sepulCTO
extrahi et
in sede Romani
pontificatus
sacerdotalibus
vestibus indutum
decollari praecepit
extrahi atque
in sedem Romani
pontificatus
sacerdotalibus
vestimentis indutum
decollari praecepit
Alberich soll nach Scheffer — Boichorst*) den Lobbiensis (L)
zur Vorlage gehabt haben, weil er an der aus H. O. 3 entnommenen
Stelle statt Papiam patriam liest, was Pertz rni Apparat als Lesart
des Lobbiensis verzeichnet. Scheffer mußte zu diesem SchluB
kommen, da er die oben bemerkte unmethodische Art der Varianten-
notierung nicht kannte. Es hat nämlich auch G die Lesart patriam,
und er ist in Wirklichkeit die Vortage gewesen; z. B. A. VI, 5 ent-
nimmt Alberich pronas adorans, der Lobbiensis schreibt einfach
adorans. Dietrich v. Niem hat Liudprand benutzt, aber sehr frei
und mit geringem wörtlichem Anklang. Welche Handschrift ihm
Vortag, vermochte ich nicht festzustellen. Zu streichen aus der Reihe
der Benutzer aber ist Heinrich v. Herford. Er hat Pseudo-Liud-
prand ausgeschrieben, d. i. die dem Liudprand fälschlich zugeschriebene
Schrift De vitis Romanorum pontificum seu liber pontificalis.*) Außer-
dem wird Liudprand lobend erwähnt von Nicolaus v. Cues*) in
seiner Concordantia catholica III, 3.
^) Muratori, Script rer. Ital. II, 1, pag. 416.
«) SS. XXUI, S. 659.
») Vgl. die Ausgabe von Potthast (1859), S. XII.
^) ed. Sim. Schard, De iurisdictione (Basel 1566), S. 614, A.
C. Textgeschichte.
^ 1. Paläographische Vorbemerkung.
a) Die ersten Erforscher der Münchener, ehemals Freisinger
Handschrift glaubten, sie sei in Italien geschrieben, Docen und Delling,
weil sie langobardische Elemente in der Schrift zu finden meinten,
Pertz, weil er sie für das Autograph hielt. Köhler war es, der auch
hier einer neuen Ansicht Ausdruck gab und die Handschrift mit Metz
in Verbindung brachte. Ihm folgte zuletzt Traube unter besonderer
Berufung auf die innigen literarischen Beziehungen zwischen Metz
und Freising am Ende des X. Jahrhunderts, ein Moment, das in der
Tat Köhlers Ansicht nur unterstützen konnte. Und doch schon eine
nähere Betrachtung der oben zusammengestellten orthographischen
Eigentümlichkeiten der Handschrift läßt entschieden Zweifel an dem
deutschen Ursprung entstehen, so konnte wohl nur ein Italiener ge-
schrieben haben. Wie steht dazu die Schrift des Codex? In die
Schrift der in Lothringen für Freising gefertigten Handschriften läßt
sie sich nicht einreihen. Besonders fallen an ihr die zierlosen und
plumpen, so sehr verdickten Oberschäfte der ersten Hand auf, die
bei der zweiten Hand sich weniger und bei der dritten gar nicht
finden. Dicke Oberschäfte kommen in Deutschland um die Wende
des X. Jahrhunderts noch vielfach vor,*) aber meist mit schrägen Ab-
strichen. Es wird jedoch sehr unsicher sein, aus rein paläographischen
Gründen einer nachkarolingischen Minuskel des X. Jahrhunderts
italische Provenienz zuzusprechen, solange wir so wenig Proben
dieser Schrift von sicherer italienischer Herkunft haben. Eine Fest-
Wattenbach, Geschichtsquellen I, S. 480.
«) Vgl. Chroust, Mon. pal., Lief. VIII, Taf. I.
40 Josef Becker,
Stellung nach dieser Richtung wird eine der Hauptaufgaben einer
Untersuchung der Ottonischen Paläographie bilden, die noch zu
schreiben ist. Man wird im allgemeinen nur sagen können, dafi die
Schrift unseres Kodex im ganzen die Merkmale aufweist, die SickelO
als charakteristisch für die nachkarolingische Minuskel des X. Jahr-
hunderts festgestellt hat, über dessen Ausführungen wir bis jetzt noch
nicht hinausgekommen sind. Es läßt sich zeigen, daß sie in die Reihe
der wenigen uns bekannten italienischen Schriftproben eingereiht
werden kann. Dazu gehören die Urkunde Ottos I. für die römische
Kirche vom Jahr 962, wovon uns Sickel ein Faksimile gibt und die
gleichfalls in Bücherschrift geschriebene Urkunde Ottos IL für Theo-
phano von 972.*) Beide Urkunden sind, was zu berücksichtigen ist,
paläographische Prachtstücke. Es kommen hinzu Monumenta pal.
Sacra, tav. XVIII, XXII und XXV. Es gehören zeitlich hierin auch die
Proben der Tafeln XXIII und XXIV, die aber wegen des gekünstelten
Charakters etwas abseits stehen. Am meisten Ähnlichkeit hat die
Schrift unseres Kodex mit der Schriftprobe aus Novara vom Ende des
X. Jahrhunderts auf Tafel XX, die in der Tat der Schrift des Frisingensis
nahe steht. Daraus ergibt sich also, daß der Schriftcharakter des
Frisingensis sehr wohl italienisch sein kann. Dazu paßte sehr gut die
Meinung einiger Paläographen, wonach in dieser Zeit m mit Quer-
strich am Ende als Abkürzung für mos spezifisch italienisch sei. In
dieser Weise kürzt sowohl die erste als auch die zweite Hand die
Endsilben mus und nus. Wenn obige Beobachtung zutreffend wäre,
dann hätten wir hier ein sicheres italienisches Merkmal, aber sie be-
darf noch durchaus der Prüfung. Im IX. Jahrhundert wenigstens finden
sich nach Traubes Feststellungen diese Abkürzungen auch in Deutsch-
land. Wie dem auch sei, es ist die Menge der italienischen ortho-
graphischen Eigentümlichkeiten, was uns bestimmt, Italien für die
Heimat des Kodex zu halten. Es würde dann die alte Meinung wohl
recht behalten, nach der Bischof Abraham von Freising die Hand-
schrift aus Italien mitbrachte.
Traube allerdings war sehr im Zweifel, ob er die Orthographie
für italienisch oder spanisch halten solle. Aber die von mir vorge-
nommene Untersuchung des Kodex ergab nur eine Erscheinung, die
man als „Spanisches Symptom" betrachten kann. A. II, 63 schreibt
') Das Privileg Otto I. für die röm. Kirche 1883, S. 10 ff., indes die hier
gegebene Charakterisierung gilt nicht durchgängig, vielmehr gibt es auch im X. Jahrh.
wenigstens in Deutschland Schreibstätten mit zierlicher feiner Schrift.
«) Kaiserurkunden in Abbild. IX, 2.
Textgeschichte Uudprands von Cremona. 4}
der Frisingensis promisit statt permisit Nun ist die spanische Ab-
kOrzung für per gleich der sonst üblichen Abkürzung für pro. Es
konnte also in der spanischen Vorlage ein durch die spanische
Abkürzungsform bezeichnetes per leicht als pro gelesen werden.
Wenn der Frisingensis wirklich spanischen Ursprungs sein sollte,
so wäre das mit der Tatsache in Zusammenhang zu bringen, daß
Liudprand sein Werk dem spanischen Bischof Recemund von Elvira
gewidmet hat.
b) Pertz hat die Handschriften Hart. 3713 und Brüssel 14923
kurzweg ins XL Jahrhundert gesetzt. Diese chronologische Fixierung
ist zu allgemein und bedarf näherer Umgrenzung. Was den Hart,
angeht, so ist er aus allgemeinen paläographischen Gründen in die
zweite Hälfte des XI. Jahrhunderts zu setzen. Zur Gewinnung eines
terminus post quem vergleiche man die Faksimiles bei Amdt-Tangl,
Taf. 55 und 19, Steffens, Schrifttafeln No. 59, Chroust, Mon. pal. III,
8, und man wird finden, daß unser Kodex einen jüngeren Eindruck
macht, vor allem wegen der spadelförmigen Gestaltung der Ober-
schäfte. Näher kommen die Proben bei Chroust a. a. O. III, 9 oder
Bresslau, N. A. XXI, No. 1 und 2. Eine genauere Datierung ist
jedoch nur auf lokaler Grundlage möglich, da die örtliche Entwicklung
im einzelnen sehr differiert. Wie Chroust ^) bemerkt, ist in dieser Periode
Süddeutschland, gerade was die Gabelung der Oberschäfte und die
allmähliche Brechung betrifft, weit zurück, und Tangl«) gibt zu, daß
in den französischen Klöstern die Schriftentwicklung im XII. Jahr-
hundert sehr vorgeschritten war. Wir haben oben festgestellt, daß
Sigebert von Gembloux bei der Abfassung seiner Chronik (zwischen
1090 und 1100) den jetzigen Hart, benutzt hat. Gehörte dieser Kodex
vielleicht dem Kloster selbst? Keineriei Notiz darin beweist es, aber
das reiche literarische Treiben im damaligen Gembloux legt uns diese
Vermutung nahe, und eine paläographische Vergleichung scheint sie
mir zu bestätigen. Es sind mir aus der zweiten Hälfte des XI. Jahr-
hunderts nur zwei Proben von Handschriften bekannt, die in Gembloux
geschrieben sind. Arndt-Tangl, Taf. 56 zeigt uns das Autograph von
Sigeberts Annalen und Sigeberts Schriftzüge vor 1071; Reusens,
Elements de pal. pl. XXIV gibt uns ein Faksimile von Sigeberts
Chronik aus den Jahren 1101 und 1106. Vergleichen wir mit beiden
Proben unsere Handschrift, so finden wir, daß sie etwa die Mitte der
») Mon. pal. VIII, 8.
«) Schrifttaf. 56.
42 Josef Becker,
Entwicklung zwischen beiden einnimmt Sie ist vorgeschrittener als
diejenige von 1071, hat aber noch nicht die zweite Stufe erreicht
Eine Vergleichung des Hart insonderheit mit der Probe bei Reusens
zeigt, daß der Kodex allem Anschein nach aus der Schreibschule von
Gembloux stammt Wir dürfen annehmen, daß er etwa im letzten
Viertel des XI. Jahrhunderts geschrieben ist. Und sein Gemellus aus
Laubach? Die Schrift, die uns hier begegnet, ist jünger als die des
Gemblacensis und die in der Chronik Sigeberts. Die Gabelung der
Oberschäfte und die Neigung zur einfachen Brechung sind weiter
vorgeschritten. Wir setzen die Handschrift nicht zu spät an, wenn
wir sie in den Anfang des XII. Jahrhunderts verlegen. Man vergleiche
die Tafel 3 bei Bresslau im N. A. XXI, Steffens, Tafel 65, Mon.
Germ. SS. VI, pag. 284, Chroust IV, 5 und VIII, 8. Es ist dabei
Chrousts Bemerkung zu beachten, daß die Entwickelung in Süddeutsch-
land zurück ist. Dieser Zeit angehörige faksimilierte Proben aus Lobbes
oder dieser Schreibprovinz — um eine solche handelt es sich offenbar
— sind mir nicht bekannt Eine kombinierte paläographische und
literarhistorische Betrachtung dieser Zeit und Gegend wird jedenfalls
einmal versucht werden müssen. ^)
2. Textgeschichte.
Liudprand hat, das ist längst erkannt, nicht die letzte Hand an
seine Werke gelegt, das zeigt auch schon ihre äußere Oberlieferung.
Sie sind offenbar noch im X. Jahrhundert in mehreren Exemplaren
abgeschrieben worden. Bald hat man in Italien wohl (oder Spanien?)
den griechischen Worten die lateinische Umschrift hinzugefügt und
den Text an vielen Stellen glossiert. Irgendwie Bestimmtes wissen
wir darüber nicht, wie denn überhaupt die Anfänge der Überiieferung
im Dunkeln liegen. Nur das ist sicher und zunächst bemerkenswert,
daß bald an Stelle des Südens der Norden die Erhaltung und Fort-
pflanzung des Textes übernimmt. Soweit wir feststellen können, ist
Liudprand in Italien im Mittelalter nur vom Chronisten von Farfa
benutzt worden, dieser hatte indes nachweislich eine nicht-italienische
Vortage; erst im Ambrosianus des XVI. Jahrhunderts scheint wieder
eine Liudprandhandschrift nach Italien gekommen zu sein. Die mittel-
europäischen Länder werden also fürderhin die Träger der Überiieferung.
Es kommt dazu ein zweites Moment: Die Fortpflanzung und Ver-
*) Auch Wattenbach, GeschichtsqueUen II, 141 hält eine (literarische) Dar-
stellung der Lütticher Schulen für sehr ersprießlich.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 43
breitung der Werke wird nicht bloß Zufällen und rein äußeren Um-
ständen verdankt, sondern läßt sich ganz erkennbar mit literarischen
Bildungszentren verknüpfen, mit deren Tätigkeit und Bestrebungen
die Überlieferungsgeschichte eng zusammenhängt.
Eine sehr alte Handschrift wird in Metz gelegen haben. Man
hat dort aus ihr im X. Jahrhundert Exzerpte gemacht, die einen Rück-
schluß auf die Vorlage gestatten. Es waren in ihr die griechischen
Worte in Minuskel geschrieben, und die Transskription fehlte noch.
Vielleicht gehört dieser Kodex näher zusammen mit dem Archetyp
unserer dritten Handschriftengruppe. Jedenfalls stand er dem Original
sehr nahe. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir den Namen Dietrichs
von Metz mit ihm in Verbindung bringen. Er, ein Kenner des
Griechischen, war in Italien und hat sich nachweislich dort Hand-
schriften verschafft, unter denen ein alter Liudprandkodex sich befunden
haben mag.
Von Metz führte um die Wende des X. Jahrhunderts eine belebte
literarische Verkehrsstraße nach Freising, wo damals die Bischöfe
Abraham und Gottschalk sich um die Vermehrung der Dombibliothek
bemühten. Was wäre wahrscheinlicher, als daß auch der Liudprand
von Metz herüber gekommen sei. Es hat sich das aber nicht be-
wahrheitet, vielmehr wird Abraham die Handschrift in Italien erworben
haben. Der Schreiber des Kodex war jedenfalls ein Romane, wie die
oben zusammengestellten orthographischen Eigentümlichkeiten zeigen.
Daß Liudprand selbst so nicht geschrieben hat, wird man wohl an-
nehmen können, um so mehr, da keine aller übrigen Handschriften
irgendwie dergleichen Spuren aufweisen. Der ungebildete Schreiber
des Frisingensis hatte eine gut erhaltene Vortage, in der die Graeca
noch manche Minuskelelemente aufwiesen. Wegen seiner Vollständigkeit
und einer gewissen Ursprünglichkeit, dem Hauptschreiber wenigstens
lagen Konjekturen ziemlich fem, ist der Text des Frisingensis sehr
wertvoll, er bleibt die Grundlage auch für eine neue Ausgabe.
Zu Beginn des XI. Jahrhunderts ist der Frisingensis vervielfältigt
worden. Wenn der Asbumhamkodex wirklich in Lothringen ge-
schrieben ist, so entspricht das den bekannten literarischen Beziehungen
zwischen Freising einerseits und Metz und Toul anderseits. Der spätere
Spanheimensis wird wohl auch einem bayerischen Kloster angehört
haben. Außer Ragewin ist uns kein mittelalteriicher Benutzer des
Frisingensis bekannt.
Bedeutend jünger als dieser sind die uns erhaltenen Handschriften
der II. Klasse. Um zu der durch sie gegebenen Stufe zu gelangen,
44 Josef Becker,
hat der Text manche Wandlung durchmachen müssen. Auch hier
finden sich die lateinische Umschrift der Graeca und die Glossen,
von denen viele freilich als überflüssig aufgegeben sind. Im all-
gemeinen herrscht ein gewisses Streben nach Glättung des Textes; die
Konjekturen und Interpolationen sind zahlreich und meist ganz will-
küriiche Änderungen des Textes. Der Archetyp dieser Klasse mag
vielleicht in Trier gelegen haben, wo man im XII. Jahrhundert Aus-
züge aus Liudprand machte. Erwägen wir die relative Güte des in
den Trierer Auszügen voriiegenden Textes und bedenken, daß in
einem gleichfalls veriorenen Trierer Kodex die relatio de legatione
Constantinopolitana stand, so führt uns das auf einen alten vortrefflichen
Zweig der Überlieferung. Es kann hier' darauf hingewiesen werden,
daß sich in Trier am Ende des X. Jahrhunderts wieder eine rege
selbstbewußte Tätigkeit entwickelte, daß besonders Egbert von Trier
(977—993) sehr nachhaltig gewirkt hat.^ Aus jenem Trierer Kodex
ist vielleicht der Liudprand geflossen, den der Bibliothekskatalog von
Lobbes aus dem Jahr 1049 unter den Bücherschätzen aufzählt, der
seinerseits wieder der Stammvater der jüngeren Handschriftengruppe
geworden ist. Was oben allgemein gesagt wurde, daß der Norden
der Träger der Überlieferung geworden sei, daß die Fortpflanzung
an literarische Zentren anknüpfe, das gilt besonders hier. Denn die
belgischen Klöster sind es, denen wir die Handschriften unserer
II. Klasse verdanken, sie sind das Zentrum, von dem aus Kenntnis
und Studium Liudprands weiter vorgedrungen sind. Am Ende des
XI. Jahrhunderts hat Sigebert sich für Gembloux eine Abschrift besorgt
und für seine Chronik verwertet. Im Anfang des XII. Jahrhunderts
hat man in Lobbes selbst noch ein Exemplar abschreiben lassen.
In den gleichen Kreis gehört der ehemals in Stablo liegende Liudprand
aus dem Jahr 1105 und wohl auch der Egmonder Kodex des XI. Jahr-
hunderts. Es hat aus dem älteren Lobbiensis der Biograph Gerhards
geschöpft, aus einer Quelle derselben Provenienz auch der Chronist
von Farfa. Hier oder vielleicht auch in Trier mögen dem Otters-
berger Mönch bei der Lektüre Liudprands die hübschen Anekdoten
und Episoden vom griechischen Kaiserhof so gut gefallen haben, daß
er sie sich notierte. Von historischem Bemühen und Verständnis für
den Inhalt zeugt die Abschrift, die aus dem Lobbiensis (L) für die
Abtei Hautmont in der Diözese Cambrai gefertigt wurde. So haben
von diesem Zentrum aus Liudprands Werke ihren weitgehendsten
») Wattenbach, Geschichtsquellen» I, 408.
Textgeschichte Liudprands von Cremona. 45
Einfluß ausgeübt. Es wird das begreiflich, wenn wir uns vergegen-
wärtigen, daß nirgends sich das Klosterleben so reich entfaltet hatte
wie in Belgien und ganz vorzüglich im Lütticher Sprengel. Die
Tatsache, daß die Lütticher Schule unter den Saliern ihren Höhepunkt
erreichte, daß sie der Leben ausströmende Mittelpunkt war nicht für
Lothringen allein, sondern für ganz Deutschland«), der Umstand, daß
in Gembloux der weltberühmte Chronist wirkte, lehren es verstehen,
daß selbst der Bamberger Frutolf und der Chronist von Farfa hier
historisches Material sammelten. Umgekehrt erhält das hier blühende
literarische Treiben aus der Überlieferungsgeschichte Liudprands eine
interessante Illustration, einige neue Einzelzüge: hier wird die Text-
geschichte lebendige Literar^eschichte. Gegen Ende des XII. Jahr-
hunderts sinkt das literarische Treiben im Lütticher Sprengel, und
damit erlischt auch Liudprands Einfluß von diesem Punkte aus.
In weit größerem Maße als die II. hat die III. Handschriften-
klasse äußere Verluste eriitten, aber weniger eine willküriiche Inter-
polation erfahren. Sie ist vollständig frei von der lateinischen Um-
schrift der Graeca und den Glossen. Auch die Übersetzung der
Graeca gibt sie nur in ganz wenigen Fällen. Man möchte fast an-
nehmen, daß auch die Übersetzung der Graeca nicht von Liudprand
selbst herrührte, wenn sie nicht eben an einzelnen Stellen doch vor-
handen wäre, während Glossen und lateinische Umschrift sich nicht
ein einziges Mal finden. Die uns erhaltenen Handschriften dieser
Klasse scheinen alle aus Österreich zu stammen, wo Liudprand erst
im XII. Jahrhundert allgemeiner bekannt wurde. Es ist die Zeit, in
der hier eine reiche und vielgestaltige annalistische Tätigkeit ein-
setzte, u. a. auch in Zwettl und Klostemeuburg. Eine Benutzung
Liudprands ist hier nur bei Magnus von Reichersberg nachgewiesen.
Im XIII. Jahrhundert werden noch einmal zwei Kopien angefertigt,
nun scheint auch hier wie überall Liudprands Name in Vergessenheit
zu geraten.
Noch einmal dient er im Anfang des XV. Jahrhunderts Dietrich
von Niem als Quelle, und Nicolaus von Cues weiß ihn zu schätzen.
Erst gegen Ende des Jahrhunderts macht ihn Trithemius unter dem
Namen des Eutrandus wieder bekannt, und Humanisten des XVI. Jahr-
hunderts lassen Abschriften fertigen. Schon aber waren die ersten
Drucke erschienen: 1514 und 1532; im Jahr 1600 endlich entriß
») Wattenbach a. a. O. II, 154.
«) Wattenbach a. a. O. II, 141.
46 Josef Becker, Teztgeschichte Liudprands von Cremona.
Canisius auch die Legatio der Verborgenheit. Schon setzten auch
die Fabeleien und Phantasien über Liudprands Leben ein, die dreisten
Fälschungen und Erfindungen, die an Liudprands Namen sich knüpfen.
Während hierüber schon im XVIIL Jahrhundert durch Nicolaus Antonius
Klarheit geschaffen wurde, schenkten uns erst die Monumenta Germaniae
durch Pertz die erste vollständige Ausgabe, die nun ihrerseits wieder
der Revision bedarf.
4 i o >' feil fe TIS I 5
THE NEW YORK]
PUBLIC LIDKARY
TILL:..^ ■■ ■ ' ' ^
J. Becker, Textgeschiclite Liudprands von Cremona Tafel II
•v:«*.? . . • !?:••"■'■■
r^-SlLf f«^vi\, ßuJK Mxle*i*r t.iirii,i, fj.-i ,rx-^iv|ti ff«-*r Fe •"»f r
r^o^n'r r^*'" fcttw» corxfuSludme cü l^uAtl^ eher
MtHUA yofff^ c«7T»'V*T'' «-'/A'ti f"t>ftiJI rnif«rt 'iii»»:Mf"* J'f.tri I «Vy-* <"»«••"*<*
'_'* l|7V«nr ■ faiill imru^frif' rf^$ctJ.\f-r9iT . Oii irl rmidif »»myVf*- R.nniAMi
ftfHfl-VV- f*»f ruf lUc irr f 0*"^i "'' pV fi.'j' »•'"' '«* ■*'■''' ;■' .""Mmi
pAuftf 'l|^ iffM^t'ciirif L'.»l •*l.\#|l ■ . /1 > f
Qudkn II. rmor.iivh. / lat Pliil.«!... u- vlv^ M.\. III.
THV'^ Ni:V/ VCivK
Quellen und Untersuchungen
zur
lateinischen Philologie des
Mittelalters
herausgegeben von
Ludwig Traube
Dritter Band, drittes Heft
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino
von
E. A. Loew
MÜNCHEN 1908
C H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
Die ältesten Kalendarien
AUS Monte Cassino
Herausgegeben und untersucht
von
E. A. LOEW
DR. PHIL.; CARNEGIE FELLOW OF THE AMERICAN SCHOOL
OF CLASSICAL STUDIES IN ROME
MIT DREI TAFELN
MÜNCHEN 1908
C H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
C. H. Beck'sclie Buchdruckerei in Nördlingen.
DEM ANDENKEN
LUDWIG TRAUBES
IN DANKBARKEIT GEWIDMET
Vorbemerkung.
Außer meinem unvergeßlichen Lehrer, dessen Angedenken ich
diese Schrift widme, fühle ich mich für die mühevolle Durchsicht des
Manuskripts und der Konekturbogen den Henen Prof. Vollmer und
cand. Ed. v. Welz zu besonderem Dank verpflichtet. Den bekannten
Gelehrten H. M. Bannister, Clemens Blume und Carl Weyman bin ich
für manche freundliche Belehrung auf dem Gebiete der Liturgie ver-
bunden. Auch den Kollegen Dr. C. H. Beeson, Dr. P. Lehmann und
H. T. Porter, die mir auf verschiedene Weise behilflich waren, möchte
ich hier meinen Dank aussprechen. Und schließlich bitte ich meinen
lieben Lehrer L. L. Forman und meinen verehrten Freund James
Loeb Esq., die mir beide seit Jahren mit Rat und Tat zur Seite ge-
standen sind, meinen innigen Dank entgegenzunehmen.
Rom, 20. Februar 1908
E. A. Loew.
Einleitung.
Als ich vor drei Jahren in Rom die dort liegenden bene-
ventanischen Handschriften für paläographische Studien untersuchte, i)
stiefi ich auf eine Handschrift (641) in der Biblioteca Casanatense,
die bei mir aus verschiedenen Gründen großes Interesse erregte.
Erstens stellte sich bald heraus, daß diese Handschrift ein Gemellus
wenn nicht die Vorlage der bekannten Monte Cassino Handschrift
Nr. 3 ist, die lange Zeit für eine der ältesten Handschriften in bene-
ventanischer Schrift galt und noch jetzt von den Cassinesem und den
Verfassern paläographischer Lehrbücher in das Jahr 811 gesetzt wird,
was sicherlich nicht zutreffen kann.») Zweitens — was hier für uns
von Bedeutung ist — fiel mir die Handschrift durch ihren zwar sehr
verstümmelten aber immerhin sehr reichhaltigen und durch viele Jahr-
hunderte benützten Kalender (f. 76 — 81^) auf. Leider sind viele Ein-
träge fast oder ganz unleseriich geworden, und man sieht, daß im
11. Jahrhundert die Handschrift sehr gelitten hat, da man schon zu
jener Zeit sich gezwungen sah, ein neues Stück Pergament hinein-
zunähen. ») Um genauere Vergleichungen mit anderen Kalendarien
in beneventanischer Schrift vornehmen zu können, photographierte
ich diesen Kalender ganz.*)
*) Die Ergebnisse dieser Studien werden als Einleitung zu dem von mir ge-
planten Tafelwerk der Scriptura Beneventana in nächster Zeit veröffentlicht.
') Siehe Bibliotheca Casinensis, Tom. I, p. 85, und Thompsons Handbook of
Greek and Latin Palaeography ed. 1903, p. 220; auch Reusens ^l^ments de Pal^o-
graphie, p. 63. Vgl. unten p. 8 — 9.
>) Die jetzige Naht wird wohl aus modemer Zeit herrühren, aber daß dies
neue Stück schon im Mittelalter eingefügt worden ist, wird klar, sobald man be-
achtet, daß die Schrift darauf schon aus dem 11. Jahrhundert stammt; vergl. Tafel III.
*) Einige Abbildungen sind im Archivio Paleografico Italiano, Vol. III, fasc. 22,
Taw. 68, 69, 70 zu finden. Meine Photographien verdanke ich der Güte des Präfekten
der Biblioteca Casanatense, I. Giorgi. Hier möchte ich auch M. Omont, dem Vor-
steher der Bibliothöque Nationale, und Don Leone, dem Archivista der Abtei zu
Cava, für gütige Erlaubnis zu photographieren, meinen Dank aussprechen.
X E. A. Loew.
Schon vorher hatte ich in La Cava einen noch älteren Kalender
kennen gelernt. Dieser befindet sich in der Isidor-Handschrift, die
dort die Signatur 23 trägt, und wurde von Gaetani im Appendix
zum zweiten Tomus des Codex Diplomaticus Cavensis veröffentlicht
(p. 32 — 37). Eine Vergleichung dieser beiden Handschriften über-
zeugte mich sofort, dafi sie aus derselben Gegend stammen und
zeitlich nicht mehr als ein Menschenalter auseinander liegen.
In demselben Jahre führten mich meine Forschungen nach Paris.*
Als ich dort die sehr wertvolle beneventanische Handschrift lat. 7530
studierte, kam ich auf den dritten hier in Betracht kommenden Kalender
(f. 277^—280). Mit Hilfe meiner Photographien und Abschriften konnte
ich an Ort und Stelle die drei Kaiendarien einem vergleichenden
Studium unterziehen, und kam zu folgenden Resultaten:
1. Die drei Kaiendarien sind die ältesten in beneventanischer Schrift,
und gehören zeitlich und örtlich zusammen.
2. Sie sind sämtlich dadurch gekennzeichnet, daß sie sowohl die
Dedicationes einer Anzahl Cassineser Kirchweihen, wie die De-
positiones (Gedächtnisfeiern der Todestage) einer bestimmten
Reihe von Äbten aus Monte Cassino enthalten; Tatsachen, aus
welchen folgendes hervorgeht:
a) daß sie Benedictiner-Kalendarien sind und aus Monte Cassino
stammen;
b) daß die Kaiendarien als solche zeitlich genau zu bestimmen sind;
c) daß der eine Kalender, K, etwa 30 Jahre jünger ist als die
beiden anderen, wodurch wir bei Vergleichung der drei unter-
einander eine klare Anschauung über die Entwickelung des
Cassineser Ritus innerhalb dieses Zeitraums gewinnen.
Wie ich zu diesen Resultaten kam, wird im Veriauf dieser Schrift
klar werden.
War es die Paläographie der Handschriften, die den Ausgangs-
punkt meiner Untersuchung bildete, so konnte ich doch die Liturgie
dieser Kalender nicht unbeachtet lassen. Nicht allein, weil die
* Reifferscheid in einem Brief an Gaetani, der den Cavensis veröffentlicht
hat (Codex Diplomaticus Cavensis Tom. II, Appendix p. 14), scheint nicht erkannt
zu haben, daß die Kirchweihen und Depositiones mit Monte Cassino zu verbinden
sind. Er sagt: in quo (Codice Cav. 23) depositiones Abbatum nescio cuius monas-
terii et dedicationes quarundam ecclesiarum adnotantur. Merkwürdig ist, daß
Gaetani, der doch selbst Benediktiner war, die Geschichte des Mutterklosters so
wenig kannte, daß er den Kodex aus Nonantola stammen lassen wollte (Gaetani
1. c, p. 13).
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. XI
liturgische Seite eines Kalenders sozusagen sein Fleisch und Blut
ausmacht, bin ich darauf eingegangen, sondern auch weil paläo-
graphische Momente es erforderten. Allein auf diesem Gebiete bin
ich vollkommen Laie. Ich kann nur hoffen, dafi ich meine Quellen
zum Vorteil dieser Untersuchung benützt habe und daß der Liturgiker
meine Angaben verbessern und ergänzen möchte.
Eine Zusammenstellung dieser drei Kaiendarien bedarf wohl
keiner Rechtfertigung, da sie uns auf doppelte Weise von Nutzen
sein kann. Einerseits wird für die Paläographie der ältesten bene-
ventanischen Handschriften manches gewonnen dadurch, daß gewisse
in den Kaiendarien eingetragene Tatsachen es uns ermöglichen, die
Handschriften selbst genauer zu datieren und zu lokalisieren, was bei
so wichtigen Handschriften, wie diese drei es sind, von keinem ge-
ringen Wert ist. Andererseits gewinnen wir durch ein vergleichendes
Studium der drei Kaiendarien ein zeitlich und örtlich bestimmtes
liturgisches Bild und sind ferner imstande eine rasche Entwicklung
des Ritus bei den Benediktinern in Monte Cassino während des
Waltens der Äbte Theodemar (778—797) und Gisulf (797—817) genau
und sicher zu verfolgen.
Daß drei so alte Benediktiner-Kalendarien für die Geschichte
der Liturgie von Wichtigkeit sind, wird jeder zugeben müssen, der
sich dessen bewußt ist, daß die Regel des heiligen Benedikt und
überhaupt der Benediktinerorden für die ganze Entwickelung des
Gottesdienstes im Abendlande von hervorragender Bedeutung waren.
Darüber scheinen alle großen Liturgiker einig zu sein.^)
Da unsere Kaiendarien klösteriiche Kaiendarien sind, interessiert
es uns hier zu erfahren, daß der Kultus der Märtyrer und Heiligen
nicht von jeher in den Klöstern gefeiert wurde. Die Mönche in den
Institutiones des Cassian kennen ihn noch nicht. Erst durch die
Regel des heiligen Benedikt traten die NatcUitixi Sanctoram in die
Liturgie der Klöster ein.*) So wird wiederum das Interesse an unseren
Kaiendarien gesteigert, die zweifellos aus jenem Kloster stammen, wo
auch die Regula geschrieben wurde.
In frühchristlicher Zeit feierte man die Todestage der Märtyrer
und seit dem IV. Jahrhundert jene der Bekenner nur dort, wo sie
begraben lagen oder wo ihre Reliquien sich befanden. Es gab noch
*) Bäumer, Histoire du br^viaire I, 242 (Paris 1905, franz. Übersetzung und
Erweiterung von Biron). Duchesne, Origines du culte chr^tien, p. 452, Edit. 3.
*) Vergl. Batiffol, Histoire du br^viaire romain p. 33.
XII E. A. Loew,
keinen Kultus der Heiligen und Märtyrer, der für die ganze Christenheit
galt, sondern abgesehen von den großen Festen des Herrn und der
heiligen Jungfrau waren alle übrigen Gedächtnistage Feste eines
einzelnen Ortes oder einer Provinz, waren Lokalfeste, Feste der Lokal-
heiligen. Nur den Aposteln Petrus, Paulus, Johannes und Jakobus
und dem Protomartyr Stephanus wurde sehr früh eine allgemeine
Feier zuteil. Demgemäß muß z. B. ein irisches Martyrologium oder
Kalendarium aus jener Zeit ganz andere Namen enthalten als ein
Martyrologium oder Kalendarium aus Italien. Und gerade durch den
Umstand, daß in verschiedenen Ländern verschiedene Märtyrer- und
Heiligenfeste angeordnet wurden, ist für Geschichte und Paläographie
manches zu gewinnen. Es wird uns nämlich ein Mittel geboten,
wodurch wir kirchengeschichtliche und somit kulturgeschichtliche Be-
wegungen verfolgen können: es ist uns ermöglicht, Beziehungen zu
ersehen, die wir oft auf keinem anderen Wege zu ergründen im-
stande wären.
Im Jahre 787 besuchte Kari der Große das Kloster von Monte
Cassino; damals sah er bekanntlich das Originalexemplar der Regula,
von der man für ihn, nach seinem Wunsch, eine buchstäblich treue
Abschrift anfertigen mußte. ^ Bei jener Gelegenheit hatte er vielleicht
auch die zwei älteren unserer Kaiendarien (oder deren Vortagen) ge-
sehen. Wie dieser Besuch den Kaiser veranlaßte, die Klöster in
seinem Reiche nach dem Muster von Monte Cassino einzurichten
oder umzugestalten, so wird er wohl auch für den ganzen Ritus in
Gallien nicht ohne Bedeutung geblieben sein. Daß Kari der Große
sich tatsächlich für die Liturgie seines Reiches interessierte, beweisen
schon die Capitula ecclesiastica vom Jahre 810 — 813 *) (?) und die
Statuten des Mainzer Konzils vom Jahre 813. Auch sein Nachfolger
sorgte dafür, daß in den Klöstern Galliens eine gewisse Überein-
stimmung im Gottesdienst herrschte, wie man aus seinem Capitulare
Monasticum des Jahres 817 ersehen kann. So schien es mir lehrreich,
die Festverzeichnisse, die man in den karolingischen Capitularien findet,
abzudrucken und hier zum Vergleich heranzuziehen.
Unsere drei Kaiendarien sind nebeneinander in drei Columnen
zusammengestellt. Ich bezeichne den Cavensis mit C, den Parisinus
mit P und den Casanatensis mit K. Die vierte Kolumne enthält
*) Vergl. Traube, Textgeschichte der Regula S. Benedicti, p. 31.
*) Vergl. die Zusammenstellung, p. 66 f.
Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. XIII
Zutaten in /C, die von späteren Händen herrühren. ^) Die Abkürzungen
sind meistens aufgelöst. Lesarten, die von besonderem Interesse sind,
werden im Kommentar notiert. Im allgemeinen ist die Orthographie
der Handschriften treu wiedergegeben.«) Da K das reichhaltigste der
drei Kaiendarien ist, sind die Verzeichnisse nach ihm angeführt und
zwar nur die Einträge erster Hand. Auch der Kommentar bietet,
wo nicht anderes bemerkt ist, die Angaben nach K. Hier und da
schien es ratsam, auch drei jüngere Cassineser Kaiendarien, GMD,^)
zum Vergleich heranzuziehen, damit wir nämlich deutlich sehen,
was in K wirklich dauernde Entwickelung und was nur eine vorüber-
gehende Phase bedeutet.
, Solche Urkunden, wie Kaiendarien und Ostertafeln" um mit
den Worten Pipers zu schließen „mögen der oberflächlichen Be-
trachtung geringfügig erscheinen; ihre Bedeutung reicht aber weiter,
als es den Anschein hat, und sie haben Teil an der großen historischen
Aufgabe.«*)
^) Damit aber die Zusammenstellung an Obersicht nicht verliere, zog ich es
vor, einige Zutaten in C und K, die von keiner besonderen Bedeutung sind, nach
den Kaiendarien als Supplement zu geben.
*) Die vielen Rasuren in K gebe ich nicht einzeln an. Nur die wichtigeren
sind erwähnt. Auch einige Icaum mehr leserliche Stellen habe ich ausgeschrieben,
wo über den Wortiaut des Textes nicht zu zweifeln war.
*) Lejay in Revue de philologie, XVIII (1894), 42—52 hat diese drei mit P
verglichen.
<) Piper, Karls des Großen Kalendarium und Ostertafel. Berlin 1858, p. IV.
Inhaltsverzeichnis
Seite
Einleitung X
Die Handschriften 1
Abdruck der drei Kaiendarien 11
Abbatum Cassinensium depositiones 39
Ecdesiarum dedicationes 42
Annalistische Einträge 53
Das Kirchenjahr.
a) Feste des Herrn 57
b) Feste Maria 57
c) Heilige aus dem neuen Testament 58
d) Alphabetisches Verzeichnis der Heiligen 58
e) Geographisches und biographisches Verzeichnis der Heiligen .... 60
Das Naturjahr.
a) Jahreszeiten 64
b) Stemerscheinungen 64
c) Astronomische Einträge mit Bezug auf Ostern 65
d) Ägyptische Monate 66
Drei Festverzeichnisse aus karolingischen Kapitularien.
a) capitula ecdesiastica (ad presb.) des Jahres 810—813 . 66
b) concilium Moguntinense des Jahres 813 66
c) capitulare Monasticum des Jahres 817 67
d) Tafel dieser Verzeichnisse 67
Kommentar zu den drei Kalendarien 69
Verzeichnis beneventanischer Handschriften, die Kalendarien enthalten ... 83
Verzeichnis der besprochenen Handschriften 84
Die Handschriften.
1. Cavensis (C).
Der Kalender C befindet sich in der für die Etymologien des
Isidor wichtigen Handschrift Cava 23, die auch verschiedene Computi
und Ostertafeln vom Jahre 779 bis 873 enthält. Anfang und Ende
der Etymologien fehlen. Die Handschrift wurde von Reifferscheid,
der sie in einem Briefe an Gaetani insignis nannte, durchforscht, ^ und
von Gaetani beschrieben in Codex Diplomaticus Cavensis, Tom. II,
Appendix, Manoscritti Membranacei, p. 13 ff., wo auch Abbildungen
aus ihr zu finden sind. Die Jahreszeiten in dem Kalender sind auf-
fallenderweise nach Beda (secundum Graecos) und nicht nach Isidor
(secandum Latinos) angegeben. Diese Tatsache sowie die einge-
tragenen Ostertafeln deuten darauf hin, daß zur Herstellung dieser
Handschrift — die ein Nachschlagebuch sein sollte — auch Beda
herangezogen wurde. Die Handschrift ist ca. 20 x 28 cm groß, von
zwei Händen in Langzeilen geschrieben und bietet alle Kennzeichen
der beneventanischen Handschriften des VIII./IX. Jahrhunderts.
Was die Herkunft dieser Handschrift betrifft, so ist Folgendes
zu bemerken: erstens ist sie natüriich nicht in Cava entstanden, da
sie ins VIII./IX. Jahrhundert gehört, und Cava erst 966 gegründet
wurde. Zweitens stammt sie auch nicht aus Nonantola, wie Gaetani
meinte. •) Da molti indizii, sagt er, che mi offre questo interessante
codice, ho ragione di crederlo scritto nella celebre Badia di Nonan-
tola.^) Aber was dies für Zeichen sind, die ihn auf den Gedanken
brachten, der Kodex sei in Nonantola geschrieben, erwähnt Gaetani
nicht. Ich selbst fand keine.
») Bibl. Patr. lat Ital. II, 30&-308.
«) Vergl. Traube, Textgeschichte der Regula St. Benedicti, p. 112.
>) 1. c. p. 13.
Quellen u. Untersuch, z. lat. Philologie des MA. m, 2. 1
2 E. A. Loew,
Eine Kirchweih der Hofkapelle zu Benevent (vergl. Kirchweihen
p. 49), die man im Kalender am 16. September eingetragen findet,
scheint sehr dafür zu sprechen, daß Benevent die Heimat unseres
Kodex ist. Da aber die anderen im Kalender erwähnten Kirchweihen
sich lediglich auf Monte Cassino beziehen und die Depositiones
Abbatum ohne jeden Zweifel Depositiones von Cassineser Äbten sind,
so werden wir wohl verschiedene Möglichkeiten ins Auge fassen
müssen.
1. Die Handschrift kann in Monte Cassino für den Hof in
Benevent verfertigt worden sein.
2. Sie kann auch in Benevent von einer Cassineser Vorlage
abgeschrieben worden sein, vielleicht im Kloster von St. Sophia, das
unter Cassineser Kontrolle und in enger Beziehung zum Hofe stand,
— Umstände, die es einigermaßen erklären, wie eine Kirchweih der
Hofkapelle zu Benevent unter Cassineser Kirchweihen von erster
Hand eingetragen werden konnte.
Unsere Handschrift stammt also aus Monte Cassino oder aus
Benevent. 1)
Um diese Handschrift zu datieren, wollte der von Gaetani
zitierte de Rozan von den oben erwähnten Ostertafeln Gebrauch
machen, von denen er Folgendes sagt: Elles sont ccLlcalies poar les
annies ä commencer de 783jusqu'ä 873. Ce qui place natarellement
ce manuscrit dans V Intervalle de ces deux ipoques usw.«) Die
Ostertafeln beginnen wie erwähnt mit dem Jahre 779 (nicht 783) und
reichen bis 873. De Rozan nahm das letzte Jahr, 873, und zählte
90 Jahre zurück, als wenn sich der Schreiber um vier Jahre geirrt
hätte, und kam so auf das Jahr 783, — daher sein willküriicher
terminus ante quem non. Gaetani») ließ sich, bei seinem Versuch
die Handschrift zu datieren, offenbar durch de Rozan irre führen.
Seine Worte lauten: la sua venerabile antichitä (von dieser
Handschrift) di ben 1000 anni, dimostrata non tanta dalla barbara
maniera ond' ä scritto, e dalla contorta e corrotta forma de* stioi
caratteriy ma piü ancora dalla data delV anno 873 ultimo degli
anni di C (100)*) segnati nel Calendario (d. h. Ostertafeln) ch'i
cosa tutta speciale, eforse neanco priva di novitä, del nostro codice.
Obwohl die Handschrift aus Benevent stammen kann, bleibt die Heimat
des Kalenders noch immer Monte Cassino.
«) Codex Diplom. Cavensis Tom. II, Appendix p. 13.
») 1. c. p. 19.
*) Von 783 bis 873 sind eigentlich nur 90 Jahre.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 3
Bekanntlich sind diese Ostertafeln in Zyklen von je 19 Jahren ab-
geteilt, ein System, das von Dionysius Exiguus in den Ocddent ein-
geführt und von Beda verbreitet wurde. Da sie praktischen Zwecken
dienen sollten, d. h. zur richtigen Bestimmung des Ostertages, so
schrieb man in der Regel nur die Zyklen ab, die für die Zukunft in
Betracht kommen konnten; man fing aber gewöhnlich nicht etwa mit
dem Jahre an, in dem man die Abschrift vornahm (was indessen
auch vorkommt: z. B. Rom, Casanat 641, fol. 5, und Paris lat 609)
sondern mit dem ersten Jahre jenes 19jährigen Zyklus, m den das
Jahr des Abschreibers fiel.^) Es handelt sich also hier nicht tmi eine
runde Summe von 100 Jahren, wie de Rozan vielleicht meinte und
Gaetani glaubte — was freilich eine cosa speciale gewesen wäre.
Das Jahr 779 ist der Anfang eines 19 jährigen Zyklus und 873 ist
das Ende eines solchen Zyklus.
Nun ist die Verwendung dieser 19jährigen Zyklen für das
Datieren der Handschriften immer eine gefährliche Sache. Man darf
sie nur zur Bestätigung und Ergänzung der auf Grund der Schrift
gewonnenen Meinung über das Alter einer Handschrift verwenden;
für sich allein gewähren die Zyklen keinen sicheren Anhalt.»)
Da in dem Kalender Potos Sterbetag erwähnt wird, so wissen
wir, daß die Handschrift sicher nicht älter ist als 778; und da die
Depositio Theodemars (Potos Nachfolgers, der 797 starb) noch nicht
eingetragen ist, so ist sie nicht jünger als 797. Die Ostertafeln be-
stätigen diese Meinung. Sie fangen mit dem Jahre 779 an; wir
dürfen also sagen, daß der Kodex innerhalb des ersten Zyklus von
19 Jahren, genauer zwischen 778 und 797 verfertigt wurde, — was
auch dem Eindrucke entspricht, den das Alter der Schrift macht«)
Wann diese Handschrift nach Cava kam, ist schwer zu sagen.
Sie mag mit anderen Cassineser Handschriften (wenn sie überhaupt
von Monte Cassino herrührt), im Jahre 1263 von der Kirche Casale
Ruptum nach Cava gekommen sein (vergl. Bethmann in Pertz' Archiv
Steffens Behauptung, daß „man solche Tafeln mit dem laufenden Jahre
zu beginnen pflegte'* entspricht eher der Ausnahme als der Regel (vergl. Latein.
Paläog. Supplement zur 1. Aufl. Taf. 15).
*) In unserem Kalender K beginnen die Zyklen mit dem Jahre 532; — die
Handschrift aber gehört ins IX. Jahrhundert Der Beginn mit 532 geht auf Beda
zurück, der wiederum an Dionysius Exiguus anknüpft. Schon verflossene Zyklen
wurden deswegen abgeschrieben, weil sie Gelegenheit boten, annalistisch-historische
Einträge zu machen.
*) Jedoch kann ich nicht verschweigen, daß eine der beiden Hände auf mich
einen etwas jüngeren Eindruck macht.
1*
4 E. A. Loew,
X, 396). Wenn das der Fall war, so ist es merkwürdig, daß Mabillon,
der die meisten und wichtigsten Handschriften des von ihm im Jahre
1685 besuchten Klosters aufzählt, diese unerwähnt gelassen hat^
Leider sind Anfang und Ende des Kodex, wo wahrscheinlich, wie so
oft, das Eigentumszeichen stand, abhanden gekommen. Wie der
Codex Parisinus (P) und der Codex Casanatensis (/Q, die mit Monte
Cassino ebenso hi Zusammenhang zu bringen sind wie dieser Kodex (C),
auf der ersten Seite das Eigentumszeichen der Hauptkirche von Bene-
vent noch jetzt tragen, so mag auch das verlorene erste Blatt dieser
Handschrift jenes Zeichen gehabt haben.
2. Paiisinus (P).
Der Kalender P befindet sich in jener berühmten Handschrift,
die jetzt in der Biblioth^que Nationale unter der Signatur lat 7530
aufbewahrt wird. Sie enthält hauptsächlich grammatische Schriften
und Exzerpte*) und ist für die Oberlieferung von manchen dieser
Schriften und Exzerpte eine der wichtigsten Quellen: für die Ober-
lieferung von De Metris Horatianis und der Didaskalie des Thyestes
sogar die einzige.«) Unter den übrigen Werken*) dieser reichhaltigen
Handschrift befinden sich ecclesiastische Computi, unser Kalender
und Ostertafeln vom Jahre 779 (wie in Q bis 835. 'Welfach wird
die Handschrift schon von den Verfassern des Nouveau Traitö») an-
geführt, und eine Reihe von Gelehrten haben sich mit ihr beschäftigt.«)
Sie ist ca. 175 x 255 mm groß, in Langzeilen von zwei oder
Mabillon, Museum Italicum Tom. I, Pars 1, pag. 118 (Paris 1687).
■) Commentarius ad artem Donati und de metris Horatianis von Servius;
de partibus orationum nach Isidor; Exzerpte aus Charisius, Diomedes, Mallius
Theodorus, Pompeius und Priscian (wo ein Zitat von Varro vorkommt), Ars rhetorica
des Fortunatianus; de orthographia Bedas (vergl. Keil, grammatici latini IV,
pp. XLI— XLII und II, p. Xlff.).
*) Vergl. Kell 1. c. IV, pp. XLV, XLVII, LI, und Schneidewin Rhein. Mus. I
(1842) p. 106: Der Thyestes des L Varius Rufus. Auch Qulcherat, Biblloth^que
de r^cole des chartes I, p. 51 ff.
*) 2. B. Carmen de Figuris (ed. Quicherat 1. c. p. 64) Pnidentil Hymnus in
Eulaliam; ein Gedicht des Paulus Diaconus (ed. Dümmler, Poet, aevi Carol. I, 625).
») Nouveau Tralt6 UI, pp. 76, 186, 187, 249, 293, 356, 357, 438.
•) Mommsen, Zeltschrift für Alterhimswissenschaft (1845) p. 81 ff.; Quicherat
1. c; Keil in Ecksteins Anecdota Parisina rhetorica, Halle 1852; Hertz in Keils Gramm.
Ut. II, p. XI ff.; Keil, Gramm. Ut. IV, p. XLI ff.; Usener, Rhein. Mus. XXUI (1868)
503; Schneidewin I.e.; Chatelain, Pal^ographie des dassiques latins, pl. 13; Lejay,
Revue de phUologic XVIII (1894) p. 42 ff.
Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 5
mehreren Händen geschrieben und gehört der Schrift nach zu den
ältesten beneventanischen Handschriften. Der erste Quatemio fehlt,
und der obere Rand ist vielfach durch Feuchtigkeit beschädigt.»)
Die Handschrift lag im XV. Jahrhundert in der Bibliothek der
Hauptkirche von Benevent. Auf dem ersten Blatte des Kodex kann
man noch mit Mühe unter dem Text das mit jetzt grünlich erscheinender
Tinte im XV. Jahrhundert eingetragene Eigentumszeichen lesen. Es
lautet: Üb ecle ben. Diesen Eintrag finden wir merkwürdigerweise
auch im Codex Casanätensis 641, der sicherlich zu unserem Kodex
in enger Beziehung steht, wie aus den Betrachtungen über Depositiones
imd Kirchweihen klar hervorgeht (vergl. p. 39 ff.). Unter den ältesten
beneventanischen Handschriften gibt es noch andere, die dieses oder
ein ähnliches Eigentumszeichen haben.*) Sind wir nun überzeugt,
daß dieser Kodex aus Monte Cassino stammt, so werden wir wohl
gezwungen sein, auch die bis jetzt angenommene Herkunft der übrigen
mit diesem Zeichen versehenen Handschriften in Zweifel zu ziehen,
wenigstens dürfen wir nicht ohne weitere Begründung behaupten,
diese Handschriften seien in Benevent entstanden.
Die ursprüngliche Heimat unserer Handschrift war Monte Cassino.
Dafür sprechen deutlich die in den Kalender eingetragenen Cassineser
Äbte und Cassineser Kirchweihen (vergl. p. 39).
') Abbildungen: in Nouveau Trait^ Tom. III. pl. 45, IV, 2, p. 186; pl. 48,
IV, III, p. 236; pl. 50, V, I, p. 287; pl. 54, VI, I, p. 350; pl. 59, IV, II, p. 436;
Chatelain, Pal^ographie des classiques latins, I, pl. 13; Delisle, Le cabinet des
manuscrits, pL XXHI, 4; Steffens, Lateinische Paläographie, Supplement zur 1. Aufl.,
Taf. 15.
«) Paris. 7530 (saec. VUI ex.) fol. 1 Hb ecle be^}^
Casanat 641 (saec. IX) fol. 1 Hb maioris ecc ben,
Casanat 1086 (saec. IX) fol. 26v Über maioris ecc ben.
Regin. 1823 (saec. IX) fol. 1 Hb maioris ecc ben,
fol. 118 üb ecc ben.
Vatic. 3313 (saec IX) fol. 1 m> psciani ecc ben.
fol. 281 V ecclie maioris ben,
Regin. 1267 (saec. IX/X) fol. 150v üb ecc maioris ben.
Etwas anders lautet der Eintrag im Kodex:
Vatic. 5007 (saec VIU und X) fol. 1 iste üb ben
und am Schlußblatt:
iste üb e d Barthei yd est de ben!*
6 E. A. Loew,
Was nun die Zeit der Anfertigung dieser Handschrift betrifft,
so sind hier genau dieselben Tatsachen in Erwägung zu ziehen, die
wir vorher bei der Bestimmung des Alters von C erwähnt haben.
Demnach wurde die Handschrift zwischen 778 und 797 geschrieben.
Die Verfasser des Nouveau Trait6 gaben der Handschrift das Datum
816, weil, wie sie glaubten, vom Jahre 816 an eine neue Hand tätig
war. Daß dies aber nicht der Fall ist, davon überzeugte mich meine
eigene Untersuchung. *) Quicherat wollte die Zeit der Handschrift
durch das im Kalender eingetragene Osterdatum bestimmen, — ein
Versuch, der auf falscher Voraussetzung beruht (vergl. Kommentar,
27. April).*) Auch^Lejay scheint zu weit zu gehen, wenn er meint,
die Handschrift sei vor Ostern des Jahres 779 entstanden. Unhaltbar
scheint mir femer seine Vermutung, daß, wenn die Handschrift einige
Jahre nach 779 entstanden wäre, der Schreiber deswegen mit 779
angefangen hätte, weil er mit einer neuen Serie von Indictiones be-
ginnen wollte. Die Tafeln fangen vielmehr deswegen mit 779 an,
weil eben der erste Zyklus, in den das Jahr des Schreibers fiel, mit
779 begann. 8)
3. Casanatensis (K).
Der dritte und wichtigste der drei Kalender ist im Codex Rom.
Casanatensis 641*) (früher B IV 18) eingetragen. Diese Handschrift
besteht aus einem älteren und einem jüngeren Teil. Uns interessiert
nur der ältere (fol. 1—81^). Der Kodex enthält Alcuins De Trinitate,
Bedas Sex Aetates, ecclesiastische Computi, unseren Kalender und
Ostertafeln vom Jahre 532 bis 1063. Die Handschrift, die durch
Feuchtigkeit viel gelitten hat, ist ca. 255 x 205 mm groß, in Lang-
Lejay (Rev. de phil. XVIII (1894) p. 42 ff.) hat schon vor mir diesen Irrtum
erkannt und erklärt.
*) Ihm folgte Chatelain (Pal^ographie des classiques latins p. 4) in seiner Be-
schreibung dieser Handschrift, änderte aber seine Meinung in einem Nachtrag zu
demselben Band, p. 34 (Premiere partie).
') Das Datum, das Steffens (1. c.) für diese Handschrift angibt, ist desw^en
zu verwerfen, weil es auf der falschen Meinung basiert, daß man solche Tafeln
mit dem laufenden Jahre zu beginnen pflegte, —
*) Benützt hat diese Handschrift Reifferscheid (Bibl. Patr. lat. Ital. I, 173 ff.) und
der von ihm (1- c.) angeführte Schelestrate, der die Sex Aetates nach dieser Handschrift
herausgab. Bethmann spricht von ihr in Pertz' Archiv XII, p. 404. Sie ist eingehender
beschrieben von Federici in Archivio Paleografico Italiano vol. III, fasc 22.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 7
Zeilen von einer Hand geschrieben. Sie gehört der Schrift nach in
den Anfang des IX. Jahrhunderts. ^
Nach Rom, wo sie jetzt liegt, wurde die Handschrift, wie ich
vermute, von Kardinal Casanate gebracht, der bei einer Reise in
Kalabrien, wie uns Mabillon berichtet, *) viele wertvolle Handschriften
gesammelt hat. Obwohl Mabillon diese Handschrift unter den in
Kalabrien erworbenen nicht ausdrücklich erwähnt, erzählt er doch von
den prachtvollen Rotuli des Bischofs Landolfus, die gleichfalls in
beneventanischer Schrift geschrieben sind und vermutlich aus Benevent
stammen. 8) Außer diesen Rotuli hat die Biblioteca Casanatense nur
noch zwei andere alte beneventanische Handschriften, nämlich den
Kodex 1086 und den Kodex 641, der eben unseren Kalender enthält.
Beide Codices haben das oben besprochene Eigentumszeichen der
ecclesia maior Beneventana; sie kamen also nach Rom offenbar aus
Benevent, wo sie sich noch im XV. Jahrhundert befanden, und es ist
sehr wahrscheinlich, daß sie um dieselbe Zeit wie die Rotuli Bene-
vent veriießen.
Daß unsere Handschrift Cassineser Ursprungs ist, beweisen, wie
bei den anderen zwei Handschriften, die Depositiones der Äbte und
die Kirchweihen (vergl. p. 39). Auch der Umstand, daß alle von
erster Hand eingetragenen Kirchweihen sich auf Monte Cassino, alle
von späteren Händen eingetragenen jedoch sich auf Benevent be-
ziehen, deutet darauf hin, daß der Kodex zuerst in Monte Cassino
lag und erst später nach Benevent kam (vergl. p. 51 f.). Auch die
beneventanischen Heiligen findet man in dem Kalender erst von
zweiter Hand eingetragen, — eine weitere Bestätigung für die An-
nahme, daß der Kodex nicht in Benevent entstanden ist (vergl.
Diese Beschreibung gilt nur für den älteren Teil fol. 1— 81v).
') Mabillon, Museum Italicum Tom. I, Pars 1, p. 70.
*) Die strittige Frage, ob hier Landolfus aus Capua oder der aus Benevent
gemeint ist, wird an anderer Stelle erörtert. In dem Rotulus .Benedictio Fontis'
steht LANDOLFI EPI SUM. In dem Rotulus .Pontificale- ist ein Gedicht an
Landolfus von wenig späterer Hand eingetragen. Da heißt es unter anderem:
Egregius presul Landolfus sanctior alter
Tempore sab ciuus dicata est virginis aula.
Hier ist wohl die Rede von Landolfus U., Erzbischof von Benevent, der im Jahre
1119 das von ihm gestiftete Monte Vergine {virginis aula) einweihte (Qams, Series
Episcoporum p. 672). Hier stimme ich überein mit Bannister gegen Mabillon (1. c)»
S^roux d'Agincourt (Histoire de Tart par les monuments Tom. VI, p. 45, edit. 1823)
und Langlois (M^langes d'arch^ologie et d'histoire VI, 466).
8 £. A. Loew,
Kommentar zum 19. Februar, 17. Juni, 14. Juli, 17. Juli, 19. Sep-
tember, 23. Oktober, 20. November). Aus dem Eintrag über die
Weihe des beneventanischen Bischofs Aio, der, wie feststeht, bereits
im Jahre 875 Bischof war, dürfen wir schließen, daß die Handschrift
schon vor 875 in Benevent lag.
Die Handschrift Monte Cassino 3 bildet, wie ich in der Vorrede
andeutete, einen Qemellus zu dieser Handschrift. Bis auf die schlimmsten
grammatischen Fehler stimmen die beiden Handschriften überein. *)
Nun hat auch die Handschrift Monte Cassino 3 Ostertafeln, die zwar
bis zum Jahre 1063 reichen (wie die im Casanatensis), aber erst mit
dem Jahre 874 (Anfang eines Zyklus) beginnen. Die Schrift dieses
Kodex, die zwei Kolumnen, die Bildung der m-Ligatur (3), die Schreibart
que für qiif (quae), und der Gesamteindruck weisen darauf hin, daß
die Handschrift gegen Ende des IX. Jahrhunderts entstanden ist,
vielleicht innerhalb der Zeit des ersten eingetragenen 19 jährigen
Zyklus, d. h. zwischen 874 und 892. Dies stimmt vortrefflich zu der
Ansicht, der Codex Casanatensis 641 sei um das Jahr 875 nach
Benevent gekommen. Nachdem man nämlich eine Abschrift genommen
hatte, verschenkte man den älteren Kodex d. h. den Casanatensis.
Daß der Codex Casanatensis tatsächlich einmal verschenkt wurde, beweist
das auf fol. 4^ eingetragene Widmungsgedicht (vergl. Kommentar zum
22. Juli).
Wenn der Eintrag der Beisetzung Theodemars*) (vergl. Depo-
sitiones p. 39 f.), wie ich vermute, nicht bloß aus der Vorlage abge-
schrieben ist, sondern tatsächlich während Gisulfs Lebenszeit erfolgte,
so läßt sich daraus die Zeit der Entstehung der Handschrift mit
Sicherheit bestimmen. Theodemar starb 797. Damit haben wir den
terminiis ante quem non gewonnen. Da Gisulfs (der 817 starb)
Depositio noch nicht erwähnt wird, so haben wir auch den terminus
post quem non. Die Handschrift muß demnach zwischen 797 und
817 entstanden sein. Da wir aber in der Handschrift (fol. 1) das
Jahr 811 als das laufende Jahr bezeichnet finden, so wissen wir, daß
sie erst nach dem Jahre 811 geschrieben worden sein kann. Auf
fol. 5 finden wir Ostertafeln, die auffallenderweise mit 812 anfangen,
einem Jahre, das nicht den Anfang eines 19 jährigen Zyklus bildet.
*) z. B. für dices haben beide dicebis; für de Aetatibus, de Etes; für sumas,
summas; für abrupt i simus, abruptissimus; für dejecti simus, dejectissimus usw.
*) Hier hat der Kalender sep (d. i. sepultura), nicht dep (d. i. depositio) wie
bei den übrigen Abten.
' Die fitesten Kaiendarien aus Monte Cassino. g
Diese Tafeln sind nur auf einer Seite eingetragen (sie reichen bis 840)
und sprechen dafQr, daB die Handschrift in der Tat nach Ostern des
Jahres 811 verfertigt wurde. Die Ostertafeln, die gegen den SchluS
des Kodex eingetragen sind, beginnen mit 532, und dienten haupt-
sachlich zur Aufzeichnung historischer Ereignisse, die man am Rande
eingetragen findet^) Der Schreiber der Handschrift Monte Cassino 3
schrieb die Ostertafeln 812 — 840 gedankenlos ab, obwohl sie für ihn
keinen Wert hatten. Den großen Osterzyklus 532—1063 seiner Vor-
lage schrieb er jedoch nicht ganz ab. Er begann mit dem ersten
19 jährigen Zyklus, der sein Jahr enthielt, wie wir sahen mit 874,
und schrieb seine Vortage bis 1063 ab. Die Handschrift Monte
Cassino 3 ist demnach zwischen 874 und 893 entstanden und nicht
etwa schon im Jahre 811 (vergl. p. V).
Noch einige Beweise dafür, daß die Handschrift aus Monte
Cassino stammt, möchte ich hier kurz erwähnen. Zu dem Jahre 718
(fol. 57) der Ostertafeln findet man am Rande Folgendes eingetragen:
hinc inci\piant an(nl) *) | domni Pe\tronacis
zum Jahre 797») (fol. 61):
hUic I inclpiunt \ ann{i) inslg{rüs) \ Gisulfi abb{atis)^)
zum Jahre 818 (fol. 63):
an{nt) C a tem\p(p)r{e) do{m)ni \ Pe\tronacis.
Diese Einträge dürften außerdem auch für die Daten dieser Cassineser
Äbte von Wert sein*).
Von Annalen in beneventanischen Handschriften, von Ostertafeln und
anderen Kaiendarien wird noch an anderer Stelle die Rede sein.
*) Die eingeklammerten Buchstaben sind ergfinzt
*) Der Schreiber hat DCCXV/l; d. h. er hat das C nach X aus Versehen weg-
gelassen.
*) Die Tinte ist so verblafit, daß man die Eintrage kaum mehr entziffern kann.
*) Traube (Textgeschichte der Regula St Benedicti, p. 99 (697)) macht auf
Folgendes aufmerksam: Paulus Diaconus (VI, 40) sowie die Chronik von Monte
Cassino vom Jahre 867 (SS. Rer. Langob. p. 468) lassen Petronax im Jahre 710 nach
Monte Cassino kommen. Nach Leo Ostiensis (I, 4 = MQ. SS. VII, 581) kommt er
erst 720, was, wie Traube vermutet, rund für 717 gesetzt wird. Das Jahr 717 als
Anfangsjahr seiner Abtzeit finden wir in der eben erwähnten Chronik vom Jahre
867 (SS. Rer. Langob. p. 480) und in der Handschrift Rom Vatic lat 4958 (SS. Rer.
Langob. p. 489), zu der jetzt die Angaben in unserem Kalender hinzukommen, die,
wie es scheint, die ältesten handschriftlichen Zeugen für die Daten des
Petronax sind. VergL auch Chapman, Revue b^n^dictine XXI (1904) p. 74—80.
10 E. A. Loew, Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
Ich fasse das Ganze kurz zusammen. Die Handschrift Casana-
tensis 641 wurde in Monte Cassino geschrieben, wie ich glaube, nach
Ostern des Jahres 811 und vor Ostern des Jahres 812. Nachdem
man dort von ihr um 875 eine Abschrift (Monte Cassino 3) genommen
hatte, wurde sie nach Benevent verschenkt. Von da ist sie nach Rom
gebracht worden, vermutlich von Kardinal Casanate.
Für die Schreibart Petronaces vergL Savio, Analeda Bollandiana XV (1896), p. 388,
Anm. 1.
Abdruck der drei Kaiendarien.
1. Die Daten mit arabischen Ziffern der ersten Spalte sind von
mir der Obersicht halber angegeben.
2. In der zweiten Spalte vereinige ich der Einfachheit halber die
römischen Daten der drei Kaiendarien und verzichte auf die
Wiedergabe von unwesentlichen Abweichungen.
* Mit dem Stern sind die Eintrage versehen, die im Kommentar
besprochen werden.
Das in Klammem eingeschlossene ist ergänzt.
K' = Zutat im Kalender K, die noch ins IX. Jahrhundert gehört
12
E. A. Loew,
Januar
Cavensis 23
Parisiniis 7590
1
KaL Jan.
Circumdsio Domini
Dies XXXI Circumdsio Domini nostri
lesu
2
minon.
Deposltio Optati
3
III
4
II
Depositio Optati abbatis*
5
Nonas
6
Vm Idus
Epyphaniac •
7
VII
8
VI
9
V
10
IUI
11
m
12
II
13
Idus
Odaba Theophaniae et Natalis HUarü
confessoris*
14
XVmi KaL Feb.
15
XVIU
16
XVII
17
XVI
Sei in Signum Aquarii
18
XV
19
xnu
20
XIII
Natalis S. Sebastian!
21
XII
Natalis S. Agnes
22
XI
Natalis S. Vincenti
23
X
24
vim
25
vm
Depositio Thomichis abbatis*
26
Vll
27
VI
28
V
29
IUI
30
lU
31
u
nox hör. XVI dies vm
Luna XXX
1) Das kldn Gedruckte ist Zutat spaterer Hand.
Die ältesten Kaiendarten ans Monte Casslno.
Januar
13
Casanatensis 641
Casanatensis Additiones
Mensis Januarius dies XXXI
1
Circumdsio Domini* et S. Alamachi*
2
3
4
Dedicatio Dei genetricis Mariae*
Dedicatio ante Conspectnm*
Caesari Delfinus matutino exoritur
5
Caesari Fidicula matut. exoritur ex Egipt Sagitta
vesper. occidit
6
7
8
9
10
Aepiphania
Delfinus vespertinus occasus
K' Natalis S. Severini
11
S. Leudi confessoris et episcopi
12
S. Hilarii Pidaviensis episcopi
13
Odava Epiphaniae* et S. Potiti martyris
et S. FeUds im Pindi
14
S. FelidS confessoris atque sacerdotts*)
15
16
Predicatio Lectiones UL S.Leoiiit episcopi
17
Depositio S. Antonii* Sol in Aquarium
18
Natalis S. Priscae
19
20
S. Sauastiani* martyris et sodorom eiui
21
S.Agnae
22
S. Vincenti diaconi* et S. Anastasii ad Aqua Salvia
23
24
25
Stella Regia appdlata tuberone in pedore Leonis
occidit matutina
et uocatio & PauU apostoll de caelo
26
Sextus Esyptus mensls Mechir
27
28
S. Perpetuae et Agn (etis)*
29
30
31
14
E. A. Loew,
Febraar
Cavensls 23
Parisinns 7530
1
KaLFeb.
Dies XXVm
2
minon.
Dies S. Mariae
S. Symeonis
3
m
4
n
5
Nonas
S. Agathae
Natalis S. Agattie martyris
6
vm
7
Vü
Intrat ver ik habet dies XQ
8
VI
9
V
10
IUI
Natalis S. ScolasUcae
11
m
12
u
13
Idus
14
XVI Kai. Mar.
15
XV
S. Faustini et lubini')
Natalis S. Faustini et lobitae*. Diabolui
retrorsum recessit a Domino
16
XIIII
17
XOI
18
XII
19
XI
20
X
21
vuu
22
VIII
23
VII
24
VI
25
V
26
IUI
27
III
28
II
nox hör. XUII dies X
Luna XXVUII
') Sic.
") iteratum.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
Februar
15
Casanatensis 641
Casanatensis Additiones
Mensis Februarius dies XXVIII
Lunatlo XXVmL Heb. Seoat Aegyp.
Mechlr. Gr. Peritios
1
Brigidae virginis*
Puriflcatto erit S. Dei gene-
trids et virginis Mariie et
ütrasura ! Dominus nosterlesusChristus
2
DiesS....*
1 in templo est praesentatus et
1 a S. Symeone susceptus
3
K' Capta est Baris
4
Fidicula vespere occidit
5
6
7
S. Agathae
Veris initium -% habet dies XCI
8
LectionesV
9
S. Sabin!
K' Eodem die dedicatio erit oratorUbeatl
SebastUni
10
S. Scolasticae
11
12
13
14
Diabolus retrorsum recessit a Domino
15
Sol in Pisces«)
16
Natalii S. JuIIanes virginis et martyrls
17
18'
19!
Natalis erit beati Barbati* confeasoris et
1
episcopi
20j
21
22
23
24
Exhorti * Arcturo vespertin.
Natalis S. Matliian
25
Sept. Aeg. mensis Famenot
26
27
28
16
E. A. Loew,
Man
Cavensis 23
Parisintis 7580
1
Kai. Mar.
Dies XXXI
2
VI non.
3
V
4
im
5
m
6
II
7
Nonas
8
VUI Idus
Prima incesslo lune paschalis
Prima Incessio lunae pasdialls
9
VII
10
VI
11
V
12
im
Gregorii pape
S. Gregorii papae
13
m
14
II
15
Idus
16
XVII Kai. Apr.
17
XVI
18
XV
Sol intrat Arietem
19
xnii
20
XIU
21
XU
S. Benedict! . Equinodium
S. Benedidi et Aequinodlum
22
XI
Primum pascha
Primum pasdia et sedes epadaram
23
X
24
villi
Sedes concurrentium
25
VIII
Cradfixus et conceptus est
Dominus noster crudfixus est et Ad-
nuntiatio S. Mariae
26
VII
27
vi
Resurredio Domini
Resurredio Domini nostri lesu Christt
28
V
29
IUI
30
III
31
II
nox hör. XII dies XU
Luna XXX
^) sup. ras.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino
März
17
Casanatensis 641
Casanatensis Additiones
1
Mensis Martins dies XXXI
LtmatioXXX
2
3
4
S. Armelaisi
4
5
6
7
In Charthagine Natalis Perpetuae et Felicitatis
8
Prima incensio lunae paschalis
9
Natalis Sanctorum XL coronatomm*
10
11
12
S. Gregorii papae
13
In Italia Milvus apparet
Depositio Richtrdl
14
Sce^) . dl. 1 ApptridoMUvi
15
16
17
18
Sol in Arietem
.
19
20
21
Natalis S. Benedicti . Equinus occidit* matutin.
Prima Xmi luna
22
Primum pascha et sedes aepactarum
23
24
Sedes concurrentium
25
Dominus crucifixus et conceptus*
AnnuntUtto S. MarUe
26
27
Resurrectio Domini lesu Christi* . Oct Egy. mensis
Farmuthi
28
Ptiriflcatio ....
29
30
31
QueUen u. Untenach. z. lat. Philologie des MA. m, 2.
18
E. A. Loew,
April
Cavensis 23
Parislnns 7530
1
Kai. Apr.
Dies XXX
2
IUI non.
3
III
4
II
Ultima incessio lune paschalis
5
Nonas
Ultima incessio lunae paschalis
6
VIII
7
VII
8
VI
9
V
10
rni
11
in
12
u
13
Idus
14
XVm KaL Mai.
15
XVII
16
XVI
17
XV
Sol in Taurum
18
XIIII
19
XIII
20
XII
21
XI
22
X
23
villi
24
VIII
S. Georgii martyris
25
VII
S. Martini 1) cvangelistae
Natalis S. Marci evangelistae et ulti-
mum pascha
26
VI
27
V
28
im
29
III
30
11
nox hor. X dies XIIII
Luna XXVIIII
Sic.
Die ältesten Kalendarlen aus Monte Cassino.
19
April
Casanatensis 641
Casanatensis Addltiones
1
Mensis ApriUs dies XXX
Luna XXVmi
2
3
In Attica Vergiliae vespere occultantur
4
K' Ambrotias Mediolanensls obUt
5
Ultima incensio lunae paschalis
6
Eadem in Boeti a Caesario et Chadeis Orion et
7
8
9
10
gladius eins incipiunt abscondi
11
Natalis Leonis papae*
12
13
14
15
16
Aegypto Sucule occidunt vespere vulgo appellatum
sidus Parilicum idem Caesari
17
Sol in Taurum
18
K* Umma liuia XIUI . patcbae Hebreonun
19
20
21
Urbis Romae Natalis aiisüni* - Valeriani ' Maximi
Tiburtii
22
23
Lectiones m
24
Natalis S. Georgii
Lectiones V. Tres pueri in BabylonU de
fornaci liberati sunt
25 S. Mard evangelistae et Letaniae maioris* Canis
K' Ulttmum pascha Chilstianorum
vespere occultatus
26 Non. Aeg. mensis Pachon
-;
K'
hoc die in anno incarnationis Do-
mini DCCCLXXn . . .victoriam de
Saracenis per . . . anno prindpatns
dus xxvmi V
28;
29l
30
2*
20
E. A. Loew.
Mai
Cavensis 23
Pftfislniis 7630
1
KaLMal
Dies XXXI . Natalis S. PhUippi ipos
2
VInon.
3
V
Inventio Cnids
Inventio sanctae Cnids
4
nn
5
m
6
n
Depositio Petronads
Depositio Petronad(s) abbatit
7
Noius
4
8
Vm Mos
S. Vldoris
Natalis S. Victoris martyris
9
vn
Aestatis initium
Aestatis initium habet dies XC
10
VI
11
V
S. Panaatii
12
nn
Natalis S. Pancratii martyris
13
ni
14
u
15
Idus
Pentecosten primum
16
XVn Kai. Jun.
17
XVI
18
XV
Sol in Gemini
19
xnn
20
xin
21
xn
22
XI
23
X
24
viin
25
VÜI
26
VU
27
VI
28
V
29
nn
30
m
31
u
nox hor. VIII dies XVI
LunaXXX
>) Sic
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
Mai
21
Casanatensis 641
Casanatensis Additiones
Mensis Malus dies XXXI
Lttoa XXX
1
Natalis S. Phiüppi apostoli
et Ucobl et IniUttm praedictUonis Domlni
nostri lesu Christi
2
3
4
Inventio sanctae Crucit*.Unibra absumiturinMeroe
5
6
Deprecatio Petronaci(s) abbatis*
K' « Depositto PaschaUt« «
7
S. \^ctoris*
8
S. Angeli* . Ortus Vergiliarum « Aeg. Canis vespert
occultatur
9
Aestatis initium habet dies -)^- XC
S. Victoris JEL martyris
10
11
Primum Pentecosten
12
Natalis S. Pancratii*
13
Fidiculae exhortus') Arcturi exortus matutin . Arcturi
occasus
14
15
16
17
18
So! in Geminos
19
Lectiones in
20
S. EusUsU
21
22
23
24
25
K* S. Secundini
26
Dec Aeg. mensis Pauni
S. Theodor! martyris
27
28
29
30
31
22
E A. Loew,
Juni
Cavensis 23
Parisinus 7530
•1
KaLJtin.
Dies XXX
2
minon.
3
m
Dedicatio S. Benedict!
Dedicatio S. lohannis S. Benedict! d
S. Faustin!
4
n
5
Nonas
6
VlUIdus
7
vn
8
VI
Dedicatio S. Stephan!
Dedicatio S. Stephan!
9
V
10
mi
11
m
Natalis S. Bartholomae!
12
u
13
Idus
14
XVUI Kai. Jul.
15
XVU
16
XVI
Natalis S. Nicandri et martyris
17
XV
S. Nicandri in Benafro et Sol intnl
cancnim
18
XIIII
19
XUI
S. Gerbasii et Protasii
SS. Gervasi et Protasii ^) et Dedicatio
S. Scolasticae*
20
XII
21
XI
22
X
lacobi Alphei
Natalis S. lacobi apostoli
23
VIIU
24
vm
Natalis S. lohannis baptistae et
Solstitium
S. lohannis baptistae et Solstitium
25
vu
26
VI
lohannis et Pauli
Natalis S. lohannis et Pauli
27
V
DedicaüoS.Petri
Dedicatio S. Petri
28
IUI
Leonis pape
Natalis Leonis pape
29
m
S. Petri et Pauli
Natalis apostolorum Petri et Pauli et
Depositio Potonis abbatis
30
II
Depositio Potoni(s) abbatis
^) Lejay (L c) hat fälschlich Protei statt Prot(zs\i)et gelesen. *) v. Supplementum. *) sie
Die ältesten Kalendarien aus Monte Cassino.
Juni
23
Casanatensis 641
Casanatensis Additiones
Mensis lunius dies XXX
Luna XXVmi
1
2
3
S. Erasml episcopi et martyris
DedicatioS. Faustini*
4
Initium Diesii mensis secundum Graecos
Predlcatlo Lectiones DC
5
Sepultura Theomar») abbatis*
Dedicatio erlt S. Bartholomei apostoU»)
6
7
8
9
10
S. Vincentii episcopi in Mebania
Dedicatio oratorii S. Stephani*
Lectiones IX
11
S. Bamabae apostoli*
Depositio Raccausi
12
13
K' In Persida S. Bartholomei apostoli
depositio
14
S. Mardani episcopi et confessoris
15
S.\^ti*
Modesti et Crescentlae
16
lim SS. martyrum Nlcandri* et MarcUnl
17
So! intrat in Cancrum
IUI Natalis beati Bartholomei* apostoU
18
19
SS. Gervasii et Protasii
20
Solstitium
21
22
////// Natalis Paulini Nolensis* episcopi
23
24
Natalis S. lohannis* bapüstae
25
(XI) Aeg. mensis Epifi*
26
Natalis SS. lohannis et Pauli
27
Dedicatio S.Petri*
vlTKinum Plstis . Elpls . Agapls et
Sophlae matris eanim
28
S. Leonis papae
29
Apostolorum Petri et Pauli
30
Depositio Potoni(s) abbatis*
24
E A. Loew,
JuU
Cavensis 23
Pftrisinns 7630
1
Kal.JuL
Dies XXXI
2
VI non.
3
V
4
rni
5
UI
Dedicatio S. Martini
Dedicatio S. Martini
6
II
Odaba Petri et Pauli
7
Noius
8
Vnildus
9
vn
10
VI
11
V
12
im
Natalis Naboris et Felids
13
m
14
n
Dies Caliculares»)
15
Idus
16
XVII Kai. Aug.
17
XVI
18
XV
Depositio Ermeris abbatis
Depositio Ermeris abbatis
19
xmi
20
XIII
S. Severi
Natalis S. Severi episcopi in Casino
21
XII
22
XI
23
X
S. ApoUenaris
Natalis S. ApoUenaris in Rave(nnate)
24
viin
25
VIII
S. lacobi Zebedei
Natalis lacobi fratris lohannis
26
VII
27
VI
28
V
Nazarii et Celsi
Natalis SS. Nazarii et Celsi L
Med(iolano)
29
IUI
30
III
31
II
nox hör. VIII dies XVI
LunaXXX
1) Sic
») oratorii superscr.
Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
Juli
25
Casanatensls 641
Casanatensls Additlones
1
2
3
Mensis lulius dies XXXI
K' Luna XXX
SS. mtrürum Processi et J^iarttnitni
4
5
Dedlcaäo oratorii»)* S. Martini*
6
Octaba apostolorum
7
llllll
8
9
10
S. ApoUonU
NaUüU S. FeUdUtis et fllionim eltis
11
SS. martyram lasonis et Mauri. Lectiones
m
12
Naboris et Felids sanctonim
Lectiones in
13
Margarite Sanctae*
Dedicatio erit oratorii beati Victoria
martyris . Lectiones m.
14
Dies Canicularii iuxta Ypograten ■)
et 4edicatio oratorii S. Barbati* in Bene-
vento
15
lüllll
S. Virginls. Eodem die S. Cyrid mar-
tyris . Lectiones m
16
K' S. Vitaliani . LMtiones m
17
K' Consecratio Alonls* episcopi
18
Depositio Ermerissi* abbatfs . So! in Leonem
19
20
S. Severi episcopi
K' et S. Praxedis
21
22
S. Mariae Magdalene*
Lectiones. IX
23
S. Apollenaris
24
Aquile occasus
25
S. Christinae* et S. lacobi Zebedaei apostoU apottou
tnbU beati lobannli apottoU «t evangellttae
Xn Aesyp. mensis
26
27
28
SS. Nazarii et Celsi
29
S. Lnpl . . . confessoris et episcopi
30
Umbra sumitur in Meroae . Abdon et Sennae
31
(Dedi)catio S. Potiti martyris
*
26
E. A. Loew,
August
Cavensis 23
Parisinns 7590
1
KaL Aug.
Machabeorum
Dies XXXI . SS. Machabeorum
2
lUInon.
3
m
4
II
5
Nonas
6
Vm Idu8
Xysti episcopi
Natalis S. Xysti martyris et episcopi
7
VII
Autumni ^) initium
Natalis S. Donati . Autumni X dies .
8
VI
9
V
10
mi
S. Laurent!
Natalis S. Laurenti martyris
11
m
12
II
13
Idus
14
XVIIIIKal.Sep.
15
XVIII
Adsumptio S. Marie
Transitus S. Mariae virginis
16
XVU
17
XVI
18
XV
19
xim
20
XIII
21
XII
22
XI
Depositio Gratiani abbatis
Depositio Gratiani abbatis "^
23
X
24
villi
25
VIII
Bartholomei apostoli
S. Bartholomei apostoli
26
VII
27
VI
28
V
S. Augustini Ypponiensis
Natalis S. Augustini episcopi
29
Uli
S. lohannis baptistae decollatio
Decollatio S. lohannis baptistae
30
III
31
II
nox hör. X dies XIIII
Luna XXVIII
>) Autunni in cod.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
27
August
Casanatensts 641
Casanatensis Additlones
Mensis Augustus dies XXXI
K" Lunt xxvnii
1
Machabaeorum* VU fratrcs cum matre
Befttisstmoram martyrum Machibeoruin
Vniritrum qui püsl suot »ubAntiocho
fege cum matre
2
Nitttb S. Stepfaanl episcopj M martyiis
3
Uct[oiie> UI
4
5
X[iti eplseopi FetlclMiml et Aeipttt
ntAriyris LecUoa« V
6
ßoinae Xysti Felicissimi et Agapltl* K* martyrum
el tftnsflguffttfo DomtQl In monte
7
S, Donau episcopi , AuluTuni lnitiuin # habet dies
'IUI Lectlanes in Ded[utj(o) S. Sosü
XCII
dijconl
8
|] j i S. Clrtad Lacvltae martyrli et s<KJorum
dus
9
Uctloan X
10
S. Laurentli {|| | levlt« ic muiyds ,
11
12
Caisfanl coafcssoris et episcopl . Lectiooei
itl et S. EupLI mortyil»
13
S-YppolitietS^Cassiani*
LectioDM tu
14
15
Assumptfo S. Madae*
16
17
18
Sol In Virginem
19
20
21
22
23
Natttii S. TlmotHci m&rtyrk . LectfoneslX
24
S. Baftholomaei apostoJi'*'
Tnmlatio de ladla Jn Lypidm
25
Natalis S. Mercudl martyrü . iulumao
26
MaUUi S. SamiC?) ..... conrcisoHs et
tfiicopi
27
28
5, Au^stini Ipponl Reglensts
29
DecoUatio S. lohannis bapüstae . Primus Aeg. m.
Fdmus Aegyp. ment Is
30
31
28
E. A. Loew,
September
Cavensis 23
Parisinns 7530
1
KaL Sep.
ConstantU et Fel(icis?)
Dies XXX . Natalis Constantii c
FeUciani
2
ininon.
3
m
4
n
5
Nonas
6
VUI Idus
7
VII
8
VI
NatalisS. Marie
Natalis S. Mariae sectindtuii camem
9
V
10
IUI
11
m
12
II
13
Idus
14
XVra Kai. Oct.
G>raelii et Cyprianis
NataUs CoraeU et Cipriani
15
xvn
16
XVI
in palatio Bencventano*
17
XV
dedicatio ecdesiae S. Salba-
toris
Sol intrat Libram
18
XIIII
19
XIII
20
XU
21
XI
Matthei apostoli
S. Mathe! evangeüstae in Persida
22
X
23
VIUI
24
VUI
25
vn
26
VI
27
V
Cosme et Damiani
Natalis SS. Cosme et Damiani
28
IUI
29
lU
30
u
S. Hieronimi
Depositio Hieronimi presbyteri qi
vixit annos XCI
nox hör. XII dies XU
LunaXXX
^) corr. canicularmm.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
29
September
Catanatensis 641
Casanatensis Additiones
Mensis September dies XXX
K' Luna XXX
1
SS.ConstantiietFeliani*
Lectiones IX . et duodedm fratram id
est Donat . et fratmin eonini
2
3
4
NataUs S. PrUd epUcopi et martyris
5
6
7
Lectiones IX
8
9
10
NativitasS-Mariae*
11
Finis Caniculanim ^) dierum
12
Depositio Rodelgardl
13
Lectiones IX
14
SS. Coraelii et Cypriani et
Ezaltationis* -f
15
16
S. Euphemiae
17
So! in Libram
18
Uctiones IX
19
SS. lanuarU epUcopi* Festt et DetiderU
et sodorum eorum
20
Aequinoctium
IUI S.Celestes Lectiones III
21
Mathd apostoll et evangelistae
22
PassioS.Mauricii*
Ucttones V
23
24
25
26
Lectiones IX
27
Cosmae et Damiani martyrum
28
See. Aegy. mensis
29
Dedicatio ba8Uic*(ae Michaelis ArchangeU)
30
In Betleem Iud*(aeae S. Hieronymi)
30
E. A. Loew,
Oktober
Cavensis 23
Parisinns 7530
1
Kai. Oct.
Dies XXXI
2 VInon.
3
V
4 HU
5|III
6 U
7
Nonas
Natalis S. MarceUi
8
VIII Idus
9 VII
S. Dionisi
10
VI
11
V
12
IUI
13
m
14
II
15
Idus
16 ! XVII Kai. Nov.
17 i XVI
18! XV
Lucae evangelistae
Natalis S. Lucae evangelistae
19 1 XIIII
20 1 XIII
21 , XII
22|XI
23, X
24 '■ Villi
25 VIII
26
VII
27
VI
28
V
Simonis et Thadei
Natalis apostolorum Simonis et ludae
29
IUI
30
III
Germani episcopi
Depositio S. Germani episcopi Ca-
p(uensis)
31
II
nox hor. XIIII dies X
Luna XXVIIII
') superscriptum.
•) super ras.
•) eras.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
Oktober
31
Casanatensis 641
Casanatensis Additiones
1
2
3
4
5
6
Mensis Octuber dies XXXI
Luna XXVIffl
Dedicatio basilicae beati Benedicti in Castro Casino*
Predicatio . Lectiones m
7
8
9
K' SS. martyrum Marcelli et Apolel
Dionisii Rustici et Eleutherii
Deposltio GuandelperU ]Ci(astaldi flU . .
Gari Potonis
10
11
12
13
* Visi sunt igniculi in modum stellarum
per totum caelum crebrius dlscurrere |
cum magnis radiis a media fere . .
nocte . . usque ad daram diei lucem . 1
Hoc etlam die Abraham rex Ismaheli
tanim mortuus est Calabrle, | aui
cum magna multitudine ab Afric«
exiens | Italiam intraverat anno Domini
DCCCCn . Ind. VI •,•
14
15
S. Tamari . confessoris et episcopi
16
17
18
S. Lucae evangelistae . So! in Scorpium
19
20
21
22
23
DedicaUo erit^) oratorii beati lanuarii* |
episcopi*) et^) martyris*) (Intus Bene-
venti)»)
24
25
1 1 1 j Translatlo erlt beati Bartholomei apos-
toli de Liparim in Benebentum.*) in
marg. Indic III . factus est terrae
jnotus magnus
26
27
. . . is pre ann. LVangelo revelat | VIII K. lulias
28
(Nat SS. apostolorum Symonis et lüde* . III Aeg. m.
Athir)
Natalis SS. Apostolorum Symonis et lüde
29
30
(S. Germani . episcopi)*
Natalis S. Germani confessoris et episcopi
31
32
E. A. Loew,
November
Cavensis 23
Paiitinns 7680
1
Kai. Nov.
Dies XXX
2
nn non.
3
m
4
u
5
Nonas
6
VIU Idus
7
VU
Hiemis initium
Hiemis initium X habet dies
8
VI
9
V
10
UU
11
m
S. Martini
Natalis S. Martini episcopi et ex»
fessoris
12
u
13
Idus
14
XVniKaLDec
15
xvn
16
XVI
17
XV
18
xim
19
XIII
20
XII
21
XI
22
X
S. Cedliae
Natalis S. Ceciliae virginis
23
vim
S. ClemenUs
Natalis S. Clementis
24
VIU
Intrat hiemps pennan(ens) dies XC
25
VII
26
VI
27
V
28
im
29
III
30
II
S. Andrea«
Natalis S. Andreae apostoU
noxlior. XVI dies Vm
LunaXXX
') superscriptum.
*) Sic
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
November
33
Casanatensis 641
Casanatensis AdditJones
Mensis November dies XXX
K- LuM XXX
1
K' Feitivitas onmlum sanctonmi* |
2
3
4
5
S. Ttofima virgiuls
6
7
Hiemis initium « habet dies XCII
8
Occasus Vergiliarum
9
K' Tlicodoiis minyita
10
K- S. Mcnaatii
11
S. Martini*
12
13
14
15
16
17
Tcde virginis* ti martyris . Sol in Sagltlariuni
18
19
20
Didlallo alt') oraloiU S. Mirdanl*
venia
21
22
S. Ceciliae martyri.
23
S. Clemenlis eplicopl et martyris
24
S. Gtho^oaP) el lodoinm
conini nuKlyruin
25
26
S. PUrl Alcuadilai vdricpltcopi
27
Quartus Aeg. mensis Choeac
28
29
30
S. Andceae apostoli
•
Qnelltn u. Untenach. x. Ut Philologie dei MA. III, 3.
34
E. A. Loew,
Dezember
Cavensis 28
Parislnns 7530
1
Kal.Dec
Dies XXXI
2
minon.
3
m
4
n
5
Nonas
6
Vm Idus
S. Ambrosii
7
VU
Natalis S. Ambrosii* episcopi
8
VI
9
V
10
im
11
m
12
u
13
Idus
14
XVmi Kai. Jan.
15
xvra
16
xvu
17
XVI
18
XV
Sol in Capricomu
19
xim
20
xm
21
xn
Thome apostoli
Natalis S. Thomeae apostoli In bidon
22
XI
23
X
24
vmi
25
VIII
Nativitas Domini lesu Christi
Nativitas Domini nostri lesu Christi
26
VII
S. Stephani
Natalis S. Stephani
27
VI
S. lohannis evangeliste
Natalis S. lohannis evangelistae
28
V
Innocentonim ')
Innocentonim ')
29
mi
30
III
31
II
•
S. Silvestri
Natalis S. Silvestri papae
Sic.
Die ältesten Kalendaiien aus Monte Cassino.
Dezember
35
Casanatensls 641
Casanatensls Addltiones
1
2
Mensis December dies XXXI
Lunt XXTX
3
4
5
Delflni ezortus . Delf . Predicaüo . Ltctlo-
nes vnn
6
Beati Nicolai epUcopi
7
confessoris | Consecrttlo episcopttus
8
9
10
11
12
13
S. Ludae
et S. Eustrati martyris
14
S. Zenonis*
Dedicatto S. Nicandri et S. Tamtri et
S. Sinoü
15
16
17
Natalis S.Adiutoris confessoria etepiscopl
18
Sol in Capricomu
Dedicatio* erit huius sanctae ecdesiae
19
20
21
Thomae apostoli . Solistitium »)
22
Sol obscuratumi) est Indictio Xu
23
24
25
Naüvitatis Domini nostri Jesu Christi
26
Natalis S. Stephani mtrtyris
27
Natalis S. lohannis euangelistae
Quintus Aegyp. mensis
28
Natalis Innocentium
29
30
31
S. Silvestri papae et S. Columbae virginis*
3*
36 £- A. Loew,
Supplementum.
1. Cavensis additiones:
in marg. inf. sab mens. Feb. man. s. XlXI addidit:
Aprelis numerum dant norme et Julius I,
Octuber binos deducit margine mensis.
Magius et ille Janus conportant vertice temos.
Quadtuor Augustus solus de limite sumit,
Martius ipse gerit quinos, quinosque Nobember.
Junius et Sabath hoc monstrant ordine senos,
September septem* portant sie ille December,
Isti et concurrentes aptant hoc ordine senos.
In marg. inf. sab mens. Mar. man. s. XlXI addidit:
Ortum sacre quisque cupis nosse quadragesime,
Ebreorum seu^ pasche invenire ferias.
Sic per annos X et Villi reguläres computa*,
Undecimus ac secundus nee non quintus decimus.
Unum anni reguläre nempe sumunt pariter.
Binos annos quartus tantum, sie septimus decimus.
Temos portant sextus annus decimus pariter.
In marg. inf. sab mens. Mai et Juni man. s. XlXI addidit:
Nonus decimus concordat horum namque ordini,
Quattuor octabus annus atque duo decimus.
Sextus decimus simul gestaut quattuor.
Primus annus quinque habet ac quintus similiter.
Quartus decimus hoc sequens octabusque* decimus.
Tertius sex annus sumit cum socio septimo.
Septem quoque nonus annus tertiusque decimus.
Isti quoque et concurrens juncti monstrant ferias
Ebreorum tam paschales quamque quadragesime.
2. Casanatensls additiones:
Mens. Jan. in marg. super, man. s. XI:
Hebrei Tebeth, Egyptii Tiby, Greci Audeos
*) In Codice Diplomatico Cavensi Tom. III, Append. p. 32 falso scripsit
Qaetani septe pro Septem ; p. 33 conputa pro computa ; p. 34 qui pro que.
*) Ich verzichte hier und weiterhin darauf diese Texte, die für mich neben-
sächlich sind, zu verbessern.
Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 37
Principium Jani sancit tropicus Capricomusi)
Men. Jan. in calendis nox habet horas XVIII, dies habet horas VI. dies
triginta una | in eo est luna tricesima. Hora prima et undecima peef XXVII
hora secunda et X | peef decemet VII. Hora tertia et nona petf XVIII |
hora quarta et octaba pef XI, hora quinta et | septima pef VIII
hora I sexta pefVII.
Mens. Febr. in marg. super, man. s. X.:
Mense Nume in medio solidi stat sidus Aquarii^)
man, s, XI:
et cum bissextus fuerit habet dies XXVIII et luna XXX
man, s, X:
Adar mensis duodecimus apud Hebreos. Peritios. Mechir
Mens, Mar. in marg. super, man. s. X.:
Procedunt duplices in Martia tempora Pisces^)
Nisan qui est mensis primus in scripturis secundum Hebreos:
Apud Egyptios Famenoth. Gr. Dystros
Mens. Apr. in marg. super, man. s. X.:
Respicis Apriles Aries Frixee Kalendas^)
Thar .... Xanthicus Farmuthi
Mens. Mai in marg, super, man. s. X.:
Maius Agenorei miratur comua Tauri^)
Siban Pachon Artemiseos
Mens. Jun. in marg. super, man. s. X.:
Junius aequatos caelo videt ire Ladonas^)
Thammus Pasm Deseos
Ad non. Jun post Dedicatio erit S. Bartholomei apostoli man.
recentior addidit:
Si autem hec dedicatio venerit intra ebdomadam
de hoctaba Pentecostes, non praedicetur nee legatur de . . .
tantummodo tres lectiones per noctes quomodo in albis.
Mens. Jul, in marg. super, man. s. X.:
Solstitio ardentis Cancri fert Julius destram^)
Ab Epyphi Panemor
Mens. Aug. in marg. super, man. s. X.:
Augustum mensem Leo fervidus igne perurit^)
Elul Loos Mesore
>) cf, Beda, De temporum ratione, Cap. XVI = Migne RL XC, 358,
38 E. A. Loew, Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
Mens. Sept. in marg. super, man. s. X.:
Sidere ^^^go tuo Bacchum September opimat^)
Tisri Toth Gorpyeos
Mens. Oct. in marg. super, man. s. X.:
Aequat et Octimber sementis tempore Libram^
Maresuan Yperbereos Paosy
Mens. Nov. in marg. super, man. s. X.:
Scorpius hibemum praeceps iubet ire Novembrem^)
Chasleu Athyr Dyos
Mens. Dec. in marg. super, man. s. X.:
Terminal arcitenens medio sua Signa Decembri^)
Thebeth Choeach Apileos
») cf. Beda, De tempomm ratione, Cap. XVI = Migne, P±. XC,
358.
Abbatutn Cassinensiutn Depositiones
Dcpos.
P.
C.
K.
Leo Ostiensis
6. Mai
4. Jan.
18. Jul.
22. Aug.
25. Jan.
29. Jun.
5. Jun.
Petronax (718—750)
Optatus (750—760)
Ermeris (760—760)
Gratianus (760—764)
Thomichis (764—771)
Foto (771—778)
Petronax
Optatus
(2. Jan.)
Ermeris
Gratianus
Petronax
Ermerissi
6. Mai
4. Jan.
18. Jul.
22. Aug.
25. Jan.
29. Jun.
5. Jun.
Poto
(30. Jun.)
Poto
(30. Jun.)
Theodemar^)
(778-797)
Aus dieser Zusammenstellung wird uns folgendes klar:
1. Daß man die Todestage dieser Äbte mit der Zeit zu feiern
aufhörte. Während in P die ganze Reihe der Äbte aufgezeichnet«)
ist, vermissen wir Thomichis in C, und bei K fehlt schon die Hälfte.
In einem anderen Kalender, der in der Handschrift Monte Cassino
230 steht, die jetzt zu Monte Cassino liegt und sicher dort um das
Jahr 969 geschrieben wurde, kommt kein einziger von diesen 7 Äbten
vor, geschweige denn in den späteren Cassineser Kalendarien.
2. Daß die Kalendarien P und C nicht älter sind als 778, da
sie schon Potos Sterbetag kennen. Sie dürften wohl zwischen 778
und 797 entstanden sein, d. h. während des Abttums Theodemars,
dessen Todestag sie noch nicht erwähnen.
>) Der Kalender hat Theomar,
') Selbstverständlich ist hier die Rede von Einträgen erster Hand.
40 E. A. Loew,
3. Daß /C jünger ist als 797, da er Theodemars Todestag bringt,
aber älter als 817, da die Depositio des Gisulfus (Theodemars Nach-
folger, der 817 starb) noch nicht eingetragen ist Aus anderen,
inneren Indizien (von denen oben die Rede war, vgl. p. 8 f.) geht
hervor, dafi die Handschrift, in der K steht, nicht vor dem Jahre 811
entstanden sein kann; also ist K als Kalender zwischen 811 wid 817
verfertigt worden, genauer gesagt, zwischen Ostern 81 1 und Ostern 812.
4. Daß die sämtlichen Depositiones in P genau mit den Daten
in der Chronik des Leo Ostiensis übereinstimmen. Als Chronist ist
Leo gewissenhaft und zuveriässig; wo er also zusammen mit P ein
anderes Datum angibt als C und /C, dürfen wir wohl annehmen, dafi
die richtigere Oberiieferung bei P und Leo zu finden ist^ Nur in
zwei Fällen gehen die Kaiendarien auseinander:
1. Optatus' Todestag in C =2. Jan.
„ „ bei Leo und in P = 4. Jan.
2. Potos Todestag in C und /f = 30. Jun.
„ . bei Leo und in P = 29. Jun.«)
Die Daten 4. Jan. für Optatus und 29. Juni für Poto werden wohl
die richtigen sein.
Schließlich möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß der Verfasser
des Kalenders K die Beisetzung Theodemars nicht mit dem gewöhn-
lichen Ausdruck dep {depositio) bezeichnet, sondern mit sep {sepul-
iura oder sepultiis\ so daß die Vermutung nahe liegt, dieser un-
mittelbarere, anschaulichere Ausdruck möchte vielleicht daraus zu
erklären sein, daß der Schreiber den Tod Theodemars selbst erlebte.
Danach sind auch, wie ich glaube, die Daten in Tostis Liste der Abte zu
verbessern und zu ergänzen (Storia della Badia di Monte Cassino, Anhang zu
Tom. UI). Lejay in seinem Kommentar (Rev. de Philo!. XVIII, pp. 44 und 47) machte
darauf aufmerksam, daß Tosti in zwei Fällen von der Oberlieferung in P abweicht
Jedoch gibt Lejay die Daten nach Tosti. Tostis Liste gibt kein Datum für den
Todestag des Petronax (daher fehlt es auch bei Lejay), obwohl das Datum im ersten
Bande von Tostis Werk zu finden ist Der Sterbetag des Optatus ist bei Tosti der
4. Juni; dies beruht offenbar auf Verwechselung. Statt Jan. las Tosti Jun. Potos
Todestag setzt Tosti auf den 22. August an. Das wird wohl nicht das Richtige sein.
Bessere oder ältere Quellen als unsere zwei Kaiendarien aus dem Ende des
VIII. Jahrhunderts (P und Q, oder aus dem Anfang des IX. (/Q, — um von Leo ab-
zusehen — wird er kaum benützt haben. Für Theodemars Todestag schließlich bringt
er gar kein Datum, — während Leo ausdrücklich sagt defunctus est nonis Juniis
(Chron. Casin. I, 16, ed. Wattenbach = MG. SS. VII, 591). Genau dasselbe hat auch /f.
*) Auch rein paläographische Erwägungen sprechen dafür, daß die richtige
Lesart der 29. Juni ist Da in der Vorlage von C und K auf der Zeile, wo der Eintrag
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 41
Von keiner Bedeutung ist in K der abweichende Ausdruck
Deprecatio Petronacis — was^ier keinen Sinn hat. Der Schreiber
hat offenbar die Abkürzung dep (wo vielleicht der Abkürzungsstrich
über dem p stand) gedankenlos aufgelöst. Er schrieb depre, und
fügte das ihm geläufige Ende des Wortes, catiOy zu.
naiaUs apostolorum Petri et Pauli stand, für depositio Potonis abbatis der Raum fehlte,
schrieb man diese Notiz auf die folgende Zeile. Daher kommt es, daß C und
K irrtümlich die Deposiüo einen Tag später (30. Juni) erwähnen (vgl. Tafel II,
Piarisinus, Juni).
Ecclesiarum Dedicationes
P
C
K
Jan. 2
Dd Genetrids Mariae
ante coHspectum^)
Fcb.9
eodem die ertt oratorti beaU Se^
sUani
Jun. 3
S.Johannis,S.Bene-
dicti et S. Faustini
S. Benedicti
S. Faustini
Jun. 5
ertt S. BartMomei apostoU
Jun. 8
S. Stephani
S. Stephani
oratorii S. Stephani
Jun. 19
S. Scolasticae
Jun. 27
S.Petri
S.Petri
S. Petri
Jul.5
S. Martini
S. Martini
oratorü S. Martini
Jul. 13
ertt oratorti beati Victorts martyris
Jul. 14
oratorti S. Barbaä in Benevento
Aug. 7
S, Sosii Diaconi
Sept. 16
in palatio Beneven-
tano ecdesiae S.
Salbatoris
Od. 4
basilicae beati Benedidi in
Castro Casino
Oct.23
ertt oratorii beati Janaarti | epL et
mar. \ intus Benevenä \
Nov. 20
ertt oratorti S, Marcianiiconf, et ep.)
in Benevento
Dec. 14
S, Nicandrt et S. Tamari et S, Sinott
Dec. 18
ertt huius S, Ecclesiae
1) Das klein Gedruclcte ist Zutat späterer Hand.
E. A. Loew, Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 43
Werfen wir einen Blick auf die Zusammenstellung der in die
drei Kalendarien von erster Hand eingetragenen Kirchweihen, so fällt
uns eines sofort auf: die drei Kirch weihen Stephani, Petri und Martini
werden in jedem der drei Kalendarien am selben Tage gefeiert
Offenbar handelt es sich hier um dieselben Kirchen, d. h. die Kalen-
darien stammen aus derselben Gegend. Da wir es bei den Depositiones
der Äbte mit Cassineser Äbten zu tun hatten, werden wir schon von
vornherein geneigt sein, die Frage aufzuwerfen: sind vielleicht auch
die Kirchweihen cassinesisch? Trotzdem hat man diese Kirchweihen
noch nie mit Monte Cassino in Verbindung gebracht, wohl aber mit
Nonantola und Benevent. *) Die Meinung, daß die Handschrift, in
der sich K befindet, aus Benevent stamme, hat Federici damit be-
gründet, daß sich im Kalender zwei Kirchweihen zweifellos auf Bene-
vent beziehen. Wäre aber Federicis Annahme richtig, so würde es
doch eine merkwürdige Tatsache sein, daß die Kirchweihen, die auf
Benevent hinweisen, sämtlich erst von späteren Händen eingetragen
sind, während die sechs Kirchweihen, die von erster Hand stammen,
gar nichts mit Benevent zu tun haben.
Wollen wir die Herkunft unserer Kalendarien und damit unserer
Handschriften bestimmen, so müssen wir zunächst nur die Einträge
von erster Hand betrachten. Die Einträge von späteren Händen
können uns hier nur von den späteren Eriebnissen der Handschriften
erzählen. Waren diese Kirchweihen nicht ohne weiteres mit Benevent
zu verbinden, so noch weniger mit Nonantola. Gaetanis Meinung
bleibt eine unbegründete Behauptung.
Wie wir sahen, stimmen P, C und K in drei Kirchweihen voll-
kommen überein. Auch am 3. Juni haben nun die drei Kalendarien
Kirchweihen, scheinen jedoch verschiedene Kirchen zu nennen. Daß
es wiederum nicht bloß Zufall ist, wenn an demselben Tage die drei
Kalendarien Kirchweihen notieren, wird jedem einleuchten, und die
Vermutung liegt nahe, es handle sich auch hier, wie in den vorigen
Fällen, um eine und dieselbe Kirche, und nicht etwa um drei ver-
^) Reifferscheid sprach von dedicationes quarundam ecciesiarum, gab aber
keine weitere Bestimmung. Gaetani wollte, wie wir sahen, die Kirchweihen mit
der Badia von Nonantola in Verbindung bringen (vgl. die Handschriften p. 2),
Federici dagegen mit Benevent (vgl. Annalistische Einträge, pp. 53 u. 54). Obwohl
diese Meinungen nur mit Bezug auf eine dieser drei Handschriften ausgesprochen
sind, gelten sie doch auch für alle drei, da die Handschriften offenbar örtlich
zusammengehören.
44 £- A. Loew,
schiedene. Diese Vermutung läfit sich, wie ich glaube, geschicbüicli
begründen. Wir brauchen nur die Geschichte der Cassineser lOrchen
etwas genauer zu betrachten.
Die drei Schreiber tragen die Kirchweihen ganz verschieden ein.
P nennt die Kirche 5. Johannis, S. Benedicti et S. FausUni,^) C be-
zeichnet sie blofi mit S. Benedicti, und K mit S. FaastlnL Wie so
oft, werden wir vielleicht auch hier gerade durch die Spaltungen in
der Oberlieferung das richtige Bild erhalten. >) Die Geschichte Monte
Cassinos weiß von folgenden Kirchen zu erzählen:
I. Die ersten Altäre Monte Cassinos waren dem heiligen Martin
und Johannes dem Täufer geweiht
Johannes (Martin)
Illuc itaque vir Dei perveniens, contrivU idolum, subvertit
aram, succidit lucos, atque in ipso templo Apollinis, oraculum
beati Martini, tibi vero ara eiusdem Apollinis fuit, oraculum
Sancti constnixit Joannis.
Greg. Dial. 11, 8 = Migne. Patr. lat LXVI, 152.
II. Als der heilige Benedikt starb, wurde er neben S. Scolastica
in dem Oratorium S. Johannis begraben.»)
Benedict (Scolastica)
Sepultüs vero est (Benedictus) in oratorio beati Joannis
Baptistae, quod destructa ara Apollinis ipse constnixit.
Greg. Dial. II, 37 = Migne, Patr. lat. LXVI, 202.
III. Als Petronax mit den Mönchen von Rom nach Monte Cassino
zurückkehrte, vergrößerte er die Kirche S. Martini, und weihte in ihr
den Heimatsheiligen Faustinus und lovita einen Altar.
Faustlnus (Martin)
Hie in aecclesia beati Martini, quam parvulam repperit,
sedecim ferme cubitos auxit; et sanctonim mcuiyrum
') Also eine Kirche, die drei Patronen geweiht ist, was bei den Benediktincni
häufig vorkommt.
*) Ich mache diese Vermutung in aller Bescheidenheit, da ich mir dessen
bewußt bin, daß ich hier auf fremden Boden trete. Leider ist die Cassineser
Tradition über diese Kirchen recht sparsam und verwirrt. Sobald einmal von be-
rufener Seite die Topographie von Monte Cassino behandelt wird — was sehr
wünschenswert wäre — , werden wir auch über diese Kirchen besser ins Klare
kommen.*
') Che era la chiesa della Badia, Tosti, Storia di Monte Cassino, 1, 19.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 45
Faustini et lovitae in ea altarium statuit in quo etiam
et bracchium unius^) illorum, quod secum de Brexia aspor-
taverat decenter recondidit.*)
Leo Ost. Chron. Casin. I, 4 = MG. SS. VII, 582.
Aus den angeführten Stellen geht folgendes hervor: Die älteste
Kirche des Klosters hatte zu Patronen S. Johannes und S. Martin.
Der heilige Benedikt wurde in ihr begraben. Es ist demnach selbst-
verständlich, daß man über dem Grabe des Heiligen ein Oratorium
baute, das nach ihm genannt wurde. Dann weihte de!Sr Abt Petronax
seinen Heimatsheiligen Faustinus und lovita einen Altar, und zwar in
der Kirche, in der sich das Grab des heiligen Benedikt befand. Da
er den Arm eines dieser Heiligen mit sich brachte und im Altar auf-
bewahren ließ, benannte man auch den Altar nach diesem Heiligen;
daher S. Faustinus in P und /C Nun hat der Kalender P diese Patrone
alle drei genannt, C führt nur den Hauptheiligen der Kirche an, was
nichts Ungewöhnliches ist, K dagegen nennt weder den Hauptheiligen
noch die ersten zwei Patrone. Hier finden wir nur den letzten Patron
der Kirche erwähnt. Dieser Umstand erschüttert jedoch unsere Ver-
mutung nicht. Wir sehen, daß in K die Kirchweih der Basilica des
heiligen Benedikt — d. h. der Hauptkirche des Klosters — an einem
anderen Tage gefeiert wird. Abt Gisulf, zu dessen Zeit unser Kalender
entstand, hat die Kirche vergrößern und verschönem lassen,») und bei
diesem Umbau kann es geschehen sein, daß man die Kirchweih vom
Juni auf den Oktober versetzte. An jenem Tage dagegen feierte man
noch die Weihe des Altares des heiligen Faustinus. Oktober blieb
auch der Monat für die Kirchweih S. Benedicts, wie wir aus den
Ist meine Vermutung, daß in den drei Kalendern diese Kirche gemeint ist,
richtig, so werden die Reliquien wohl die des heiligen Faustinus sein.
>) Meine Veraiutung mußte mich auf den Gedanken führen, daß die Martins-
kirche mit der ersten Klosterkirche zu identifizieren sei. Diese Meinung scheint
auch der Cassineser Tradition zu entsprechen, wie aus den Worten Caravitas hervor-
geht, der gelegentlich der Beschreibung dieser Kirche zufügt: in cui era il sacro
deposito dei corpi dei santi Benedeite e Scolastica, Caravita, I codici e le arti a
Monte Cassino, I, p. 22.
*) Ecclesiam quoque, in qua beati Benedicti corpus erat reconditum, quoniam
parva erat, ex toto ampliorem efficiens, ac tectum illius Universum cipressinis
contignatum lignis, plumbo operiens diversis iUam omamentis tarn aureis quam
argenteis decoravit: super aitare siquidem beati Benedicti argentium ciburium
statuit; illudque auro simui ac smaltis partim exornans, caetera eiusdem Ecclesiae
aUaria tabulis argenteis induit
Leo Ost., Chron. Casin. I, 18 = MG. SS. VII, 593.
46 £- A. Loew,
Spateren Cassineser Kaiendarien des X., XI., XII. und XIII. Jahrhunderts
erfahren. Aber in diesen wird nicht der 4., sondern der 1. Oktober
genannt, der noch heute der Tag der Weihe ist
Auch die übrigen den drei Kaiendarien gemeinsamen Kirch-
weihen lassen sich mit ziemlicher Sicherheit auf Monte Cassino be-
ziehen. Wir betrachten sie der Reihe nach.
I. S. Stephani.
Ecclesiam porro S. Stephani, quae luxta portam monasterü
de foris sita fuerat iam fere nientem renovavU et ampUavit
(Abt Atenulfus) etc.
Leo Ost Chron. Casin. II, 32 = MG. SS. VII, 648.
Also gab es eine sehr alte Kirche S. Stephani am Anfang des XI. Jahr-
hunderts; das berechtigt zu der Vermutung, daß diese Kirche auch
schon am Anfang des IX. Jahrhunderts existierte.
II. S. Petri.
Templum Idolorum quod antiquitus in Casino Castro con-
stnictunt fuerat, in beati Petri apostoli honorem convertens etc
(sc. Scauniperga, uxor Gisulfi)
Leo Ost. Chron. Casin. I, 5 = MG. SS. VII, 583.0
Zu dieser Stelle bemerkt Wattenbach, der Herausgeber dieser
Chronik in den Monumenta: unde ipsum Casinam postea vocatum
est Sanctus Petrus in monasterü). — Wenn die Kirche in unseren
Kalendarien mit dieser identisch ist, so ist von ihr noch anderswo
die Rede. — Nämlich in einem Ordo Officii in Domo S. Benediäi
ante Pascha, den Mabillon nach einer Handschrift*) des VIII. Jahr-
hunderts, die er im Kloster von S. Ulrich in Augsburg gesehen hat,
publizierte (vergl. Vetera Analecta IV, 454 = p. 151 in edit nova 1723)
ist diese Peterskirche mehrmals erwähnt.
1. Item in Dominica quae est in olivae benedictionem, cantant
Tertiam in S. Petro residentes.
2. Sabbato vero .... exeuntes . . cum letania procedunt ad
S. Petrum. Finita letania . . . procedunt inde ad S. Bene-
dictum cum alia letania.
') Vergl. auch Leo Ost Chron. Casin. II, 25 = MG. SS. VII, 643.
') Die Handschrift enthält auch einen Kalender, der vermutlich den unseren
nahe steht. Die Handschrift soll jetzt in München liegen, aber bis jetzt ist es mir
nicht gelungen, sie zu identifizieren.
Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 47
3. Secunda feria eunt cum Cruce et patrocinia et aqua sancta
per singulos labores: redeuntes agrnit missam in S. Petra.
4. Tertia vero feria procedens (sie) Juso, jungentes se invicem,
et salutantes se mutuo ad S. Petrum in civitate etc.
Im 32. Kapitel der Chronik beschreibt Leo Ostiensis genau den-
selben altertümlichen Gebrauch seines Klosters, den wir in der letzten
angeführten Stelle aus dem Ordo ersehen haben.
Tertia feria post pascha summa mane universi fratres tam
de monasterio quod deorsum erat, quam et de eo quod sursum,
. vestibus sacris induti, assumentes cruces aureus ad procedendum
et his descendentibus atque ascendentibus Ulis, con-
jangebant se pariter ad civitatem S. Petri, prope ipsam ec-
clesiam. (MG. SS. VII, 602.)
Vielleicht aber handelt es sich in unsem Kaiendarien um eine
Peterskirche in Monte Cassino. Dafi eine solche Kirche sich auch
oben am Berge befand, scheint nachweisbar zu sein, es fragt sich
nur, als wie glaubwürdig wir die Oberlieferung zu betrachten haben. In
der Vita Athanasii Episcopi NeapoUtani, der 872 starb, lesen wir
folgendes:
Inda portatus est (Äthanasius) usque ad Montem Casinum
quem suscipiens omnis sancta congregatio illius mona-
sterii, digne ac decenter sanctissimum corpus condierunt in
ecclesia beati principis apostolorum, quae a Rechiso rege con-
structa est et Jungitur Basilicae S. Benedicti, ubi exuberant
multa mirabilia per eum
Cap. 8 = MG. Scr. Rer. Lang. p. 448.
Auch in den Qesta Episcoporum Neapolitanorum des Johannes,
wo von demselben Äthanasius die Rede ist, wird diese Peterskirche
erwähnt.
Äthanasius autem iterans cum eis vi febrium laborare
coepit, quinto decimo die expleto omnibus flentibus migravit ad
Dominum, cuius corpusculum ad monasterium S. Benedicti situm
in Montecassino deportantes, in ecclesia S. Petri apostoli ibidem
constituta sepelierunt.
Cap. 65 = MG. Scr. Rer. Lang. p. 435.
Femer wird uns in der Translatio dieses Heiligen ausdrücklich gesagt,
daß sein Grab sich oben in Monte Cassino befand.
48 E. A. Locw,
Tunc ascenderunt una cum venerabUi illo comitata monor
chorum verticem montis Casini et intraverunt basiUcam, in qua
venerabile corpus hamatum fuerat etc.
Cap. 1 = MG. Scr. Rer. Lang. p. 450.
Scbliefilich ist zu erwähnen, daß eine Peterskirche in Monte
Cassino von Abt Desiderius um das Jahr 1066 gebaut wurde, ein
Zeichen, daß die Peterskirche aus dem VIII. und IX. Jahrhundert
damals nicht mehr existierte. Aber vielleicht war noch die Tradition
dieser Kirche vorhanden, die später ganz verloren ging.
Anno itaque ordinationis suae (sc. Desiderii) nono
constructa prias tuxta infirmanttum domum non saus magna
beati Petri basilica, in qua videlicet ad divina Interim officia
convenirent, supradictam beati Benedicti ecclesiam
evertere a fundamentis aggressus est.
Leo Ost. Chron. Casm. III, 26 = MG. SS. pp. 716—7.
Soviel, um zu beweisen, daß die Peterskirche in unsem Kaiendarien
sich gut auf eine Cassineser Kirche beziehen läßt.
III. S. Martini
a) atque in ipso templo Apollinis oraculum beati Martini . . .
construxit (sc. S. Benedictus).
Greg. Dial. II, 8 = Migne, Patr. lat. LXVI, 152.
b) Hie (sc. Petronax) in aecclesia beati Martini, quam parvulam
repperit etc.
Leo Ost. Chron. Casin. 1, 4 = MG. SS. VII, 582.
c) et seputtus (sc. Petronax) in porticu iuxta ecclesiam S. Mar-
tini. 1)
Leo Ost. Chron. Casin. 1, 8 = MG. SS. VII, 585.
d) et seputtus est (sc. ApoUinaris) prope ecclesiam S. Benedicti,
iuxta gradus porticus quae tunc temporis pergebatur ad
ecclesiam S, Martini.
Leo Ost. Chron. Casin. 1, 21 = MG. SS. VII, 596.
e) Hinc ad ecclesiam beati Martini, quae sola fere iam intra
monasterii ambitum de veteribus aedificiis remanserat reno-
Auch die Abte Optatus, Gratianus und Theodemar wurden dort begraben;
vergl. Leo Ost. Chron. Casin. I, 8, 9, 16.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 4g
vandam, totum cor Desiderius vertit Diruta namque priori
eiusdem beati Martini basilica, coepit eiusdem ecclesiae fa-
bricam .... Absidam vero musico decenter vestivit; in qua
etiam aareis litteris hos versus describi praecepit:
Cultibus extiterat quondam locus iste dicatus
Demonicis, inque hoc templo veneratus Apollo.
Quod pater huc properans Benedictus in omnipotentis
Vertit honore Dei Martini et nomine sancti.
Hoc Desiderius post centum lustra vetustum
Parvumque evertit, renovavit, compsit et auxit
Leo Ost. Chron. Casin. III, 33 = MG. SS. VII, 725.
Aus den angeführten Stellen geht deutlich hervor, daß in Monte
Cassino dem heiligen Martin eine Kirche von Anfang an geweiht war
und daß die Cassineser Tradition diese Kirche mit den später oben
erbauten Martinkirchen identifizierte.
Jetzt müssen wir noch diejenigen Kirchen betrachten, die nur
in einem oder dem anderen der drei Kaiendarien vorkommen.
1. P hat am 19. Juni die Feier der Weihe S. Scolasticae. Wie wir
sahen, liegt diese Heilige in der Hauptkirche von Monte Cassino be-
graben, wo sie wahrscheinlich ihren Altar hatte. P allein trägt diese
Dedicatio ein; dies kommt vielleicht daher, daß P auf die älteste Vor-
lage zurückgeht, was ich aus verschiedenen Gründen erschließe (vergl.
Kommentar, 13. Januar, 25. Januar, 2. Februar, 25. März, 19. Juni,
15. August, 8. September).
2. Für den 16. September finden wir in C den merkwürdigen Ein-
trag von der Weihe einer Kapelle im beneventanischen Hof: in palati
berm^) dedic sei Salbatoris. Hier kann man zwei Möglichkeiten an-
nehmen: der Kalender war in Monte Cassino für den beneventanischen
Hof verfertigt,*) oder er war in Benevent von einer Cassineser Vorlage
>) Benü ist ohne Zweifel eine Abkürzung für Beneventi oder Beneventani
(vergl. Traube, Textgeschichte der Regula S. Benedicti, p. 112). Daß die Residenz der
beneventanischen Prinzen mit dem stolzen Worte Palatium bezeichnet wurde, wird
uns ausdrücklich von Leo Ostiensis (Chron. Casin. I, 8 = MG. SS. VII, 586) mit-
geteilt. Arichis, princeps Beneventanus, soll, nach Leo, verlangt haben, daß man
auf seinen Urkunden scriptum in sacratissimo nostro palatio hinzuschreibe. Der
Verfasser von C mag wohl ein beneventanischer Scriba gewesen sein, dem der
Ausdruck palati benü geläufig war.
') Zwischen Monte Cassino und dem beneventanischen Hof existierten zu
jener Zeit die engsten Beziehungen.
QueUen u. Untersuch, z. lat. PhUologie des MA. m, 3. 4
50 E. A. Locw,
abgeschrieben. War er aber für Monte Cassino bestimmt, so ist es
immerhin sehr merkwürdig, daß man in einen solchen Kalender eine
Kirchweih der beneventanischen Hofkapelle eingetragen hat
3. Drittens haben wir in K die Weihe der Kirche Dei Genetricis
Mariae zu betrachten. Auch diese Kirche, die am Fuße des Berges
stand, läßt sich, wie ich glaube, durch die Geschichte von Monte
Cassino bestätigen. Sie kommt wahrscheinlich nur deswegen in K
allein vor, weil P und C ihre Feier noch nicht erlebt hatten.^)
Hie (Theodemar) iaxta praedictam ecclesiam S. Benedicti,
quam praedecessor Sims fecerat, constnixit piüchro opere templum
in honore S. Dei Genetricis et virginis Mariae.
Leo Ost Chron. Casin. 1, 11 = MG. SS. VII, 588.
4. Schließlich bleibt uns noch übrig, die Weihe der BasUica S. Bene-
dicti in Castro Casino zu besprechen. Dieser Eintrag kommt nur in K
vor. Daß hier von der Hauptkirche des Klosters die Rede ist, kann
keinem Zweifel unteriiegen. Die Gründe, die uns zu dieser Meinung
zwingen, haben wir schon oben bei der Besprechung der Kirchweihen
vom 3. Juni angeführt. — Bekanntiich gab es auch am Fuße des
Berges eine Kirche des heiligen Benedikt, die von Abt Poto gebaut
wurde. — In unserem Kalender K handelt es sich aber schweriich
um diese Kirche. — Wenn das Kloster oder die Kirche mit den Worten
S, Benedictus in Castro Casino beschrieben wird, so haben wir un-
bedingt an das Kloster und die Kirche zu denken, wo der heilige
Benedikt begraben wurde, d. h. an das Kloster und die Kirche in
Monte Cassino. — Dies geht aus den Urkunden am deutiichsten her-
vor. Ich zitiere nur einige davon:
1. Ex monasterio S, Confessoris Christi Benedicti, quod est con-
structum in loco, qui dicitur Casinunt Castrum, ubi sacra-
tissimum corpus eius humatum est etc.
Aus dem Praeceptum Desiderii regis Longobardorum
Theodemario Abbati in dem Registrum Petri Diaconi Nr. 101
fol. 42 a tergo, vergl. Tosti, Storia della Bodia di Monte
Cassino (Napoli 1842) I, p. 89.
*) Eine Hand des X. Jahrhunderts hatte den Eintrag dieser Kirchweih durch-
gestrichen und schrieb daneben : dedicatio ante conspectum, was sich wahrscheinlich
auf die Weihe eines Altares bezieht. Bannister machte mich darauf aufmerksam,
daß der Ausdruck ante conspectum sich im selben Sinne in dem Codex Vaticanus
latinus 10673 fol. 29 (s. X/XI in beneventanischer Schrift) befindet. Weitere Er-
klärung des Ausdrucks wird man in seiner Schrift in den bald erscheinenden
'Miscellanea Ceriani' (Hoepli, Milano 1909) finden.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 51
2. Theodemar abbas S. Benedkti de Castro Caslno, tibi ipse
corporis sepulturae locum veneratione dicavit
Aus dem Praeceptum Karoli Imperatoris, Reg. Petr. Diac.
Nr. 102 p. 44. Tosti, 1. c. p. 94.
3. Theuthmaro abatl ex monasterio S. Confessoris Christi Bene-
dicti, quod est constructum in loco, qui dicitur Castnim
Casinum, ubi etc.
Aus dem Praeceptum Karoli de aqua et ripis S. Bene-
dict!, Reg. Petr. Diac. Nr. 109 fol. 48 a tergo. Tosti, 1. c. p. 98.
Das Zeugnis dieser drei Urkunden ist für uns deswegen von be-
sonderem Wert, weil sie aus ungefähr derselben Zeit stammen, wie die
Kaiendarien. Damit man aber mir nicht den Einwurf mache, daß ich
auf Urkunden verweise, die nur durch Abschriften des bekanntlich un-
zuveriässigen Petrus Diaconus auf uns gekommen sind, möchte ich
einige Stellen aus Originalurkunden anführen:
4. Monasterii beati Benedicti confessoris Christi siti in monte,
qui vocatur Castro Casino,
Aus dem Privilegium Papae S. Leonis IX ad Abb. Ri-
cherium. Tosti, 1. c. p. 257.
5. Monasterio S. Benedicti sito in monte Castro Casino ....
Monasterio S. Benedicti sito in Castro Casino
Monasterio S. Benedicti de Monte Casino (also drei ver-
schiedene Ausdrücke für dasselbe Kloster).
Aus dem Memoratorio fatto da Azzone preposito del
monasterio di S. Benedetto di Tiano. Tosti, 1. c. p. 258 — 59.
6. cenobii S, Benedicti, Situs (sie) in Monte Castro Casino ....
Monasterium S. Benedicti quod erat constmcto (sie) in loco,
qui dicitur Casinu Castru (sie).
Aus dem Placitum seu judicatum Castri Argenti habi-
tum etc. aus dem Jahre 1014. Publiziert in Codex Diplom.
Cajetanus I, p. 245, 249. Das Original liegt im Archiv von
Monte Cassino. Caps. 66, Nr. 7.
Sind wir nun überzeugt, daß die in K aus erster Hand stam-
menden Kirchweihen mit Monte Cassino zu verbinden sind, so . ist
es andererseits recht auffallend, daß die von späteren Händen ein-
getragenen Kirchweihen sich nicht auf Monte Cassino beziehen. Man
braucht nur die Namen dieser Kirchen zu betrachten, um sofort auf
4*
52 £• A. Loew, Die Altesten Kaiendarien ans Monte Cassino.
den Gedanken zu kommen, es handle sich hier um Benevent Bar-
tholomaeus, Januarius, Sosius, Barbatus, Mardanus sind Heilige, die
in Benevent eine ganz besondere Stätte der Verehrung besaßen. Ja,
bei einigen Kirchen fügte der Schreiber sogar in Benevento hinzu
(z. B. bei Barbatiy Marciani), so daß es in diesen Fällen gar keinem
Zweifel unterliegen kann, daß die Kirchweihen in Benevent stattfanden.
Und wenn wir am 18. Dezember von einer dedicatio huius ecclesiae
lesen, werden wir an die ecclesia beneventana zu denken haben. Man
könnte vielleicht den Einwand erheben, daß man die Kirchen, die ich
mit Monte Cassino in Verbindung bringe, auch zu vielen anderen
Benediktinerklöstem in Beziehung setzen könnte. Allein ich glaube
kaum, daß sich eine solche Obereinstimmung ein zweites Mal finden
läßt. Wir sahen doch, wie auffallend sich die Physiognomie des
Kalenders K änderte, sobald er Monte Cassino veriieß.
Der Kalender K ist also ein Cassineser Kalender. Ist das richtig,
so sind auch P und C Cassineser Kalender. So sehen wir, daß nicht
nur die Depositiones der Äbte, sondern auch die Kirchweihen auf
Monte Cassino als Heimat der drei Handschriften hindeuten.
Annalistische Einträge.
3. Februar. Capta est Baris.
27. April. Hoc die in anno incarnationis Domini DCCCLXXII
.... victoriam de Saracenis per .... anno principatus
eius XXVIIII \'
11. Juni. Depositio Raccausi.
17. Juli. Consecratio Aionis episcopi.
12. September. Depositio Rodelgardi.
9. Oktober. Depositio Guandelperti G(astaldi) fili . . . Qari
Potonis.
13. Oktober. Visi sunt igniculi in modum stellarum per totum
caetum crebrius discurrere \ cum magnis radiis a media
fere . . nocte . . usque ad claram diei lucem. \ Hoc etiam
die Abraham rex Ismahelitarum mortuus est Calabrie, \
qui cum magna multitudine ab Africa exiens \ Italiam
intraverat anno Domini DCCCCII. Ind. VI •,•
25. Oktober. Indic. III /actus est terrae motus magnus.
22. Dezember. Sol obscuratum^) est indictio. XII.
Zunächst ist zu bemerken, daß diese Einträge sämtlich aus ver-
schiedenen Jahrhunderten und von späteren Händen herrühren und
sich nur in K befinden.
Den Wert dieser Einträge für die Bestimmung des Alters der
Handschrift hat schon V. Federici erkannt (vgl. Archivio Paleografico
Italiano, vol. III, fascicolo 22, wo mehrere Seiten aus dieser Hand-
schrift reproduziert sind, Taf. 66 — 70). In seiner Beschreibung der
Handschrift sagt Federici: „A determinare la datazione della parte
piüi antica del manoscritto" (damit ist unser Kalender gemeint) „valgono
tre note aggiunte nel Calendario giä ricordato: la prima, segnata sotto
11 /// nonas februarii si riferisce alla caduta di Bari {capta est Baris)
che Erchemperto (MG. Hist Rer. lang, et ital, p. 247) dice awenuta
nel febbraio del' 871, e Giovanni nel suo Chronicon Venetum (MG.
*) sie.
54 E- A. Loew,
Hist. Script. VII, p. 19, e nota 5) il 2 febbraio 871, il nostro amanuense
la segna avvenuta il 3 febbraio; la seconda ricorda la consecrazione
di Aione, vescovo di Benevento, posta il XVI Kai, augusti: Conse-
cracio ^ Aionis episcopi, che sappiamo giä vescovo Ta. 875 (Garns,
Ser. Episc, p. 671); la terza segnata V VIII Kai. nov.: Translacio*) erU
beati Bartholomei apostoli de Liparis^) in Beneventum^ che ricorda
un awenimento intomo al quäle discordano i cronisti, ma che dagii
Annales Beneventani (MG. Hist. Script. III, 504) 6 assegnato all'a. 838,
ottobre 25: corpus S. Bartholomaei translatur de insula Upari in
Salernum 5 Kai. magi; deinde in Beneventum 8 Kalendas novembris
proprio, cio^, lo stesso giomo assegnato dal nostro annotatore. QoA
negli anni 875, 87V, 838 abbiamo tre termini ante quos fu comindata
a scrivere la miscellanea; la quäle proviene certamente da Benevento,
perch^ nello stesso Calendario sono ricordate le solennitä della dedica
del b. Gennaro e di s. Marciano, ambedue oratorj Beneventani."
Nach Federici sind also die Jahre 875, 871 und 838 die drei
termini ante quos für unsere Handschrift (auch für unseren Kalender).
Der genannte Gelehrte hat Recht, die Jahre 875 und 871 als termini
ante quos zu betrachten, aber ich glaube nicht, dafi man auch das
Jahr 838 als einen terminus ante quem gebrauchen kann. Während
es sich bei den Einträgen zum 3. Februar und 17. Juli, die sich auf
gewisse Ereignisse der Jahre 871 und 875 beziehen, um zeitgenössische
Einträge handelt, — d. h. paläographisch beurteilt gehören die Ein-
träge ans Ende des IX. Jahrhunderts — ist der Eintrag Translatio
erit beati Bartholomei usw. eine Zutat, die von einer Hand des
XI. Jahrhunderts stammt. Sobald ein Eintrag nicht zeitgenössisch
ist, d. h. wenn ein größerer Zeitraum zwischen dem Ereignis und dem
Bericht darüber verstrichen ist, hört das Datum des Ereignisses auf,
ein terminus ante quem zu sein. Ein Beispiel wird uns diese Tat-
sache klarer machen. In dieser selben Handschrift findet sich eine
Reihe von Ostertafeln. Zum Jahre 718 steht am Rande folgendes
eingetragen: hinc incipiunt an(ni) domni Petronacis. Haben wir
damit einen neuen terminus ante quem gewonnen? Offenbar nicht
Ferner teilt uns der Eintrag zum 25. Oktober gar kein fixes
Ereignis mit. Er lautet: Translatio erit beati Bartholomei, und will
nur sagen, das Fest der Translatio sei am 25. Oktober zu feiern.
Man beachte, daß der Schreiber dieser Notiz das Futurum gebraucht,
er sagt: translatio erit. Das Futurum kam auch, wie wir sahen.
*) HS. hat consecratio. *) HS., translatio. ^) HS., liparim. *) HS., benebentum.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 55
häufig bei den Notizen über die beneventanischen Kirchweihen vor
(Notizen, die erst von späteren Händen herrührten). Da hieß es
dedicatio erit. Vermutlich soll das Futurum klar machen, daß man
nicht ein Ereignis, das einmal geschehen und vorüber ist, meint,
sondern eine Feier, die jedes Jahr wiederkehrt. Im Kalender kann
man sogar sehen, daß das Wort erit bei den Dedicationes mehrere
Male eingeschaltet wurde, als ob der einfache Eintrag dedicatio
ecclesiae als eine geschichtliche Tatsache statt eines Kirchenfestes
aufgefaßt werden könnte, — was durch Einschaltung des erit ver-
mieden werden sollte. Der Ausdruck dedicatio erit oder translatio
erit ist nicht der gewöhnliche.
Wir sehen also, daß zunächst nur zwei annalistische Notizen im
Kalender (die zum 3. Februar und 17. Juli) für uns von Wert sind.
Wir gewinnen damit zwei termini ante quos für unsere Handschrift.
Wir sehen femer, daß der Eintrag der Translatio beati Bartholomei
vom Jahre 838 unbrauchbar ist, da er erstens nicht zeitgenössisch
ist und zweitens kein einmaliges Ereignis mitteilt, sondern nur den
Tag des Festes für den künftigen Gebrauch festgestellt.
Der Eintrag Consecratio Äionis episcopi (17. Juli) bietet uns
mehr als einen terminus ante quem. Hier haben wir eine zeit-
genössische Mitteilung über die Weihe eines beneventanischen Bischofs.
Wie die Kirchweihen, die von späteren Händen stammen, auf Benevent
hinwiesen, so bezeugt auch die Mitteilung über die Consecratio
Aionis, daß sich der Kalender schon damals in Benevent befand.
Während wir aber nicht sagen konnten, wann die verschiedenen
Kirchweihen stattfanden, wissen wir wenigstens ungefähr, wann sich
die Weihe des Bischofs ereignete. Wir lesen über Aio in Zigarellis
»Storia die Benevento", p. 139, folgendes: „Fratello del principe
Adelchi, vescovo beneventano e XII. sipontino neir anno 875 essendo
papa Giovanni VIII romano (daher ante a. 875 bei Gams Ser. Episcop.,
p. 671) il quäle immensamente T^logiö per lo zelo spiegato verso la
cattedrale Apostolica nel soccoreria e neir espellere i Saraceni. Si
ignora Tepoca della morte di questo vescovo." Aio episcopus starb
im Jahre 886, wie wir in den Annales Beneventani für dieses Jahr
lesen (MG. SS. III, 174): obiit Aio episcopus. Wichtig für uns ist
also, daß sich der Kalender schon im Jahre 875 in Benevent befand.
Der Eintrag zum 27. April bezieht sich auf die bekannte Schlacht
zwischen den Sarazenen und Kaiser Ludwig, dessen 29. Regierungsjahr
eben auf das Jahr 872 fällt (vgl. MG. SS. III, 205). Der Satz schließt
mit der Interpunktion, die für die beneventanische Schrift typisch
56 £• A. Loew, Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
wird, d. h. mit den zwei nebeneinander über einem Komma stehenden
Punkten (',•)• Ist der Eintrag zeitgenössisch — was bei der Un-
deutlichkeit der Schrift schwer zu entscheiden ist — so haben wir
das erste datierte Beispiel dieser Interpunktion ins Jahr 872 zu setzen.
Auch der Eintrag zum 13. Oktober schliefit mit dem eben er-
wähnten Interpunktionszeichen, allein für seine Geschichte ist er von
keinem Wert, da er nicht zeitgenössisch ist, wie ich aus dem Duktus
der Buchstaben mit ziemlicher Sicherheit schließen darf. Dagegen
ist der Inhalt dieses Eintrags von Interesse. Vielleicht haben wir hier
eine der ältesten Zeugen für die in ihm erwähnten Tatsachen. — Zum
Jahre 902 lesen wir in den Annales Barenses (MG. SS. V, 52): Hoc
anno descendit Habraham rex Saracenonim in Calabriam et mortuas
est in Cosentia in ecclesia S. Pacratii, Bei Lupus Protospatarius
finden wir folgendes zum Jahre 901 eingetragen (MG. SS. V, 53):
Descendit Abrami rex Sarracenonim in Calabriam et ivit Cosentiam
civitatem et percussus est ictu fulgoris. Die meteorische Erscheinung
unseres Eintrags wird im 7. Kapitel der Translatio S. Severini von
Johannes also beschrieben (MG. Scr. Rer. Lang. 457): et ecce, visu
formidabile et dictu mirabile prodigium .... Astra namque toto
passim caelo confixa jugem volarunt per noctem et milttum ad instar
in procinctu confligentium ultro citroque altemo sibimet obviabant
illapsu. Hierzu gibt Waitz (MG. Scr. Rer. Lang. p. 457) folgende
interessante Parallelstelle, die unserem Eintrage am nächsten steht
und vielleicht sogar auf ihm basiert: hoc loco repetere juvat quae
ex codice Bambergensi E. III 14, s. XI, SS. III p. 548 n. edita sunt:
.... Anno igitur ab incarnatione Domini nongentesimo secundo,
indic, 5, 3 Idus Octobris .... factum est per totum mundum terribile
miraculum in celo: a primo galli caniu usque ad solis ortum vise
sunt quasi stelle densissime in modum aste longissime per aera
discurrere, contra omnes pene cardines celi etc, . . . Hoc etenim
tempestate rex Africe cum innumerabili exercitu adveniens, totam
Italiam invadere cupiebat. . . . Eadem nocte qua predictum Signum
Stellarum Visum est, celesti gladio percussus repentina morte interiit.
— Waitz nota 2 = In nocte 27/28 Octobris haec facta esse, Amari
II, p. 92 n. teste rerum Arabicarum scriptore Baiano statuit.
Das Erdbeben, das wir zum 25. Oktober eingetragen finden, ist
dasselbe, das sich in der Handschrift Rom Vatic. lat. 4928 befindet Dort
heißt es: DCCCCXC (ind) 111, Vlll Kai, Nov. (= 25, Okt.) f actus est
terre motus magnus in Benevento pro quo ceciderunt multa edificia
et plures homines mortui sunt vergl. MG. SS. III, 173.
Das Kirchenjahn
Feste des Herrn
Jan. 1.
Cirmmcisio Domini
Jan. 6.
Epiphania
Jan. 13.
Octava Epiphaniae
Mar. 25.
Dominus crucifixus est et conceptus
Mar. 27.
Resurrectio Domini Jesu Christi
Mai 11.
Primum Pentecosten^)
Dec. 25.
Nativitas Domini nostri Jesu Christi
Feste der heiligen Maria
Feb. 2. Dies S. (Mariae)
Mar. 25. Annuntiatio S. Mariae
Aug. 15. Assumptio S. Mariae
Sept. 8. Nativitas S, Mariae
*) Der Schreiber hat sich um einen Tag geirrt. Da Primum Pascha auf den
22. März fällt, muß Primum Pentecosten am 10. Mai sein. C hat Pfingsten am
15. Mai, — das stimmt zu Ostern am 27. März (vergl. Kommentar, 27. März).
58 E- A. Loew,
Verzeichnis der Helligen aus dem Neuen Testament
Andreas, ap., Nov. 30
Barnabas, ap., Jun. 11
Bartholomaeus, ap.. Äug. 25
Jacobus maior, ap., Jul. 25
Jacob US minor, ap., Jun. 22 »)
Johannes Baptista, Jun. 24, Äug. 29
Johannes, euan., Dec. 27
Judas, ap., Oct. 28
Lucas, euan., Oct. 18
Marcus, euan., Äpr. 25
Maria Magdalena, Jul. 22
Mattheus, euan., Sept. 21
Paulus, ap., Jun. 29, Jul. 6
Petrus, ap., Jun. 29, Jul. 6
Philippus, ap., Mai. 1
Simon, ap., Oct. 28
Stephanus, protomar., Dec. 26
Thomas, ap., Dec. 21.
Alphabetisches Verzeichnis der Heiligen.
Abdo (30. Jul.)-)* Augustinus (28. Aug.)
Agapitus (6. Aug.)* Benedictus (21. März)
Agatha (5. Feb.) Brigida (1. Feb.)*
Agnes (21. Jan.) Caecilia (22. Nov.)
Älmachius (I.Jan.)* Cassianus (13. Aug.)*
Ambrosius (6. Dec.)^) Celsus (28. Jul.)
Anastasius (22. Jan.)* Christina (25. Jul.)*)*
Antonius (17. Jan.)* Clemens I (23. Nov.)
Äpollinaris (23. Jul.) Columba (31. Dec.)*
Zu bemerken ist» daß das Fest Jacobi Minoris in unseren Kaiendarien am
22. Juni, in der Bibl. Hag. Lat. dagegen am 25. März und 1. Mai gefeiert wird.
*) Mit dem Stern sind die Heiligen versehen, die nur in K vorkommen.
8) C; Bibl. Hag. Lat. und P haben 7.
*) K\ Bibl. Hag. Lat. hat 26.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
59
Constantius (1. Sept.)
Cornelius (14. Sept.)
Cosmas (27. Sept.)
Cyprianus (14. Sept.)
Damianus (27. Sept.)
Dionysius (9. Okt.)
Donatus (7. Aug.)
Eleutherius (9. Oct.)*
Euphemia (16. Sept.)*
Faustinus (15. Feb.)
Felicianus (1. Sept.) (?)
Felicissimus (6. Aug.)*
Felicitas (7. März)*
Felix (14. Jan.)*
Felix (12. Jul.)
Felix (1. Sept.)
Georgius (24. Apr.) ^)
Germanus (30. Okt.)
Gervasius (19. Jun.)
Gregorius (12. März)
Hieronymus (30. Sept.)
Hilarius (13. Jan.)
Hippolytus (13. Aug.)*
Innocentes (28. Dec.)
Johannes (26. Jun.)
lovita (15. Feb.)
Laurentius (10. Aug.)
Leo I (11. Apr.)*
Leo II (28. Jun.)
Leucius (11. Jan.)*
Lucia (13. Dec.)*
Machabaei (1. Aug.)
Marcellus (7. Oct.) P
Margarita (13. Jul.)«)*
Maria Magdalena (22. Jul.)*
Martinus (11. Nov.)
Mauritius (22. Sept.)*
Maximus (21. Apr.)»)*
Michaelis = angeli (8. Mai)*
Nabor (12. Jul.)
Nazarius (28. Jul.)
Nicander (16. Jun.)*)
Pancratius (12. Mai)
Paulinus (22. Jun.)*
Paulus (26. Jun.)
Perpetua (7. März)*
Perpetua (28. Jan.)*
Potitus (13. Jan.)*
Protasius (19. Jun.)
Rusticus (9. Oct.)*
Sabinus (9. Feb.)*
Scholastica (10. Feb.)
Sebastianus (20. Jan.)
Sennen (30. Jul.)*
Severus (20. Jul.)
Silvester (31. Dec.)
Symeon (2. Feb.) P
Thecla (17. Nov.)*
Tiburtius (21. Apr.)«)*
Valerianus (21. Apr.)»)*
Victoj (8. Mai)
Vincentius (22. Jan.)
Vitus (15. Jun.)*
Xystus (6. Aug.)
Zeno (14. Dec.) ß)*
») P und K\ Bibl. Hag. Lat. hat 23.
«) K\ Bibl. Hag. Ut. hat 20.
») K\ Bibl. Hag. Ut. hat 14.
<) C; Bibl. Hag. Ut und P haben 17.
*) K\ Bibl. Hag. Ut. hat 12. Apr.
60 E- A. Locw,
Geographisches und biographisches Verzeichnis.
Italien.
Rom:
Almachius, beatus f cca. 394 Romae^)
Sebastianus, tn. Romae sub Diocletiano
Agnes, V. m. Romae saec. III
Perpetua, v. Romae
Gregorius Magnus, papa t 604
Leo I, papa f 461
Valerianus, sponsus S. Caeciliae, m. Romae
Tiburtius, m. Romae
Maximus, m. Romae
Pancratius, m. Romae sub Diocletiano
Vit US, m. Romae sub Diocletiano
f Johannes, m. sub Juliano f 362
l Paulus, m. sub Juliano t 362
Leo II, papa f 683
r Abdo, m. Romae sub Decio
iSennen, m. Romae sub Decio
Xystus (Sistus II, papa m. f 258
rFelicissimus, m. Romae sub Decio
lAgapitus, diac. m. Romae sub Decio
Laurentius, diac. m. Romae t 258
Hippolytus, Romanus presb. (ep.) f cca. 236
Cornelius, papa m. f 253
Marcellus, m. Romae saec. I/IV
Caecilia, v. m. Romae .
Clemens I, papa saec. I
Sylvester, papa f 335
Mailand:
Victor (Maurus), m. Mediolani sub Maximiniano
rGervasius, m. Mediolani sub Nerone (?)
iProtasius, m. Mediolani sub Nerone
fNabor, m. Mediolani sub Diocletiano
1 Felix, m. Mediolani sub Diocletiano
fNazarius, m. Mediolani sub Nerone
ICelsus, m. Mediolani sub Nerone
Ambrosius, ep. Mediolanensis f 397
*) Die Angaben folgen Bibl. Hag. Lat.
Jan.
1.
Jan.
20.
Jan.
21.
Jan.
28.
Jan.
28.
Mar.
12.
Apr.
11.
Apr.
21.
Apr.
21.
Apr.
21.
Mai
12.
Jun.
15.
Jun.
26.
Jun.
26.
Jun.
28.
Jul.
30.
Jul.
30.
Aug
. 6.
Aug
. 6.
Aug
. 6.
Aug.
10.
Aug.
13.
Sept
14.
Ort.
7.
Nov.
22.
Nov.
23.
Dec.
31.
Mai
8.
Jun.
19.
Jun.
19.
Jul.
12.
Jul.
12.
Jul.
28.
Jul.
28.
Dec
. 6.
Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. gl
Aquino:
Constantius, ep. Aquinensis saec. VI Sept 1.
Arezzo:
Donatus, ep. m. Aretii sub Juliane Äug. 7.
Benevent:
Felix, m. Beneventi Sept. 1.
Brescia:
rFaustinus, m. Brixiae sub Hadriano Feb. 15.
l Jovita, m. Brixiae sub Hadriano Feb. 15.
Brindisi:
Leucius, ep. Brundusinus Jan. 11.
Canosa:
Sabinus, ep. Canusinus saec. VI med. Feb. 9.
Capua:
Germanus, ep. Capuanus f 540/541 Oct. 30.
Cassino:
Severus, ep. Casinensis saec. V (?) Jul. 20.
Imola:
Cassianus, m. ludi magister apud Forum Comelii Äug. 13.
Monte Cassino:
Scholastica, v. in Monte Cassino f 543 (?) Feb. 10.
Benedictus, ab. Casinensis f 543 (?) Mar. 21.
Nola:
Felix, presb. et conf. Nolensis t 256 Jan. 14.
Paul in US, ep. Nolensis Jun. 22.
Ravenna:
Apollinaris, ep. Ravennas saec. I Jul. 23.
Venafro:
Nicander, et soc. mm. Ätinae et Venafro Jun. 17.
Verona:
Zeno, ep. Veronensis saec. IV Dec. 14.
Sidlien.
Catana:
Agatha, v. m. Catanae sub Decio Feb. 5.
Syracus:
Lucia, V. m. Syracusis sub Diocletiano Dec. 13.
62 E- A. Locw,
Sardinien.
Potitus, m. sub Antonino
Jan.
13.
Frankreich.
Paris:
Dionysius, ep. et m. Parisiensis saec. I/III
Oct
9.
Eleutherius, m. Parisiensis saec. I/III
Oct
9.
Rusticus, m. Parisiensis saec. I/III
Oct.
9.
Poitiers:
Hilarius, ep. Pictavensis f 366
Jan.
13.
Sens:
Columba, v. m. apud Senones sub Aureliano
Dec.
31,
Tours:
Martinus, ep. Turonensis f 397 vel 401
Nov.
11,
Belgien.
Teneramonde:
Christina, v. culta Teneramondae saec. VIII
Jul.
25.
Irland.
Kildaria:
Brigida, v. Kildariae in Hibemia f 523
Feb.
1,
Oesterreich.
Trieste:
Thecla, v. m. Tergesti sub Valeriano
Nov.
17,
Schweiz.
St. Maurice-en-Valais:
Mauritius, Agaunensis et soc. mm. Thebai sub
Diocletiano Sept. 22.
Spanien.
Saragossa:
Vincentius, diac. Caesaraugustanus, m. Valentiae
sub Diocletiano Jan. 22.
Asien.
Antiochien:
Margarita seu Marina, v. m. Antiochiae Jul. 13.
Assyrien:
Anastasius, Persa et soc. mm. in Assyria t 628 Jan. 22.
Bethlehem:
Hieronymus, presb. t 420 Sept. 30.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 63
Calchedon:
Euphemia, v. m. Calchedone sub Diocletiano Sept 16.
Cappadocien:
Georgius, m. Cappadociae Apr. 24.
Cilicien:
Cosmas, cum soc. mm. Aegis in Cilicia sub Diocletiano Sept. 27.
D am i an US, cum soc. mm. Aegis in Cilicia sub Dio-
cletiano Sept. 27.
Afrika.
Carthago:
r Perpetua, et soc. mm. in Africa t 203 Mar. 7.
IFelicitas, m. in Africa Man 7.
Cyprianus, ep. Carthaginiensis m. f 258 Sept. 14.
Egypten:
Antonius, mon. t 356 Jan. 17.
Hippo:
Augustinus, ep. Hipponensis, t 430 Aug. 28.
Was uns bei der Betrachtung der Heiligen am meisten auffällt,
ist die außerordentiiche Zunahme an römischen Heiligen. Während
der Cassineser Ritus am Ende des VIII. Jahrhunderts nur 14 römische
Heilige feiert, hat sich ihre Zahl innerhalb eines Menschenalters bei-
nahe verdoppelt. Der Kalender K hat 25 römische Heilige, d. h. 12
mehr als P und C. Nach Rom kommt Mailand mit 8 Heiligen. Süd-
Italien und Sizilien haben 11.
Nach Ländern und Kontinenten verteilt hatr^)
Italien 54
Asien 7
Afrika 5
Frankreich : 6
Belgien, Irland, Oesterreich Schweiz und Spanien je 1 — 5.
^) Auffallend ist, daß Deutschland gar nicht vertreten ist. Obwohl Abt Sturm
von Fulda im VIII. Jahrhundert in Monte Cassino weilte, sind doch die Beziehungen
zwischen Monte Cassino und Deutschland wie es scheint sehr gering geblieben.
Sonst würden wir den Heiligen Bonifatius in unseren Kaiendarien finden.
Das Naturjahn
Jahreszelten.
Die Angaben in unseren Kaiendarien folgen Beda. Doch haben
wir in C und P Abweichungen zu notieren. Der Winteranfang wird
in P nach Isidor auf den 24. November (statt auf den 7. November
wie bei Beda) gesetzt, und die Sonnenwende wird in C und P nach
Isidor auf den 24. Juni>) (statt auf den 20. Juni, wie bei Beda) gesetzt
Nur in K sind alle Jahreszeiten eingetragen. Sie lauten
folgendermafien:
7. Feb. Verls inittum * habet dies XCI
9. Mai Aestatis initiam habet dies * XC
7. Aug. Autumni initiam * hab. dies XCII
7. Nov. Hiemis initiam * habet dies XCII
24. Nov. Intrat hiemps perman, dies XC (nur in P)
20. Jun. Solstitiam
24. Jun. Solstitiam (in C und P)
21. Dec. Solistitiam^)
21. März Eqalnas occldlt matatln.^) (aeqainoctium)
20. Sept. Aeqalnoctiam
Sternerscheinungen.
Jan. 4. Caesari Delfinas matatlno exorltar
Jan. 5. Caesari Fidicala matat. exorltar ex Egipl,
Jan. 5. Sagitta vesper, occldlt
Jan. 8. Delfinas vespertlnas occasas
Jan. 17. Sol In Aqaarlam
Jan. 25. Stella Regia appellata taberonl In pectore Leonls occidit
maiatlna
*) Secundum Graecos oder Orientem heißt es in anderen Kalendarien.
^) Wo eine Angabe secundum Latinos gemacht wird, dient Isidor als QueUe.
») Sic.
*) Hier liegt offenbar verfehlte Auflösung einer Abkürzung vor. In der Vor-
lage dürfte equinoc gestanden haben, das von dem Abschreiber durch eguinus occidit
aufgelöst wurde.
E, A. Loew, Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 65
Feb. 4. FicUcula vespere occidlt
Feb. 15. Sol in Pisces
Feb. 24. Exhorti^) Arcturo vespertin.
März 13. In Italia Milvus apparet
März 18. Sol in Arietem
Apr. 3. In Attica Vergiliae vesperi occultantur
Apr. 6. Eadem in Boeti a Caesario et Chadeis Orion et gladius
eius incipiunt abscondi
Apr. 16. Aegypto Sucule occidunt vespere vulgo appellatum sidus
Parilicum idem Caesari
Apr. 17. Sol in Tauram
Apr. 25. Canis vespere occultatus
Mai 3. Umbra absumitur in Meroe.
Mai 8. Ortus Vergiliarum * Aeg. Canis vesperi occuUatur
Mai 13. Fidiculae exhortus^) Arcturi exortus mattUin, Arcturi
occasus
Mai 18. Sol in Genunos
Jun. 17. Sol intrat in Cancrum
Jul. 14. Dies Canicularii iuxta Ypograten^)
Jul. 18. Sol in Leonem
Jul. 24. Aquilae occasus
Jul. 30. Umbra sumitur in Meroae
Aug. 18. Sol in Virginem
Sept. 11. Finis Canicularum^) dierum
Sept. 17. Sol in Ubram
Oct. 18. Sol in Scorpium
Nov. 8. Occasus Vergiliarum
Nov. 17. Sol in Sagittarium
Dec. 18. Sol in Capricornu
Astronomische Einträge mit Bezug auf Ostern.
Mar. 8. Prima incensio lunae paschalis
Mar. 21. Prima XIIII luna
Mar. 22. Primum pascha et sedes aepactarum
Mar. 24. Sedes concurrentium
Apr. 5. Ultimo incensio lunae paschalis (C hat 4. Apr.)
Mai. 11. Primum pentecosten (C hat 15. Mai., GMD 10. Mai).
») Sic.
Quellen u. Untersuch z. lat. Philologie des MA. III, 3. 5
66 ^ A. Loew,
Aegyptische Monate.
Jan. 26. VI. Aeg. men, [Mechir]^)
Feb. 25. VIL Aeg. men. Famenot
Mar. 27. VIII. Aeg. men. Farmuthl
Apr. 26. IX. Aeg. men. Pachon
Mai. 26. X. Aeg. men. fPaunlJ
Jun. 25. XI. A^. men. Epifi
Jul. 25. (XII. Aeg. men. Mesore)
Aug. 29. /. Aeg. men. [Thoth]
Sept. 28. //. Aeg. men. [Paopht]
Ort. 28. ///. Aeg. men. [Athir]
Nov. 27. ////. Aeg. men. Choeac
Dec. 27. (V. Aeg. men. Tybi).
Drei Festverzeichnisse aus Carollnglschen Capitularlen.
I. Capitula ecclesiastica (ad presbyteros) 810 — 813.«)
Hae sunt festivitates in anno quae per omnia venerari debent:
natalis Domini, S. Stephani, S. Johannis euangeüstae, innocentum,
octabas Domini, epiphania, octabas epiphaniae, purificatio S. Mariae,
pascha dies octo, ütania maior, ascensa Domini, pentecosten, S. Jo-
hannis baptistae, sancii Petri et Pauli, S. Martini, S. Andreae. De
adsumptione S. Mariae interrogandum reliquimus.
II. Concilium Moguntinense 813. Jun. 9.«)
De laetania maiore. XXXIII. Placutt nobis, ut laetania maior
observanda sit a cunctis Christianis diebus tribus
De festivitatibus anni. XXXVI. Festos dies in anno celebrare
sancimus, hoc est diem dominicum Paschae cum omni honore et
sobrietate venerari, simili modo totam ebdomadam illam observare
decrevimus, diem ascensionis Domini pleniter celebrare, in Pente-
costen similiter ut in Pascha, in natali apostolorum Petri et PaaU
diem unum, nativitatem sancti Johannis Baptistae, adsumptionem
sanctae Mariae, dedicationem sancti Michaelis, natalem sancti
Remigii, sancti Martini, sancti Andreae, in natali Domini dies
quattuor, octavas Domini, Epiphaniam Domini, purificationem
sanctae Mariae, et illas festivitates, martyrum vel confessorum ob-
servare decrevimus, quorum in unaquaque parrochia sancta corpora
requiescunt, similiter etiam dedicationem templi.
^) Die beiden in runde Klammern eingeschlossenen Angaben stammen von
späterer Hand. Die in eckige Klammem gesetzten Namen fehlen im Kalender.
«) MG. Legg. Sect. II, Tom. I, p. 179. Capit. Reg. Franc ed. Boretius.
») MG. Legg. Sect. III, Concilia Tom. II, Pars I, p. 269 ed. Werminghoff.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
67
III. Capitulare Monasticum an. 817. Jul. 10.0
Ut in precipuis soUempnitatibus, id est in natale et in octavis
Domini, in epiphania, in pascha quoque et ascensione Domini et in
pentecosten et in sanctorum festivitatibus, id est sancti Stephani et
in beati Jo/iannis evangelistae et in natale infantium, in purificatione
et assumptione sanctae Mariae, similiter et in beatorum apostolorum
festis et in sancti Johannis Baptistae nativitate, in sancti quoque
Laurentii atque Martini et in sancti Benedicti, seu in naiaütiis
cuiuslibet sancti cuius honor in qualicumque parrochia specialtter
celebratur, plenarium officium agatur et bis reficiatur.
ad presb*
Conctt. Mogunt.
Capit. Monast.
810—813
813
817
25.Dec«)
Natalis Domini
Natalis Domini dies IV
in natale Domini
26. Dec
S, Stephani
S. Stephani
27. Dec.
«S. Johannis ev.
Beati Johannis ev.
28. Dec
Innocentum
in natale infantium
I.Jan.
Octabas Domini
Octavas Domini
in octavis Domini
6. Jan.
Epiphania
Epiphaniam Domini
in epiphania
13. Jan.
Octabas Epiph.
2. Feb.
Purif. S. Mariae
Purif, S, Mariae
in purif. S. Mariae
21. Mar.
S. BenedicU
Pascha dies VIII
Diem dominicum Paschae
in pascha
Letania maior*)
Laetania maior(diebusIII)
Ascensa Domini
Ascensionis Domini
in ascensione Domini
Pentecosten
Pentecosten
in pentecosten
24. Jun.
S, Johannis bap.
S. Johannis bap.
S. Johannis bap.
29. Jun.
SS. Petri et PauU
SS. Petri et Pauü
10. Aug.
S. Laurentii
15. Aug.
{de adsumptione Ma-
Adsumptionem S. Mariae
in assumptione S. Ma-
riae interrogandum)
riae
29.Sept
Dedic. S. Michaelis
1. Oct
Natalis S. Remigii
11. Nov.
S. Mariini
S. Mariini
S. Mariini
30. Nov.
S, Andreae
S. Andreae
*) MG. Legg. Sect. II, Tom. I, p. 346. Capit. Reg. Franc ed. Boretius.
') Die Daten habe ich hier nur der Obersicht halber vorangestellt In den
Kapitularien sind sie nicht angegeben.
') Für Litania Maior gebe ich kein Datum, weil diese nicht mit der Utania
Maior der römischen Kirche, die am 25. April gefeiert wird, verwechselt werden
darf. Piper hat die Litania Maior unter den Festen des Mainzer Konzils und unter
denen vom Jahre 810 — 813 unerwähnt gelassen (loc cit, p. 71), ob aus Versehen
oder mit Absicht, weiß ich nicht Es handelt sich hier, wie es scheint, um die
litanlae minores, die vor dem Himmelfahrtsfest gefeiert worden.
5*
Kommentar.
Die folgenden Werke werden im Kommentar öfters zitiert und zwar nnr miter
dem Namen des Verfassers oder der hier angegebenen Abkürzung.
Acta SS. = Acta Sanctorum, Antverpiae, 1643 ff. fol. Nov. mens. tom. n, 1, BmxeL
1894. Propyl. Nov. 1902.
BHL = Bibliotheca Hagiographica Latina antiquae et mediae aetatis, Bruxellis
1898—1901.
Batiffol = Histoire du br^viaire romain, Paris 1895.
Bäumer ^ Histoire du br^viaire, Paris 1905 (französische Obersetzung und Er-
weiterung von Biron).
Duchesne = Origines du culte chr^tien (3. Edition), Paris 1902. Englisdie Ober-
setzung von Mc. Clure, London 1903.
{GO = Kalender des X. Jahrhunderts im Cod. Monte Cassino 230.
M = Kalender des Xl./XII. Jahrhunderts im Cod. Paris Mazarin. 364.
D = Kalender des XIII. Jahrhunderts im Cod. Monte Cassino 127.
Kraus = Realenzyklopfldie der christlichen Altertümer, Freiburg i. Br. 1882—1886.
Lejay = Revue de philologie XVIII (1894), 42—52.
PL = Patrologia Latina, ed. Migne.
Piper = Karls des Großen Kalendarium und Ostertafel, Berlin 1858.
Ranke = Das kirchliche Perikopensystem aus den ältesten Urkunden der römischen
Liturgie dargelegt und erläutert, Berlin 1847.
>) Abgedruckt ist G in Bibl. Casin. IV, Florileg. pp. 365—371 ; abgedruckt ist
D in Bibl. Casin. III, Florileg. pp. 131—137; GMD sind von Lejay (siehe oben) mit P
verglichen worden. Die Lesarten sind von ihm nach P gegeben.
E. A. Loew, Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 69
Kommentar.
I.Jan, circumcisio dni.^) Unter den ältesten Kirchenfesten kommt
diese Feier, die ursprünglich eine Feier der Octava Nativitatis
war, nicht vor (Bäumer I, 272). Weder im Laterculus des
Polemius Silvius vom Jahre 448 (Acta SS. Jun. VII, 178—184)
noch in der Festordnung des Perpetuus, Bischofs von Tours
(Greg. Tur. Hist. Franc. X, 31 = MG SS Rer. Mer. 1, 445), findet
man dieses Fest. Auch der römische Ritus jener Zeit kennt
es nicht (Batiffol p. 125). Es ist ein griechisches und galli-
canisches Fest (Duchesne p. 273 — 74). In einem Kalender
vom Jahre 817, der im Codex lat. Monac. 14456 eingetragen
ist (aus dem Kloster S. Emmeram in Regensburg), finden
wir von allen Festen des Jahres nur dieses eingetragen.
1. Jan. sei. alamachi d. h. Almachius. In Martyrologium Bedas (PL
XCIV, 799) lesen wir: Romae natale S. Almachü marfyris.
In der BHL steht er nicht, aber in den Acta SS, 1. Januar
p. 31, ist er vorhanden, und aus der Oberschrift des Kapitels
geht hervor, daß er auch Telemachius genannt wurde. Der
zunehmende Einfluß Roms ist in K sogleich zu erkennen.
C und P feiern diesen römischen Heiligen noch nicht (vgl.
die bei Chevalier, Repertoire des sources historiques, bio-
bibliographie unter T616maque angeführte Literatur).
2. Jan. depositio optati (C). So hat C. In P, wie auch in den
Chronica des Leo Ostiensis, wird als Todestag der 4. Januar
genannt, was wohl richtig sein dürfte. In K ist diese De-
positio nicht erwähnt. Die Erörterung dieser ganzen Frage
findet sich p. 39.
2. Jan. dedicatio di. genitricis mariae. Die Kirchweihen in den drei
Kalendarien sind zusammengestellt und erörtert p. 42. Wahr-
scheinlich ist hier die Kirche gemeint, die Abt Theodemar
bauen ließ.
13. Jan. octav. epiphaniae. P hat Octaba Theophaniae^ obwohl er
für den 6. Januar Epiphania bringt. Beide Ausdrücke werden
in den alten Kalendarien gebraucht. Lejay macht darauf auf-
merksam, daß auch Paulus Diaconus in der Hist. Langobar-
>) Ich gebe die Lesarten der Handschriften unaufgelöst wieder und der Ab-
cürzungsstrich wird durch einen Punkt ersetzt Wenn nichts anders bemerkt wird,
und die Lesarten nach K gegeben. Alle in Klammem eingeschlossenen Angaben
stammen von späterer Hand; die klein gedruckten sind ergänzt.
70 E. A. Loew,
dica VI, 9 (= MG SS Rer. Lang. p. 168) für dieses Fest die
Bezeichnung Theophatüa hat. Auch im sogenannten .Comes
Alcuins" (comes ab Albino) heifit das FesXTheophania (Ranke,
Appendix Monumentorum p. V).
13. Jan. not. hilarU conf. {P). Die Feier dieses Heiligen aus Poitiers
ist beinahe so alt wie das christliche Kalendarium. Im Later-
culus des Polemius Silvius vom Jahre 448 (Acta SS. Jun. VII
p. 178; Mommsen, Chron. min. I, 518—523), dem ältesten
christlichen Kalendarium ist er allerdings noch nicht erwähnt
Aber nicht viel später schon kommt, wie wir aus der Fest-
ordnung des Perpetuus, Bischofs von Tours (461 — 491), sehen
können, seine Feier vor, obgleich der Tag (13. Januar) nicht
angegeben ist (Greg. Tur. Hist. Franc. X, 31, ed. Arndt = MG
SS Mer. I, 445). Das Datum (12. Januar) im C^asanatensis
beruht wohl auf einem Schreibfehler.
17. Jan. dep. sei. antoniL Hier ist Antonius aus iCgypten, der Vater
des Mönchtums gemeint, der 356 starb. QMD haben nämlich
Antonii Heremttae, so daß zweifellos nicht Antonius aus Rom
gemeint ist, der im VI. Jahrhundert lebte und dessen Festtag
ebenfalls der 17. Januar ist.
20. Jan. scL saaastiani mar. Die Lesart Sauastiani in K soll Sebor
stiani sein. Hier ist zu bemerken, daß in P fast immer das
Wort natalis vor dem Namen des betreffenden Heiligen zu
finden ist. Viel seltener ist dies der Fall in K oder C. Ich
glaube, daß uns P die ältere Überiieferung wiedergibt. Der
Sterbetag wird als Geburtstag angesehen, denn mit dem Tode
fängt das ewige Leben erst an. Natalis als wirklicher Ge-
burtstag kommt nur bei drei Heiligen vor: bei der heiligen
Jungfrau, bei Agnes und Johannes dem Täufer (vgl. Lechner,
Mittelalteriiche Kirchenfeste und Kalendarien in Bayern p. 45).
22. Jan. sei. vincenti diac. Diesen spanischen Heiligen finden wir
schon im Laterculus des Polemius Silvius, wo überhaupt nur
vier Heilige erwähnt sind — ein Zeichen der großen Ver-
ehrung, die dem heiligen Vincentius früh zuteil wurde.
25. Jan. depo, thomichis abbi. (P). Nur in P (siehe p. 39 f.), der, wie
es scheint, die ältere und bessere Oberlieferung vertritt
28. Jan. scae. perpetuae et agn .... Das Folgende ist verloren. Die
Pergamentblätter dieses Kodex (JK) sind an den oberen und un-
teren Rändern schlecht erhalten. In den Acta SS. ist nichts
Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 71
über Perpetua zu finden, ebensowenig in BHL. In Bedas
Martyrologium dagegen ist die Heilige vorhanden (PL XCIV,
826, ed. Holland.): NatcUe S. Agnetis virginis de nativitate.
Smiths Nota zu dieser Stelle lautet so: „haec (Perpetua) una
cum Dativo, Juliano, Publiano, Quintillo, Festo pridie etiam
colitur.* S. Agnes ist dieselbe, deren Fest am 21. Januar
gefeiert wurde (Beda Martyr. Smith Notae PL XCIV, 818).
1. Feb. brigidae virginis. Diese Heilige aus Irland (f 523), Stifterin
des Klosters Kildaria, kommt nur in K vor. GMD kennen
sie nicht, die älteren P und C auch nicht. Die Handschrift,
in der sich K befindet, enthält auch Alcuin und Beda; die
Vorlage war wahrscheinlich fi'änkisch, ursprünglich insular.
Ist es nun möglich, daß ein irisch-anglo-sächsischer Kalender
dem unseren zugrunde liegt? Beachtenswert ist, dafi Beda
diese Heilige hat; aber weder das Kalendarium Karls des
Großen (siehe Piper p. 21) noch das von Batiffol (p. 125)
rekonstruierte römische Kalendarium feiert ihren Tag. Daß
die heilige Brigida von Kildaria, extremis definibus abtissa^
in einem Cassineser Kalender gefeiert wird, ist gewiß nicht
bloßem Zufall zuzuschreiben.
2. Feb. dies scae. (mariae). In K stand wahrscheinlich, wie in C, dies
sanctae Mariae. Hier hat eine spätere Hand Mariae aus-
radiert und folgendes hinzugefügt: purificatio erit S. Dei
Genetricis et virg. Mariae et Dominas noster Jesus Christus
in tempto est praesentatus, et a S. Simeone susceptus. Dieser
Eintrag zweiter Hand läßt durchblicken, daß das Fest eine
gewisse Entwicklung durchzumachen hatte. Purificatio S.
Mariae ist neben Annuntiatio und Assumptio eines der
ältesten Marienfeste (Kraus I, 496); dafür spricht schon die
Form, in der das Fest in C angemerkt wird. Bei den übrigen
Festen Maria haben wir spezielle Bezeichnungen, wie Nati-
vitaSy Assumptio oder Annuntiatio. Hier dagegen heißt es
einfach dies S. Mariae. Im Mozarabischen ist dies S. Mariae
das Fest Annuntiatio (vgl. Anal. Hymn. XXVII, p. 47). Wir
finden das Fest schon in der Reisebeschreibung der so-
genannten Silvia erwähnt, die dieser Feier zu Jerusalem um 380
beiwohnte (P. Geyer, Itinera Hierosolymitana saec. IV— VIII,
Wiener Corpus eccl. vol. 39 p. 37—101, und Gamurrini,
S. Silviae Aquitanae peregrinatio ad loca sancta, ed. altera
Romae 1888, p. 53 und nota 1). Zu beachten ist, daß in P
72 E- A. Loew,
das Fest S. Symeonis heifit, da an diesem Tage Christus mit
dem Greise Simeon im Tempel die Beg^^ung (pTtajuxnrj,
occursus) hatte, woher die Bezeichnung iogtii ttjq ijianan^
= festum occursus oder festum Simeorüs (Kraus I, p. 496).
Diese Bezeichnung ist sehr alt und spricht fflr hohes Alter
der Vortage, die P zur Verfügung stand. In einer Notiz im
Leben des Papstes Sergius (687—701) heißt es: Consütuit
autem ut diebus Adnuntiaüonis Domini, Domütionis et Nor
tivitatis sanctae Dei genetrlcis semperque virgüüs Mariae
ac sancti Symeonis, quod Vpapanü Qreci appellant etc
(Liber Pontificalis ed. Duchesne. Tom. I, p. 376). Aus dieser
Notiz geht noch eines hervor, daß nämlich die Griechen die
Feier als Fest des Herrn betrachteten. Es scheint, daß an
diesem Tage auch die Depositio S. Simeonis gefeiert wurde;
in der Vatikanischen Handschrift, die Smith in PL XCIV, 832
für die Additiones herangezogen hat, heifit es: depositio B.
Simeonis prophetae: qui a Spirito sancto responsum accepU,
non visurum se mortem, nisiprius videret Christum Domini
(Luk. 2, 26). Aus dem Erwähnten ist die Entstehung des
Gedächtnistages Simeons leicht erkläriich.
15. Feb. not. sci.faustini et iobit. diab. retror. reces. a dno. {P). In P
haben wir das Fest der zwei Märtyrer aus Brescia und das
Fest der Versuchung des Herrn. Die Versuchung steht in K
am 14. Februar und wahrscheinlich waren auch die Heiligen
aus Brescia dort eingetragen. Die Rasur, die man jetzt sieht,
ist wohl in Benevent vorgenommen worden. Die Feier der
Heiligen Faustinus und lovita wurde in Monte Cassino höchst
wahrscheinlich von Abt Petronax eingeführt. Wir wissen näm-
lich, daß Petronax diesen Heiligen eine Kirche weihte, in der
ein bracchium unius illorum aufbewahrt wurde (Leo, Chron.
Casin. I, 4 = MG. SS. VII, 582: vgl. p. 44 f.).
19. Feb. {nat. erit beati barbati confess, et epi) Dieser Eintrag steht auf
Rasur und weist auf Benevent hin, stammt jedoch von zweiter
Hand.
9. Mar. natal. scorum. 40 coronatonim. In den Acta SS. Mar. II, p. 2
ist diese Feier unter Praetermissi et in alios dies rejecti zu
finden, wo es heißt: MO martyres Sebasteni suum hoc die
cultum habuere usquedum Innocentii X Pontificis jussu eum
cessere. Agimus ergo de iis X Martiis.' C und P feiern
Die Ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 73
dieses Fest nicht, die späteren Cassineser Kalendarien kennen
das Fest. Beneventanische Kalendarien sowie die jüngeren
Cassineser tragen das Fest mit roter Tinte ein.
25. Mar. das, crucifixus et conceptus. Ebenso ist das Fest in C ver-
zeichnet. P dagegen hat statt conceptus die Worte adnan-
tiatio S. Mariae. Während in Rom das Fest der Verkündigung
von hohem Aher ist, wird es in Gallien noch am Anfang des
IX. Jahrhunderts nicht öffentlich anerkannt (vgl. Capit. Eccl.
ad Presbyteros, Concil. Mogunt., und Capit. Monac. p. 66 f.
dieser Schrift). Das Kalendarium Karis des Großen (Piper
p. 22) vom Jahre 781 hat es auch nicht. Wenn dieser Ka-
lender, wie Piper meint, in Rom verfaßt worden wäre, so
wäre es sehr merkwürdig, daß die Feier der Verkündigung
weggelassen ist. Die Vortage dieses Kalenders wird also
keine römische gewesen sein.
27. Mar. resitrrectio dni. ihu. xpL Da Ostern für uns ein bewegliches
Fest ist, könnte man meinen, das Datum 27. März in den
Kalendarien gäbe uns ein Mittel an die Hand, diese zeitlich
genau zu bestimmen. Allein dies ist nicht der Fall. Das
Datum der Resurrectio in unseren Kalendarien gibt nicht den
Ostersonntag an, sondern bezeichnet einfach die Resurrectio
Domini Nostriy welche man seit dem III. Jahrhundert nament-
lich in Gallien auf den 27. März kalendarisch fixiert hatte,
gerade wie die Ascensio Domini Nostri auf den 5. Mai.
Viele Handschriften, in denen Kalendarien eingetragen sind,
hat man mit Hilfe des Osterdatums zu datieren versucht, was
immer zu Irrtümern geführt hat. Der römische Kalender kennt
keine festen Tage für den Tod und die Auferstehung Christi
(Batiffol p. 125). Der Brauch ist vielmehr gallicanisch (Du-
chesne p. 262 ff.).
1 1. Apr. natalis leonis papae. Nur in K\ man merkt den zunehmenden
Einfluß Roms.
21. Apr. urb. romae natal. calistini • valeriani • maximi • tiburtii. Der
Verfasser des Kalenders hat offenbar seine Vortage falsch
verstanden. Es gibt keinen Heiligen Calistinus. Hier liegt
eine Verwechselung mit dem Coemeterium Calixti vor. In
Bedas Martyrologium (PL XCIV, 884 ed. BoUand.) finde ich
für den 21. April folgendes eingetragen: Romae in coemeterio
Calixti via Appia Valeriani, Tiburtii et Maximi, d. h. genau
74 E. A. Locw,
unsere Heiligen mit Ausnahme des Calistinus, dessen Nennung
in unserem Kalender, wie erwähnt, auf einem Irrtum beruht
25. Apr. letan. med. Einen Beweis für die Entwicklung des Ritus in
Monte Cassino zwischen dem Ende des VIII. und dem Anfang
des IX. Jahrhunderts bietet das Vorhandensein dieses Festes
in K, während es in P und C fehlt. Es ist femer ein schla-
gender Beweis dafür, dafi die Entwicklung eine römische
Richtung verfolgte. Hier haben wir das erste Beispiel dieses
Festes in einem Cassineser Kalender. Die späteren Cassineser
Kaiendarien haben das Fest ebenfalls; es handelt sich also
um eine wirkliche dauernde Vermehrung der Feste in /C,
nicht etwa um eine vorübergehende oder zufällige Feier.
Bitt- und Fasttage gab es in Gallien schon im VI. Jahr-
hundert, wie wir durch Gregor von Tours erfahren (Hist
Franc. II, 34 = MG SS Rer. Mer. I, I, p. 98). Nach ihm soll
Mamertus, Bischof von Vienne, die Rogationen {dies roga-
tionum oder litarUa minor) eingeführt haben. Daß die laetania
maior in Rom schon vor Gregor dem Großen bestanden hat,
geht aus seiner praeceptio von Sept 591 hervor, die lautet:
SoHemnitas annuae devotionis, filii dilectissimi, nos ammonet
ut laetaniam, quae mxdor ab omnibus appellatur, soUicitis ac
devotis debeamus auxiliante Domino mentibus celebrare, etc.
(MG. Epp. Tom. I, Pars. I, p. 102 ed. P. Ewald = epist II, 2).
Ranke zitiert (p. 42) eine Stelle aus dem Leben Leos III.
(795 — 816): ipse vero a Deo protectus et praeclanis Ponti-
fex constitüit ut ante tres dies Ascenslonis dominicae leta-
nias celebrarentur (Liber Pontificalis. Ed. Duchesne Tom. II,
p. 12), — daher die jetzigen Litaniae minores oder dies ro-
gationum. Dieses Zitat bestätigt auch, daß die Rogationen
der gallicanischen Kirche einen anderen Charakter besaßen
als die litania maior der römischen Kirche, in der die lita-
niae minores erst unter Leo III. (795 — 816) eingeführt wurden.
Aus meiner Zusammenstellung der Festverzeichnisse in karo-
lingischen Statuten (p. 66 — 67) ersieht man, daß die Litania
maior in Gallien zu dreitägiger Feier empfohlen wurde. In
jenen Statuten sind keine Daten angegeben, aber sicherlich
sind dort die dies rogationum zu verstehen. In unseren
Kaiendarien kommen keine solchen Feste vor. K hat nur
das eintägige Fest der Litania maior, das schon seit Jahr-
hunderten in Rom am 25. April gefeiert wurde. Auch Bedas
Die Sltesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 75
Martyrologium (PL XCIV, 887) erwähnt das Fest: Romae lUa-
nia maior ad S. Petrum. Für die Kritik liturgischer Urkunden
ist also dieses Fest von Wert. Ich zitiere Ranke (p. 43): „Hat
ein Kodex nur die Litania maior des 25. April, so ist er ohne
Zweifel römischer Abstammung; hat er nur die Rogationen,
so ist er gallikanisch. Hat ein römischer Kodex die Roga-
tionen, so ist er jünger, hat er sie nicht, so ist er älter als
Leos Regierung" (795—816).
3. Mai. inventio scae. cmcis. Während wir diese Feier in Gallien am
Anfang des IX. Jahrhunderts noch nicht finden (vgl. p. 66 — 67),
kennt sie der Cassineser Ritus schon am Ende des VIII. Jahr-
hunderts, da P und C das Fest haben. Ranke (p. 52) weist
darauf hin, daß, was die Kritik von Urkunden betrifft, dieses
Fest von keinem Nutzen ist, »daß es vielmehr die Bestim-
mung seines Alters von ihnen, soweit sie anderweitig be-
festigt sind, erwarten muß". Der römische Kalender des
IX. Jahrhunderts kennt das Fest (Batiffol p. 126). Der Cassineser
Ritus steht, wie es scheint, dem römischen in vieler Beziehung
näher als dem gallikanischen.
6. Mai. deprecatio petronaci ab. Vgl. p. 39 f.
6. Mai. {depositio paschalis). Wahrscheinlich Papst Paschalis I. (817
bis 824), dessen Festtag in BHL. am 14. Mai verzeichnet ist.
7. Mai. sei. victoris. P und C haben das Fest am 8. Mai, was richtig
ist. Hier liegt wohl ein Schreibfehler vor. In /C ist es von
einer späteren Hand durchgestrichen und am 8. Mai ein-
getragen.
8. Mai. sei. angelL Gemeint ist offenbar der Erzengel Michael, dessen
Apparitio in Monte Gargano Ende des V Jahrhunderts am
8. Mai gefeiert wurde. Obwohl man aus Leo Ostiensis (Chron.
Casin. I, 13) und Erchempert (Hist. Cap. 27) den Eindruck er-
hält, daß die Feste des Erzengels in jener Gegend von sehr
hohem Alter sind, findet man dieses Fest nur in K erwähnt,
nicht in den älteren P und C. Auch das Fest der Dedicatio
am 29. September kommt nur in K vor. Die späteren Cassi-
neser Kaiendarien haben beide Feste.
12. Mai. natal. sei. paneratii. Das Datum in C (11. Mai) beruht wohl
auf einer Verschreibung. C ist überhaupt nicht sorgfältig ab-
geschrieben.
76 E- A. Locw,
3. Jun. dedicatio sei. faustlni. Ober Kirchweihen vgl. p, 43 — 45.
5. Jun. sep. theomar abb. d. h. Theodemar, Abt von Monte Cassino
(778—797). Ober die Depositiones der Äbte von Monte
Cassino vgl. p. 39.
8. Jun. dedicatio oratorii sei. stephani. Siehe oben Anmerkung zum
3. Juni.
11. Jun. sei. barnabae apostoli. P hat hier S. Bartholomaei^ was
wahrscheinlich auf einer Verschreibung beruht, oder auf
falscher Auflösung der abgekürzten Form seiner Vortage.
15. Jun. sei. viti. Dieser römische Heilige ist nur in K eingetragen.
16. Jun. Hier steht auf Rasur seor. mar. nicandri et mareiani. et
mareiani ist wohl eine Zutat. Die erste Hand hat sei. mar.
nieandri eingetragen, wie wir in C lesen und auch in P (am
17. Juni). Die zweite Hand, die in Benevent tätig war, fügte
später mareiani hinzu, und machte aus sei. seor. BHL. hat
Marcianus und Nicander am 17. Juni, wie P.
17. Jun. Auf Rasur, von zweiter Hand geschrieben, steht hier not.
beati bertholomei apli. Auch in G findet man das Fest des
Apostels an diesem Tage (vgl. Lejays Anm. p. 47 n. 108). Zu
beachten ist, daß der Eintrag von zweiter Hand ist
19. Jun. ded. seae. seol. (P). Diese Kirchweih steht nur in P. Wie die
anderen in P eingetragenen Dedicationes sich auf Monte
Cassino bezogen, so haben wir auch hier an eine Cassineser
Kirchweih zu denken.
22. Jun. nat paulini nolensis epi. Nach diesem Eintrage stand, da,
wo man jetzt nur eine radierte Stelle sieht, höchst wahr-
scheinlich Jaeobi Alphaeiy wie in P und C.
24. Jun. nat. sei. johannis (baptiste). Vgl. Anmerkung zum 20. Januar
über den Ausdruck natalis.
25. Jun. aeg. m. epifi = decimus aegipt. mensis. Der Kodex Monac.
lat. 14456 (saec. IX) enthält einen Kalender, der nur die Jahres-
zeiten und die griechischen, ägyptischen und hebräischen
Namen der Monate verzeichnet, aber fast keine Feste (cireum-
cisio Domini ist das einzige Fest in diesem Kalender). Der
X. ägyptische Monat heißt dort epiphi. In PL XC, 770 heißt
der Monat episi, was offenbar einer Verwechselung zwischen
si und // zuzuschreiben ist. In der Textgeschichte der Regula
S. Benedicti p. 130 hat Traube darauf aufmerksam gemacht,
daß die Verbindung si nur in insularen Handschriften vorkommt.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 77
27. Jun. dedk. sei. petri. Vgl. p. 46—48.
30. Jun. depositio potoni abb. Vgl. p. 39.
5. Jul. dedicatio (oratorii) sei. martini. Oratorii stammt von zweiter
Hand; vgl. p. 48—49.
13. Jul. margartte scae. Heilige dieses Namens gibt es viele, sogar
mehrere, die an diesem Tage gefeiert werden. Hier ist
wahrscheinlich Margarita aus Antiochien gemeint Zu be-
merken ist, daß auch GMD das Gedächtnis der Margarita
am 13. Juli feiern, während es BHL am 20. Juli angibt.
14. Jul. {et dedicatio oratorii sei. barbati in beneven.) Wichtig ist
die Tatsache, daß der Eintrag nicht von erster Hand stammt.
Vgl. p. 52.
17. Jul. {conseeratio aionis epi.) Vgl. Gams (Ser. Episcop. p. 671):
„a. 875 iam ep." und Annalistische Einträge, p. 55. Der
Eintrag ist auffallenderweise nicht von erster Hand.
18. Jul. depositio ermerissi abb. C und P haben ErmeriSy K hat
Ermerissi. Leo Ostiensis (Chron. Casin. ed. Wattenbach
= MG. SS. VII, 585) hat Hermeris. Auch Hermerisias
kommt vor (SS. Rer. Lang. 489).
22. Jul. seae. mariae magdalene. Nicht in C und P. Es ist über-
haupt auffallend, daß in einem Zeitraum von etwa 30 Jahren
die Zunahme an weiblichen Heiligen in Monte Cassino so
groß war, wie wir aus K ersehen können. Wir finden in K
neun solcher Heiligen, die in P und C nicht vorhanden sind.
Da man sieben von diesen schon in einem Kalender des
X. Jahrhunderts nicht mehr findet, sieht man, daß dies nur
eine vorübergehende Phase im Cassineser Ritus war. Ich
zähle hier die Heiligen auf, die nur in K vorkommen:
1. Perpetua, 2. Brigida, 3. Perpetua et Felicitas, 4. Margarita,
5. Maria Magdalena, 6. Christina, 7. Euphemia, 8. Thecla,
9. Lucia, 10. Columba. Von diesen Heiligen hat G aus
erster Hand nur Euphemia und Lucia, von späterer Hand
Margarita und Magdalena. M (1099—1105 geschrieben) hat
von diesen allen nur Magdalena, Euphemia, Lucia und
Christina. Diese merkwürdige Tatsache brachte mich auf
den Gedanken, ob nicht etwa der voriiegende Kalender für
die Nonnen des Klosters von S. Sophia in Benevent bestimmt
gewesen sei. Damit würden sich die Depositiones von Cas-
sineser Äbten und die Dedicationes von Cassineser Kirchen
78 E- A. Locw,
recht wohl in Einklang bringen lassen, da dieses Kloster
bekanntlich den Cassinesem gehörte. Noch im IX. Jahr-
hundert wurde das Monasterium von S. Sophia ein Mflnner-
kloster. Bei dieser Gelegenheit mag wohl der Kodex in die
Bibliothek der Hauptkirche gekommen sein» deren Eigentums-
signatur er noch heute trägt. Daß der Kodex verschenkt
wurde, geht aus dem Widmungsgedicht hervor, dafi sich auf
Fol. 4^ befindet; daß dies in der zweiten Hälfte des IX. Jahr-
hunderts geschah, dafür sprechen Schrift und Interpunktion
des Gedichtes. Es lautet folgendermaßen:
Munus hoc exigimm praeclaro nempe magistro
Offero devote ductus amore meo'/
Fecit hoc et mulier verbis laudata tonantis
lila euangello vidua mente pia-/
25. Jul. scae. xpinae. In BHL am 26. Juli vgl. Anmerkung zum
22. Juli.
1. Aug. machabaeonim. Dieses Fest, welches allmählich durch „Petri
Kettenfeier* verdrängt wurde, ist schon im Laterculus des
Polemius Silvius zu finden. Unter den Festen, deren Feier
in Gallien am Anfang des IX. Jahrhunderts öffentlich emp-
fohlen wurde (vgl. p. 66 f), wird es nicht erwähnt Der römische
Kalender jener Zeit kennt es gleichfalls nicht (Battifol p. 127).
Es ist also beachtenswert, daß von unseren drei Cassineser
Kaiendarien nicht nur /T, sondern auch C und P es erwähnen,
ein Zeichen, daß in Monte Cassino das Fest schon am Ende
des VIII. Jahrhunderts gefeiert wurde. Vgl. Rampolla, Del
luogo del martirio e del Sepolcro dei Maccabei. Siena 1897;
dasselbe in Bessarione (1897) 10—13.
6. Aug. rom. xysti epL felicissimi et agapiti. In P und C ist nur der
erste dieser drei römischen Heiligen erwähnt. Die späteren
Cassineser Kaiendarien (GMD) erwähnen alle drei, — wieder
ein Beweis für die von Rom beeinflußte Entwicklung.
13. Aug. scLyppoliti et sei. cassiani. Nur in K, aber auch in GMD,
Man sieht abermals, wie der Kalender an Festen zugenommen
hat. Der Einfluß Roms ist deutlich zu erkennen. Nach
Bedas Martyrologium gehören beide Heilige dem römischen
Ritus an (PL XCIV, 1004—5).
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 79
15. Aug. assamptio scae. mariae. Von unseren drei Kaiendarien scheint
P die älteste Vortage gehabt zu haben. Statt assumptio hat
P transitus. Diese Bezeichnung für das Fest ist beachtens-
wert. Ich habe dafür keinen anderen Beleg gefunden.
Transitus für den Tod kommt nicht selten vor, aber die
Bezeichnung dieses Festes durch Transitus ist ungewöhnlich.
Die älteren Kaiendarien gebrauchen nicht das Wort As^amp/to,
sondern Pausatio oder Dormitio (PL XCIV, 1006, ed. Bolland.),
wozu Transitus als eine andere ältere Bezeichnung hinzutritt.
Während wir in P Transitus lesen, hat K Assumptio^ und
dieser Unterschied mag wohl auf eine Entwicklung im
Cassineser Ritus hindeuten, der sich um jene Zeit mehr und
mehr dem römischen anschloß. Hier ist bemerkenswert,
daß in den Capitularien (ad. Presb.) vom Jahre 810 — 813
(vgl. p. 66 f.) das Fest der Himmelfahrt Mariae zwar erwähnt
wird, aber in Worten, die eine Entwicklung im gallischen
Ritus erblicken lassen; es heißt dort: de adsumptioneS. Mariae
interrogandum reliquimus. Indessen beweisen die Capitularien
aus den Jahren 813 und 817, daß man sich in Gallien bereits
für dieses Fest entschlossen hatte (vgl. p. 66 — 67).
22. Aug. depo, gratiani abb. (P). Dieser Eintrag fehlt in K\ C und P
haben ihn (vgl. p. 39).
24. Aug. sei. bartholomaei apostoli. P und C, sowie der spätere G
haben das Fest am 25. August Erst nach der Wende des
XI./XII. Jahrhunderts haben die Cassineser Kaiendarien eine
Vigilia S. Bartholomaei am 24. August. K aber stimmt mit
Beda überein und feiert das Fest am 24. August (PL XCIV,
1015). Diese Obereinstimmung ist vielleicht keine zufällige.
Man muß bedenken, daß die Handschrift, in der K einge-
tragen steht, Ostertafeln, Computi und eine Chronik enthält,
alles Stücke, die wahrscheinlich Beda zuzuschreiben sind.
Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß die Voriage auch
einen Kalender enthielt. Der 24. August ist übrigens auch
im Kalendarium Karis des Großen (Piper p. 27) das Datum
für Bartholomaeus.
1. Sept. scor. constantii et feliani. Diese Heiligen kommen in Bedas
Martyrologium nicht vor (PL XCIV, 1027—28). Constantius
(VI. Jahrhundert) stammt aus Aquino, also aus Monte Cassinos
nächster Umgebung. Wer der andere Heilige ist, läßt sich
80 E- A. Locw,
nicht leicht erkennen. P hat Felicianas^ C bloß Fei. und
K hat Felianus. In BHL gibt es keinen Felidanus, dessen
Gedächtnis auf den 1. September fällt; Felicianus aus Umbrien,
dessen Tag am 24. Januar gefeiert wird, ist kaum der unserige.
Ich glaube, man wird hier an einen lokalen Heiligen zu
denken haben, dessen Fest schon mit dem IX. Jahrhundert
aufhört. Spätere Cassineser Kaiendarien haben es nicht
mehr. Da die drei Kaiendarien den Heiligen verschieden
benennen, und C bloß Fei. hat, könnte man an Felix d'^can,
Märtyrer in Benevent denken, dessen Feier gerade auf diesen
Tag fällt Die Vortagen unserer Kaiendarien gebrauchten,
wie aus vielen Stellen hervorgeht, häufig Abkürzungen.
Die Abkürzung Fei. der Vorlage wurde von Abschreibern
in verschiedener Weise aufgelöst. Deswegen habe ich Felix
in die Liste der Heiligen aufgenommen.
8. Sept. nativ. scae mariae. Für Rom kann man mit Sicherheit sagen,
daß dieses Fest schon im VII. Jahrhundert gefeiert wurde
(vgl. Ranke pp. 49 — 50). Die Bezeichnung NativUas
S. Mariae secundum carnem in P deutet vielleicht auf eine
ältere Vortage hin.
14. Sept. (exaltatio s. . t) Dies stammt in K von zweiter Hand.
Vorher aber hat man crucis, das vielleicht von erster Hand
eingetragen war, ausradiert und f dafür eingesetzt Dieses
Fest ist eines der höchsten in der griechischen Kirche. Die
römische Kirche feierte es schon vor dem VII. Jahrhundert,
wie aus einer Notiz aus dem Leben des Papstes Sergius
hervorgeht, wo es heißt: Qui etiam ex die illo pro salute
humani generis ab omni populo Christiano, die Exaltationis
sanctae Crucis, in basilicam Salvatoris qiiae appellatur
Constantiniana osculatur ac adoratur. (Über Pontificalis
Tom I, p. 374 ed. Duchesne.) Der Kalender Karls des Großen
hat dieses Fest nicht, weshalb mir die Vermutung Pipers,
daß der Kalender eine römische Vortage gehabt habe, kaum
richtig erscheint. Unser Kalender K zeigt wiederum, daß
der Cassineser Ritus um jene Zeit von dem römischen
mehrere Feste übernahm.
16. Sept. in palati. benu. dedic. ecclae. sei. salbatoris (C). Dies hat
nur C (vgl. Kirchweihen, p. 49).
19. Sept. (scorum. ianuarii epLfesti et desiderii et socior. eor.). Dieses
Fest steht in /Cvon zweiter Hand (X. Jahrhundert) eingetragen.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino. 81
eine Tatsache, die sehr für die Vermutung spricht, daß der
Kalender zuerst in Monte Cassino und später in Benevent
verwendet wurde. Wäre der Kalender in Benevent entstanden,
wie Federici meint, so hätte er den heiligen Januarius schon
von erster Hand eingetragen. Lejay (p. 49) hat lamarii, was
wohl ein Druckfehler sein wird.
22. Sept. pas. sei. maarkiL Nur in /C, auch in Bedas Martyrologium
(PL XCIV 1051).
29. Sept. dedicatio basilic{ae). Was folgt, stand auf einem Stück
Pergament, das jetzt fehlt. Zu ergänzen ist, wie ich vermute,
S. Michaelis ArchangelL Im Mainzer Konzil 813 (vgl.
p. 66 — 67) wird dieses sehr alte Fest erwähnt, auch im
Kalender Karls des Großen (Piper p. 28). Dieses Fest, wie
das vom 8. Mai (vgl. Anm. p. 75), findet man nur in K ein-
getragen. Die späteren Cassineser Kaiendarien haben es
ebenfalls.
30. Sept. in betleem iud{aeae). Hier ist zweifellos In Betleem Judaeae
S. Hieronymi zu ergänzen (vgl. Anm. zum 29. Sept.).
4. Oct. dedic. basilL beati benedicti in Castro casino. Vgl. Kirch-
weihen, p. 50—51. V. und IV. Nonas (oder 3. und 4. Oktober)
fehlen in C. Auf andere Nachlässigkeiten habe ich bereits
aufmerksam gemacht.
13. Oct. (visi st igniculi etc.) Vgl. Annalistische Einträge, p. 53—56.
23. Oct. (dedicatio erit oratorii beati iantiarii epi. et mar.). Be-
merkenswert ist, daß der Eintrag von zweiter Hand stammt,
wie auch alle anderen beneventanischen Kirchweihen. Von
hier ab ist ein Stück des Kalenders (die untere linke Ecke
des Blattes) schon im XI. Jahrhundert angesetzt worden, was
man an der Schrift der Zahlen, die ins XI. Jahrhundert gehört,
deutlich sehen kann. Auf diesem später angehefteten Stück
Pergament steht, mit Ausnahme der zwei ersten Buchstaben,
der Eintrag Translatio erit beati Bartholomei Apostoli de
Liparim in Benebentum. Der Schrift nach gehört der Eintrag
ins XI. Jahrhundert. Über den Wert dieses Eintrags für die
Datierung vgl. Annalistische Einträge, p. 54.
28. Oct. {nat. scor. aplor. Simonis et iud.)
30. Oct. {nat. sei. germani cfr. et epi.)
Diese Heiligen, die auf dem neuen Stück Pergament einge-
tragen sind, standen auch zweifellos auf dem alten.
QueUen u. Untersuch, z. lat. Philologie des MA. III, 3. 6
82 E. A. Loew,
1. Nov. {festivitas omnium sconim). Der Eintrag stammt von zweiter
Hand (saec. IX). Also wissen wir, daß das Allerheiligenfest
am Anfang des IX. Jahrhunderts dem Cassineser Ritus nicht
eigen war. Beda erwähnt es, aber in Gallien wird das Fest
erst nach dem Jahre 835 allgemein gefeiert, wie aus einem
Bericht des Siegebertus hervorgeht. Für das Jahr 835 schreibt
er: Monente Gregorio Papa (IV) et omnibus episcopis
assentientibus Ludouicus Imperator statuit, ut in Gallia ä
Germania festiuitas omnium Sanctorum in Kalendis Nch
uembris celebraretur, quam Romani ex instituto Bonefacü
papae celebrabant (MG. SS. VI, p. 338—39), vgl. Ranke p. 47
und Kraus I, 501.
11. Nov. sei. martini. Dieser Heilige von Tours wurde wie Hilarius
von Poitiers schon sehr früh allgemein gefeiert Auch wurde
ihm die erste Kirche geweiht, die Benedict baute (Greg.
Mag. Dialog. II, 8); vergl. p. 44,
17. Nov. tecle virginis. Nur in K ist diese Heilige vorhanden. Beda
hat sie ebenfalls (vgl. Anm. zum 22. Juli). Vgl. Gebhardt,
Passio S. Theclae Virginis, Leipzig 1902 und Holzhey, Die
Thekla-Akten, München 1905.
20. Nov. {dedicatio erit oratorii sei. marciani confessoris et epi. in
benevento). Zu bemerken ist, daß diese beneventanische
Kirchweih von späterer Hand herrührt, so daß man aus
diesem Eintrag nicht schließen darf, wie es Federici tut, der
Kodex sei in Benevent geschrieben (vgl. Kirchweihen p. 51 f.).
7. Dec. {Nat. sei. ambrosii epi. [P]). Sehr auffallend ist, daß der
heilige Ambrosius nur in P und C von erster Hand ein-
getragen ist. Der Eintrag in K über seine Bischofsweihe
stammt erst von zweiter Hand.
14. Dec. sei. zenonis. Diese Feier hat K allein. Bei Beda finde ich
sie nicht. Das Fest eines heiligen Zeno findet man in G
am 26. dieses Monats. In einem bayerischen Kalender aus
dem X. Jahrhundert (Cod. lat. Monac. 6421) wird der be-
rühmte Zeno von Verona, der in BHL am 12. April ver-
zeichnet ist, am 8. Dezember gefeiert: Sti. Zenonis eonfes.
et epi. in Verona civitate. Auch im Martyrologium Romanura
ist für den 8. Dezember verzeichnet: Veronae ordinatio
S. Zenonis confessoris. Höchst wahrscheinlich bezieht sich
unser Eintrag auf ihn. Vgl. A. Bigelmair, Zeno von Verona,
p. 42 f.
Die ältesten Kaiendarien aus Monte Cassino.
83
18. Dec. {dedicatio erit hulus scae. eccle). Dieser Eintrag von zweiter
Hand weist wahrscheinlich auf die ecciesia beneventana hin.
31. Dec. scae. columbae virginis. Vgl. Anm. zum 22. Juli.
Beneventanische Handschriften, die Kaiendarien enthalten.
Signatur
Datum
Herkunft
der Handschrift
des Kalenders
des Kalenders
Cava 23
77&-797
Monte Cassino
London Thompsonianus 8*)
XI./XII. Jahrhundert
S. Bartholom. dl Carpineto
Monte Cassino 47
XII. Jahrhundert
Monte Cassino
Monte Cassino 127
XIII. Jahrhundert
Monte Cassino
Monte Cassino 230
%9-987
Monte Cassino
Monte Cassino 444»)
1075-1090
Monte Cassino
Nap. VI B 12*)
817-835
Nap. VI E 43
1097
Benevent
Nap. Vni C 4
1094—1105
Monte Cassino
Paris 7530
77&-797
Monte Cassino
Paris Mazarine 364
1099-1105
Monte Cassino
Rom Casanat. 641
811-812
Monte Cassino
Rom Vallicell. B 32
XI. Jahrhundert
Veroli
Rom Vatic. 4928
XII. Jahrhundert ang.
Benevent
Rom Vatic. 5419
XII. Jahrhundert
Benevent
Rom Vatic. 5949
XII. Jahrhundert
Benevent
Rom Vatic. 6082
XII. Jahrhundert
Monte Cassino
Rom Vatic. Barber. 421
X./X1. Jahrhundert
Benevent
RomVatic. Borgian. 211Ö)
1094—1105
Monte Cassino
Rom Vatic. Urb. 585
1099-1105
Monte Cassino
1) Diese Liste erhebt Iceinen Anspruch auf Vollständiglceit.
') Diese Signatur gebe ich der beneventanischen Handschrift, die sich jetzt
im Besitze des Herrn Henry Yatcs Thompson in London befindet.
*) Auch die Handschriften Monte Cassino 199 und540 sollen Kaiendarien enthalten.
*) Von diesem Kalender des IX. Jahrhunderts sind jetzt nur die Monate Juli
und August noch zu lesen. Die letzten vier Monate fehlen ganz, und die ersten
sechs sind schon im XI. Jahrhundert ausradiert und überschrieben worden. Der
Kalender scheint Icein klösterlicher zu sein. Im Jahre 1117 wurde er von Bischof
Wilhelm an die Ecciesia Trojana verschenkt, wie aus einer zeitgenössischen Notiz
auf fol. 260 V dieser Handschrift hervorgeht.
') Auf diesen sehr interessanten Kalender, der dem Leo Ostiensis gehörte,
sowie auf andere jüngere Cassineser Kaiendarien hoffe ich bei anderer Gelegenheit
zurückzukommen.
6*
Besprochene Handschriften.
Augsburg S. Ulrich (?) 46 u. Anm. 2
Bamberg E III 14 56
Cava 23 VI, VIII, 1 ff., 83 et passim
London Thompsonianus 8 83
Monte Cassino 3 V, 8, 9
47 83
127 IX, 68 u. Anm., 83
199 83 Anm. 2
230 IX, 39, 68, 77, 83
444 83
540 83 Anm. 2
Monte Cassino Urkunden 50, 51
München lat. 6421 82
14456 69, 76
Neapel VI B 12 83
— VI E 43 83
— VIII C 4 83
Paris lat. 609 3
7530 VI, VllI, 4 ff., 83 et passim
— Mazarin. 364 IX, 68 u. Anm. 77, 83
Rom Casanat. 641 V, VID, 3, 5, 6 ff.,
83 et passim
724 (Rotuli)
7 u. Anm. 3
1086
5 Anm. 2, 7
- Vatic lat. 3313
5 Anm. 2
4928
56,83
4958
9 Anm. 5
5007
5 Anm. 2
5419
83
5949
83
6082
83
10673
50 AmxL
— Vatic. Barber. 421
83
— Vatic. Borgian. 211
83
— Vatic. Regln. 1267
5 Anm. 2
— — Regln. 1823
5 Anm. 2
— Vatic. Urb. 585
83
— Vallicell. B 32
83
;R!5»?7l:t.
■<■•
-j^^
«fe
\
Wj
q
<
•^
f
i
••»•■"» 'j^fc;
K.
J
o^^v-.;^l!:'^^*'<^^--^-^^^j^
. ^
CO
<
<
<
^^^^■■^'
m^'"-
E. A. Locw, Kalcndaricn
Tal. II
•UjMtlfJ.
r'^r-
7
fttt
tu
tt
Vi
\2
Itit
m
f
AWn
;t\/t
.xm
.'^*
villi
X/tll
Vif
VI
V
tili
II 1
1 1 nefK. \'öt^\n\\i
nc^rKcx ^*n^/tic^tnci.>^
fcrfuniccf*
p^"U nonccr \ j
Sit t-5h J4c<siLWiL4 1
Vfit de I
«4
vtt
vt
V
fltt
tfl
tt
t'^r
.xvt
liCfa
tVf^'<
iCCHf
k^u^
iieiivt
Vtt
VI ^«a^TY^ETfefrc^pcu^
1 tt t t« tiOTLC^ntf jfMc»^
l-UNX.tXV
l^ucllrri ij. Unlcrsuch. /. lul. Pliiluloj^ie des .MA. 111,
PARIS. LAT. 7530
E. A. Locw, Kalendarien Taf. III
• •■'■'•,', 1 '1 fi. • I
rtf*.^n •: .., .M.r7^v,< Vor,
fl -*M •»]*'*! %.
f '.1 j«i.5 ij* i»«, i.»*u. <"»>»• «".»^
'%a
1
-^1
Quellen u. Uiiu-rsuch. i. lat. Philulouk- des .MA. III, J.
ROM. CASANATExNSIS G41
Quellen und Untersuchungen
zur
lateinischen Philologie des
Mittelalters
herausgegeben von
Ludwig Traube
Dritter Band, viertes Heft
Kritische und erklärende Ausgabe der Gedichte
des Paulus Diaconus
von
Dr. Karl Neff
Professor am Wilhelmsgymnasium zu München
MÜNCHEN 1908
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
DIE GEDICHTE DES
PAULUS DI ACONUS
KRITISCHE UND ERKLÄRENDE AUSGABE
VON
Dr. KARL NEFF
PROFESSOR AM WILHELMSGYMNASIUM ZU MÜNCHEN
MIT EINER TAFEL
MÜNCHEN 1908
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
rüj'i-iw J-i*^i\ARY
ASTOft, LENOX ANO
TILDEN r - •ATtmm,
R 1912 L
C. H. Beck'sche Buchdruckerei in Nördlingen.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Vorwort VII
Einleitung: Geschichte der Forschung XI
Die handschriftliche OberUeferung XUI
1. Obersicht über die Abkürzungen XIII
2. Inhalt der wichtigsten Handschriften XIII
I. Loblied auf den Comersee 1
n. Paulus an Adelperga 7
III. Brief an Adelperga 11
IV. Inschriften auf die Bauten des Arichis 14
V. Andere Inschriften 20
VI. Loblied auf den heUigen Benedikt 23
Vn. Zweites LobUed auf den heiligen Benedikt 35
VIII. An einen Freund 38
IX. Auf das Grab der Königin Ansa 41
X. Auf das Grab der Enkelin Sophia 49
XI. Bittschrift an Karl 52
XII. Petrus von Pisa an Paulus Diaconus 56
XIII. Antwort des Paulus 63
XIV. Brief an Theudemar 69
XV. Grammatische Rhythmen 74
XVI. Rätsel 82
XVn. Petrus an Paulus 84
XVffl. Paulus an den König 88
XDC Antwort des Paulus 91
XX. Paulus an Petrus 96
XXI. Petrus an Paulus 98
XXII. Antwort des Paulus 101
XXin. Karl an Paulus 106
XXIV. Auf das Grab der Rotheid, Tochter Pippins 109
XXV. Auf das Grab der Adelheid, Tochter Pippins 112
XXVI. Auf das Grab der Königin Hildegard 113
XXVII. Auf das Grab der Adelheid, Tochter Karls 117
XXVm. Auf das Grab der kleinen HUdegard 119
XXDC Auf das Grab des Dichters Fortunat 121
XXX. Paulus an Karl (Widmung seines Auszugs aus Festus) 123
VI Inhaltsverzeichnis.
Sdte
XXXI. Brief an Adalhard 126
XXXn. Paulus an Kart 131
XXXUL Karl an Paulus 135
XXXIV. Karl an Petrus und Paulus 139
XXXV. Auf das Grab des Arichis 143
XXXVI. Auf das Grab des Paulus Diaconus 150
XXXVn. Wdmungsgedicht des Petrus von Pisa 157
XXXVm. Zum Lob des Königs 159
XXXDC. AngUbert an Petrus 163
XL Karl an Petrus 165
XU. Kart an Petrus 168
Anhang.
I. Auf das Grab Lothars 170
II. Grabschnft für Eggihard 176
in. Auf das Grab des Dombercht 178
IV. Fiduda an Angilram 181
V. Verse über die Metzer Bischöfe 186
VI. Fabeln 191
VII. Coniurationes convivarum pro potu 199
VIII. Hausimus altifluo 202
IX. Perge libelle meus 205
X. Filius Ule dei 207
XI. Hausimus altifluam 209
Indices.
I. Initia carminum et epistularum 213
II. Index nominum 215
III. Index grammaticus zu den Gedichten des Paulus Diaconus 219
Tafel: Abdruck von Oxford Bodl. Add. C 144 saec. XI f. 58 v.
Vorwort.
Die vorliegende Ausgabe der Gedichte ist das Ei^ebnis einer
neuen Untersuchung des für die Überlieferung des Paulus wichtigen
handschriftlichen Materials, das mir teils im Original teils in photo-
graphischen Wiedei^aben vorlag. Durch diese nochmalige Ver-
gleichung, die eine reiche Nachlese ergab, wurde ein zuverlässiger
kritischer Apparat geschaffen, der, ausführlicher und leichter ver-
ständlich angelegt als die früheren, einen Einblick in die bis jetzt
bekannte Überlieferung gewährt. Lesefehler und Versehen der Dümm-
lerschen Ausgabe wurden dabei nicht angeführt. Der Text der Ge-
dichte hat durch die kritische Revision und die genaue Beobachtung
des paulinischen Sprachgebrauches hoffentlich abermals gewonnen.
Besondere Beachtung schenkte ich der Lösung der Autorfrage.
In diesem Punkt gingen schon die Meinungen Bethmanns und
Dahns sehr weit auseinander und auch Dümmler traf hier nicht
immer die richtige Entscheidung. Die Hauptschwierigkeit besteht
darin, daß die sonst übliche Methode, nämlich die Autorschaft dadurch
festzustellen, daß man zweifellos echte Werke in stilistischer Hinsicht
mit bezweifelten vergleicht und aus den Anklängen die Schlußfolgerung
zieht, bei karolingischen Dichtern nicht immer zum Ziele führt, da
diese, ein und derselben Schule angehörig und in der nämlichen
Weise von ihren Klassikern beeinflußt, sich meist der gleichen Aus-
drucksformen bedienen. Um dies deutlich vor Augen treten zu
lassen führte ich bei den Edäuterungen zu den einzelnen Gedichten
möglichst viele Parallelstellen aus der von Dümmler, Traube und
P. V. Winterfeld herausgegebenen Sammlung der Poetae aevi Carolini
(Poet. I — III) an, während ich mich bei der Angabe antiker Ent-
lehnungen, die Manitius in ausführlichster Weise angibt (Poet. II
688), möglichst beschränkte. Bei der Feststellung der Urheberschaft
VIII Vorwort
nahm ich das stilistische Moment nur dann als Beweis an, wenn
es sich um besonders zahlreiche und charakteristische Eigentflmlich-
keiten handelte. Von größerer Bedeutung war für mich der Inhalt
der Gedichte selbst, von der größten die handschriftliche Dberiiefe-
rung, die manchmal ganz allein das entscheidende Wort sprach.
Die Grundsätze, die für die Anordnung der einzelnen Gedichte maß-
gebend waren, entwickehe ich bei Besprechung des Inhalts.
Meine Ausgabe will aber nicht bloß kritisch, sondern auch er-
klärend sein. Deshalb wurden zum Verständnis der oft schwierigen
Gedichte außer kurzen Inhaltsangaben auch die für die Lebens-
verhältnisse gewonnenen Resultate vorausgeschickt und unter dem
kritischen Apparat Erklärungen einzelner Stellen beigegeben.
Um ein vollständiges Bild vom Leben des Paulus Diaconus und
seiner Umgebung zu entwerfen hielt ich es für notwendig einige
seiner Briefe, dann, wie es schon die Vorgänger getan, die Gedichte
des Petrus von Pisa und auch die an Paulus und Petrus ge-
richteten anzureihen. Der Anhang enthält einzelne Gedichte, die
bis jetzt unter denen des Paulus ihren Platz hatten, und besonders
solche, deren Verfasser man nicht kennt, bei deren Untersuchung
aber sich für uns wichtige Beziehungen nachweisen ließen. Den Ab-
schluß bildet die Herausgabe von drei noch nicht veröffentiichten
Gedichten. Den Index grammaticus zu den Gedichten des Paulus
Diaconus gestaltete ich ausführiicher um einen genauen Einblick in
die Formen seiner Darstellung zu eröffnen.
Schließlich möchte ich noch allen denen danken, die mir die
Benützung des handschriftlichen Materials ermöglichten oder mich durch
Rat und Tat unterstützten, vor allem der k. b. Akademie der Wissen-
schaften, dann den Vorständen der Bibliotheken zu Berlin, St. Gallen,
Leipzig, London, Madrid, München, Oxford, Paris, Rom,
femer den Herren Arturo Farinelli, Emil Jacobs, Paul Kehr,
Pater Leo Kolmer O. S. B., Wilhelm Meyer, Ferdinand Rueß,
Karl Schellhaß, Anton Schillinger, Schnorr von Carolsfeld,
besonders Wilhelm Engelhardt, Karl Reinwald und Friedrich
Vollmer.
Den unvergeßlichen Freund Traube nannte ich nicht. Er wollte
keinen öffentiichen Dank und ich könnte auch nicht in Worten die
Dankesgefühle zum Ausdruck bringen, die ich für ihn hege. Er erst
lehrte mich die Eigenart der exakten wissenschaftiichen Forschung.
Durch ihn erst wurde mir klar, daß ihren Wert nicht das Gebiet be-
stimmt, dem sie sich zuwendet, sondern der Geist, in dem sie durch-
Vorwort IX
geführt wird. Unter seiner Leitung erkannte ich, daß jene Pfade,
wenn sie auch oft weit weg von der klassischen Höhe in einsam
gelegene Täler führen, doch als Vermittler der Antike große Bedeutung
haben. Auf seinen Wunsch übernahm ich diese Arbeit. Noch in
den letzten schweren Wochen vor seinem Tode unterzog er sie einer
eingehenden Durchsicht. Das Manuskript mit den Bemerkungen von
seiner Hand ist mir eine wertvolle Reliquie, der Ausdruck seiner
Zufriedenheit ein beglückendes Vermächtnis.
Nentschau, den 16. August 1908.
Karl Neff.
Einleitung.
Geschichte der Forschung.
Die umfangreiche Literatur zu Paulus Diaconus findet sich bei
Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, 7. Aufl. I,
177 — 186 und bei CipoUa, Note bibliografiche circa l'odiema condizione
degli studi critici sul testo delle opere di Paolo Diacono, Venezia 1901,
verzeichnet. Hier sollen nur die Haupterscheinungen mit wenigen
Worten gewürdigt werden, damit man einen Einblick in den Ent-
wicklungsgang der Forschung bekommt und das Verhältnis dieser
neuen Ausgabe der Gedichte zu den früheren Arbeiten richtig be-
urteilen kann.
Der große Benediktiner J. B. Mabillon machte sich besonders
dadurch verdient, daß er die Berichte des Chronisten von Salemo
(SS. III 467 ff.) und der übrigen süditalienischen Quellen auf ihren
Wert prüfte und eine sichere historische Grundlage schuf. (Analecta
vetera, 1. Ausg. Paris 1675 — 1685, 2. Ausg. 1703; Annales ordinis
S. Benedict!, vol. II 1703.)
Mabillons Untersuchungen wurden erweitert und bestätigt durch
den Abbö Jean Lebeuf (Dissertations sur Thistoire eccl&iastique
et civile de Paris, vol. I, Paris 1739), der zum erstenmal die meisten
Gedichte und Briefe aus dem Parisinus lat. 528 veröffentlichte und
dadurch über die Lebensverhältnisse des Paulus mehr Klarheit ver-
breitete.
Wenn auch nachher die Forschung nicht stillstand, so wurden
doch erst durch Ludwig Bethmann neue wichtige Resultate zutage
gefördert. Im Jahre 1851 erschien seine Abhandlung: Paulus Diaconus'
Leben und Schriften (Archiv der Gesellschaft f. alt. deutsche Geschichtsk.
XII Einleitung.
X 247 — 334). Hier ist mit staunenswerter Grtindlichkeit und Sach-
kenntnis das handschriftliche Material verwertet und eine Arbeit ge-
schaffen worden, die heute noch in vielen Punkten als grundlegend
zu bezeichnen ist.
Durch Bethmann angeregt, veröffentlichte Felix Dahn seine
Schrift: Paulus Diaconus (Leipzig 1876). Er gelangte, wie er selbst
in seiner Vorrede sagt, in sehr vielen Einzelheiten der Lebensverhält-
nisse zu anderen Ergebnissen, häufig zur blofien Negation der An-,
nahmen Bethmanns. Allein viele seiner Gründe sind nicht überzeugend.
Dies bewies G. W^itz, der die Verteidigung Bethmanns übernahm
(Göttinger gel. Anzeigen 1876 S. 1513 ff.) und^ wegen seiner Ver-
trautheit mit diesem Gebiet (vgl. seine Vorrede zur Historia Lango-
bardorum des Paulus) am meisten dazu berufen schien. Auch meine
Untersuchung zeigt, daß Dahn die handschrifüiche Oberlieferung zu
wenig beachtete und deshalb bei der Herstellung des Textes und der
Entscheidung der Autorfrage nicht*' immer das Richtige traf. Dabei
darf aber nicht verkannt werden, daß seine Schrift reich ist an wert-
vollen, die Lebensverhältnisse des Paulus klärenden Bemerkungen.
Auf allen diesen Vorarbeiten baute Ernst Dümmler im Jahre
1881 seine Ausgabe der Carmina Pauli et Petri Diaconorum auf
(Mon. Germ. Poet. lat. aevi CaroL I 27—86 und 625—628). Nach
Prüfung des ganzen damals bekannten handschrifüichen Materie (Neues
Archiv der Gesellschaft f. alt. deutsche Geschichtsk. IV 102—112) stellte
er einen möglichst korrekten Text her und gab die Gedichte in der
Reihenfolge heraus, in der sie nach seiner Anschauung entstanden
waren. Dadurch erieichterte und beförderte er zugleich die weiteren
Untersuchungen.
Darunter sind besonders zu erwähnen: Die wichtigen Beob-
achtungen über das Leben des Paulus von A. Hauck (Kirchen-
geschichte Deutschlands, 2. Aufl. Leipzig 1900, besonders S. 158 ff.),
die größtenteils mit meinen eigenen, unabhängig gemachten überein-
stimmen; die Aufschlüsse Wilhelm Meyers aus Speyer über die
rhythmischen Gedichte des Paulus (jetzt in den Gesammelten Ab-
handlungen zur mittellateinischen Rhythmik, 2 Bände, Berlin 1905);
die kritischen und historischen Beiträge von L.Traube (Neues Archiv
XVI 199, XVII 397, XX 256 und Textgeschichte der Regula S. Benedicti
in den Abhandlungen der bayr. Akademie III. Kl. XXI. Bd. III. Abt,
München 1898).
Die handschriftliche OberUeferung. XIII
Die handschriftliche Überlieferung.
1.
Übersicht fiber die Ablcfirzungen.
Die gesperrt gedruckten Handschriften enthalten eine größere
Anzahl von Gedichten. Da ich die von mir verwendeten photo-
graphischen Wiedergaben Friedrich Vollmer zu weiterer Verwertung
flberließ, so kann jeder, der hier neue Studien machen will, mühe-
und kostenlos sich einen genauen Einblick in die paulinische Über-
lieferung verschaffen. Die mit einem Stern bezeichneten Handschriften
enthalten Gedichte, die nicht Paulus Diaconus zum Verfasser haben.
A = Madrid A. 16. fol. mai saec. XII.
B = Oxford Bodl. Add. C 144 saec. XI.
C = Rom Vat. lat 5001 saec. Xill.— XIV.
D = Beriin Diez. B 66 saec. VIII. ex.
E = Paris lat. 4841 saec. IX.*
F = Paris lat. 2832 saec. IX. med.
G = St. Gallen 899 saec. X. und dazu gehörend Rom feeg. 421.
H = London Harl. 3685 saec. XV.
I = St. Gallen 573 saec. X.
L = Leipzig Rep. I 74 saec. IX.
M= Montecassino 175 saec. XL ex.*
N = Paris lat. 9428 saec. IX. in.*
P = Paris lat. 528 saec. IX. ex.
Q = Paris lat. 7530 saec. VIII. ex.
R =Rom Palat. lat. 1753 saec. X.*
S = Paris lat. 5294 saec. XI.
U = Rom Urb. lat. 533 saec. XIV.
V = St. Gallen 184 saec. XI.*
2.
Inhalt der wichtigsten Handschriften.
Die zu Paulus Diaconus in Beziehung stehenden und hier be-
handelten Stücke sind gesperrt gedruckt. Die in Klammem gesetzte
römische Zahl bezieht sich auf meine Ausgabe.
Berlin Diez. B. 66 (= D), aus dem Ende des S.Jahrhunderts,
beschrieben von Bethmann (Archiv VIII 854), Keil (Gramm. Lat. IV
XIV Einleitung.
p. XXXII) und Dtimmler (Zeitschr. f. deutsch. Altert XVII 144, Neues
Archiv IV 108).
Den Hauptinhalt bilden grammatische Schriften, p. 124 Con-
lectiones uocum inconditanim quibus exprimitur animi affectus, p. 125
bis 126 Gedichte, herausgegeben von Riese, Anthol. tat. 186—188
(vgl. L Müller, Rhein. Mus. XXV 455); p. 126 Nemo diu gaudet
quod iniquo iudice unincit und Cum sacra donatus celebrans diuina
sacerdos; p. 127 — 128 Omnes gentes quas fecisti (Poet. 1 116);
p. 217 Albanische Königstafel: Picus regnauit primus in Italia; p. 218
bis 219 ein Bücherkatalog: Werke von Lukan, Statius, Terentius,
Juvenal, Tibull, Horaz, Martial, Cicero, Sallust( Haupt, Hermes 3, 221);
p.220CarminamittoPetro^AX\yA>; p.220— 221 Alius versus:
Rex Carulus Petro (XL); p. 221 lam puto nervosis (XX);
p. 221 — 222 Versus Fiduciae ad Angelramnum praesulem:
Carmina ferte mea (Anh. IVi); p. 222 Alius versus: Credere
s. vellis (Anh. IVii); p. 223 Incipit centimetrum Servii; p. 277—278
Columbanus fidolio fratri; p. 279 Heia uiri nostrum reboans (ed.Peiper,
Rhein. Mus. N. F. XXXII p. 523).
St. Gallen 573 (= /), aus dem 10. Jahrhundert, beschrieben
von G. Scherrer (Verzeichnis der Handschriften der Stiftsbibliothek
p. 185—187).
p. 2 — 166 Inc. opus Paulini Petricordiae de vita s. Martini ep.
versibus; p. 166 — 172 Prologus cum versibus Paulini de visitatione
nepotuli — et eiusdem de orantibus; p. 173 — 276 Venantii Fortunati
Vita S. Martini metrica libri IV (MG. Auct. IV ed. Leo); p. 276—293
Ven. Fortunati Carmen; p. 294 — 319 Visio Wettini (Prosaerzählung
des Haito); p. 320 — 367 Visio Wettini metrice (cum prologo pro-
saico ad Grimoltum capellanum) auct. Walafrido; p. 367 — 370 Visio
mulieris pauperculae de rege Ludovico; p. 370 — 398 Visio Barontis,
monachi Longoret. apud Bituric. deinde eremitae Pistoriens.; p. 398
bis 405 Inter florigeras fecundi cespitis herbas etc. Am Ende von
anderer Hand: Expliciunt versus Bedae b. de die iudicii ; p. 406 — 407
Acrostichon in Lotharium imp.; p. 408 — 466 Vita s. Leodegarii
metrica libri II; p. 466 Item in basilica sanctae Mariae: O una
ante omnes felix pulcherrima virgo (Vll); p. 466 — 467 Item
versus super crucem (Viii); p. 467 — 469 Item alfabetum de bonis
sacerdotibus prosa conpositum: Ad perennis vite fontem (Poet. 179);
p. 470 — 474 Item alfabetum de malis sacerdotibus: Aquarum meis
quis det (Poet. 181); p. 474—475 Disticon in foribus: Duicis amice
veni pacem (Poet. 1 65); p. 475 Coniurationes convivarum pro
Die handschriftliche Oberlieferung. XV
potu: Dulcis amice bibe gratanter (Anh. VII); p. 476 Ante
fores basilicae: Haec domus est domini (IViii).
St Gallen 899 (= O), aus dem 9. oder 10. Jahrhundert; be-
schrieben von Dümmler in den Mitteilungen der antiquarischen Ge-
sellschaft in Zürich XII p. V, vgl. Sitzungsber. der phil.hist. Klasse der
Wiener Akad. XLIII67, Neues Archiv IV 107, 276. Die fehlenden Stücke
stehen in Rom Reg. 421 f. 16—20, 27—28 (vgl. Bethmann Archiv
XII 279 und Zeitschr. f. deutsch. Altert. XX 213). Der Sammelband der
Bibliothek zu Fulda C 11 fol. Chart, s. XV. (Zeitschr. f. deutsch. Altert.
XIV 496; XV 452) ist nur eine Abschrift der St. Galler, als sie sich
noch in unverstümmeltem Zustand befand.
Der Inhalt der von mir noch einmal untersuchten Handschrift
weist auf nahe Verwandtschaft mit L e i p z i g R e p. 1, 74 hin. Die Haupt-
stücke sind: p. 2 Incipit epistola Symmachi ad Ausonium (Symmachi
epist I 14 ed. Parei); p. 3 Incipit de Pythagoricis diffinitionibus;
p. 4 Incipit de aetatibus animantibus hesidion; p. 5—6 Incipiunt
versus in laude Larii laci: Ordiar unde tuas (I); p. 6 — 7
Fabulae vitulo et ciconia: Quaerebat merens matrem
(Anh.VIii); Fabula podagrae et pulicis: Temporibus priscis
(Anh. Villi); p. 7 Quid fatis liceat (De Rossi, inscr. urb. Rom. II p. 112;
285); p. 7 — 8 Pauli (Diaconi von späterer Hand) contra Petrum
(Diaconum von späterer Hand): lam puto neruosi religata
(XX); p. 8 Petri (Diaconi von späterer Hand): Paule sub um-
broso (XXI)y nur bis V. 15; p. II folgt mit Carcens aut seuo der
Schluß (v. 16—25); p. 9--10 Cumque ante ora ducum v. 40—68
= Schluß der Fabel Aegrum fama fuit (Anh.VIi), deren Anfang,
V. 1—40, in Rom Reg. 421 f. 28—28'' steht; p. 1 1 De iuvene qui
aprum occidit et ipse a serpente percussus est: Anguis aper iuvenis
(Riese, Anth. 160) ; De Narcisso : Dum putat esse parem (Riese, Anth, 39) ;
Item versus Martialis Damma (Mart. ed. Schneidewin XIII 9); Ne
vinum inmoderate bibatur: Qui cupis esse bonus von Eugenius Tole-
tanus (ed. Vollmer, MG. Auct. ant XIV 236); p. 12 Ad ebrium:
Die mihi die ebrie; De vino: Magnus tu bacche; Epitafion Bailiste
Latronii: Monte sub hoc; De culice: Parva culbc (Donatus § 29); De
calicae fracto: Abietine calbc; p. 12 — 13 Item versus in tribunali:
Multicolor quali specie (Vi); p. 13 — 15 Versus Pauli Diaconi: Sic
ego suscepi (XXII); p. 15 — 17 Petri (Diaconi von späterer Hand):
Lumine purpureo (XVII); p. 17 Rustice lustrivage capripes (Riese,
Anth. 682); Si memini fuerant . . am /?fl/Mf Martial (1 19); p. 17 — 18
Cinthius occiduas rapidis . . Pauli Diaconi a. R. (XVIII); p. 18
XVI Einleitung.
beginnt das Epitaphium Hlotharii: Hocsaltus in viridi M/iÄ. /)
V. 1—4, das übrige in der Vatikanischen Handschrift f. 27—27';
p. 19 — 21 enthalten Verse von Prospers Poema coniugis ad uxorem
(v. 65 — 122); p. 45 Ovidii Nasonis versus: Ut belli sonuere, Sus
iuvenis serpens (Riese, Anth. 160); Monastica de aerumnis Hercuiis;
p. 57 Epita^^ion Geroldi comitis (Poet 1 114); p. 57 — 58 Epilation
Constantii (Poet. 178); p. 59 Erklärung lateinischer und griechischer
Wörter; p. 86 Karolus gratia dei rex (Brief Alkvins MG. Epp. IV 228);
p. 117 Versus de cuculo bis v. 38 (Ale. Poet. 1269); p. 120 Versus
Theotolfi episcopi: Gloria laus et honor tibi sit, rex Christe, redemptor
bis V. 12 (Poet. 1558); p. 120 bis 123 Versus eiusdem (Poet. 1577);
p. 123 Albinus precibus postulet (Poet. 1579); Rumpitur invidia (Mart.
1X97); p. 124 lonae episcopi: En adest Caesar (Theodalf Poet. 1 529);
p. 126 Ad Hludovicum regem: Rex pie (Poet. II 410); p. 127—129 In
adventu Karoli filii Augustorum: Ecce votis (Poet. II 406); In adventu
Hlotharii imperatoris: Innovatur nostra laetos (Poet. II 405); p. 144
Postquam primo homini (Wal. Strabi carm. Poet. II 392).
Leipzig Rep. I, 74 (=L), ein Miszellanband der Stadtbibliothek,
von Naumann (Catalogus libr. manuscr. bibl. Ups. p. 16) und aus-
führiicher von M. Haupt (Berichte der kgl. sächsischen Gesellsch.
d.w. phil. hist. Klasse 1850 p. 1 — 14 und in seinen Opuscula I p. 286
bis 300) beschrieben, wurde mit Unrecht von Naumann dem 12. und
Dtimmler dem 10. Jahrhundert zugewiesen. Die Handschrift stammt
aus dem 9. Jahrhundert.
f. 13^ Terra marique victor honorande zur Begrüßung Ludwigs
des Frommen und seiner Gemahlin Emengard (Poet 1 578 Appendix
zu Theodulf); f. 14 — 15 versus in laude solis (Riese, Anth. 389);
f. 15^ — 24 Questiones enigmatum rethoricae aprtis (= artis): Wil-
helm Meyer, Gesammelte Abhandlungen zur mittellateinischen
Rhythmikllp. 161 ff,; f. 24 Item de uino: Pulchrior me nullus
(XVI); Incipiunt versus Sybillae: ludicio tellus sudabit; f. 25 De
iuvene qui aprum occidit et ipse a serpente pe<r>cussus est: Anguis
aper iuvenis (Riese, Anth. 160); De Narcisso: Dum putat esst
parem (Riese, Anth. 39); f. 25—27^ folgen 15 Gedichte Martials:
f. 25 Item versus Martialis damma; De quadam vetula; f. 25^ De
Galla puella; Ad Levinum; De eo cuius domus arsit; Ad Pollionem;
De Candido qui uxorem adulteram habebat; f. 26 De Andragora ad
Faustinum; De Fannio; Ad Cottam; Ad Claudiam puellam longam;
Ad Crispum; f. 26^ Ad Gallam; Ad Flaccum; Ad eum cum quo cenabat;
f. 27 Ne vinum immoderate bibatur: Qui cupis esse bonus von Eugen.
Die handschriftliche Oberlieferung. XVII
Tolet (MG. Aiict XIV 236}\ Epitafion Ballistae latronis: Monte sub
hoc; De culice: Parva culix (Donatus § 29) ; De calice fracto: Abietine
calix; f. 27^ — 28^ Item ex libro Ovidii Nasonis de somno, quod viderat:
Nox erat et somnus (Ovid. Am. 3, 5); f. 28^ — 31^ Idem eiusdem ex
libro metamorphoseon. Actaeon in cervum: lam stabant Thebae (Ovid.
Met. 3, 131—252); f. 31 ^—35^ Gedichte von Eugen. Tolet. und Prosper
Aquitanus] f. 35^ — 36 Hos versus Paulus Diaconus conposuit
in laude Larii laci: Ordiarunde iviOs(I)\ f. 36 — 36^ Epitafion
Sophie neptis: Roseida de lacrimis (X)\ f. 36^—37 Super
sepulcrum domne Anse: Lactea splendifico (IX)\ f. 37 — 37^
Item versus in tribunali (am Rand tironische Noten, die nach
AngcLbe von Rueß nur die Überschrift wiederholen): Multicolor
quali specie (Vi)\ f. 37^ Item in basilica sanctae Mariae:
O una ante omnes (Vii)\ Item versus super crucem (Viii)\ f. 37^
—38 Christe deus mundi (Poet. I 78) \ f. 38^—62 Incipit psycho-
machia des Prudentius; f. 62^ — 63^ folgen Gedichte von Alcvin;
f. 62^ Dulcis amice vale (Poet 1251); f. 63 Ductus amore tuo (1334);
Munera muneribus; Nee tu quippe (1 252); f. 63^ Nix mit e caelo;
Tu mihi dulcis amor, davon nur v, 1—3 (1 253).
London, Britisches Museum Harleianus 3685 (= H), im
fünfzehnten Jahrhundert von einem ungebildeten Schreiber, dem eine
schlecht lesbare, angelsächsische Handschrift voriag (Traube, Karo-
lingische Dichtungen), fehlerhaft geschrieben. Den Inhalt gab Dümmler
an in der Zeitschrift für deutsches Altertum XXI, 84 A. 1 und Neues
Archiv IV 108—109.
Hauptstücke: f. 1 Anguste vite fugiunt consorcia musae
(VIII); f. 1 — 1^ Aemula romuleis consurgunt menia templisfA^^
f. 1^ Ad abbatem: Sit tibi sancta phalanx (Poet 183); f. 1^—2 Ad
Moulinum de Dagulfo: Aspicis eximia rutilantem luce muolume
(Poet 192); f.2— 2^ De peste: Ausimus altifluam Petri Pauli-
que salutem (Anh. XI); f. 2^ Sanctorum meritis claro semperque
beato (Eugen. Tolet MG. Auct XIV 268); f. 2^—3^ Hoc satus in
viridi servatur flosculus aruo (Anh. I); f. 3^ — 5^ folgen Epi-
gramme und Epitaphien (vgl. De Rossi, Inscript urb. Rom. II, 1
p. 121); t 5^ — 6 Epitaphion: Roseida de lacrimis miserorum
terra parentum (X); f. 6 Verba tui famuli, rex summe, attende
serenus (XI); f. 6^ De sex operibus dei: Primus in orbe dies (Eugen.
Tolet MG. Auct XIV 67); f. 7—1 1^ Incipit praefatio tocius libri Smaragdi
grammatici: Hunc operis nostri modicum percurre libellum (Poet 1607);
f. 11 V Dum primus pulchro fuerat {Ale. Poet 1 288); f. 26^—29^ Hoc,
II
XVIII Bnlcitung.
Modoine, tibi Teudulfus dirigit exul (Poet 1 563 ff.) \ f. 30^ Eiusdem
ad Luduicum valedictio: Qui regit arva, polum (Poet 1 531); Cannen
Nigellii Ermoldi exulis in laudem gloriosissimi Pippini regis: Perge,
Thalia, placet (Poet II 79); f. 33 Ad eundera Pippinum: Sunt mihi
praeterea (Poet II 85); f. 66 Liber de iudicibus exametris veisibus
compositus incipit: ludicii callem censores (Theod. Poet 1 493); f. 47^
Postquam primus homo paradisi liquerat hortos (Ak. Poet 1 229);
L 50^ — 51 ^ Carior in cunctis raihimet qui constat alumnis (Theod.
carm. appendix Poet 1 579); f. 53^ — 54^ Lege tonantis eri retegit qua
crimina lator (Theod. Poet I 517); f. 55—92 Elegia Hermoldi: In
honorem Hludowici (Poet. II 5).
Madrid A. 16 fol. mai. (=i4), im 12. Jahrhundert geschrieben,
stammt aus Montecassino. Der Inhalt ist ausführlich angegeben Archiv
VIII 769.
Nach Werken Bedas folgen Gedichte chronologischen Inhalts:
Item de anno solari: Annus solis continetur quattuor temporibus;
Versus de sexta aetate huius seculi: Prima sexcentum annis; f. 52^
Item versus Pauli Diaconi de annis a principio: A principio
saeculorum (II); Item versus de annis a principio: Deus a
quo facta fuit (Zeitschr. f. deutsch. Altert. XXII 426); f. 55 Arati
liber de astronomia; f. 75 Ordo computus; f. 87 Galieni expositio
pro infirmis; de humanae vitae cautela; Spera Pitagore quam Apuleius
descripsit; de quattuor ventis, angulis celi et temporibus; f. 89 De
natura corporis humani; Ypocratis ep. de flebotomia; Ypocratis dicta
de anni circulo; f. 93 ex libro Solini; f. 99 Scarpsum ex cronica
Origenis; f. 101 De gentibus ex Ysidoro; f. 102 De lapidibus ex libro
eiusdem; Beda de naturis rerum; f. 160 Epistola Karoli ad Albinum
de septuag. sexag. quinquag. et quadrag.: Karolus gratia dei (MG.
Epp. IV 228); f. 163^ Gedicht über Superbia et humilitas: Non
mihi Sit ductrix; de pace et concordia: Pax veneranda mecum; de
castitate et libidine; f. 165 Sententiae Septem sapientum; f. 166
Epitaphium Alchuini: Huc rogo (Poet I 350); f. 171 Ex libro XI
Plinii: Miror quidem Aristotelem; aus Paulus Diaconus: In Italia
sicut d. a. circa diem natalis domini in humbra — meridiem
videntur; (Hist Lang. I cap. 5); f. 189 Scarpsum ex libro Josephi:
Boves mugiunt — vas in aqua bilbit; f. 190 Item de provinciis
Italic aus Paulus Diaconus (SS, rer. Langob.p. 188); f. 190 Con-
stantins Schenkung; f. 193 Africanus ad Aristidem de genealogia
Christi: Ut autem clarius fiat; f. 195 Incipit liber Junioris philosophi,
in quo continetur totius mundi descriptio: Post omnes ammonitiones.
Die handschriftliche OberUeferung. XIX
Daran schließen sich noch Schriften geographischen, ethnographischen
und naturwissenschaftlichen Inhalts.
Oxford, Bodleian Library 28188 = Add. C 144 (= B)
aus dem 11. Jahrhundert, beschrieben von Madan, Summary Catalogue
of Western Manuscripts in the Bodleian Library at Oxford, Vol. V
p. 419; H. Schenkl, Bibliotheca patrum latinorum Britannica II, Sitzungs-
berichte der Wiener Akademie phil.hist. Kl. CXXIII Jahrg. 1890.
f. 1 De pronomine . pronomen est pars orationis (Donati gramm.;
Keil IV 379, 22) \ f. 33 De barbarismo . barbarismus est una pars
orationis (Keil 392, 5) \ f. 34 De soloecismo . soloecismus est Vitium
(Keil 393, 6); f. 35^ De syllabis apud grammaticos . Syllaba grece
latine conceptio siue complexio dicitur. nam syllaba dicta (Keil
423, II); De syllabis tractatus Bedae. Syllaba est comprehensio
litterarum uel unius uocalis (Keil VII, 229, II); f. 37^ De tropis Bedae.
Tropus est dictio translata (Keil 611, 19); f. 39^ Incipit de meta-
plasmis. Metaplasmus est transformatio quaedam (Keil IV 395, 28);
f. 40 Mauri Serui grammatici de centum metris (Keil IV 456); f. 46^
Ein kurzes Glossar; f. 47 Incipit de littera. diximus enim, quod bene
fecit donatus (Pompei commentum artis Donati Keil V 98, 6); f. 55
de pedibus. Pedes omnes uiginti et quattuor (Keil V 120, 21); f. 58
Item versus Pauli Diaconi: Candidum lumbifido proscissum
vomere campum {XIX); f. 58^ versus Paulini: Hausimus alti-
fluo; Perge, libelle (Anh. VIII, IX, vgl. auch die beigegebene
Tafel); Sinonima Ciceronis: orator, actor; f. 63^ Incipit de officiis
grammaticae artis: Nam in loco; f. 66 ^ Quis primus phylosophy
nomine nuncupatus est?; f. 68 ^ ludicii Signum (vgl. Aug. de civ. Dei
41, 579; auch Beda 90, 1182); f. 89 Sententiae quorundam philo-
sophorum: Amicuitanis cferas (!) facias necesse tua (cfr. Meyer, Publilii
Syri sententiae p. 12); f. 70 Versus Siluii; Spes ratio uia uita (Riese
Anthol. lat. 689a). Den Schluß bilden Glossen und grammatika-
lische Stücke.
Paris lat. 528 (= P), aus dem 9. Jahrhundert. Die Haupt-
stticke des Inhalts, den der Abb^ Lebeuf zuerst veröffentlichte, führen
Bethmann (Archiv X 247) und Dtimmler (Neues Archiv IV 104) an.
Diese Handschrift hat für die Überiieferung der Gedichte des Paulus
Diaconus die größte Bedeutung.
Nach theologischen und rhetorischen Werken und Hymnen
beginnt f. 121 ein neuer Quaternio von feinerem Pergament und
von derselben, wenn auch etwas kleineren Schrift, f. 120 — 12 1^
Exhortatio Eugenii Toletanae sedis episcopi: Rex deus (MG. Auct. XIV
II*
XX Einleitung.
232)] f. 121V Briefformel (Neues Archiv IV 104); f. 122— 122^ Zwei
Epitaphien, die am Hofe Karls bei Abfassung anderer zum Vorbild
dienten: Epitaphium Constantis: Hie decus Italiae (Poet. 178)
und Epitaphium Toctronis: Clauditur hoc i\xm\x\o (Paali Hist
Lang. III c. 19); f. 123— 12 3^ Item versus Petri grammatici:
Nos dicamus Christo (XII); f. 123^—124 Versus Pauli: Sensi
cuius (XIII); f. 124 — 125 Item versus Petri ad Paulum: Lu-
mine purpureo (XVII); f. 125— 125^ Versus Pauli ad Petrum:
Candido lumbifido (XIX); f. 125^—126 Item versus Pauli
missi ad regem: Cynthius occiduas (^W/W; f. 126— 126^ Item
versus Pauli ad regem precando: Verba tui famuli (XI);
f. 126^—127 Epitaphium Sophiae neptis: Roseida de lacri-
mis (X); f. 127— 128^ Incipit epistola: Amabillimo mit drei
Hexametern am Schlüsse (Paulus Dlaconus an Theademar XIV);
f. 128^ — 129 Versus de episcopis sive sacerdotibus: Ad peremiis
(Poet. 179); f. 129—130 De malis sacerdotibus: Aquarum meis quis
det (Poet. 181); f.l30— 131^ Versus in laude sancti Benedicti:
Ordiar unde tuos (VI); f. 132—133 Cartula perge dto (Alcvln Poet.
1220); t 133— 133^ Versus Petri in laude regis: Culmina si
regum (XXXVIII); f. 134 — 135 Sententiae Septem philosophorum:
Periander Corinthius; im Anschluß daran eine kleine griechische
Grammatik (XII), dann grammatische Bemerkungen über die Kom-
paration, Aufzählung von homonima: species acies aries; von S)mo-
nima: terra humus; f. 135^ Epitaphium Chlodarii pueri regis:
Hoc satus in viridi (Anh. I); f. 135^ — 136 Item versus metrici:
Paule sub umbroso (XXI); f. 136 Epistola: Ille Christi fretus auxilio
rex: Cum in adquirendis fidelium (MG. Epp. IV 532). Den Abschluß
des Quaternio bildet Grammatisches. Dann folgt von einer anderen
Hand geschrieben eine Vita Audoeni, ein Martyrologium und Theo-
logisches.
I.
Loblied auf den Comersee.
'Wie soll ich Dein Loblied beginnen, wie Deine reichen Gaben
preisen (1 — 6)? Olivenwälder umsäumen Deine von ewigem Früh-
ling beglückten Gestade und in üppigen Gärten leuchten aus dem
Grün der Lorbeerbäume rote Granatäpfel hervor. Myrten, Pfirsiche
und Zitronen erfüllen alles mit ihrem lieblichen Duft (7 — 16).
Kein See kann sich mit Dir vergleichen, nur das Galiläische
Meer, auf dem einst Jesus gewandelt (17 — 22). Bringst Du den
Schiffern kein Verderben, dann bleibst Du der Liebling aller. Lob
und Preis sei der Dreieinigkeit, die solche Wunder schafft. Du aber,
Leser, empfiehl mich der Gnade des Eriösers und mißachte mein
Gedicht nicht (23—30).'
Eine so begeisterte Schilderung konnte nur ein Dichter ent-
werfen, der die Reize jener Gegend selbst geschaut und gefühlt hatte.
Dies ist zwar von Paulus nicht wörtlich überliefert, läßt sich aber
mit Bestimmtheit aus seinem nicht anzuzweifelnden Aufenthalt im
nahgelegenen Monza folgern (vgl. Hist Lang. IV 21, 22, 47; V6, 38).
Traube kommt in seiner Textgeschichte der Regula S. Benedicti S. 44
zu dem Resultat, daß Paulus in dem nach der Tradition von Desi-
derius gegründeten Peterskloster bei Civate, nicht weit vom Comer-
see, sich aufhielt.
Dahn ^Paulus Diaconus" S. 66, der die Autorschaft des Paulus
bestreitet, sieht darin, daß die Schilderung der Vegetation, der Natur-
schönheit an diesen Ufern poesievoller ist als in irgend einer der
unzweifelhaft echten Dichtungen, einen Beweis für die Unechtheit
des Gedichtes. Allein die Stoffe, die Paulus später behandelte,
Quellen u. Untersuch, z. lat. Philologie des MA. III, 4. 1
2 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
boten ihm keine Gelegenheit zu einer derartigen lebendigen Schil-
derung und dann kann man doch auch aus deren Behandlung er-
kennen (vgl. Hist Lang. II 4, wo er die Pest, und IV 37, wo er
den Verfall seines Stammsitzes schildert), dafi er Phantasie und
Gewandtheit in der Darstellung in hervorragendem Maße besafi.
Außerdem fällt dieses Gedicht in eine Zeit, wo er noch jugend-
licher fühlte, wo er in seiner angesehenen Stellung als Lehrer der
Prinzessin am Hofe glückliche Tage verbrachte, von denen er in
Gedicht VIII v. 1 — 4 andeutungsweise spricht (vgl. auch Anm. zu
XXXVI V. 18).
Auch der Hinweis darauf, daß Paulus unmöglich das Loblied
auf einen See mit den gleichen Worten habe anfangen können,
wie das auf den heiligen Benedikt, beweist nichts. Ich sehe darin
nur eine Bestätigung der Anschauung, daß beide Gedichte Erstlings-
werke sind, und glaube, daß er in der späteren Zeit, als er infolge
der vielfachen Anregungen Karls des Großen in ausgedehnterem
Maße dichterisch tätig war, solche VTiederholungen vermieden hätte.
Man muß eben auch hier, was bei stilistischen Untersuchungen zur
Bestimmung der Autorschaft eines Werkes von großer Wichtigkeit ist,
in Betracht ziehen, daß sich eines Dichters Anschauungen und Dar-
stellungsformen im Lauf der Zeit oft bedeutend ändern. Wer würde
den Dichter des Faust im Götz wiedererkennen? Mir erscheint dieser
gleiche Anfang im Gegensatz zu Dahn als Beweis für die Autor-
schaft" des Paulus und ich verweise dabei auch auf die Anmerkung
zu Gedicht VI v. 1.
Das entscheidende Wort spricht hier nur die Überiieferung. In
der Leipziger Handschrift, die wegen ihres Alters — sie ist in das
neunte Jahrhundert zu veriegen — und ihres Inhalts für die Ober-
lieferung paulinischer Gedichte von großer Bedeutung ist, trägt
unser Gedicht die Überschrift, an deren Echtheit nicht zu zweifeln
ist: Hos versus Paulus Diaconus conposuit in laude Larii loci.
Betrachtet man ferner die Gedichte, die sich in dieser Leipziger
Handschrift an das unsrige anschließen, so erkennt man, wie die
späteren Untersuchungen zeigen werden, daß wir hier eine Samm-
lung von Gedichten des Paulus vor uns haben, die besonders
auf den langobardischen Hof mit Sicherheit hinweisen. In der
St. Galler Handschrift 899 aus dem zehnten Jahrhundert ist zwar der
Name des Dichters nicht mitüberliefert, das Gedicht befindet sich
aber in einem Kreis von solchen, die zweifellos Paulus zum Verfasser
haben.
Loblied auf den Comersee. 3
Sahen wir schon, daß die Umgebung, in der das Gedicht über-
liefert ist, auf den langobardischen Hof hinweist, so ergibt sich das
gleiche auch aus v. 6 Regificis mensis munera magna vehis.
Wegen der Entfernung der Örtlichkeiten kann nicht die Tafel Karls,
sondern nur die eines langobardischen Königs gemeint sein. Dem-
nach ist die Abfassungszeit unseres Gedichtes vor den Untergang
des Reiches, also vor 774, zu verlegen. Da Paulus sich jeden-
falls 763 in Benevent befand (vgl. Vorbem. zu VI), so mag es
schon vor dieser Zeit entstanden sein und zwar am Hofe des Desi-
derius, eine Behauptung, die durch das Epitaph auf Änsa, die Ge-
mahlin des Desiderius, gestützt wird, das in der Leipziger Hand-
schrift sich anschließt.
Die Darstellung des Paulus Diaconus steht, wie die Erklärung
der Verse beweist, unter dem Einfluß Virgils und besonders auch
Eugens von Toledo. Werke dieses Dichters, den jedenfalls, wie auch
den Martial, der Spanier Theodulf an den Hof Karts brachte, sind
wie in allen für die Oberiieferung paulinischer Gedichte wichtigen
Handschriften, so auch in der Leipziger überiiefert. Aber schon
früher hatten sich die großen Werke der spanischen Literatur (wie
Taio, Eugenius, Isidorus) nach Italien verbreitet.
Was die Form anlangt, so besteht sie aus epanalemptischen
Disticha (auch versus reciproci, serpentini, echoici genannt, vgl.
Traube Poet. III p. 392, 7 und Index p. 815). Diese finden sich
schon vereinzelt zu bestimmten Zwecken bei Ovid^ dann zur Er-
reichung einer besonderen VTirkung in einem längeren Gedicht bei
Martial (IX n. 97 Rumpitur invidia; dieses Gedicht ist wie das
unsrige in der St.* Galler Handschrift überiiefert neben anderen karo-
lingischen), femer bei Pentadius in den drei Gedichten de fortuna,
de adventu veris, auf Narcissus, bei Sedulius (V. Jahrh.) in einem
dichterischen Vergleich des alten und neuen Testamentes und
sonst öfters. In späterer Zeit scheint bei Dichtem wie Venantiiis
Fortunatus (VI. Jahrh. Mon. Germ. Auct. IV ed. Leo), Eugen. Tolet
(VII. Jahrh.) und Beda (VIII. Jahrh.) mehr das Streben nach Ab-
wechslung oder auch die Bequemlichkeit maßgebend gewesen zu
sein. Paulus verwendet sie nur in Gedichten, die der Zeit an-
gehören, wo er noch nicht am Hofe Karis sich aufhielt, so in
seinen beiden Lobliedem (auf den Comersee und zum Preis der
Wunder des heiligen Benedikt) und in einer Inschrift auf einer
Kirchentüre.
1*
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
10
Ordiar unde tuas laudes, o maxime Lari?
Munificas dotes ordiar unde tuas?
Comua panda tibi sunt instar vertice tauri;
Dant quoque sie nomen comua panda tibi
Munera magna vehis divinis, dives, asilis,
Regiticis mensis munera magna vehis.
Ver tibi semper inest, viridi dum cespite polles;
Frigora dum superas, ver tibi semper inest
Cinctus oliviferis utroque es margine silvis;
Numquam fronde cares cinctus oliviferis.
Punica mala rubent laetos hinc inde per hortos;
Mixta simul lauris Punica mala rubent.
HOS UERSUS PAULUS DIACONUS CONPOSUIT IN LAUDE LARU LAQ
L /. 35v; INCIPIUNT UERSUS IN LAUDE LARU LACI G p. 5.
1 unde] un auf Rasur L \\ b vehis] ue auf Rasur L \ diues atis diuis
corr, L diuis Q \ asylis G || 7 inest fehlt G || 8 superas] semper eras G \
9 oliviferis aus soliuileris corr. L \\ 10 cinctus] i auf Rasur Z, || 11 laetos] et
auf Rasur L, leteres G | hie G | hortos in ortos corr, L || 11 12 Punica] n
beidemal auf Rasur G.
1 o maxime Lari: Verg. Georg. II
159 te, Lari maxime, (memorem). An
dieser Stelle nennt Virgil ebenso wie
Paulus V. 17 und 20 den Averner und
Lukriner See; vgl. auch Hist. Lang. V 38
ad insulam, quae intra lacum Lariam
non longe a Como est.
3—4 Ein die Gestalt des Sees an-
schaulich wiedergebender Vergleich, den
er auch in seiner Hist. Lang. II 21 von
Italien gebraucht: in sinistro Italiae
cornu. — dant quoque sie nomen
cornua: ,Die gekrümmten Hörner geben
Dir auch den iMamen'. Man könnte
meinen, daß Paulus den Namen Larius
mit den Laren in Verbindung brächte,
die aus gekrümmten Füllhörnern (cor-
nua) ihre Gaben spenden; denn er
zählt im folgenden die Gaben des Sees
auf (munificas dotes): allein schwerlich
kannte er Stellen wie TibuU I 1, 19
vos quoque, felicis quondam, nunc
pauperis agri Custodes, fertis munera
vestra, Lares; vielleicht war ihm das
Attribut der Laren geläufig.
5 divinis asilis t= far die Klöster
und die damit verbundenen Kirchen;
sonst gebraucht Paulus asyium in der
Bedeutung von Kirche, vgl. IV u v. 5
construxit asyium (Salomon), Hist Rom.
I 2 condito templo, quod (Romulm)
asyium appellavit; vgl. auch Theodalf
Poet. I 478 V. 41 Salomon sapiens, sancti
constructor asyli,
7 ver tibi semper inest: vgl. XI v. 4
semper inest luctus. — viridi dum ce-
spite polles vgl. Grabschrift Lothars (An-
hang I) V. 33 vernali cespite poUet und
Verg. Aen. III 304 viridi quem caespite
(sacraverat).
11 Punica mala (= Granatäpfel)
mixta simul lauris, vgl. die Schilderung,
diePaulinus von Aquileja von den Gefilden
des Jordans gibt (Poet. aev. Carol.1 128).
Hier, v. 70, 71, sagt dieser auch Punica
mixta simul foliis sed poma retentat.
Loblied auf den Comersee.
Mirtea virga suis redolet de more corimbis,
Apta est et foliis mirtea virga suis.
15 Vincit odore suo delatum Perside malum;
Citreon has omnes vincit odore suo.
Cedat et ipse tibi me iudice furvus Avernus,
Epirique lacus cedat et ipse tibi.
Cedat et ipse tibi vitrea cui Fucinus unda est,
30 Lucrinusque potens cedat et ipse tibi.
13 mirtea virga] myrtea mixta (mixta durdi Punkte getilgt) virga G \ co-
rimbos Q \\ 14 myrtea G II 17 18 caedat G || 18 eripique L Epyrique G,
Epirique //. 7. MüUen Euripique Haiq)t || 19 der Vers fehU L \ caedat G \
tibi aber der Zeile zugesetzt G \\ 20 der Vers fehlt L \ caedat G \ potens]
patens conL //. 7. Mauer.
14 apta est et foliis: in ihrem
Blitlerschmuck steht sie da, foliis ist
als Abi. zu lassen und aptus bedeutet
omatus, von \^rgil in dieser Bedeutung
verwendet, Aen.IV482, VI 797, XI 202;
vgl. auch Thesaurus ling. Lat II p. 327.
15—16 delatum Perside malum =
der Pfirsich; der Dichter will sagen: Die
Myrte duftet, noch mehr der Pfirsich,
am meisten aber die Frucht des Zitronat-
baomes. Die Stellung von has omnes
verbietet citreon als erklärenden Zusatz
zu delatum Perside malum zu fassen,
vgl V. Hehn .Kulturpflanzen und Haus-
tiere- 6. Aufl., 1894, p. 453 und Dios-
COrides 1, 166: xa Se firjdtxä XsyöfMva
^ suQüixa ij xedgöfitjla f §wfjuuaxi de
Hitgia,
17 — 20 cedat et ipse tibi me iudice:
Vcrg. EcL IV 38 cedet et ipse muri Oc-
doch in anderer Bedeutung), besonders
aber Eugen. Tolet. (ed. VoUmer XXXIU
11 p. 254) iudice me cygnus et gar-
rula cedat hirundo, cedat et inlustri
psittacus ore tibi, — Nachdem Paulus
die Vegetation des Sees gerühmt hat,
vergleicht er ihn mit anderen bekannten
Seen, mit dem Avemer, Fuciner, Lukriner
und mit einem See in Epirus. Die Er-
wähnung des letzteren inmitten lauter
italienischer Seen erscheint nach der Er-
klärung von H. J. Maller (Symbolae ad
emendandos scriptores Latinos, Progr.
des Friedr. Werderschen Oymn. Berlin
1876 p. 29) nicht mehr auffallend. Es
gibt nämlich in Epirus, wie auch in Kam-
panien, einen See Acherusia, der gerne
in Verbindung mit dem Avemus genaimt
wird, da auch dorthin die Sage den Ein-
gang in die Unterwelt verlegt (vgl. Plin.
n. h. III 5, 61; IV I, 4). Auch Vibius
Sequester bringt in seiner Aufzählung
einen Acheron nach dem Avemus. Pau-
lus wählt diese Ausdrucksweise jeden-
falls aus metrischen Gründen statt
Acheron. — vitrea cui Fucinus unda
est: Verg. Aen. VII 759 vitrea te Fuci-
nus unda (flevit): vgl. auch in den
Schlufiversen des Briefes an Theude-
mar XIV Margine de vitreae Moseilae,
Hist. Rom. XIV 10 fluvius vitreis
labebatur fluentis, — Lucrinusque
potens findet seine Erklärung durch
Isidorus Orig. XIII 19, der bei der Auf-
zählung von Seen vom Lukriner sagt:
Lucrinus autem dictus, quia olim prop-
ter copiam piscium vectigalia magna
praestabat.
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Vinceres omne fretum, si te calcasset lesus,
Si Galilaeus eras» vinceres omne fretum.
Fluctibus ergo cave tremulis submergere Untres;
Ne perdas homines fluctibus ergo cave.
25 Si scelus hoc fugias, semper laudabere cunctis;
Semper amandus eris, si scelus hoc fugias.
Sit tibi laus et honor, trinitas inmensa, per aevum;
Quae tarn mira facis, sit tibi laus et honor.
Qui legis ista, precor, 'Paulo' die *parce, redemptor',
30 Spemere neve velis, qui legis ista, precor.
21 calcassit G \ hiesus G \\ 22 gaUleus G \\ 23 lyntres G \\ 25 fugias
aus fugius corr. L fugia G \\ 26 amandus] andu auf Rasur Z, || 28 quae tarn]
qui aetam G || 30 der Vers von derselben Hand, aber mit kleineren Buchstaben
zwischen die Zeilen geschrieben G \ neve velis] neuelis L
21—23 vinceres: Die Verkürzung
der letzten Silbe findet sich auch bei
Fortunat (vgl. Leo p. 424). — fluctibus
tremulis vgl. Paul. XVIU v. 15 Anm.
27—30 trinitas mit verkürztem
ersten / ist in ganz später Zeit nicht selten.
— Bei V. 27—28 ist wiederum der Ein-
fluß Eugens von Toledo (p. 254 v. 19—20)
unverkennbar. Dieser schließt sein Ge-
dicht mit einem Lobpreis Christi ab:
Gloria summa tibi, laus et benedictio,
Christe,
Quipraestas famulis haec bona grata
tuis
(vgl. Paul. V. 28 quae tam mira fads).
Jedenfalls hatte auch Paulus ursprflnglich
für sein Gedicht diesen seiner Vorlage
entsprechenden Abschlufi gewählt und
fügte V. 29—30 erst später hinzu, als
er sein Gedicht an den Hof Karis
brachte und es dort vorlegte. Wenn
das Gedicht VI (vgl. Vorbem.) mit den
gleichen Versen (153 und 154) abschliefit,
so lag dem Verfasser wohl die ur-
sprüngliche Fassung unseres Gedichtes I
vor; vgl. auch Theodulf Poet I 558 v.l
Gloria, laus et honor tibi sit, rex
Christe, redemptor.
II.
Paulus an Adelperga«
*Von der Erschaffung der Welt bis zur Sintflut sind 2242 Jahre,
von da bis Abraham 942, bis zur Gesetzgebung des Moses 505, zum
salomonischen Tempelbau 480, zur babylonischen Gefangenschaft 512,
zur Geburt Christi 518 und bis zur Gegenwart 763 (1 — 8). Un-
getrübter Friede herrscht jetzt in Italien unter Desiderius und Adel-
chis und auch in Benevent unter Arichis und Adelperga (8 — 10).
Möchten doch diese beiden am jüngsten Tag der ewigen Seligkeit
teilhaftig werden (11—12)/
Wie das Akrostichon (Adelperga pia) beweist, hat Paulus dieses
Gedicht seiner Schülerin, der Tochter des Königs Desiderius, gewid-
met zur Förderung ihrer geschichtlichen Studien (vgl. Vorbem. zu III).
Es ist das einzige Gedicht, von dem uns die Entstehungszeit an-
gegeben ist. Aus Strophe 8,3 geht hervor, daß es Paulus im Jahre
763 verfaßte und zwar jedenfalls in Benevent selbst.
Überiiefert ist es in einer Madrider Handschrift A 16 saec. XII,
die einstens in Montecassino sich befand und deshalb für die Her-
stellung des Textes eine sichere Grundlage bietet. Nicht mehr in
beneventanischen Zügen geschrieben, stammt sie aus der Zeit und
dem Kreise, vielleicht aus der Hand des Petrus Diaconus. Der von
Dümmler in seiner Ausgabe der Gedichte des Paulus Diaconus (Poet. I
p. 35) herangezogene Florentiner Codex Strozz. 46 saec. XIV ist eine
Abschrift des Madrider und bedeutungslos.
Paulus gibt hier eine Einteilung der Weltchronologie in Welt-
alter, wie sie nach dem Vorgang von Eusebius (Hieronymus) und
Augustin auch Isidor in seinem Chronicon anwendet. Da nun in
der Madrider Handschrift auf unser Gedicht unmittelbar eines folgt,
8 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
das den Titel trägt Item versus de annis a principio und den gleichen
Stoff behandelt, so untersuchte ich das Verhältnis, in dem beide Ge-
dichte zueinander stehen.
Paulus ist in seiner Einteilung von der bei Isidor und den
anderen üblichen etwas abgewichen: Die dritte Epoche umfaßt bei
ihm die Zeit von Abraham bis Moses und die vierte von Moses
bis zum salomonischen Tempelbau, während Isidor daraus nur
eine Epoche macht und sie von Abraham bis David reichen
läßt. Diese nämliche Art der Einteilung, wie sie Paulus hat, zeigt
jenes zweite Gedicht, das aus Irland nach Benevent gekommen
war. Es finden sich auch einige stilistische Anklänge, vgl. Paul. 6,
1 und 2 quo salatem virgo mundi peperit, quem prophetae prae-
dixerunt und v. 28 in dem anderen Madrider Gedicht: salus mundi
praedicatur; Paul. 11, 2 dies sed out hora quando non patet mortor
llbus und im andern v. 35 horam autem aique diem finis huius
saeculi nee, ut puto, certum sciunt et caelorum angeli. Bedeutender
als diese Anklänge erscheint mir aber, daß Paulus seinem Gedicht
die gleiche Verszahl gab, nämlich 36, nur daß er, wie bei semem
grammatischen Rhythmus (XV) diese Verse in zwölf Gruppen zu je
drei Zeilen zusammenstellt, von denen zwei oder drei meist assonie-
ren (in dem anderen Gedicht ist ein- und zweisilbige Assonanz kon-
sequent durchgeführt). Mit dieser Gruppierung erreichte Paulus, daß
seine chronologische Einteilung übersichtlicher erscheint und also
seinem Zweck zu belehren mehr entspricht.
Diese Vergleichung und auch der Umstand, daß beide Gedichte
in einer Handschrift aus Montecassino und zwar beieinanderstehend
überiiefert sind, scheint mir dafür zu sprechen, daß das zweite Ge-
dicht für Paulus die Vorlage bildete. Wenn er nur den Inhalt der
ersten sechzehn Zeilen seiner Vortage in seinem Gedicht verwendete
und die anderen auf profane Geschichte bezüglichen Angaben aus-
schied, so hat dies seinen Grund in dem Wunsch Adelpergas, daß
mehr die heilige Geschichte betont werden möge (vgl. Vorbem. zu III).
Dieses zweite Madrider Gedicht, das zuerst Dümmler in der
Zeitschr. f. deutsch. Altert. XXII 426 herausgab, kannte auch Bethmann
(Archiv X 294) und hielt es nicht für ausgeschlossen, daß es dasselbe
Gedicht sei, das Leo von Ostia I 15 Necnon et universas fere an-
nalis computi lectiuncutas rithmice composuit und Petrus de viris
illustribus Casinensibus 8 zitiert: Universas etiam lectiuncutas a
principio usque ad suam aetatem una cum annali computo rithmice
composuit.
Paulus an Adelperga. 9
Beide meinen aber vielmehr den hier herausgegebenen Rhyth-
mus. Ein anderes rhythmisches Gedicht mit komputistischem Inhalt,
das in einer Handschrift aus La Cava steht, hat Traube zweifelnd
mit Paulus in Verbindung gebracht, Textgeschichte der Regula
S. Benedicti S. 113.
1. A principio saeculorum usque ad diluvium
duocenti quadraginta duo bina milia
evoluta supputantur annorum curricula.
2. Dehinc usque quo fidelis Abraham exortus est,
novies centeni duo quadraginta pariter
sibi successisse anni scribuntur ex ordine;
3. Ex hoc tempore quousque Moysi in heremo
praeceptorum instituta tradidit altissimus,
annos quinque et quingentos praeterisse terminos.
4. Legis datae a diebus et conscriptae caelitus
usque quo templum dicavit rex sapientissimus,
quadringenti octoginta orbes evoluti sunt.
5. Percucurrit hinc annalis ordo sua spatia
quingentenis et bissenis annis, Babylonica
donec populum vastavit Israel captivitas.
6. Exhinc usque quo salutem virgo mundi peperit,
quem prophetae praedixerunt venturum Emmanuel,
octodecem et quingenti peracti sunt circuli.
Item versus pauIi diaconi de annis a principio A /. 52 v.
2,3 scribuntur aus scribantur com A || 5,1 spacia A || 5,3 uastabit A
6,3 octodeceni Bethmann, octodeni Huemer,
1,2 duocenti ist entsprechend der
handschriftlichen Oberlieferung beizu-
behalten und damit zu erklären, dafi
dem Dichter anni statt annorum curri-
cula vorschwebte.
3,1 Moysi in heremo vgl. Paulin.
Poet. 1141 V. 4 Moyses in eremo, — prae-
terisse: veranlaßt durch scribuntur.
4,3 orbes vgl. hier die Abwechslung
im Ausdruck: 1,3 evoluta annorum
curricula (Hist. Langob. 1 cap. 4), 5,1
percucurrit annalis ordo sua spatia,
6,3 peracti sunt circuli: ähnlich Hist
Rom. XIU 3 Septem mensibus evolutis,
XV 2 annali emenso spatio, XV 7 annali
circulo evoluto.
10
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
7. Rex aetemus mundum venit restaurare perditum:
quinque milia expletis annis a principio
centum atque nonaginta nove^ <sunt> per calculum.
8. Olorioso ab adventu redemptoris omnium
ad hunc usque prima annum in quo est indictio,
septingenti sexaginta tresque simul anni sunt
9. Alta pace nunc exultat Ausonia regio
Desiderio simulque Adelchis regnantibus
florentissimis et piis, cum haec annotata sunt,
10. Principatum Beneventi ductore fortissimo
Arechis regnante freto supemi auxilio
Adelperga cum tranquilla stirpe nata regia.
11. Iudex veniet supemus velut fulgor caelitus,
dies sed aut hora quando non patet mortalibus,
felix erit, quem paratum invenerit dominus.
»
12. Ante tuum, iuste iudex, dum steterit solium
Arechis benignus ductor cum praeclara coniuge,
dona eis cum electis laetari perenniter.
7,3 sunt fehlt A, hinc Bethmann, novenis Vollmer || 9,1 regio Ausonia
Waitz, haec Ausonia Dahn, Ausoniana Eyssenhardt \\ 10,3 stirpentata regio A ||
11,3 dominus invenerit Bethmann,
7 expletis annis a principio vgl.
Hist. Rom. I 1 expletis a mundi princi-
pio annis quattuor milibus. — sunt per
calculum: .Nach Ablauf der Jahre vom
Anfang an ergibt die Zusammenrechnung
5199' ; zu sunt vgl. 4,3, 6,3, 8,3.
9 Ausonia regio: Der Widerstreit
des Wort- und Versakzentes veranlaßte
mit Unrecht Waitz, Dahn und Eyssen-
hardt zu Textveränderungen; vgl. auch
Hist. Lang. II 24: Italia etiam Ausonia
dicitur . . . Primitus tarnen Bene-
ventana regio hoc nomine appellata est,
postea vero tota sie coepit Italia voci-
tari. — Adelchis, der Sohn des Desi-
derius (757—774), war vom Jahre 759
an Mitregent seines Vaters.
10 Aridiis war Herzog von Bene-
vent 758-787.
11 felix erit, quem paratum in-
venerit dominus, vgl. M. G. Epp. IV
p. 81, 9 Beatus ille, quem, cum venerit
dominus eius, invenerit vigilantem nach
Luc. 12, 37.
III.
Brief an Adelperga.
»Da Du nach dem Vorbild Deines Gatten wissenschaftliche
Studien treibst und Dich auch mit weltlicher Geschichte und der des
Reiches Gottes beschäftigst, so habe ich Dir den Eutrop als Lektüre
überreicht (1 — 10). Das, was Dir beim Durchstudieren mißfiel, habe
ich beseitigt, indem ich die Geschichte erweiterte und Zusätze aus
der heiligen Schrift anfügte (11—21).
Ich begann die geschichtliche Darstellung ein wenig fiüher und
fügte zu der nur bis Valens reichenden Schilderung noch sechs Bücher
bis zur Zeit Justinians. Wenn es Euer Wunsch ist und ich am Leben
bleibe, will ich die Geschichte bis auf unsere Zeit fortsetzen (22 — 28)."
Dieses Widmungsschreiben, das wegen seines für die Lebens-
verhältnisse des Paulus sehr wichtigen Inhalts nach den Ausgaben
Droysens (M. G. Auct. ant. vol. II, Berlin 1895, und Schulausgabe der
M. G., Berlin 1879) hier abgedruckt wird, zeigt uns, wie am lango-
bardischen Hof die Wissenschaften gepflegt wurden, und welche An-
forderungen man damals in hochgebildeten Kreisen an die Geschicht-
schreibung stellte.
Wir entnehmen ihm zugleich, daß Paulus Lehrer der Prinzessin
Adelperga war. Als diese sich mit Arichis, dem Herzog von Bene-
vent, vermählte, wollte sie offenbar in ihren neuen Verhältnissen den
Mann unter ihrem Gefolge nicht missen, der ihr am Hofe ihres
Vaters geistlicher und wissenschaftlicher Berater gewesen war. Sehen
wir ja auch, wie Kleriker die verlobte Tochter Karls, Rothrud, nach
Byzanz begleiten sollten (XII 12). Zudem bestanden zwischen ihrem
Gatten und Paulus insofern Beziehungen, als der Herzog, wie aus
dem Anfang des Briefes hervorgeht, ein großer Freund wissenschaft-
licher Studien war und sein Geschlecht der Heimat des Paulus,
Friaul, entstammte. Endlich scheint mir auch die Art, wie Paulus
12
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
die Bauten des Arichis schildert (vgl. IV' v. 24 — 25), auf einen Auf-
enthalt des Paulus am beneventanischen Hof hinzuweisen. Ohne
Zweifel besteht zwischen dem chronologischen Gedicht (II) und
diesem Brief, der das Vorwort zu dem von Paulus nach den
Wünschen Adelpergas geänderten Eutrop bildet, ein innerer Zu-
sammenhang, der sie auch zeitlich einander naheliegend erscheinen
läßt: Paulus hatte seiner Schülerin den Eutrop in seiner ursprüng-
lichen Gestalt zum Studieren gegeben, sie hatte aber ihre Unzufrieden-
heit mit dieser Art geschichtlicher Darstellung geäußert, die nur
römische Geschichte, nicht aber auch die des Reiches Gottes be-
handle. Daraufhin versprach Paulus ihr beides in enger Verbindung
vorzuführen. Zuvor aber verfaßte er für sie 763 das Gedicht von
den Weltaltem, um damit seiner Schülerin gleichsam eine kompendiöse
chronologische Grundlage zu geben. Dann erst entstand seine
Historia Romana. Droysen (p. VI) verlegt die Entstehung des Briefes
vor das Jahr 764, allein schon die Erwähnung von drei Kindern Adel-
pergas, von denen das älteste 763 geboren wurde, weist auf spätere
Zeit und so nehme ich an, daß er zwischen 766 und 769 entstand
(vgl. auch Dahn S. 15 und Vorbem. zu VI).
DOMNAE ADELPERGAE EXIMIAE
SVMMAEQVE DVCTRICI
PAVLVS EXIGWS ET SVPPLEX.
Cum ad imitationem excellentissimi comparis, qui nostra aetate
solus paene principum sapientiae palmam tenet, ipsa quoque subtili
ingenio et sagacissimo studio prudentium arcana rimeris, ita ut philo-
sophorum aurata eloquia poetarumque gemmea dicta tibi in promptu
sint, historiis etiam seu commentis tarn divinis inhaereas quam mun-
a = Perugia H 75 saec. XIV; b = Wien 104 saec, XIV; c = Florenz Lawr.
89, 41 saec. XIII.
Historie romane a paulo diacone ordinis sancti benedicti monasterii montis
Cassini edite ex historiis eutropii ad adelbergam ducis comparis coniugem prologus
et Über primus incipit b,
1 dominae b c \ adelbergae ^ || 3 et supplex fehlt b \\ 5 paene fehlt b
I principium a \ suctili a || 6 et fehlt b c \ prudentum b \ archana a \\
7 gemea c \ tibi dicta c \\ 8 seu] et a.
1 — 5 exiguus et supplex: an Theu-
demar (XIV) schreibt er pusillus filius
supplex, in XXXII an Karl famulus
supplex, in XXXI an Adalhard bloß
supplex. — nostra aetate solus paene
principum sapientiae palmam tenet:
Paulus preist auch sonst die Weisheit
des Arichis vgl. IVi 15. XXXV 10—12.
Brief an Adelperga.
13
danis, ipse, qui elegantiae tuae studiis semper fautor extiti, legendam
tibi Eutropii historiam tripudians optuli. lo
Quam cum avido, ut tibi moris est, animo perlustrasses, hoc
tibi in eius textu praeter immodicam etiam brevitatem displicuit, quia
utpote vir gentilis in nullo divinae historiae cultusque nostri fecerit
mentionem. Placuit itaque tuae excellentiae, ut eandem historiam
paulo latius congruis in locis extenderem eique aliquid ex sacrae textu 15
scripturae, quo eius narrationis tempora evidentius clarerent, aptarem.
At ego, qui semper tuis venerandis imperiis parere desidero, utinam
tarn efficaciter imperata facturus quam libenter arripui. Ac primo paulo
superius ab eiusdem textu historiae narrationem capiens eamque pro loci
merito extendens quaedam etiam temporibus eius congruentia ex divina 20
lege interserens eandem sacratissimae historiae consonam reddidi.
Et quia Eutropius usque ad Valentis tantummodo Imperium
narrationis suae in ea seriem deduxit, ego deinceps meo ex maiorum
dictis stilo subsecutus sex in libellis superioribus, in quantum potui,
haud dissimilibus usque ad lustiniani Augusti tempora perveni pro- 35
mittens deo praesule, si tamen aut vestrae sederit voluntati aut mihi
vita comite ad huiusmodi laborem maiorum dicta suffragium tulerint,
ad nostram usque aetatem eandem historiam protelare.
Vale divinis domina mater fulta praesidiis celso cum compare
tribusque natis et utere felix. 30
9 qui] quia a \ studiis fehU a \ factor b \\ 10 obtuli 6 II 11 tibi ut c \\
12 15 19 testu a \\ 14 mensionem a \\ 16 scripturae textu b \\ 20 excedens a \
etiam] et a l| 23 in eam b l| 24 subsequutus a || 25 tempora augusti c || 26
praeside a \\ 27 huiuscemodi a \\ 28 uestram c \\ 29 suffulcta b \ celo b \\
30 tribus a \ comparentibusque c.
6 — 10 philosophorum aurata elo-
quia: auch von ihrem Gatten werden die
philosophischen Studien besonders er-
wähnt XXXV V. 11. Diese Stelle gibt
einen Einblick in die Erziehung einer
langobardischen Prinzessin. Adelperga
studierte demnach Philosophie, Literatur
und Geschichte. — qui elegantiae tuae
studiis semper fautor extiti: Paulus war
nicht erst in Benevent nach ihrer Ver-
heiratung ihr Lehrer, sondern schon am
Hofe ihres Vaters, was durch semper
ausgedrückt ist.
16 quo eius narrationis tempora
evidentius clarerent: Paulus beabsich-
tigte also, daß durch seine Ausgabe des
Eutrop Adelperga mehr Klarheit über die
chronologischen Verhältnisse bekomme.
Sie soll bei Erwähnung eines Ereignisses
aus der Weltgeschichte immer zugleich
wissen, in welche Zeiten der Geschichte
des Reiches Gottes dies fällt
25--28 vita comite: eine in den
Briefen des Paulus beliebte Wendung. —
prominens ad nostram aetatem pro-
telare: Paulus konnte infoige der po-
litischen Verhältnisse sein Versprechen
nicht halten.
IV.
Inschriften auf die Bauten des Arichis.
I.
'Die Mauern wetteifern an Höhe mit den Tempeln Roms, ver-
danken aber nicht wie diese Stadt ihre Größe Raubzügen durch die
ganze Welt und eitler Ruhmsucht (1 — 8). Nicht Heiden bauten sie,
sondern der katholische Fürst Arichis, den alle Vorzüge des Körpers
und Geistes zieren (9 — 19).
Eingedenk des jüngsten Tages ließ er einen hohen und präch-
tigen Tempel erstehen. Christus möge die frommen Gebete der Be-
drängten erhören (20—32)/
Arichis, der seit 758 schon unter Desiderius fast unabhängig
über den größten Teil Unteritaliens herrschte (Abel-Simson Jahrb. d.
fränk. R. I 363), ließ nach dem Bericht des im Jahre 978 verfaßten
Chronicon Salemitanum (cap. 17) Salemo befestigen und dort einen
sehr großen und schönen Palast und eine Kirche des Petrus und
Paulus errichten. An einer anderen Stelle (cap. 37) berichtet der
Chronist, Paulus habe für jenen Palast Inschriften in Versen verfaßt:
undique versibus illustravit
Wenn man auch den Angaben des Salernitaners, bei denen
wohl auch der Lokalpatriotismus mitspielt, im allgemeinen keine zu
große Bedeutung beilegen darf, so ist hier an ihrer Richtigkeit nicht
zu zweifeln. Denn was erscheint natüriicher, als daß der Herzog seine
neu geschaffenen Bauten mit Versen seines Freundes geschmückt sehen
wollte. Da aber die Tradition einer berühmten Persönlichkeit, von
der man wußte, daß sie in einer Gegend wirkte, gerne im Laufe der
Zeiten auch Werke zuschreibt, die andere schufen, so darf man auch
hier nicht alle Inschriften für Bauten des Arichis ohne weiteres dem
Paulus zuschreiben.
Inschriften auf die Bauten des Arichis.
15
Eine sichere Entscheidung scheint mir nach den bis jetzt zur
Verfügung stehenden Hilfsmitteln bei Titulus II und III unmöglich;
denn hier weisen weder stilistische Eigentümlichkeiten noch die hand-
schriftliche Überlieferung bestimmt auf Paulus hin. Da aber kein
Grund zu finden ist, der gegen diese Autorschaft spricht, so schien
es ungerechtfertigt diese beiden Gedichte auszuscheiden.
Dagegen ist der Titulus I zweifellos paulinisch. Er zeigt die
klare Anordnung der Gedanken, wie wir sie in den Gedichten des
Paulus finden, und die Schilderung der Persönlichkeit des Arichis ent-
hält inhaltlich und formell mehrfache Anklänge an zweifellos pau-
linische Werke (vgl. III und XXXV). Dann spricht auch die hand-
schriftliche Oberiieferung dafür. Das Gedicht steht im Harieianus
3685, einer Handschrift, die zum Unterschied von den andern für
die Oberiieferung der Gedichte des Paulus wichtigen nur solche von
ihm enthält, die, wie wir sehen werden, alle der Zeit vor seinem
Aufenthalt am Hofe Karts angehören.
Da in diesem Gedicht der größte Teil der Verse dem Arichis
selbst gewidmet ist, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß wir hier
jene von Petrus Diaconus de viris illustribus Casinensib. cap. 8 er-
wähnten versus Pauli ad Arichis vor uns haben.
Aemula Romuleis consurgunt moenia templis
Ampla procul fessis visenda per aequora nautis.
lUa sed externis sumpsere augmenta rapinis
Et toto exuviis miserorum ex orbe petitis.
Dum male perduntur viduatae civibus urbes.
Pro pudor, et fragilis captantur flamina laudis.
Haec vero ex causis capiunt exordia iustis
Inpensisque probis nuUo et cum crimine partis.
Ohne Oberschrift H f.\.
1 menia (und ebenso immer e für ae, außer Aemula 1, Aetemi 10, quaeque
25) H \\ Z sumsere H \ aucmenta H \\ 7 At vero H corr. Dammler.
1 Romuleis templis: eine bei
Paulus beliebte Ausdrucksweise, vgl.
Hist Lang. II 23; Gest. epp. Mett.
SS. II p. 265; XXX; XXVI v. 18; XXXV
v. 36. — moenia sc. Salemitana.
5 — 10 viduatae civibus urbes vgl.
Verg. Aen. VIII 571 viduasset civibus
urbem. Fortunat IV8, 23 viduatam civibus
urbem. — captantur flamina laudis:
flamen = aura der sanfte, uns schmei-
chelnde Hauch des Ruhmes. — extiterant
16
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Adde quod extiterant auctores luminis Ulis
10 Aetemi expertes, Venen Phoeboque lovique
Atque pharetrigerae ponentes tura Dianae,
Quosque referre pudet Horum est nam structor herilis
Catholicus princeps Arichis, tarn corpore pulcher
Pectore quamque magis virtute insignis et armis,
15 Omnia conponens quem sie sapientia compsit,
Redderet ut variis satis artibus esse potentem,
Quo merito Latiae dicatur gloria gentis,
Bardorum et culmen, pietatis cultor et index,
lustitiaeque tenax, summus servator honesti.
20 Iste pater patriae, lux omne <decusque> suonim.
10 phoebque // || 11 pharetrigera // || 12 scnitator H corr. DOmmler \
herilis aus herelis corr, // || 19 lustideque H \ sumus // || 20 decusque von
Dümmler hinzugesetzt.
auctores: Die Gründer Roms waren
Heiden, Salemo aber verdankt seinen
Ausbau einem katholischen Fürsten.
12 quosque referre pudet: et eis
deis tura ponentes, quos referre pudet,
vgl. Sedul. carm. pasch. 1 276 plura referre
pudet. — horum est nam: nam ist hier
adversativ gebraucht, eine Eigentümlich-
keit, die sich bei Fortunat (vgl. IV 26, 30;
VI 10, 28) u. a. häufig, selten aber bei
Paulus findet (vgl. XXXV 39). — struc-
tor herilis vgl. XXXV 34 structorem,
orba, tuum, clara Salerne, gemis; vgl.
ductor herilis Poet. II 650 v. 1 1 ; 651 v. 53.
13 — 15 catholicus princeps Arichis:
Leo von Ostia Chron. mon. Casin. I, 8
(SS. VII 568 N. 47, 48) Hie Aridiis pri-
mus Beneventi princ ip em se appeliari
iussit, cum usque ad istum, qui Bene-
vento praefuerant, duces appellaren-
tur. — tam . . quamque oft bei Paulus,
vgl. Neff De Paulo D. Festi epitomatore
p. 24. — virtute insignis et armis vgl.
Verg. Aen. VI 403. — quem sie sapientia
compsit vgl. Poet. I 60 v. 22 bene quem
patientia compsit,
16 variis satis artibus esse poten-
tem: auch im Brief des Paulus an Adel-
perga rühmt er seine Weisheit (vgl oben
III). — qui nostra aetate soius paene
prindpum sapientiae palmam tenet vgl.
auch das im Gedicht XXXV entwodene
Bild.
17 Latiae dicatur gloria gentis: ein
auch sonst beliebter Versschluß, vgl.
Verg. Aen. VI 767, Ovid. Met XII 530,
Alcvin. I 247 v. 4 u. s. w.
18 Bardorum: Paulus braucht in
seinen prosaischen Schriften nur Lango-
bardi. Daraus ist aber kein Beweis gegen
seine Autorschaft zu entnehmen (vgl.
Dahn S.68); denn die längere Form laßt
sich im Vers schwer verwenden (vgl.
Gedicht des Petrus XXXVIII 10 Mic
domuit Lango 'properans ad proelia
-bardos); Bardi findet sich noch IX 11
und in seiner Grabschrift XXXVI 9. —
pietatis cultor et index vgl. XXXV 13
divini cultor et index,
19 lustitiaeque tenax, summus ser-
vator honesti vgl. Luc. Phars. II 389 iusti-
tiae custos, rigidi servator honesti,
20 iste pater patriae vgl. Fortun.
V 10, 1; VIII 15, 1; IX 10, 1 summe
pater patriae; Alcvin. I 172 v. 118 Factus
amor populi, patriae pater et decus
Inschriften auf die Bauten des Arichis.
17
Mente satis vigili pensans et acumine magno
Tempore supremo Ventura pericula saecio»
Ut nostris cecinit labiis reparator et auctor,
Omne quod hie spatiis effertur in ardua vastis
25 Quaeque stupens lustras diti caperisque decore,
Suscipiens promissa patris, cui fallere non est,
Suppetias dedit esse suis portumque quietis.
Christe potens, via, vita, salus, spes sola tuorum,
Qua quisque innixus numquam est confusus ab aevo,
30 Ne patiare umquam frustrari cordis anheli
21 pensans Wattenbadi, pensaret et H \\ 22 suppremo H
I spaciis H \\ 25 diti Traube, de te //, tadte Wattenbadi \\
30 haneli //.
I 24 his Dümmler
27 supetias H \\
aulae. — lux omne decusque suorum:
das in der Handschrift fehlende decus
einzusetzen veranlassen Ähnliche Ver-
bindungen bei Paulus, vgl. XXXII v. 2
unten luxque decusque: XXXV v. 10
luxque decorque, Epp. IV 514 unten
Vale, Salus patriae, lumenque decusque
tuorum: auch bei gleichzeitigen Dichtem
finden sich ähnliche Ausdrucksformen :
Alcvin. I 226 v. 21 o decus omne tuis
(Verg. Ecl. V 34 tu decus omne tuis), vitae
lux maxima nostrae: Theod. Poet I 522
V. 2 cleri luxque decusque vigens: Poet.
n 661 V. 24 luxque decorque; an Stelle
von lux tritt dann auch laus vgl. Alcvin.
I 254 V. 22 o laus atque decus: Theod. I
534 V. 74 lausque decusque: Alcvin. I
257 V. 26, 258 V. 60 laus honor atque
decus.
22 Ventura pericula saecio, ut ce-
cinit vgl. Ventura saecio praecinens VII
4. — ut nostris cecinit labiis beweist,
daß Paulus am Hofe des Arichis als
Geistlicher tätig war.
23 reparator et auctor vgl. Alcvin.
I 285 V. 20 redemptor et auctor,
24 — 27 omne quod: auch sonst, vgl.
Theod I 507 v.530. — hie spatiis effer-
tur in ardua vastis: Arichis dachte an
die am jüngsten Tag der Weh bevor-
stehenden Gefahren und schuf alles,
was in diesen gewaltigen Räumen hoch
emporragt und was du staunend be-
trachtest, als Hort und Hafen der Ruhe
für die Seinen, nämlich eine Kirche in
Salemo. Aus v. 24 und 25 kann man
entnehmen, daß der Dichter selbst sie
geschaut hat. — suscipiens promissa
patris: Arichis erfüllte damit ein Gelübde
seines Vaters. — cui fallere non est:
bezieht sich auf Arichis. — portumque
quietis vgl. XXXV v. 27 tu requiesque
tuis portusque salusque fuisti.
28 via, vita, salus, spes sola tuo-
rum: eine auch sonst in der karolingi-
schen Dichtung beliebte Zusammenstel-
lung alliterierender Wörter, vgl. Alcvin. I
241 V. 37 Sit via, vita, salus, spes: 259
V. 85 spes alma tuorum, Sit tibi vita,
Salus Sit sine fine: 261 v.44; 321 v.22
lux, via, vita, salus: Theod. I 530 v.3;
554 V. 15 via, vita, salus; vgl. Joh. XIV 6.
29 numquam est confusus ab aevo:
Psalm. XXX 2; LXX 1 in te. Domine,
speravi, non confundar in aetemum:
Rom. IX 33 et omnis, qui credit in eum,
non confundetur: Alcvin. I 279 v. 116
in domino sperans nuUus confunditur
umquam; vgl. Petr. 1 2, 6 und Jes.28, 16.
QueUen u. Untersuch, z. lat. PhUologie des MA. m, 4.
18 Karl Ncff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Vota precesque pias, mage sed sustolle iacentem,
Corde tibi ut relevato omni spes fida redundet
31 mage Dammler, magne H \\ 32 Sic scripsi, corde tibi utre leuata bonis
spes fidet redatet H, corda tibi ut relevata bonisque fideque redundent conL
Dammler, corde tibi ut relevata boni spes rite redundet Traube.
U.
Diese nur lückenhaft erhaltene Inschrift wurde für die Kirche
des Petrus und Paulus in Salemo verfaßt und ist uns nur von
Ughelli (Italia sacra VII 358) überliefert, der sagt: Ecclesiam (S.Petri
et Pauli Salemitanam) luculentissimis versibus exomavU Paulus
Diaconus, quonim aliquos vetusta consumpsU antiquitas: qui super-
fuerunt, hl sequuntur:
Christe Salus, utriusque decus, spes unica mundi,
Duc et educ Clemens, Arichis pia suscipe vota
Perpetuumque tibi haec condas habitacula templi.
Regnator tibi, summe decus, trinominis ille
Hebreae gentis Solymis construxit asylum,
Pondere quod factum sie circumsepsit obrizo;
Duxit opus nimium variis sculptumque figuris
Brac
8 Brac<teolis> Traube.
1 — 4 utriusque: Petrus und Paulus
— spes unica mundi: Der gleiche Vers-
schluß findet sich bei Paulin. Poet. 1 130 , gentis = Israelitae, Judaei, Hebraei.
V. 142 und Sedul. carm. pasch. I 60 —
educ (ö); vgl. Joh. 10, 3 (Gleichnis vom
guten Hirten). — trinominis (i) Hebreae
III.
Wie beim vorausgehenden Titulus, so weist auch bei diesem
nur die Erwähnung des Arichis auf Paulus hin und läßt es als mög-
lich erscheinen, daß er der Verfasser ist. Gewichtige Beweispunkte
dafür sind aber außerdem ebensowenig zu finden wie dagegen. Die
Verse sind der St. Galler Handschrift 573 saec. IX — X entnommen (/)
und stehen dort inmitten einer kleinen Sammlung von Inschriften,
Inschriften auf die Bauten des Arichis.
19
von denen nur die zwei ersten (V, u und lll) wahrscheinlich paulinisch
sind (vgl. Vorbem. zu V).
10
Haec domus est domini et sacri ianua regni,
Huic properate viri: haec domus est domini.
Hie deus ipse manet proprie, qui semper ubique est,
Currite huic populi: hie deus ipse manet.
Si qua piacla nocent, olim quae forte patrastis,
En qui pellat adest, si qua piacla nocent.
Amne rigate genas, sanentur ut ulcera cordis,
Ut Salus adveniat, amne rigate genas.
De bonitate dei cuncti confidite semper,
Diffidat nullus de bonitate dei.
Mitis enim pater est, se numquam spemit amantes,
Qui bona dat gratis, mitis enim pater est.
Pectora vestra sonent: »parce et miserere, precamur;"
»Parce Arichis, Christe," pectora vestra sonent.
ANTE FORES BASILICAE J p, 476.
1 SACRA IANUA (der ganze Vers ist in Capitalis geschrieben) J \\ 2 und
4 huc Traube || 5 parastis in patrastis com J, \\ 13 und 14 sonet 7 || 14 parce
Arichis, Christe DOmmler, parce Ipe arichis J, parce, <o> Christe, Arichis Traube.
2 huic properate: vgl. Eug. Toi. carm.
XII 2; huc properate viri und Hildr.
Grabschrift des P. D. XXXVI 28 huc pro-
oerasti.
3 proprie wird wohl besser zu manet
gezogen: Gott, der Allgegenwärtige, weilt
besonders gerne in der Kirche.
7 amne rigate genas vgl. Ovid. ars
am. 532 imbre rigante genas.
Andere Inschriften.
Wahrend die vorausgehenden Inschriften durch ihren Inhalt
zweifellos auf den beneventanischen Hof hinweisen» so veranlafit
mich die handschriftliche Oberlieferung zu der Annahme, dafi die
folgenden drei den langobardischen betreffen.
Sie sind nämlich in der oben erwähnten Leipziger Handschrift
(vgl. Vorbem. zu I) überliefert und schließen die mit dem Loblied auf
den Comersee beginnende Sammlung vorkarolingischer Gedichte des
Paulus ab. Dieser Abschluß ist durch das am Ende der Kreuzes-
inschrift stehende E^licU auch äußerlich angedeutet und ich schied
deshalb und mit Rücksicht auf Form und Inhalt das sich anschließende
Gebet: Christe, deus mundi (Dümmler Poet. aev. Carol. I 78) als nicht
paulinisch aus.
Da die I. Inschrift, die auch in der St. Galler Handschrift 899
inmitten paulinischer Gedichte steht, sich unmittelbar an das Epitaph
der Königin Ansa anschheßt, so liegt es nahe sie für einen Titulus der
betreffenden Grabkirche zu halten. Die Inschriften II und III stehen
ebenso vereint in der anderen St. Galler Handschrift 573.
Multicolor quali specie per nubila fulget
Iris, caerulei cum cingunt aethera nimbi.
ITEM UERSUS IN TRIBUNALI (diese Worte in L am Rand, teilweise in
tironisdien Noten, wiederholt) L /. 37, G p, 12.
1 fulgit L G \\ 2 cerulei L
1 fulgit, V.4 nitit: da sich bei Pau-
lus selten die Vertauschung der Konjuga-
tionen findet (vgl. XIII 3 und 11; XXII
22), so wurde hier, ebenso wie IX 1, trotz
der handschriftlichen Überlieferung die
regelmäßige Form eingesetzt
2—3 Iris multicolor vgl. SeduLPoet
III 198 V. 6 Multicolor varians Iris
Andere Inschriften.
21
Vel primum radios cum Titan spargit in orbem,
Haud alio mirum nitet hoc fulgore tribunal,
In quo terribilis vultus dominantis et una
Sanctorum effigies pulchre sub enigmate vernant.
4 haud] a mit darüber geschriebenem e G \ aiio fehlt in G \ nitit L G
6 pulchre LG, pulchro DOmmler.
honore micat. — caerulei cum cingunt
aethera nimbi: von den dunklen Regen-
wolken hebt sich um so strahlender der
R^enbogen ab, vgl. zum Gedanken
Verg. Aen. Vni 622: qualis cum caerula
nubes Solis inardescit radiis longeque
refulget
4 — 5 tribunal: Es ist hier an ein
Mosaikgemaide in der Apsis der Kirche
zu denken, auf Goldgrund Christus in-
mitten von Heiligen. Nach den Worten
terribilis vultus dominantis ist anzu-
nehmen, daß hier Christus als Richter
beim Weltgericht abgebildet war. Chri-
stus wurde im neunten Jahrhundert mit
flammenden Augen dargestellt, vgl. J.
V. Schlosser (Beiträge zur Kunstgeschichte
aus den Schriftquellen des frühen Mittel-
alters, Sitzungsberichte der Wiener Akad.
philol. bist Kl. CXXm, 1890. S. 11 ff.). —
pulchre sub enigmate vernant = in
schöner Darstellung erglänzen die Bilder,
vgl. Thes, ling. Lat p. 987, 3. sub v.
aenigma.
II.
O una ante omnes felix pulcherrima virgo,
Quae lapsum casto reparasti viscere mundum,
Posce deum natumque, piis quem contines ulnis,
Salvet ut hanc proprio quaesitam sanguine plebem.
ITEM IN BASILICA SCAE MARIAE L f. 37v, J p, 466.
2 reparasti] das erste r auf Rasur L 1| 3 contenis J
salueat corr. L \ sanguine J,
4 saluet ut aus
1 vgl. Verg. Aen. UI 321 O felix
una ante alias Priameia virgo.
3 quem contines ulnis: In der Apsis
der Marienkirche befand sich demnach
eine Darstellung der Maria mit dem Jesus-
kind auf dem Arm und darunter standen
diese Verse (vgl. J. v. Schlosser a. a. O.).
4 vgl. Act. Apost. 20, 28.
22
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
m.
Adam per lignum mortem deduxit in orbem,
Per lignum pepulit Christus ab orbe necem.
2.
Crux tua, Christe potens, bis sit protectio saeptis,
Ne lupus insidians possit adire gregem.
3.
Crux tua, rex regum Christe, hoc tueatur ovile,
Ne leo crudelis carpere possit oves.
Crux tua, lux lucis, has vallet fulgida caulas,
Fundere ne serpens dira venena queat
ITEM UERSUS SUPER CRUCEM L f. 37v, J p. 466.
2 lignum aus dignum corr. J || Obersduift von 3, 4 (redtts nd^en 2) ITEM
ALITER (ALIA L) JL \\ 3 septis J || Obersduift von 5, 6 (redUs neben 4) ITEM
ALITER (At L)JL || 5 vor ouile ein Wort (etwa obile; radiert L \\ Obersduift
von 7, 8 (redits neben 6; ITEM ALITER J L \\ nadi 8 EXPt L
1 Adam per lignum mortem de-
duxit: vgl. zum Gedanken Theod. I 451
V. 295 Ligno mors subiit, redit et vita
inclyta ligno und besonders Alcvin. I 337
V. 5 — 8 : Mors mala per hominem para-
disi ex arbore fluxit. Per tactum ligni
paradisum clauserat Adam» Perquecru-
eis lignum Christus reseravit Olimptwi.
VI.
Loblied auf den heiligen Benedikt.
In diesem und dem folgenden Gedicht schildert Paulus das
Leben und die Wunder des heiligen Benedikt, wobei er sich an das
zweite Buch der 593 verfaßten Dialoge Gregors eng anschließt. Die
Kenntnis dieses zweiten Buches (zuletzt herausgegeben von J. Cozza-
Luzi, Historia S. Benedicti, Grottaferrata 1880, und Mittermüller,
Gregorii dialogorum lib. II, Regensburg; Auszüge in SS. Langob.)
ist zum Verständnis beider Gedichte notwendig. Einigermaßen
brauchbar sind die Glossen von Händen des XI. und XII. Jahr-
hunderts am Rand der vatikanischen Handschrift Reg. lat. 801 saec. X,
in denen eine Vergleichung mit Gregor schon durchgeführt ist. Sie
werden über dem kritischen Apparat nach den Angaben Dümmlers
abgedruckt werden.
Beide Gedichte führen uns in das Kloster Montecassino, das
nach der Zerstörung durch die Langobarden im Jahre 581 und nach
der 717 erfolgten Neubesiedlung in den Jahren 720 — 883 zu hoher
Blüte gelangte und sich zu einem bedeutenden Kulturzentrum erhob
(vgl. Traube, Textgesch. der Regula S.B. S. 29 und 97).
Die Frage, wie und wann Paulus nach Montecassino kam, fand
bis jetzt, wie man aus Abel (I 413 Anm. 5) ersehen kann, eine ver-
schiedenartige Beantwortung. Gewöhnlich wird die Meinung vertreten,
Paulus habe durch die traurigen politischen Verhältnisse veranlaßt die
Stille des Klosters aufgesucht. Faßt man aber seine Beziehungen
zum langobardischen Hof näher ins Auge, so wird es klar, daß er
nicht dem Drange seines Herzens, sondern dem Zwange der Not-
wendigkeit folgend, nach Montecassino ging, daß dieses Kloster also
der Ort seiner Verbannung war.
24 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Die Berufung des Paulus zum Lehrer der Prinzessin Adelpeiga
beweist, wie hoch ihn Desiderius schätzte. Ohne auf das Zeugnis des
Salemitaners (praeclams atque caras ab ipso rege et ab omnibas
erat, in tantum ut ipse rex in omnia archana verba consiliarium
eum haberet) Wert zu legen kann man annehmen, daß Paulus auch
in politischen Dingen zu den einflußreichsten Ratgebern des lango-
bardischen Königs gehörte.
Als im Jahre 763 in Italien tiefer Friede herrschte (vgl. 11 9
alta pace nunc exultat Ausonia regio), da bedurfte der König seiner
nicht und Paulus konnte dem Herzogspaar in Benevent seine Dienste
widmen. Mit dem Jahre 769 aber beschäftigten hochpolitische Fragen
den langobardischen Hof; galt es doch zwischen dem Papst und den
Franken eine solche Stellung einzunehmen, daß unter Vermeidung
ernstlicher Verwicklungen Desiderius sein Ziel, die Erweiterung der
langobardischen Macht in Italien, stets im Auge behalten konnte (vgl.
Abel I 65 ff.). Das Jahr 770 brachte die Vermählung Karls mit einer
Tochter des Desiderius, die aber im nächsten Jahr aus politischen
Gründen wieder gelöst wurde. In jenen für sein Land und seine
Familie so schweren Zeiten hatte der König ohne Zweifel den
Paulus unter seinen Räten, ihn, den Geburt, Bildung, SteUung
und besonders freundschaftliche Beziehungen zur königlichen Familie
mehr als andere dazu geeignet erscheinen ließen die Verhand-
lungen zu leiten, die hauptsächlich mit dem heiligen Stuhl geführt
werden mußten.
Demnach ist es wahrscheinlich, daß Paulus im Jahre 769 Bene-
vent wieder veriieß und sich in Pavia befand. Sicherlich gehörte er
damals, als die Feindseligkeiten zwischen Karl und Desiderius schließ-
lich zum Kampf führten, zu den rührigsten Gegnern des Franken-
königs und stritt für seinen König und die langobardische Sache,
wenn auch nicht mit dem Schwerte, so doch mit Waffen, mit denen
der gebildete, von Patriotismus erfüllte und einflußreiche Mann dem
Gegner ebenso empfindlichen Schaden zufügen konnte.
So ist es erkläriich, daß nach dem Fall Pavias im Juli 774, der
dem Herrn die, Verbannung brachte, auch den Berater und Mitstreiter
das gleiche Los traf. Er mußte als Verbannter in Montecassino leben
und wählte sich nicht, wie einige behaupten, aus Schmerz über den
Fall seines Volkes oder aus Überdruß am weltlichen Leben dieses
Kloster zum Aufenthaltsort. Sowohl das voriiegende Gedicht als
auch VIII enthalten Andeutungen, die unsere Behauptung noch weiter
stützen werden.
Loblied au! den heiligen Benedikt 25
Die Entstehung beider Loblieder auf den heiligen Benediktus
(VI und VII) fällt wohl in die erste Zeit seines Aufenthaltes in Monte-
cassino, also kurz nach 774. Noch hat er sich mit dem Wechsel
seiner Lebensverhältnisse nicht befreundet, noch fühlt er sich als
hilfloser Verbannter, noch hängt er mit ganzer Seele an seiner
schönen Vergangenheit Weit ist er noch entfernt von besonderen
Studien über die Geschichte des Klosters, wie er sie später anstellte.
Außer Gregor kennt er nur das Gedicht des Marcus (vgl. Traube,
Textgeschichte S. 100). Auch metrische Verstöße verraten deutlich
den Anfänger.
In der Historia Langobardorum schickt Paulus dem ersten Lob-
lied folgende Einleitung voraus:
Diebas lustiniani orthodoxi Imperatoris beatas Benedictus pater^
gut monadionim regulam instituit et prius in loco^ qui Sublacus
dicUur, qui ab urbe Roma quadraginta milibüs abest, et postea in
Castro Casino, quod Arx appellatur, et magnis vitae meritis et
apostolicis virtutibus fulsit. Cuius vitam, sicut notum est, beatus
papa Gregoriüs in suis dialogis suavi sermone composuit Ego
quoque pro parvitate ingenii mei ad honorem tanti patris singula
eius miracula per singula distica elegiaco metro contexui.
Von dem Schluß des Gedichtes (von v. 127 an) liegt uns eine
dreifache Fassung vor. Die ursprüngliche, d. h. diejenige, in welcher
Paulus am Beginn seines ersten Aufenthahes in Montecassino das
Loblied abfaßte, haben wir in P vor uns und in der Leidener Hand-
schrift Voss. lat. Q. 15 saec. X (a). Dafür spricht nicht nur die große
Bedeutung, die P für die Überiieferung der paulinischen Gedichte
hat, von denen eine große Anzahl in fast fehlerfreiem Texte erhalten
ist, sondern auch der Inhalt. Die Verse 127 — 130 gehören an die
Stelle, wo sie in P stehen, was ein Vergleich des Gedichtes VII mit
dem unsrigen, seiner Vortage, deutlich beweist, und die Verse 131
bis 138 bilden einen zum Ganzen passenden Abschluß (vgl. Anm.).
Die zweite Fassung, bei welcher die Verse 127—130 und 135
bis 138 weggelassen sind, stammt auch von Paulus. Als er das
Loblied in die Hist. Lang, aufnahm, ließ er das Gebet für die
Klosterbrüder und für seine Persönlichkeit aus leicht erklärtichen
Gründen weg.
Weniger leicht läßt sich die Entstehung der dritten Fassung er-
klären. Man möchte zuerst daran denken, daß Paulus, der jedenfalls
alle seine Gedichte an den Hof Karts mitnahm, diese Zusätze und
26 ^rl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Änderungen vornahm, bevor er sie vorlegte. Dagegen sprechen
stilistische Erwägungen. Auch kann man schwerlich annehmen, dafi
er den gleichen Schluß, den er bei einem andern vorgelegten Gedicht
(auf den Comersee I) verwendet und durch Hinzusetzung von zwei
neuen Versen erweitert hatte, nun bei diesem wiederholte.
Wahrscheinlicher ist, daß ein Mönch in Montecassino zur Ab-
fassung eines größeren Gebetes an den heiligen Benedikt aus der
ursprünglichen Fassung die Verse 127—130 und 135 — 138 heraus-
nahm, die Verse 139 — 152 hinzudichtete und zum Abschluß des
Ganzen die Schlußverse des Lobliedes auf den Comersee (vgl. Anm.
zu I V. 27 — 30) verwendete, veranlaßt durch den gleichlautenden An-
fang. Möglicherweise wollte er auch dadurch den Glauben hervor-
rufen, als sei es ein selbständiges Gedicht des Paulus. Würden die
Handschriften, in denen diese dritte Fassung überliefert ist, nicht dem
IX. und XI. Jahrhundert angehören, so hätte man an Petrus diaconus
Casinensis als Verfasser denken können. Allein auch sonst hat man
in Montecassino an dem vorhandenen literarischen Besitzstande in
ähnlicher Weise herumgearbeitet. Vgl. Traube Poet. III 393 über die
Gedichte des Bertharius.
Im Apparat wird die erste Fassung (P a) als I zusammen-
gefaßt. Wenn oben vorausgesetzt wurde, daß P eine besonders
gute und alte paulinische Tradition darstellt, so gilt dies vom Wort-
laut im einzelnen doch gerade in diesem Gedicht nicht in gleichem
Maße. Es fehlt nicht an Interpolationen. Manche Fehler erweisen,
daß die Vorlage in nicht allgemein geläufigen Zügen geschrieben war,
etwa spanisch oder insular.
Die Überiieferung der Historia Langobardorum, für die ich
mich auf Bethmann-Waitz (M. G. SS. Langob. et It. saec. VI — IX) und
Dümmler (Poet. I 36) stütze, wird als II aufgeführt. Sind einzelne
Handschriften oder Handschriftengruppen zu erwähnen, so geschieht
es, ohne daß damit immer die gleichen bezeichnet werden, durch IIa,
IIb u. s. w.
Mit III ist die Übereinstimmung der Handschriften bezeichnet,
aus denen die dritte Fassung sich zusammensetzt: Montecassino 453
saec. XI (= n), Montecassino 55 saec. XI (= r), Casanat. B IV. 18
saec. IX (= t). Es versteht sich, daß für II und III nur eine Aus-
wahl der Lesarten zu geben war.
Loblied auf den heiligen Benedikt
27
10
Ordiar unde tuos, sacer o Benedicte, triumphos?
Virtutum cumulos ordiar unde tuos?
Euge beate pater, meritum qui nomine prodis!
Fulgida lux saecli, euge beate pater!
Nursia, plaude satis tanto sublimis alumno;
Astra ferens mundo, Nursia, plaude satis.
O puerile decus, transcendens moribus aevum,
Exsuperansque senes, o puerile decus.
FIos, paradise, tuus despexit florida mundi;
Sprevit opes Romae flos, paradise, tuus.
Vas pedagoga tulit diremptum pectore tristi;
Laeta reformatum vas pedagoga tulit.
Gregor. DiaL
LIL
c. 1
Glossen in Reg.iat.SOl — 11 vas] capisterium — pedagoga] nutrix —tulit]
attulit — diremptum] sdssum.
UERSUS IN LAUDE SCI BENEDICTI P f. 130.
2 cumulos // ///Ptitulos A || 5 6 gaude P || 7 aeuum I III, annos II (+ r).
In der Einleitung (oben S. 25) wurde
magnis vitae meritis eingesetzt mit Rück-
sicht auf Gesta episcoporum Mettensium
(SS. II 262) magnis in vita meritis (vgl.
Ausg. der Hist Lang, von Waitz).
1 Paulus beginnt das Loblied auf
den Comersee mit den gleichen Worten
wie das auf den heiligen Benedikt. Dahn
geht zu weit, wenn er sagt (S. 66): 'Es
wäre dem frommen Sinn unseres Paulus
wie Blasphemie erschienen seinen heili-
gen Vater und einen profanen See mit den
nämlichen Worten anzusingen*. Unmöglich
kann man diesen Punkt als entscheidenden
Beweis anführen, daß Paulus nicht der
Verfasser des Lobliedes auf den Comer-
see ist. Der gleiche Anfang mag seine
Begründung darin finden, daß es sich in
beiden Gedichten um ein Loblied handelt
und daß er dort die Wunder der Schöpfung
(vgl. I 28 quae tarn mira facis), hier die
des heiligen Benedikt zu preisen vorhat
(vg. auch Bem. zu Gedicht I).
3 — 10 meritum qui nomine prodis:
Dein Name Benedictus sagt schon, daß
Du große Verdienste hast, vgl. Sedul. carm.
pasch. I 185 merito qui et nomine ful-
gens; Anhang IV v. 3 nomine, non meritis
Fiducia, — plaude satis vgl. Ven. Fort
C. m, 7, 17 GalUa, plaude libens (dar-
nach Ermold. Nig. Poet II 26 v.79 Francia
plaude libens). — puerile decus Theod. I
558 V.2, Stat. Silv. 3, 4, 31 ed. VoUmer. —
transcendens moribus aevum: vgl. Greg.
Dial. II Einl. aetatem moribus transiens.
Der in v. 7 und 8 ausgesprochene Gedanke
findet sich auch bei Paulus X v. 5 — 6 und
Poet. II 659 V. 15—16 Canitie cordis iuve-
niles vicerat annos, Transcendens sensu
plurima iura senum ; vgl. auch Stat silv. 2, 1,
40. — flos despexit florida mundi: solche
Wortspiele liebt Paulus vgl. XXXV v. 16
Anm., vgl. Greg. Dial. II Einl. despexit
iam quasi aridum mundum cum flore.
11 Mit diesem Vers beginnt die Auf-
zählung der Wunder des heiligen Benedikt;
die Hinweise auf die einzelnen Kapitel
der Dialogi des Gregorius, denen sie
entsprechen, habe ich wie Dümmler auf
dem Rand gegeben.
28
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Urbe vocamen habens tironem cautibus abdit;
Fert pietatis opem urbe vocamen habens.
15 Laudibus antra sonant mortalibus abdita cuncds;
Cognita, Christe, tibi laudibus antra sonant
Frigora, flabra, nives perfers tribus alacer annis;
Temnis amore dei frigora, flabra, nives.
Fraus veneranda placet, pietatis furta probantur;
20 Qua sacer altus erat, fraus veneranda placeL
Signat adesse dapes agapes, sed lividus obstat;
Nil minus alma fides signat adesse dapes.
Orgia rite colit, Christo qui accommodat aurem;
Abstemium pascens orgia rite colit
25 Pabula grata ferunt avidi ad spelea subulci;
Pectoribus laetis pabula grata ferunt
Ignis ab igne perit, lacerant dum viscera sentes;
Cameus aethereo ignis ab igne perit.
Pestis iniqua latens procul est deprensa sagaci;
30 Non tulit arma crucis pestis iniqua latens.
Lenia flagra vagam sistunt moderamine mentem;
Excludunt pestem lenia flagra vagam.
Unda perennis aquae nativo e marmore manat;
Arida corda rigat unda perennis aquae.
35 Gurgitis ima, calibs capulo divulse, petisti;
Deseris alta petens gurgitis ima, calibs.
lussa patema gerens dilapsus vivit in aequor;
Currit vectus aquis iussa paterna gerens.
c2
t3
c4
c5
c6
C.7
13 Urbe v. h.] Romanus quasi nomen habens a Roma — cautibus] rupibus
— 17 flabra] ventos — 19 probantur] Romani monachi — 20 altus] nutritus —
23 orgia] festa pro pasca posuit — accomodat] sc. presbiter — 24 abstemium] absti-
nentem — 25 subulci] pastores — 26 pabula] spiritalia — ferunt pro referunt —
27 ignis] libidinis — igne] urticarum — sentes] Spinae — 31 flagra] flagella —
mentem] monachi vagae mentis — 32 pestem] demonis — 33 marmore] petra —
35 calibs] ferrum — capulo] manubrio — divulse] excusse — 37 gerens] Pladdus
— dilapsus] tractus ab unda — 38 currit] Placidus.
13 tyronem P \\ 17 alacer I (+ n D impiger II (-f t) II 18 tempnis II
m (4- A) II 21 Signa in signat corr, P \ libidus II | opstat P \\ 22 nihU P \\
35 36 calips P \ diuulpse P \\ 37 currit in aequor r.
14 fert pietatis opem vgl. Eug. Tolet.
hex. 311 p. 47, Ven. Fort. VI, 3, 16.
29 sagaci ist Dativ, vgl. v. 56 nee
tibi cernitur.
34 unda perennis aquae vgl. Sedul.
carm. pasch. IV 224.
Loblied auf den heiligen Benedikt
29
Praebuit unda viam prompte ad praecepta magistri;
40 Cursori ignaro praebuit unda viam.
Tu quoque, parve puer, raperis nee occidis undis;
Testis ades verax, tu qüoque, parve puer.
Perfida corda gemunt stimulis agitata malignis;
Tartareis flammis perfida corda gemunt.
45 Fert alimenta corax digitis oblata benignis;
Dira procul iussus fert alimenta corax.
Pectora sacra dolent inimicum labe peremptum;
Discipuli excessum pectora sacra dolent.
Lyris amoena petens ducibus comitaris opimis;
50 Caelitus adtraheris Lyris amoena petens.
Anguis inique, furis, luco spoliatus et aris;
Amissis populis, anguis inique, furis.
Improbe sessor, abi, sine dentur marmora muris;
Cogeris imperio; improbe sessor, abi!
55 Cemitur ignis edax falsis insurgere flammis;
Nee tibi, gemma micans, cemitur ignis edax.
Dum struitur paries, lacerantur viscera fratris;
Sospes adest frater, dum struitur paries.
Abdita facta patent, patulo produntur edaces;
60 Muneris accepti abdita facta patent.
Saeve tyranne, tuae frustrantur retia fraudis;
Frena capis vitae, saeve tyranne, tuae.
C.8
c. 10
c. 11
c. 12. 13
c. 14
Glossen in Reg. lat. 801 — 39 prompto] oboedienti — 40 cursori] Maure
— 43 corda] Florentii presbiteri — 45 corax] corvus — 46 fert] proicit — 47 ini-
micum] Florentium — labe] casu solarii — 48 excessum] sc. sui Mauri, cum de
inimici morte exultavit — 49 Lyris] nomen fluminis Cassiniensis — opimis] duobus
angelis — 51 aris] altaribus — 52 populis] paganis — 53 marmora] saxa — muris]
officinarum — 54 imperio] Benedicti — 56 tibi] a te — micans] pater Benedicte
— 59 facta] eorum, qui cibum contra regulam sumpserunt — patulo] aperte —
60 accepti] epularum et potuum — 61 tyranne] Totila — 62 frena] terminos, quia
novem annis regnas, decimo morieris.
39 40 prebuit (nidit selten e für at) P \ promto P || 43 corda fehlt
P II 48 excessum // ///, excessu / || 51 luco I (+ n th lucos 11«, loco II (+
r) li 53 Inprobe P || 53 54 sersor P || 58 Sospis P \\ 62 seue aus seuae P.
45 — 46 dira alimenta: heiligen
Schauer erregend, vgl. Verg. Aen.VIIl 350
dira religio loci.
50 Lyris amoena petens: die Ver-
wendung des Neutr. plur. an Stelle eines
Substantivs ist in diesem Gedicht be-
sonders häufig.
55 ignis edax Verg. Aen. II 758. —
gemma micans Paul. X v. 2.
30 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Moenia celsa Numae nullo subruentur ab hoste; eis
Turbo, ait, evertet moenia celsa Nrnnae.
65 Plecteris hoste gravi, ne lites munus ad aram; cie
Munera fers aris; plecteris hoste gravi.
Omnia saepta gregis praescitiim est tradita genti; ci?
Gens eadem reparat omnia saepta gregis.
Fraudis amice puer, suado captaris ab ydro; eis
70 Ydro non caperis, fraudis amice puer.
Mens tumefacta, sile tacita et ne carpe videntem; c2o
Cuncta patent vati; mens tumefacta, sile.
Pellitur atra fames delatis caelitus escis; c.21
Nilominus mentis pellitur atra fames.
75 Pectora cuncta stupent, quod eras sine corpore praesens; c22
Quod per visa monens, pectora cuncta stupent
Vocis ad Imperium tempnunt dare frena loquelis; c.23
E bustis fugiunt vocis ad imperium.
Vocis ad imperium sacris non adesse sinuntur;
80 Intersunt sacris vocis ad imperium.
Tellus hiulca sinu corpus propellit humatum; c24
lussa tenet corpus tellus hiulca sinu.
Glossen in Reg, lat 801—63 Numae] Romae, Roma a gentibus non cxtcr-
minabitur — 64 turbo] tempestates — ait] sc. Benedictus — 65 aram] clerice, a
demonio libera te — 66 gravi] postponens imperium viri dei — 67 genti] sc Lango-
bardorum — 68 gens] sc. Langobardorum, ut in sequentibus invenitur per Petronacem
civem Brexianum monachum apud Cassinum effectum — 69 puer] qui flascones a
domino suo attulerat — suado] suadenti — ydro] serpente — 71 tumefacta] superbi
pueri — ne carpe] pro 'ne carpas* — videntem] sc. abscondita tua — 73 escis] in-
certum quibus deferentibus ducentos farinae modios — 74 mentis] fratrum, qui
dubitaverant — 75 praesens] quando fabricam monasterii in visu fratribus apparens
disposuit — 76 visa] i. e. per visum — 77 loquelis] sanctimoniales — 78 imperium]
diaconi — 79 sacris] missarum sollempniis — 80 imperium] patris Benedicti —
81 hiulca] patefacta — sinu] sc. suo.
63 subruentur P II (+ r) euertentur A H ^ II 64 allidet // ///, euertet /
(+ uertet IIa und auertet IIb) _ 67 68 septa P \\ 71 carpe /////, caspe / | silet
acita in sile tacita corr. P \\ 73 delatis aus delatus corr, P \ aescis P |!
75 praeses P \\ 77 loquiiis aus loquiilis corr, P \\ 79 80 gleidizeitig am Rand
nachgetragen P \\ 79 non adesse P, non esse // ///, nee adesse A ; vgl. 87.
63 Paulus sprach vielleicht ue in
subruentur einsilbig.
65 ne lites: i hier lang.
74 nilominus: ist hier kurz gebraucht.
79 Es sieht fast so aus, als habe
hier und v. 87 Paulus ursprünglich /zd/i
gemessen, vgl. handschriftl. Überl.
Loblied auf den heiligen Benedikt
31
Perfidus ille draco mulcet properare fugacem;
Sistit iter vetitum perfidus ille draco.
85 Exitiale malum capitis decussit honorem;
It procul imperiis exitiale malum.
Fulva metalla pius, non habens promittit egenti;
Caelitus excepit fulva metalla pius.
Tu miserande, cutem variant cui fella colubrae,
90 Incolumem recipis, tu miserande, cutem.
Aspera saxa vitrum rapiunt nee frangere possunt;
Inlaesum servant aspera saxa vitrum.
Cur, promoconde, times stiUam praebere leciti?
Dolia, ceme, fluunt; cur, promoconde, times?
95 Unde medela tibi, spes est cui nulla salutis?
Qui semper perimis, unde medela tibi?
A lacrimande senex, hostili concidis ictu,
Ictu sed resipis, a lacrimande senex.
Barbara lora manus ignaras criminis arcent;
100 Sponte sua fugiunt barbara lora manus.
Ille superbus equo reboans clamore minaci,
Stratus humi recubat ille superbus equo.
CoUa paterna ferunt extincti viscera nati;
Viventem natum coUa paterna ferunt.
105 Omnia vincit amor: vicit soror imbre beatum;
Somnus abest oculis: omnia vincit amor.
C.25
C.26
C.27
C.28
C.29
C.30
C.31
c32
Glossen in Reg, lat 801 — 83 mulcet] suadet — fugacem] fratrem — 84 sistit]
pro 'iubet* — 85 malum] leprosi — 86 imperiis] sc. patris — 87 fulva] duodecim
solidos — 88 excepit] super arcam monasterii — 89 cui] ei, qui venenum accepisti
— 91 vitrum] ampullae — 93 promoconde] cellarari — stillam] olei — lechiti] i. e.
ex lechito — 95 In modum medici pergebat ad fratres potionem eis dare — 97 hostili]
demonico — ictu] dum hauris aquam — 98 ictu] alapa — 99 barbara] Zallae —
lora] ligamina — manus] rustici innocentis — 100 sponte sua] nemine solvente —
manus] nomts (7) — 101 ille] Zalla — 103 paterna] rustici — ferunt] apportant —
104 ferunt] reportant — 105 vinxit] retinendo — beatum] fratrem.
84 Sistud P II 86 Id P II 87 non habens /, nee habet // ///; vgl, 79 ||
89 fella // ///, feile / (+ IIa) \ colobre / || 90 Incolomem P || 93 leciti /,
lechiti // /// II 95 96 medella / || 96 perimis // ///, perimes /, retines IIa, metuis
//^ times IIc II 98 miserande P || 105 uinxit soror P.
83 perfidus ille draco Sedul. carm.
pasch. II 8.
93 promocondus Kellermeister. —
ledUti mit kurzem e gebraucht, entstanden
aus Xrixv^oq der Krug; der Vers wird von
Micon schon im Jahre 825 zitiert (Poet
III 287): Cur proconde times stillam
praebere lechito,
105 omnia vincit amorVtrg, Ed. X 69.
32
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Simplicitate placens instar petit alta columbae;
Regna poli penetrat simplicitate placens.
O nimis apte deo, mundus cui panditur omnis,
110 Abdita qui lustras, o nimis apte deo.
Flammeus orbis habet iustum super aethera nantem;
Quem pius ussit amor, flammeus orbis habet
Ter vocitatus adest testis novitatis habendus;
Carus amore patris ter vocitatus adest.
115 Dux bone, bella monens exemplis pectora firmas;
Primus in arma ruis, dux bone, bella monens.
Congrua Signa dedit vitae consortia linquens;
Ad vitam properans congrua Signa dedit
Psalmicen assiduus numquam dabat otia plectro;
120 Sacra canens obiit psalmicen assiduus.
Mens quibus una fuit, tumulo retinentur eodem;
Gloria par retinet, mens quibus una fuit
Splendida visa via est, facibus stipata corusds;
Qua sacer ascendit, splendida visa via est.
125 Rupea saepta petens nancta est errore salutem;
Errorem evasit rupea saepta petens.
c34
c3S
c36
c37
c38
Glossen in Reg. lat, 801 — 107 placens] beata Scolastica — 109 apte] care
— 110 lustras] sub uno solis radio — 111 orbis] sy<d>era ignea — nantem] euntem:
metafora — 112 ussit] arsit — amor] dilectionis dei — 113 adest] Servandus dia-
conus — 115 firmas] scribendo monachorum regulam — 116 ruis] exemplis facto-
rum — 117 Signa] transitus sui — vitae] huius — 118 vitam] caelestem — 119
psalmicen] psalmos canens — plectro] linguae — 120 canens] inter verba orationis
— 124 sacer] Benedictus — 125 septa] speluncae illius — est] mulier — 126 er-
rorem] demonis.
Unterschiede der drei Fassungen in der Anordnung des Sdüasses von v.W
an: I ordnet wie unser Text gibt, nur fehlen v. 13^—154 ^35 — 138 stehen am
Sdiluß der Seite, aber fortlaufend und von gleicher Hand geschrieben in P): in
II fehlen 127—130 und 135—154; /// ordnet: 131—134, 127—130, 13S— 154 (aber
t gibt 133—138, 127—130. 139-154;.
109 mundis P \\ 112 ussit // ///, iussit / II 113 est in adest com P ||
117 linquens aus linguens com P j| 125 126 septa P,
111 super aethera nantem = vo-
lantem vgl. Verg. Georg. IV 59.
112 quem pius ussit amor vgl. Verg.
Ed. II 68, Ov. Ep. IV52 me tamen urit amor.
113 ter vocitatus vgl. Ver. Aen. VI
506 ter voce vocavi.
116 in arma ruis vgl. Verg. Aen. II
353, XI 886.
117 vitae consortia linquens vgl
Poet. I 103 V. 27, Paul. VIII 1 angustae
vitae consortia.
Loblied auf den heiligen Benedikt
33
Nunc, venerande pater, cunctis celeberrime saeclis,
Mitis adesto gregi nunc, venerande pater.
Funde, benigne, preces validas, quo noxia vitet;
130 Quo vitam capiat, funde, benigne, preces.
Poemata parva dedi famulus pro munere supplex.
Exsul, inops, tenuis poemata parva dedi«
Sint, precor, apta tibi, caelestis tramitis index,
O Benedicte pater, sint, precor, apta tibi.
135 Vincula solve mei solita virtute piacli;
Pectoris et plectri vincula solve mei.
Glossen in Reg, lat 801 — 131 poemata] sc. ubi (? Vollmer com, asi = versi)
— dedi] Benedicte — famulus] sc. tuus ego Paulus — 133 tramitis] regulae —
index] monstrator.
129 ualidas quo noxia uitet A caueat quo noxia uitae /// || 130 qui P ||
131 132 dedi /, dedit // ///.
129 funde» benigne» preces vgl.
XXXIX v. 9 funditOr guaeso, preces be-
nignas.
131 poemata nur hier dreisilbig. —
dedi famulus supplex vgl. Paul. XXXII.
132 exsul inops, tenuis: Paulus fühlt
sich als heimatlos, verbannt, da er seine
Heimat hatte verlassen müssen. Hätte
er dies freiwillig getan, etwa aus An-
hänglichkeit an den König Ratchis, der
in Montecassino als Mönch seinen Wein-
berg bebaute (Wattenbach I 181), so hätte
er nicht diese Worte gebrauchen, nicht
in dieser Weise ein selbstgewähltes Los
beklagen können. Ahnlich äußert sich
auch Theodulf Poet. I 563 v. 15, als er
von seiner Verbannung spricht: exsul,
inops, pauper; mit inops meint Paulus
seine Hilf- und Mittellosigkeit; denn als
Verbannter hatte er nicht bloß seine Habe
verloren, sondern er mußte auch die
Verbindung mit seinen Freunden ab-
brechen, die ihm früher eine Stütze waren,
wie mit dem Hof von Benevent; mit tenuis
will er sagen, daß er, der einst am Hofe
so großen Einfluß hatte, jetzt ohne jeg-
liche Bedeutung sei. In den Worten
exsul, inops, tenuis gibt Paulus den
Grund an, warum seine Gedichte unbe-
Qudlen u. Untersuch, z. lat. Philologie des MA,
deutend sind, ebenso wie er VIII 4 sagt:
Musae . . . pauperiem fugiunt.
133 apta = accepta vgl. v. 109 o nimis
apte deo,
136—137 pectoris et plectri: Im An-
schluß an XXXIV 7 et coräis plectro tu
die möchte man hier stellen et solve
vincula plectri pectoris mei, allein die
Pentameter bringen fast durchgängig
ohne Verbindung einen neuen Gedanken.
Paulus bittet also, Benedikt möge die
Bande seines Herzens und seiner Zunge
lösen, die ihm in seiner traurigen Stim-
mung wie zugeschnürt erscheinen und
ihn keine guten Gedichte machen lassen;
ein ähnliches Bild bei Petrus XXXVIII
V. 28 nullaque maeroris servantur vin-
cula coräis; plectrum = lingua ist sehr
häufig, vgl. V. 119 und im Index zu Poet.
III p. 810. — arce varias figuras: In
dieser Bitte, Benedikt möge seinem Her-
zen verlockende Bilder fernhalten, sehe
ich nicht eine übliche Gebetformel, son-
dern das stillschweigende Bekenntnis,
daß sein Herz sich nach allem, was er
vor nicht langer Zeit verlassen mußte,
zurücksehnt. Bestätigt wird diese Auf-
fassung durch den Anfang des Gedichtes
VIII.
m. 4. 3
34
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Ärce piis meritis varias a corde figuras;
Desidiam et somnos arce piis meritis.
Currere cede viam tua per vestigia sursum;
140 Nil remorante fide currere cede viam.
Guttura Claude lupi semper lacerare parati;
Ne male me rapiat, guttura Claude lupi.
Cor labiumque meum fac laudent cuncta creantem;
Christum habeant semper cor labiumque meum.
145 Pestifer ille draco mea ne procul intima turbet
Nonque michi occurrat pestifer ille draco.
Me tua sancta phalanx habeat post funera camis;
Oro, ne excludat me tua sancta phalanx.
Omnia nempe potes meriti pro lampade summi;
150 Magnus amice dei, omnia nempe potes.
Perfice cuncta, precor, per eum, quem semper amasti;
Dulcis amande pater, perfice cuncta, precor.
Sit tibi laus et honor, pietas immensa, per aevum,
Qui tam mira facis, sit tibi laus et honor.
140 fidem n || 145 146 draco n r, latro t II 146 occurrat] excludat i.
138 desidiam et somnos: Seine un-
glückliche Stimmung raubt ihm die Lust
zu jeglicher Tätigkeit. Wir sehen also,
daß die Verse 131—138 Inhaltlich zu-
sammen gehören.
145 pestifer ille draco vgl. v. 83
perfidus ille draco.
147 sancta phalanx Poet. I 83 v. 1,
vgl. XXXV V. 38 peregrina falanx; da-
für steht öfter auch cohors AlcvinI317
V. 5 sancta cohors fratrum, vgl. auch
Paul. XXVI 26.
VII.
Zweites Loblied auf den heiligen Benedikt
Paulus behandelt hier den gleichen Stoff, aber in jambischen
Dimetem. Er nahm die Umarbeitung vielleicht deshalb vor, damit
man die Wundertaten des heiligen Benedikt dem Gedächtnis leichter
einprägen könne.
Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt jedenfalls der des vor-
ausgehenden sehr nahe. Paulus fügte es auch seiner Hist. Lang, ein,
wo er (I 26) folgende Worte vorausschickt: Hymnum quoque singula
eiüsdem patris miracula continentem metro lambico ardiiloico ita
texuimus. Es ist nur durch die Hist. Lang, auf uns gekommen. Die
Überlieferung ist sehr gut. Wir geben wie bei VI unter dem Text
nur die Erklärungen des Reginensis.
1. Fratres, alacri pectore
Venite, concentu pari
Fruamur huius inclitae
Festivitatis gaudiis.
2. Hac Benedictus aurea,
Ostensor arti tramitis,
Ad regna conscendit pater
Captans laborum praemia.
3. Effulsit ut sidus novum
Mundana pellens nubila.
Aetatis ipso limine
Despexit aevi florida.
2,2 ostensor arti tramitis vgl. VI
133 caelestis tramitis index.
2,3 aurea regna Poet I 92 v. 3,
Paulin. Aquil. I 128 v. 54.
3*
36
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
4. Miraculorum praepotens,
Afflatus Alti flamine,
Resplenduit prodigiis
Ventura saeclo praecinens.
5. Laturus esum pluribus
Panis reformat vasculum.
Artum petens ergastulum
Extinxit ignes ignibus.
6. Fregit veneni baiulam
Crucis per arma cymbiam.
Coercuit mentem vagam
Leni flagello corporis.
7. Funduntur amnes rupibus.
Redit calybs e gurgite.
Currit per undas obsequens.
Peplo puer vitat necem.
8. Virus patescit abditum.
Mandata praepes efficit.
Hostem ruina content.
Cedit fremens leo grave.
9. Immota fit moles levis.
Rogus migrat fantasticus.
Fractum revisit sospitas.
Excessus absentum patet.
10. Rector vafer, deprenderis.
Inique possessor, fugis.
Futura, praenoscimini ;
Arcana, cor, non contegis.
Glossen in Reg. tat. 801 — 5,1 esum] animae — 5,2 vasculum] capisterium
— 5,3 ergastulum] heremi — 5,4 ignes] luxuriae — ignibus] urticaram — 6,1 baiu-
lam] latricem — 6,2 cymbiam] fialam — 6,3 vagam] monachi vagi — 7,2 calybs]
ferrum falcastri — 7,4 peplo] melote— 8,1 virus] panis infecti — 8,1 abditum] Floren-
tium — 8,2 mandata] iussa — praepes] corvus — 8,3 ruina] solarii — content] dat
locum malignus spiritus — 8,4 grave] graviter — 9,1 immota] supersedente daemone
— moles] saxi — 9,2 rogus] quoquinae — 9,3 fractum] conlisum — 9,4 absentum]
fratrum, qui contra regulam cibum sumpserant — 10,1 rector] rex Totila — depren-
deris] daemon crudelitatis eius anterioris — 10,3 futura] novem annis regnas.
4,4 Ventura saeclo vgl. IV^ 22.
9,2 rogus fantasticus nur in der
Phantasie, nicht in Wirklichkeit bestehend,
vgl. VI 55.
Zweites Loblied auf den heiligen Benedikt.
37
11. Fundantur aedes somniis.
Tellus vomit cadavera.
Dracone frenatur fugax.
Aether pluit nomismata.
12. Vitrum resistit cautibus.
Manant olivo dolia.
Vinctum resolvit visio.
Vitam receptant funera.
13. Tanti potestas luminis
Voto sororis vincitur —
Quo plus amat quis, plus valet — ,
Enare quam cemit polum.
14. Non ante saeclis cognitum
Noctu iubar effulgurat,
Quo totus orbis cemitur
Flammisque subvehi pius.
15. Haec inter instar nectaris
Miranda plectro damit.
Nam pinxit apte lineam
Vitae sacrae sequacibus.
16. lam dux alumnis at potens
Adsis gregis suspiriis.
Gliscat bonis ydrum cavens,
Sit callis ut sequax tui.
11,1 aedes] monasterii per uisum dispositi — 11,2 cadavera] resuscitatorum
— 11,3 dracone] correctore — frenatur] castigatur — fugax] sc. monachus — 11,4
nomismata] duodecim solidos — 12,1 vitrum] ampulla in saxis proiecta — 12,2 olivo]
oleo -— 12,3 vinctum] rusticum — visio] orbati rustici — 13,2 sororis] Scolasticae
— 13,3 quIs] aliquis — 13,4 Enare] evolare — 15,1 haec] doctrina — 15,3 lineam]
iter — 16,3 ydrum] diabolum — 16,4 callis] itineris.
13.3 quo plus amat quis, pius valet
vgl. VI 105 omnia vincit amor,
13.4 enare quam cemit polum vgl.
VI 107—108.
15,1 instar nectaris vgl. XIII 9, 2. —
plectro vgl. VI 136 Anm.
15,3 pinxit apte lineam, er bezeich-
net die Regula S. Benedicti.
16,1 iam dux adsis gregis suspiriis
vgl. VI 128 nunc mitis adesto gregi,
16,3 gliscat bonis ydrum cavens
vgl. VI 129.
VIII.
An einen Freund.
*Einem engbegrenzten Leben hinter Klostermauern kehren die
Musen den Rücken. Sie lieben es nur auf Rosenauen ihr Spiel zu
treiben. Daher meine schlechten Gedichte (1 — 7). Nimm sie trotz-
dem gerne an und sei überzeugt, daß ich gerade so wie Du nach
dem Himmelreich trachte und in unwandelbarer Liebe Dir zugetan
bin (8—20).'
Der Harleianus, der allein und ohne Angabe des Verfassers
dieses Gedicht überliefert, enthält noch andere als paulinisch erkannte
und zwar lauter solche, die der Zeit angehören, die vor Paulus*
Aufenthalt am Hofe Karls liegt (vgl. oben S. 15). Noch mehr als
die Überlieferung sprechen aber Inhalt und Form für die Autorschaft
des Paulus Diaconus.
*Einst und jetzt' könnte die Oberschrift dieses stimmungsvollen
Gedichtes lauten. Einst konnte Paulus bei seiner Stellung als Hof-
geistlicher an den Höfen von Pavia und Benevent ein behagliches
Leben führen, konnte, nicht durch strenge Klosterregehi gebunden,
seine Schritte lenken, wohin er wollte, durfte frei und froh die
schönen Gegenden an den Ufern des Comersees durchwandern.
Jetzt bannt ihn das Machtwort Karls hinter die Klostermauem von
Montecassino.
Dieser Kontrast seines gegenwärtigen Lebens, mit dem er
sich noch nicht abgefunden, zu den vergangenen glücklichen Tagen
liegt ihm schwer auf der Seele und erzeugt jene Stimmung, die
er auch in dem Gedicht VI 132 und 135 — 138 zum Ausdruck
An einen Freund.
39
bringt. Die ersten Verse unseres Gedichtes geben gleichsam die
Eriäuterung dazu. Es entstand nicht lange nach 774 in Monte-
cassino.
10
Angustae vitae fugiunt consortia Musae
Claustrorum saeptis nee habitare volunt,
Per rosulenta magis cupiunt sed ludere prata,
Pauperiem fugiunt deliciasque colunt.
Quapropter nobis aversae terga dederunt
Et comitem spemunt me vocitare suum.
Inde est, quod vobis inculta poemata mitto,
Susdpe sed libens qualiacumque tarnen.
Inmodico flagrat de vestro pectus amore,
Crede, pater, nostrum, semper amande mihi.
Et peream, si non tecum captqre per aevum
Per domini munus regna beata volo.
Hoc mihi est votum, hoc fido pectore spero,
Hoc licet indignus nocte dieque precor.
Ohne Übersdirift M f. L
1 anguste (und so fast immer e für ae) H \ consorda H \\ 2 dubitare H,
corr. Dümmler \\ 5 nobis aus vobis corr, // || 8 sed //. Sethe Traube \\ 14 hoc
licet indignus Wattenbach, hodie et indignos //.
1 — 5 angustae vitae consortia,
claustrorum saeptis, pauperies: Damit
meint er sein Leben in Montecassino«
mit rosulenta prata und delicias die
glücklichen Tage am Hofe, in der Nähe
des Comersees. — per rosulenta prata
vgl. Prudent. Peristeph. ni 199. — aversae
terga dederunt vgl. Verg. Aen. IX 686
versi terga dedere.
8 Die überlieferte Lesart ist aus
metrischen Gründen nicht annehmbar;
es verbirgt sich ein Eigenname; Traube
(Neues Archiv XVII 399) schlägt suscipe
Sethe libens vor mit Hinweis auf ein
Gedicht Columbans (M. G. Epp. m 183
v.l).
10—14 crede pater: Wen Paulus
damit meint, läßt sich nicht sagen, man
kann nur aus der Erwähnung des Rheins
V. 17 schließen, daß der Angeredete
sich in den Rheingegenden aufhält —
per aevum ist nicht, wie Wattenbach tut,
in perennis zu ändern; denn es ist ein
beliebter Versschluß vgl. I 27, VI 153. —
et peream: Er fürchtet durch seine ein-
leitenden Worte (v. 1 — 4) den Glauben
erweckt zu haben, als ob sein Herz an
weltlichen Dingen hänge; deshalb diese
nachdrucksvolle Beteuerung (v. 13 und 14);
vgl. auch Paul. XIII 5, 1. — mihi est:
In späteren Gedichten ist der Hiatus ver-
mieden.
40
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
15 Tu quoque, si felix vigeas de munere Christi, —
Namque potes — misero redde, beate, vicem.
Ante potest flavos Rhenus repedare Suavos
Ad fontem et versis pergere Tibris aquis,
Quam tuus e nostro labatur pectore vultus,
20 Ore colende mihi tempus in omne pater.
16 potis H II 17 hrenus H \\ 20 vieUeidit O recolende Traube.
15—20 Diese Verse finden sich mit
fast gleichen Worten wieder am Schlüsse
des Briefes an Adalhard XXXI. — misero
redde vicem vgl. XXIX 11 redde vicem
misero, — quam tuus e nostro Verg.
Ed. I 59—63 entnommen, vgl. auch XL
9—12. — Die Erwähnung des Tiber deutet
auf den Aufenthalt des Schreibenden, auf
Italien (Montecassino).
IX.
Auf das Grab der Königin Ansa.
'Die hier begrabene Königin wird weiterleben, solange die Welt
steht; denn groß sind ihre Verdienste um Staat und Kirche. In den
Zeiten der Not des Vaterlandes stand sie hilfreich ihrem Gatten zur
Seite (1 — 8). Sie ist die Mutter des Adelchis, des Hortes der
Langobarden, und durch die Vermählung ihrer Töchter knüpfte sie .
Verbindungen mit mächtigen Herrschern und Staaten an (9 — 14).
Berühmt ist sie auch durch Gründung von Kirchen und Hospizen.
In ihr vereinigen sich die herrlichsten Tugenden (15 — 28).'
Die Gemahlin des Desiderius wurde nach dem Berichte der
Annalen im Jahre 774 mit ihrem Gatten und einer Tochter von Karl
in die Verbannung geschickt. Desiderius soll nach Lüttich geführt
und in Corbie an der Somme gestorben sein (Abel-Simson I 194
Anm.). Das Todesjahr der Ansa ist nicht bekannt.
Mit Haupt (Opuscula I 295) zweifle ich nicht an der Autorschaft
des Paulus, trotzdem Dahn (Paul. Diac. S. 67 und Allgemeine Deutsche
Biogr. V 73) sich entschieden dagegen ausspricht. Abgesehen von
stilistischen Erwägungen sprechen dafür besonders die handschriftliche
Überiieferung (vgl. meine Vorbem. zu I) und die nahen Beziehungen
des Paulus zu der Tochter der Verstorbenen und zum Königshause
überhaupt.
Um die paulinischen Epitaphien richtig würdigen zu können
muß man bedenken, daß sich diese poetische Gattung unter dem
Einfluß griechischer Vorbilder entwickelte und daß allmählich be-
stimmte Ausdrucksformen geprägt wurden, die ein Dichter vom
andern übernahm (vgl. Lier, Topica carminum sepulcralium Latinorum,
Philologus XVI [1903] S. 445, 563 und XVII [1904] S. 54). Eine
42 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Untersuchung der zahlreichen Epitaphien des I. Bd. der Poet aev. Carol.
soll nun zeigen, welche Grundsätze bei der Anordnung der Gedanken
für die Dichter maßgebend sind, welche Ausdrücke sich wiederholen,
besonders aber, welche Stellung Paulus Diaconus dieser Tradition
gegenüber einnimmt
Gewöhnlich nennt am Anfang des Epitaphs der Dichter den
Namen des Toten, der hier seine Ruhe gefunden, gibt dabei auch
einige Andeutungen über das Äußere des Grabmals und erwähnt
gerne, daß nur der Körper hier liegt, die Seele aber schon zu den
Sternen emporgeeilt ist:
Hac iacet egregius nivea sab mole sacerdos p. 20 v. 7;
Hac tumulatur humo . . . Nomen avis tribait p. 103 v. 1— 2;
Hie Sacra beati membra Cumiani solvuntur p. 107 II v. 1;
Marmore Natalis tegitur venerabile corpus p. 107 III v. 1;
Hoc humata iacent Joannis membra sepulchro p. 109 V v. 1;
Pallida sab parvo clauduntur membra sepulcro,
Ardua sed caeli Spiritus astra petit p. 109 VI v. 1 — 2;
Mole sub hac magni servantur membra Geroldl p. 114 v. 1;
Hie Gislebertus praesul requiescit humatus.
Corpus terra tegU, Spiritus astra petit p. 305 v. 1 — 2;
Mole sub heu: tegitur Chaidocus iure sacerdos p. 365 v. 1 ;
Hoc iacet in tumulo Pippinus p. 405 v. 1 ;
Aurea funereum eompleetit littera Carmen,
Verba tonat fulvus et lacrimosa color p. 489 v. 1 — 2.
Bei der Darstellungsform des Lebensganges selbst bedient sich
der Dichter meist der dritten Person, springt aber oft in die zweite
über und sagt dem Toten gleichsam seine Charakteristik vor:
*Du warst . . ., Du tatest dies oder jenes . . .' Nur in wenigen
Epitaphien (p. 101, 420, 444) erzählt der Tote selbst dem an seinem
Grab Stehenden seine Lebensgeschichte. Er spricht wie aus dem
Grab zu ihm heraus, so p. 432 v. 1: Te precor ex tumulo, f rater.
Gewöhnlich aber redet der Dichter gleichsam im Auftrage des
Toten den Fremdling an, der auf seiner Wanderschaft an das Grab
kommt, und fordert ihn auf Gott zu bitten, daß er dem Toten gnädig
sein möge. Auch diese Darstellungsform geht auf griechische Vor-
bilder zurück (vgl. Lier S. 468):
Tu quicumque legis die die 'peecata remitte' p. 102 v. 22;
Tu quicumque eupis requies cognoseere fratrum.
Et loca quo quisque spectat ab arce deum p. 344 v. 1 — 2;
Auf das Grab der Königin Ansa. 43
Et si forte cupis nomen merUumque sepulti
Discere, tu poteris magna viator amans p. 19 v. 5 — 6;
Stime tarnen laudes, quas Petri captus amore
Extremo venlens hospes ab orbe legat p. 114 v. 41 — 42;
Quisquis legas versus devoto pectore supplex
Die 'Miserere deas' p. 113 v. 25 — 26;
Quisquis ab occasu venls huc vel quisquis ab ortu p. 108 v. 1;
Quam quis ab occasu properans vel quisquis ab ortu p. 490 v. 23;
Quisquis es hunc cernens titulum, die pectore puro:
Sit requies Uli, lector opime, precor p. 406 v. 1 — 2;
Quisquis es, 'Hadriano', die^ 'sit amoena quies' p. 490 v. 26;
Pro peregrino me, poseo, preeare tuo p. 404 v. 16.
Meist erklärt der Dichter am Anfang oder Schluß, daß er un-
fähig sei alle Vorzüge und Taten in würdiger Weise zu preisen:
Cuius haud, lector, vitam tibi prodere sealptor
Quit calibis stilo, artatus marmore parvo p. 103 v. 4 — 5;
Jam quoniam digne non possumus omnia versu
Promere, contieeat nostrae nunc fistula linguae p. 104 v. 26 — 27;
Plura quid enumerem sanctis virtutibus istis,
Dicere quas nequeo, scribere nee valeo p. 407 v. 27 — 28;
Sensus et eloquiis formam describere laudls
Cuius non possit pleniter ulla manus p. 430 v. 7 — 8.
In einigen Epitaphien nennt auch der Dichter seinen Namen
und bittet den Leser sich für dieses Gedicht erkenntlich zu zeigen,
indem er für ihn bete:
Post patrem lacrimans Carolus haec carmina scripsi p. 1 13 v. 17;
Hoc lacrimans cecini David ego flebile Carmen p. 112 v. 27;
Promere quae Carolum compellit amorque dolorque p. 489 v. 3;
Nunc Angilberti carmine fulget, amen p. 366 v. 8;
Tu mihi redde vicem, lector, rogo, carminis huius
Et die: 'Da veniam, Christe, tuo famulo' p. 350 v. 17;
Sed iam posco, vicem reddas mihi carminis huius,
Atque 'Illius', die, 'miserere deus'! p. 420 v. 23 — 24.
Bei der Durchführung des Lebensbildes selbst beginnen die
Dichter naturgemäß mit der Herkunft des Toten, wobei sie mit Vor-
liebe hinzufügen, daß seine Taten noch edler waren als sein Ge-
schlecht:
Scotia quem genuit p. 365 v. 2;
Francia quem genuit p. 405 v. 3;
44 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Nobilis ex magna genitus iam genta parentam,
Sed sacris longe nobilior meritis p. 113 v. 5 — 6;
Transcendunt cuitis gesta set alta genas p, 430 v. 12.
Dann folgt meist die Erwähnung seiner körperlichen Vorzüge,
von denen es aber gewöhnlich heißt, daß sie von den Verdiensten
des Toten übertroffen werden:
In specie puldier, nobilior meritis p. 405 v. 12;
Deque sua facie superabat lilia paldira p. 405 v. 9;
Mirandus specie, set plus mirabilis actis p. 430 v. 15.
Bei der Aufzählung der geistigen Vorzüge lieben es die Dichter
oft zwei Verse mit lobenden Adjektiven auszufüllen, besonders heben
sie Bildung und Mildtätigkeit hervor.
Moribus et forma consilioque vigens p. 111 v. 8;
Mente nitens formaque decens sensuque renidens p. 489 v. 7;
Eloquio fulgens . . . Grammaticae studio, metrorum legibus
aptus p. 20 V. 9—10;
Eloquio dulcis, f actis probus, ore serenus p. 404 v. 13;
Alloquio clarus, vita sed clarior alma p. 104 v. 22;
Nobilis alloquio, moribus nobilior p. 102 v. 12;
Grammatica pollens, mundana lege togatus,
Divina instructus nee minus ille fuit p. 111 v. 9 — 10;
Solamen egenis p. 107 v. 3;
Pauperibus largus, nulli pietate secundus p. 113 v. 11;
Rex bonus et placidus, nulli bonitate secundus p. 405 v. 15;
Promptus ad omne bonum an vielen Stellen.
Bedeutende Männer werden meist als Helden, als Leuchte,
Ruhm, Zierde und Hoffnung ihres Vaterlandes gepriesen:
Helmengaldus nobilis heros, Gloria qui patriae et decus omne
fuit p. 532 V. 1—2;
Lumen erat patriae p. 20 v. 17. Patriae decus p. 102 v. 3;
Unica spes patriae, murus et arma suis p. 111 v. 4;
Militibus periit murus et arma tuis p. 112 v. 4;
Qui tibi tutor opum, murus et arma fuit p. 490 v. 28;
Spes iam Samnitis certa salutis erat p. 430 v. 14;
Jpse suae gentis spes requiesque fuit p. 430 v. 32.
Schließlich spricht der Dichter auch von der Wirkung, die der
Tod auf die Hinterbliebenen ausübte, und bittet das Grabmal nicht
zu verietzen:
Auf das Grab der Königin Ansa. 45
Hone flevit civis, laxit peregrinus et exter p. 104 v. 15;
Hunc deflet Italus contrito pectore Francus p. 110 v. 13;
Itala, Romana . . . Morte tua, princeps, gens sine fine dolet
p. 431 V. 35—36;
Ut nuUus violet quod tenet ipse solum p. 20 v. 32;
Obsecro nulla manas violet pia iura sepulcri p. 350 v. 19;
Quem, peto, nulla manus violet p. 420 v. 27.
Untersucht man die Epitaphien des Paulus Diaconus,
so findet man, daß die für Ansa und Sophia verfaßten in Form und
Anordnung der Gedanken von den üblichen Darstellungsformen ab-
weichen, seine späteren aber, die am Hofe Karls entstanden, die
erwähnten Eigentümlichkeiten zeigen. Diese beweisen, daß auch
er sich der Vorbilder bediente, nach denen der literarische Kreis
des Königs arbeitete. Zu diesen Vorbildern gehörte besonders das
Epitaphium Constantii, das in der Pariser Handschrift 528 und in
der St. Galler 899 neben Gedichten überiiefert ist, die am Hofe
Karis entstanden (vgl. Mommsen Grabschrift des Kaisers Constantius
Chlorus, Hermes, XXVIII, 1893, S. 33; Carmina epigraphica ed. Bücheier
II 1335).
Die Verschiedenheit der Grabschrift für die Königin Ansa von
den untersuchten liegt besonders in der Anordnung der Gedanken.
Der Dichter sagt nichts von ihrer Abstammung, wie es sonst am
Anfang geschieht, und geht nach einer kurzen Bemerkung über ihre
körperlichen Vorzüge (coniux puldierrima v. 3) sofort zur Darlegung
ihrer Verdienste über, die er scharf in politische und kirchliche teilt.
Erst am Schluß kommt er mit wenigen Worten auf ihre geistigen Eigen-
schaften zu sprechen.
Über die Abfassungszeit des Gedichtes bestehen verschiedene
Anschauungen. Dahn (S. 68) und nach ihm Abel (II 506) glauben,
daß es noch zu Lebzeiten der Königin abgefaßt worden sei, noch
vor dem Untergang des langobardischen Reiches, und zwar zwischen
770 und 771. Zu dieser Anschauung sahen sie sich besonders durch
die Verse 12 — 14 veranlaßt, wo auf Kari als Schwiegersohn (770)
angespieh ist, und Dahn meint: „Es muß doch überraschen, daß
unter den starken Helden, den drei Eidamen, auf welche Ansa sich
stützt, auch Kari genannt wird, der Ansa nach Zerstörung des
Reiches mit ihrem Gemahl in die Gefangenschaft geführt hat," und
an einer anderen Stelle: „Die Grabschrift nennt Karl, Ansas bittersten
Feind, ihren Stützer neben denen, die es wirklich waren, Arichis und
Thassilo".
46 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Dieser Sinn liegt nicht in den allerdings etwas allgemein ge-
haltenen Worten: fortla natarum thalamls sibi pectora vinxit.
Paulus will nur sagen, daß Ansa politisch wichtige eheliche Ver-
bindungen gestiftet hat, und wenn er bei fortia pectora wohl auch
in erster Linie an Arichis und Thassilo dachte, so konnte er doch
auch den Feind seines Volkes dazu zählen.
Auch die Verse 7 — 8 zwingen nicht zur Annahme, dafi das
Gedicht vor dem Untergang des Reiches entstand. Wenn der Dichter
sagt, Ansa habe an der Seite ihres Gemahls das von Krisen heim-
gesuchte und dem Zusammensturze nahe Reich aufgerichtet, gefestigt
und emporgebracht, so meint er damit die Verdienste, die sie sich
beim Regierungsantritte ihres Gatten um das Reich erwarb, das unter
den unglücklichen Kriegen, die sein Vorgänger Aistulf (749 — 757) mit
Pipin, dem Vater Karis, ftihrte, viel zu leiden gehabt hatte. Diese
Erklärung mag auch darin ihre Bestätigung finden, daß Paulus bei der
Aufzählung ihrer Verdienste, dem eigentlichen Thema der Grabschrift,
chronologisch vorgeht: Zuerst segensreiche Tätigkeit bei Beginn der
Regierung ihres Gatten 757, dann Lob auf Adelchis, der 759 Mit-
regent seines Vaters wurde, hierauf Vermählungen ihrer Töchter mit
auswärtigen Ftirsten, der Adelperga mit Arichis (763 Geburt ihres
ersten Kindes), Liutperga mit Thassilo (zwischen 764 und 769, vgl.
Abel I 58) und Desiderata (?) mit Kart (770, vgl. Abel I 80).
Es liegen demnach keine Gründe vor, die zur Annahme zwingen,
daß das Epitaph, was ja an und für sich nichts Ungewöhnliches wäre,
noch zu Lebzeiten der Königin entstand, und ich verlege die Ent-
stehungszeit zwischen 774 und 782, in die Zeit, wo Paulus sich in
Montecassino al« Verbannter aufhielt und noch keine Annäherung an
Kart erfolgt war. Dazu veranlaßt mich außer der oben erwähnten
Eigenart des Epitaphs selbst die Auffassung des Satzes Bardis spes
maxima mansit (v. 1 1). So sehr man auch auf Grund obiger Zusammen-
stellung geneigt ist ihn als einen der Gemeinplätze zu bezeichnen,
die in den Epitaphien auftreten, so sprechen doch die historischen
Verhältnisse dagegen. Adelchis war wirklich nach 774 der Mann,
auf den die Patrioten hoffend ihre Blicke richteten und der auch
während seines Aufenthalts beim griechischen Kaiser in Konstantinopel
immer für die Sache seines Volkes tätig war. Auch in den An-
nalen kommt dies zum Ausdruck (vgl. Anm. zum Gedicht). Diesen
Gedanken kann aber Paulus nicht in einer Zeit ausgesprochen
haben, wo er bereits Kari näher getreten war, d. h. also nicht
nach 782.
Auf das Grab der Königin Ansa.
47
Ob Ansa in der Verbannung im Frankenreich starb und ihre
Leiche nach Italien geschafft wurde, oder ob sie von Karl später er-
wirkte, daß sie den Rest ihres Lebens bei einer ihrer Töchter ver-
bringen durfte, läßt sich nicht entscheiden. Ihr Grab befand sich,
wie Haupt erkannte, in der von ihr und Desiderius gestifteten Abtei
San Salvatore in Brescia (vgl. Urkunde vom Jahre 769 bei Muratori
Antiq. Ital. I 525).
10
Lactea splendifico quae fulget tumba metallo
Reddendum quandoque tenet laudabile corpus.
Hie namque Ausonii coniux pulcherrima regis
Ansa iacet totum semper victura per orbem
Famosis meritis, dum stabunt templa tonantis>
Dum flores terris, dum lumen ab aethere surget.
Haec patriam bellis laceram iamiamque ruentem
Compare cum magno relevans stabilivit et auxit.
Protulit haec nobis, regni qui sceptra teneret,
Adelgis magnum, formaque animoque potentem.
In quo per Christum Bardis spes maxima mansit.
Fortia natarum thalamis sibi pectora vinxit,
Discissos nectens rapidus quos Aufidus ambit,
Pacis amore ligans cingunt quos Rhenus et Hister.
SUPER SEPULCRUM DOMNE ANSE REGINAE L /. 36v.
1 fulgit L II 6 flores terris Dümmler, flores e terris vor e eine Rasur L \
ethere L \ surget Dümmler, surgit L \\ 10 adelgis aus adelchis corr. L \\ \2 vin-
xit L, iunxit Haupt und Dämmler \\ 14 quos Rhenus Haupt, chorentis L
3 — 6 Ausonii regis des Desiderius,
vgl. Bern, zu II 9,1. — totum semper
victura per orbem meritis vgl. Hist. Lang.
in 19, Qrabsclirift des Drokton v. 2 nam
meritis toto vivit in orbe suis. — dum
stabunt etc, vgl. zum Gedanken Verg.
Bei. V 76—78; surget ist statt surgit
einzusetzen wegen des vorausgehenden
stabunt (vgl. oben S. 20 Anm.).
8 — 10 compare cum magno vgl.
Brief des Paulus an Adelperga III 29 celso
cum compare, — regni qui sceptra
teneret vgl. XXVI 19—20 tenere regni
aurea sceptra, — formaque animoque
potentem vgl. Poet. I 60 v. 59 sensu
formaque animoque decorus, Poet. 1 104
V. 18 censuque animoque potenti; an
dieser Stelle ist wohl auch sensuque zu
verbessern.
11 Bardis vgl. IVn8. — spes ma-
xima mansit vgl. Einhard Vita Karoli
cap. 6 Adalgisum, in quem spes om-
nium inclinatae videbantur, Ann. Einh.
in quo Langobardi multum spei habere
videbantur,
12—14 Die Flüsse Aufldus, Rhein
und Donau deuten das Land des Arichis,
Karls des Großen und Thassilos an.
48
Karl Neu, Gedichte des Paulus Diaconus.
15 Quin etiam aeterno mansit sua portio regi,
Virgineo splendore micans, his dedita templis.
Cultibus altithroni quantas fundaverit aedes
Quasque frequentat egens, pandit bene rumor ubique.
Securus iam carpe viam, peregrinus ab oris
20 Occiduis quisquis venerandi culmina Petri
Garganiamque petis rupem venerabilis antri.
Huius ab auxilio tutus non tela latronis,
Frigora vel nynbos furva sub nocte timebis;
Ampla simul nam tecta tibi pastumque paravit.
25 Plura loqui invitam brevitas vetat inproba linguam.
Concludam paucis. Quicquid pietate redundat,
Quicquid mente micat gestorum aut luce coruscat,
In te cuncta simul, fulgens regina, manebant.
26 quicquid] das erste q auf Rasur L \\ 2S manebat L
15 — 16 quin etiam aeterno mansit
sua portio regi: Ansa vermählte ihre
Töchter nicht bloß irdischen Königen,
auch dem ewigen König blieb sein Teil
dadurch, daß Ansilperga Äbtissin von
San Salvatore in Brescia wurde. — his
dedita templis: aus dieser Stelle schloß
Haupt mit Recht, daß die Grabschrift im
Salvatorkloster sich befand und hier
Ansa begraben wurde.
17 — 18 quantas fundaverit aedes
quasque frequentat egens: quantas =
quot: Paulus will sagen: quantas aedes
cultibus altithroni fundaverit et quantas
aedes, quas frequentat egens: 'Allge-
mein bekannt ist, wieviele Gotteshäuser
und Hospize sie gründete.'
19 — 21 securus iam carpe viam:
Der Dichter wendet sich hier an den
zu dem Grab kommenden Pilger, der
entweder nach Rom oder zum Heilig-
tum des Erzengels Michael auf dem
Monte Gargano wallfahren will. —
venerandi culmina Petri vgl. Angil-
bert Poet. I 420 v. 1 venerandi culmina
templi. — venerabilis antri: Nach der
Legende hatten Hirten auf der Suche
nach einem entlaufenen Rind in einer
Grotte des Monte Gargano die Er-
scheinung des heiligen Michael und zwar
am 8. Mai unter Papst Gelasius (S.Jahr-
hundert). Zur Erinnerung daran wurde
eine Kirche erbaut, die heute noch ein
besuchter Wallfahrtsort ist.
25 — 28 improba brevitas: 'Die leidige
Kürze (der geringe Raum auf dem Grab-
stein) verbietet der Zunge noch mehr zu
sagen, so sehr sie sich auch sträubt'
Es ist dies zugleich eine Wendung um zum
Schluß zu kommen, wie sie ähnlich auf-
tritt XXVI 15 sed quid plura feram?;
Theodulf Poet.I 528 v.27 quid referam?
virtute cluis, pietate redundas. — quic-
quid pietate redundat: beliebter Schlufi,
vgl. außer der eben angegebenen Stelle bei
Theodulf auch Angilb. Poet. I 366 v. 22;
Sedul. carm. pasch. II 260; Eug. Toi.
carm. XVI 3. — luce coruscat: vgl. Angilb.
Poet. I 366 V. 12. — manebant = erant:
Zu manebat wurde der Schreiber jeden-
falls durch den Schluß der beiden vor-
ausgehenden Zeilen veranlaßt, vgl. auch
XXXVI 35 in te . , . omne simulque bo-
num semper, venerande, manebat.
X.
Auf das Grab der Enkelin Sophia.
*Du warst die Schönste Deines Geschlechts und an Kenntnissen
Deinen Jahren weit voraus. Dein Geist erfaßte alles im Fluge (1 — 8).
Dein Tod war auch der Tod der Großmutter. Statt zu Deiner Hoch-
zeit rüstet man sich zu Deiner Leichenfeier. Alles trauert um Deinen
frühen Tod (9—18).'
An der Autorschaft des Paulus Diaconus ist nicht zu zweifeln,
da diese Grabschrift in drei für die paulinische Überiieferungs«
geschichte wichtigen Handschriften (der Leipziger Rep.I74, vgl.Bem
zu V; der Pariser lat. 528, vgl. Bern, zu VI; dem Harieianus, vgl.Bem
zu VIII) enthalten ist und auch stilistische Beobachtungen auf ihn hin-
weisen. Fraglich aber erscheint, wer mit Sophia neptis gemeint ist,
Bis jetzt dachte man an eine Nichte des Dichters (vgl. Gedicht XIIj
wo von seinem Bruder Arichis vier Kinder erwähnt werden), allein
mir ist es wahrscheinlicher, daß hier an eine Enkelin der Königin
Ansa zu denken ist. Dafür spricht vor allem die Überiieferung:
das Epitaph geht in der Leipziger Handschrift unmittelbar dem der
Ansa voraus. Dann auch der Inhalt: nur mit wenigen Worten gedenkt
der Dichter der Eltern und hebt besonders die Wirkung des Todes
der Jungfrau auf die Großmutter hervor.
Das kleine Gedicht, das nicht ohne poetischen Reiz ist und
noch nicht die in der karolingischen Zeit üblichen Gemeinplätze der
epitaphistischen Literatur zeigt, entstand zwischen 774 und 782.
Quellen u. Untersuch, z. lat. Philologie des MA. III, 4. 4
50
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
10
Roseida de lacrimis miserorum terra parentum
Haec te, gemma micans, cara Sophia, tenet
Tu decus omne tuis, virgo speciosa, fuisti,
Qua non bis terris gratior ulla manet
Heu fueras teneris, dulcis, tarn docta sub atmis,
Longaevi ut stuperent iam tua verba senes.
Et quae longa dies aliis praestare pueilis
Vix poterat, raptim cuncta fuere tibi.
Te moriente avia iam vivere posse negavit
Illius et mortis mors tua causa fuit
Iam thaiamus sponsusque tibi parabantur et inde
Spes quoque iam nobis grata nepotis erat
Epitaphium sophiae neptls P /. 126v; EPITAHON SOPHIE NEPTIS L
/.36; Epithaphion ///.5v.
2 haec te gemma micans] die Budistaben vom ersten a bis g dank Nässe
zerstört P, haec regem manicans H \ caro P | sofia H \ teoit // || 3 oon
decus ist c und u nidii zu erkennen P \ tuis aus tui corr., dann dtuxhgesiridieä
und verbessert an den Rand gesdui^^en // 1| 5 Heu eras dazwisdien eine durA
Rasur entstandene UUke I II 6 longeui P L H \ cuperent //0 7 prestaie
(und so fast immer e für zt) // II 9 avia] uia H \ uivere aus uiuire corr. L \
10 mortis] moestis // || 11 thaiamus aus talamus corr, L \ inde PH, ecce L
doctior
1 — 4 roscida de lacrimis: vgl. XXXV
V. 1 lugentum lacrimis populorum rosci-
da tellus. — gemma micans VI 56; vgl.
auch XXIX 7. — tu decus omne tuis
Verg. Ed. V34; vgl. IVi 20 omne decus-
que suorum, XXXV v. 27 tu requiesque
tuis . . . fuisti, — qua non his terris
gratior ulla manet: vgl. XXVI 8 qua
non occiduo puUhrior ulla foret. — Es
mag auffallen, daß Paulus bei der Grab-
schrift einer Prinzessin nicht mit ihrer
edlen Abkunft beginnt, wie es nach an-
tikem Vorbild die karolingischen Dichter
gewöhnlich tun (vgl. S. 43), aber Paulus
arbeitet noch nicht nach den Vorbildern,
die ihm später bei seinem Aufenthah
am Hofe Karls voriagen.
5 — 8 Der Hinweis auf den hoch-
entwickelten Geist der in so jungen
Jahren Verstorbenen findet sich auch in
Epitaphien älterer Zeiten, vgl. Vollmer
zu Stat. silv. 2, 1, 38; Carmina latina
epigraphica ed. Bücheier 1166 quod si
longa tuae mansissent tempora vitae,
in terris nuUa puelia foret:
649, 7 ultra annos sapiens praeceps fata
invida raptum. — longaevi senes (Ovid.
Ep. V40). Vgl. zum Gedanken VI 8 ex-
superansque senes, o puerile decus und
Poet. II 659 V. 15, 16. — stuperent darf
nicht mit // gegen P L in cuperent ge-
ändert werden, da eine Vertauschung der
Konjugationen oder die Verkürzung eines
langen Vokals in längeren Formen bei
Paulus und auch sonst (vgL Fortunat ed.
Leo Index) nichts Ungewöhnliches ist,
vgl. V. 1 1 parabantur: XIV v. 1 flu?bat.
9 avia (mit langem Nominativ -a!)
= Ansa, vgl. die Vorbemerkung. —
vivere posse negavit: Es ist in alten
Epitaphien häufig zu lesen, daß die Ober-
lebenden so in Trauer versetzt sind, daß
sie sich selbst den Tod wünschen, vgl.
Lier. Philol. XVI (1903) S. 464.
11 spes quoque iam nobis: Der
Dichter stellt sich hier und v. 13 und 15
an die Stelle der Eltern (vgl. auch 1X9;
XXVIIl 9).
Auf das Grab der Enkelin Sophia.
51
Hei mihi, pro thalamo dedimus tibi, virgo, sepulchrum,
Pro taedis miseram funeris officium.
16 Tundimus heu maesti pro plausu pectora pugnis
Pro cithara et cantu planctus ubique sonat.
Gemmantem vitem decoxit saeva pruina
Purpureamque tulit dira procella rosam.
13 Hei mihi PL,H mihi // || 14 thaedis P, thelis (am Rand uel tedis) L,
caedis M || 15 heu aus eu corr. L \ moesti H \ plauso P \ pugnl am Rand s L ||
16 chithara L, cythara P \ canto P \\ 17 fehlt H \\ 18 purporeamque L \ tulit
fehlt P I rosa P. Daran sdäießen sidi in P fönende, wie es sdieint, spater
eingetragene Verse:
Christe potens, sollers summi sapientia patris,
Da sensum, da verba tue (corr. aus to^, deposco, fideli.
Mierauf folgt der Brief des Paulus an Theudemar,
14—18 funeris officium Poet 1 104
V.28. — tundimus heu maesti pro plausu
pectora pugnis: eine jedenfalls beabsich-
tigte Alliteration; vgl. den gleichen Vers-
schluß Verg. Aen. IV 673, XII 871 ; Ovid.
Met. III 535. — planctus ubique sonat
XXXV 31. — purpureamque tulit dira
procella: ähnliches Bild XXVIII 2; vgl.
Lier, Philol. XVI (1903) S. 583. — Die
Verse Christe potens sind wahrschein-
lich von Paulus selbst hinzugefügt und
zwar, als er das Gedicht an den Hof
Karls brachte (vgl. I). Meine Vermutung
sehe ich dadurch gestützt, daß sich an
diese Verse der Brief des Paulus an
Theudemar anschließt Wenn man be-
denkt, welche Anforderungen Karl an
Paulus stellte, so begreift man wohl
seine Bitte um sensus und sapientia:
sollers ist nicht wie Dümmler will (M.
G. Epp. IV 506, 10) zu Christe, sondern
zu sapientia zu ziehen (vgl. Anhang XI 6
XI.
Bittschrift an Kari.
'Es gibt auf der Welt keinen unglücklicheren Menschen als mich,
seitdem nun noch ein neues trauriges Ereignis, die Gefangennahme
meines Bruders, mich mit Schmerz erfüllt (1 — 8). Seine Frau und
Kinder müssen, ihres väterlichen Besitzes beraubt, in der Heimat bettete
gehn. Meine Schwester weint sich in ihrem Elend fast die Augen
aus (9 — 16). Nur Du kannst helfen; hab' Erbarmen und gib ihnen
Besitz und Stellung wieder. Dann will ich Christi Lob verkünden,
der allein gebührenden Lohn spenden kann (17—28).'
Die Gedichte VI und VIII gaben schon, wenn auch nur an-
deutungsweise, einen Einblick in die traurige Stimmung, die den
Dichter in der frühesten Zeit seiner Verbannung nach Montecassino
erfüllte. Hier schildert er sich in den ersten vier Versen als den un-
glücklichsten Menschen, den es gibt. Außer seiner eigenen Bestrafung
bereitet ihm ein neuer Anlaß großen Kummer: die Wegführung seines
Bruders Arichis in fränkische Gefangenschaft und das Elend der zurück-
gebliebenen Familie.
Abgesehen davon, daß uns Paulus in Hist. Lang. IV 37 den
Namen seines Bruders nennt, und außer den Andeutungen im vor-
liegenden Gedicht gibt es keine Überiieferung über dessen Schick-
sale. Wir wissen aber, daß der Herzog Hrodgaud in Friaul 776
gegen Karl sich empörte (Abel I 245 ff.), daß im April gleichen
Jahres der Aufstand niedergeschlagen war und daß Kari über die
Empörer strenge Strafen verhängte: Fortführung in fränkische Ge-
fangenschaft, Konfiskation ihres Vermögens und ihrer Güter (Abel 1 252).
Arichis, der Bruder des Paulus, wohnte in Friaul. Hier hatte Kari,
ebenso wie am Hof des von Friaul stammenden Herzogs von Benevent,
Bittschrift an Karl. 53
die erbittertsten Gegner (vgl. Ann. Einh. 788 SS.1 173; Einh.Vita Car.
cap. 11). Demnach ist es sehr wahrscheinlich, daß Ärichis ebenso
wie sein Bruder auch infolge der früheren Beziehungen ihrer Familie
zum Hof in Pavia zur Nationalpartei gehörte und sich an dem Auf-
stand des Herzogs Hrodgaud beteiligte; denn es trafen ihn die gleichen
Strafen wie die anderen Empörer.
Die Autorschaft unseres Paulus wird nicht bloß durch den In-
halt, sondern auch durch die Überlieferung gesttitzt: in der Pariser
Handschrift lat. 528 (P) steht unser Gedicht unter zweifellos paulini-
schen Gedichten, die auch zeitlich ihm nahestehen, außerdem im
Harleianus (H) und im Urbinas (U).
Die Abfassungszeit läßt sich aus v. 5 folgern: septimas annus
adest, ex quo nova causa dolores generat: das siebente Jahr ist da,
d. h. nimmt seinen Anfang, es sind gerade sechs Jahre vorüber, seitdem
jenes neue Ereignis, die Bestrafung seines Bruders, eintrat (vgl. auch
Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 11 * 161 Anm. 1). Wenn nun
Arichis im April 776, wo der Aufstand unterdrückt war, bestraft wurde,
so war genau im April 782 das sechste Jahr vorbei und schon im
Mai 782 konnte er sagen: adest septimus annus. Demnach verfaßte
Paulus wahrscheinlich in dieser Zeit die Bittschrift, vgl. auch Hauck
a. a. O. und Abel I 253 Anm. 3, und ließ sie durch Petrus von Pisa
überreichen (vgl. Vorbem. zu XII).
Das Gedicht gehört unstreitig zu den schönsten Erzeugnissen
des karolingischen Kreises und hat jedenfalls auch auf Kart seine
Wirkung nicht verfehlt, der gerade in jener Zeit Männer von dichteri-
scher und wissenschaftlicher Befähigung an seinen Hof zu ziehen
suchte.
Verba tui famuli, rex summe, adtende serenus.
Respice et ad fletum cum pietate meum.
Sum miser, ut mereor, quantum vix ullus in orbe est.
Semper inest luctus tristis et hora mihi.
IT UERS PAULI AD REG PCANDO P /. 126, H /. 6, ohne Obersdirift
Uf.Sh
1 artende // ^ || 2 et affectum U \\ 3 illus //.
2 ut mereor: Paulus will sagen:
•Wenn ich auch einer der Unglück-
lichsten bin, so verdiene ich doch meine
Strafe der Verbannung, und ich birte des-
Bruder. " Durch diese Selbstlosigkeit ver-
leiht er der Birte für seinen Bruder mehr
Nachdruck.
3 — 6 semper inest luctus vgl. I 7
halb nicht für mich, sondern für meinen j ver tibi semper inest.
54
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
10
15
30
Septimus annus adest, ex quo nova causa dolores
Multiplices generat et mea corda quatit
Captivus vestris extunc gennanus in oris
Est meus afflicto pectore, nudus, egens.
Illius in patria coniunx miseranda per omnes
Mendicat plateas ore treraente cibos.
Quattuor hac turpi natos sustentat ab arte,
Quos vix pannuciis praevalet illa tegi.
Est mihi, quae primis Christo sacrata sub amiis
Excubat, egregia simplidtate soror.
Haec sub sorte pari luctum sine fine retentans
Privata est oculis iam prope flendo suis.
Quantulacumque fuit, direpta est nostra supellex
Nee est, heu, raiseris qui ferat ullus opem.
Coniunx est fratris rebus exclusa patemis
lamque sumus servis rusticitate pares.
Nobilitas periit, miseris accessit egestas.
Debuimus, fateor, asperiora pati.
6 quattit H \\ 7 vestris] extris ^ | horisP// ll 8 afflidu // || 9coniuxP|
10 plateas aus plates com U \ tremento U \\ 11 quatuor H U \ hac aus ac
corr, P I turpi] uirpi P \ arce // || 12 praevalet illa tegi P H, quis ualet illa
tegit U II 13 que (öfter e für ste) U \\ 14 simplicitatae H || 17 quantulacunque U I
suppellex P H U \\ 20 sumus aus summus corr, P \\ 21 accessit aus accedit
corr. P, successit U \ aegestas P //.
12 quos vix pannuciis: Der Gedanke
ist klar, nicht aber der Wortlaut. Nach
U könnte man deuten: quos illa vix
tegit, quis pannuciis valet: mit Müh und
Not hüllt sie ihre Kinder in die wenigen
ihr zu Gebote stehenden Lumpen (vgl. die
ähnliche Ausdrucksweise in den Briefen :
XIV tota qua solum valeo mente und XXXI
oculis quibus solis valeo. Allein diese Les-
art sieht sehr nach Interpolation aus; PH
bieten die richtige Lesart: .Mit Mühe und
Not bringt es die Mutter fertig, daß diese
(= ihre Kinder) sich in Lumpen hüllen."
13 est mihi soror: Daraus erfahren
wir, daß Paulus außer seinem Bruder
Arichis noch eine Schwester hatte, die
ins Kloster gegangen war.
18 nee vgl. Vollmer, Philol. Suppl.
X 302, 89.
19 — 21 rebus exclusa paternis: Da-
mit ist jedenfalls der Besitz ihres Vateis
gemeint. — servis rusticitate pares:
rusticitas ist der Gegensatz zu nobilitas:
infolge ihrer Armut können sie nicht
mehr standesgemäß leben, sondern sind
zu einer niedrigen Lebensführung, ähn-
lich den Unfreien venuleilt, vgl. zum
Gedanken Alcvin.Poetl 187 v. 798— 799
nie tarnen metuit clara se stirpe fateri
Progenitum dicens: pauper sum et
rusticus unus; vgL auch Dahn S.5. —
nobilitas periit: Hist. Lang. VI 24.
22 debuimus asperiora pati: kann
kaum bedeuten: .wir mußten wirklich zu
Hartes erdulden*, sondern wegen fateor
und sed (v. 23) nur: .wir hätten noch
Härteres erdulden sollen'. Vgl. Bethm.
S. 260, Dahn S. 29.
Bittschrift an Karl.
55
Sed miserere, potens rector, raiserere, precamur
Et tandem finem his, pie, pone malis.
25 Captivura patriae redde et civilibus arvis,
Cum modicis rebus culmina redde simul,
Mens nostra ut Christo laudes in saecla frequentet,
Reddere qui solus praemia digna potest.
25 redde et] reddet H \ civilibus] genitalibus U
I secula U \\ unter 28 xsXcoa U.
26 sumul U II 27 laude
26 cum modicis rebus culmina redde:
Er bittet, Karl möge diesem Elend ein
Ende machen, den Gefangenen wieder
in die heimatlichen Gefilde ziehen lassen
und ihm seinen Wohnsitz (culmina —
tectum) nebst einem bescheidenen Teil
seines Besitztums zurückgeben; es ist
aber nicht ausgeschlossen, daß culmina
auch die angesehene Stellung be-
deutet, besonders wenn man zu
den modicae res auch Haus und Hof
rechnet
27 Paulus erklart hier, daß er, wenn
seine Bitte erfüllt und seine Trauer
geschwunden sei, seine Tätigkeit nur
Christus weihen wolle, der dann Karl
seine Gnadef lohnen werde. Man kann
die Zusage herauslesen, daß er von nun
an der Politik ferne zu bleiben und als
Mönch zu leben entschlossen sei.
XII.
Petrus von Pisa an Paulus Diaconus.
'Gelobt sei Christus, der die Hölle überwunden und auch Dich
Paulus, den hochgelehrten und sprachenkundigen Dichter, an unsem
Hof sandte (1 — 4). Deine unermüdliche Tätigkeit als Lehrer des
Lateinischen und Griechischen erweckt in mir die Hoffnung, daß Du
uns nicht wieder verfassen wirst (5 — 9). Für die Förderung der
Kenntnisse im Griechischen sage ich Dir ganz besonderen Dank;
denn nunmehr können auch die Kleriker im Gefolge meiner Tochter
mit dieser Sprache bekannt gemacht werden (10 — 12).'
Der Verfasser dieses im Auftrage Karts an Paulus gerichteten
Gedichtes ist Petrus von Pisa, der in den Handschriften die Beinamen
diaconus, archidiaconus, grammaticus und magister hat. Alcvin er-
zählt in einem Briefe aus dem Jahre 799 (M G. Epp. IV 285), daß
er als junger Mann sich auf einer Reise nach Rom in Pavia auf-
gehalten und hier eine Disputation mitangehört habe, die ein Jude
Lullus mit diesem Petrus hatte, und fügt bei et scriptum esse
eandem controversiam in eadem civitate audivi. Es scheint sich
also um einen wichtigen wissenschaftlichen Streitpunkt gehandelt
zu haben.
Diese Bemerkungen Alcvins sind deshalb von großer Bedeutung,
weil man daraus entnehmen kann, daß in der Residenz des Desiderius,
während dessen Regierungszeit (757 — 774) Alcvin jedenfalls diese
erste italienische Reise machte, wissenschaftlich hochstehende Männer
lehrten. Da nun auch Paulus an diesem Hofe sich aufhielt, so ist es
in Anbetracht seiner Stellung und seiner wissenschaftlichen Be-
strebungen zweifellos, daß diese beiden gelehrten Männer sich nahe-
Petrus von Pisa an Paulus Diaconus. 57
traten und Freunde wurden; was man auch aus v. 8 im Gedicht XVIII
antiqüo et caro quondam mittente sodale herauslesen kann.
Als Karl im Jahre 780 nach Italien zog und sich längere Zeit
auch in Pavia aufhielt, bekam er einen Einblick in das wissenschaft-
liche Leben, das in italienischen Städten herrschte, und wollte, dafi
auch sein Hof eine Pflegestätte feiner Bildung werde, was Angilbert
(Poet. I 360 V. 19—22) mit deutlichen Worten ausspricht:
David habere cupit sapientes mente magistros
Ad decüs, ad Icuidem cuiuscumque artis in atüa,
Ut veterum renovet studiosa mente sophiam.
David antat vates, vatorum est gloria David.
Da galt es nun geeignete Männer für seine Zwecke zu ge-
winnen und so berief er um jene Zeit Petrus (vgl. Hauck, Kirchen-
gesch. II 155 ff.) und im Jahre 782 Alcvin, den er in Parma kennen
gelernt hatte, an seinen Hof (Abel I 390).
Daß in demselben Jahre Paulus, wie klar gelegt wurde, seine
Bittschrift verfaßte, scheint mir kein Zufall zu sein. Jedenfalls hatte
ihm sein Freund Petrus geraten diesen Zeitpunkt zu wählen, als Karl
Gelehrte für seine Akademie suchte. Damals mag wohl jener bei
der Überreichung dieser Bittschrift seinen Freund als geeignetes Mit-
glied jener zu gründenden gelehrten Gesellschaft empfohlen und da-
durch Karl veranlaßt haben Paulus zu begnadigen und im Jahre 782
an seinen Hof zu berufen. Wenn sein Erscheinen als göttliche Fügung
hingestellt wird (Str. 4), so ist das ebenso zu verstehen, wie wenn in
Str. 1 1 der fromme König ein Ereignis, das nur das Ergebnis diplo-
matischer Berechnung war, auch als solche bezeichnen läßt.
In dem literarischen Kreise bildete der damals schon hochbetagte
Petrus von Pisa den Mittelpunkt. Er wurde in lateinischer Grammatik
und Literatur zugleich Lehrer des Königs (vgl. Einh. Vita Caroli cap.25:
In discenda grammatica Petrum Pisanum diaconem senem audivit)
und auch Angilberts (vgl. Ged. XXXIX und M. G. Epp. IV 285, 6). Über
seine weiteren Lebensverhältnisse und seine schriftstellerische Tätigkeit
soll im Anschluß an spätere Gedichte gesprochen werden.
Die Gedichte XII und XIII entstanden jedenfalls in der ersten
Zeit des Aufenthaltes des Paulus am fränkischen Hof, etwa Anfang
783; denn noch gibt dieser keine Andeutung, ob er länger bleiben
wolle, und auch der König spricht nur die Hoffnung aus ihn viel-
leicht doch dauernd gewinnen zu können.
Gewählt ist der volkstümliche, sehr verbreitete trochaeische Fünf-
zehnsilber, der auch dem Paulus geläufig war, vgl. oben Gedicht II
58 Karl Neff, Gedichte des Paulas Diaconus.
und VTilhelm Mayer, Gesammelte Abhandlungen zur mittellateinischen
Rhythmik I 204.
Das Qberschwengliche Lob, das Karl dem Paulus für seine Lehr-
tätigkeit ausspricht, ist wohl schon deshalb nicht wörtlich zu nehmen,
weil er durch besondere Anerkennung seiner Verdienste ihn zum
Bleiben veranlassen will. Sicher aber hat Paulus als Lehrer der
griechischen Sprache wirklich etwas geleistet, da der König an drd
Stellen des Gedichtes davon spricht (Str. 7, 8, 10). An der letzten
Stelle preist er diese seine Tätigkeit als etwas ganz Besonderes, das
nie gehofften Ruhm einträgt.
Daraus kann man zwar nicht folgern, dafi in karolingischer Zeit
durch Paulus Oberhaupt zum erstenmal das Studium des Griechischen
jenseits der Alpen Eingang fand, sondern daß er es neu belebte
und viele unterrichtete (vgl. 9, 1 post Graecam, maltis quam
ostendis, regulam). Ganz besonders war aber der König wohl
deshalb darüber erfreut, weil er nun Gelegenheit hatte die Kleriker,
die mit seiner Tochter Rothrud nach Byzanz ziehen sollten, durch
einen Nichtgriechen unterrichten lassen zu können und es erfflUte
ihn in seinem Bestreben alles zur Hebung der Bildung zu ton
mit Befriedigung, dafi er auch diese infolge des regen Verkehrs
mit Byzanz wichtigen Studien an seinem Hofe anger^ hatte.
Vor Paulus' Ankunft am Hof im Jahre 781 nach der Verlobung
der Prinzessin war der Eunuch und Notar Elissaeus (Abel I 385
bis 386) beauftragt worden ihr griechische Sprache und Sitte zu
lehren (vgl. Theophanes ed. de Boor I 455 xaxiXmev 'Ehoocuof
. . . jtQÖg t6 didd^ai avrrjv rd re rcbv FgaiKcbv ygafAjüUzza xai ttjv
yXcöaaav). Paulus kann zwar griechisch, wie aus Gest epp. Mett.
SS. 11 264 hervorgeht; er hatte es in jungen Jahren am Hof in
Pavia gelernt, aber seine Kenntnisse in dieser Sprache sind, wie
er Xlll 11 und 12 sagt, sehr gering. Das Studium des Griechi-
schen lag im achten Jahrhundert im Westen vollkommen darnieder
und man begnügte sich mit dem Einlernen einzelner Formehi
und Verse.
Ein klareres Bild davon gibt uns ein kurzer grammatischer
Traktat, der sich im Parisinus lat. 528 f. 134^—135 findet und zuerst
von H. Ömont (Bibliothfeque de TEcole des chartes XLII 1881,
126 — 127) veröffentlicht wurde. Da das Stück sich an eine größere
Anzahl paulinischer Gedichte anschließt, und zwar solcher, die am
Hofe Karts entstanden sind, so kann man annehmen, daß es auf
Paulus und seine Lehrtätigkeit zurückgeht. Ich habe die Handschrift,
Petrus von Pisa an Paulus Diaconus.
59
die auch den Rhythmus selbst enthält, noch einmal benützt und gebe
hier einen Teil des Traktates mit allen Fehlem und Eigenheiten ge-
treulich wieder. In genauem Anschluß an Donat (vgl. Keil, Gramm,
lat. IV 355) wird das Wort doctus grammatikalisch behandelt; die
Form ist, wie so oft, dialogisch, die Methode die des jüLegia/nög oder
iTtijmeQiojuög (vgl. Baebler, Beiträge zu einer Geschichte der lateinischen
Grammatik im Mittelalter S. 17).
TI ECTIN DOCTUS.
MEPOC Auru.
TI MEPOC AUrU ECTIN.
ONOMA ECTIN,
nOCA HAPEnONTE TUTO
ONOMATI
EX.
noiA.
IIOIOTIQ CYNCPICIQ GENOC.
APITHMOQ CKEMA, IITHOCIC.
TINOC nOIOTITOC ECTIN.
nPOCITOPIKIAC
TIC BATMOC CINKPICEOC
ECTIN.
THETICOC
CYNKPICEOC BATHMinOIO-
CIN.
TRIC.
IIOIOI
THETIKOC
CINKPITIKOC
YnEPTETIKOC
TINOC PENOC ECTIN.
APENIKU.
THIAIKON.
UDETEPU.
KOINON.
nANTOC.
EniKOINON.
Quid est doctus?
Pars orationis.
Quae pars orationis est?
Nomen est.
Quot accedunt huic nomini?
Sex.
Quae?
Qualitas, comparatio, genus.
Numerus, figura, casus.
Cuius qualitatis est?
Appellativae.
Quis gradus conparationis est?
Positivus.
Conparationis gradus quot sunt?
Tres.
Qui?
Positivus.
Conparativus.
Superlativus.
Cuius generis est?
Masculini.
Feminini.
Neutri.
Communis.
Omnis.
Promiscui.
Auch in der St. Galler Handschrift 899 p. 84, in der viele Stücke
zum karolingischen Hof Beziehungen aufweisen, fand ich Notizen,
die sich passend hier anschließen.
60
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
NOYC UATPIKOC sensus patemus.
AOrOC verbum sive ratio.
ON quod est
TOY ONTOC qui sit
nROON pexistentia.
TO MH ON quod non est.
MH ONTA quae non sunt.
AOrOI sermones.
TQ NOI sensui.
TOY ONTOC qui sit.
HYAE materia vel corpus.
MH ONTiiC non sit.
YAHN corpus.
TH YAH huic corpori.
1. Nos dicamus Christo laudem genitoris unico,
mundi legitur librorum qui Creator paginis,
cuius fine Clemens venit liberare perditos.
2. Ante saecula qui natus patema substantia,
ut salvaret, quos creavit, camem nostram induit
et innumeris ostendit virtutem miraculis.
3. Rupit tartara calcato draconis imperio,
cuius mors terrarum orbem vastabat invidia,
vinctos diu paradysi perduxit ad gaudia.
4. Qui te, Paule, poetarum vatumque doctissime,
linguis variis ad nostram lampantem provinciam
misit, ut inertes aptis fecundes seminibus.
IT. UERS. petri grammatici Pf. 123— 123 v.
4,1 doctissime] e auf Rasur P, ^ozWssxmum Dümmler
4,3 aptis fecundes aus aptes fecundis corr, P.
4,2 prouintiara P
1,1 Christo genitoris unico dem
eingebornen Sohne des Vaters; unicus —
unigenitus.
2,1 ante saecula qui natus patema
substantia vgl. im Symbolum Athana-
sianum: Deus ex substantia Patris ante
saecula genitus.
4,1 — 2 poetarum vatumque: vates
ist der dichterisch begeisterte Sänger und
poeta der schaffende Dichter. — lam-
pantem linguis variis: Er verstand also
Lateinisch, Griechisch und Hebräisch und
war demnach trilinguis (vgl. Poet. IUI 67
V. 27; 229 v. 1). Dies ist aber nur für die
lateinische Sprache wörtlich zu nehmen;
denn für diese Zeit waren Kenntnisse im
Hebräischen eine Seltenheit. Was das
Griechische betrifft, vgl. Vorbem.
Petrus von Pisa an Paulus Diaconus.
61
5. Graeca cemeris Homerus, Latina Vergilius,
in Hebraea quoque Philo, TertuUus in artibus,
Flaccus crederis in metris, Tibullus eloquio.
6. Tu nos gestu docuisti exemplorum credere,
quod amoris agro nostri plantatus radicitus
tenearis nee ad prisca cor ducas latibula.
7. Cum grammaticae Latinis fecundare rivulis
non cesses nocte dieque cupientis viscera
partiumque satione Graecorum sub studio,
8. Haec nos facit firmiores doctrina laudabilis
vestra de permansione qua fuit dubietas,
quod te restis nostrae cinxit nee dimittit anchorae.
5,1 Greca (oft e für ae; P \\ 6,1 docuisti zweimal P \\ 6,2 radictus P
7,1 latinis) das erste i corr, P \\ 7,3 ratione P, satione Traube,
5,1 — 3 in Hebraea quoque Philo:
Der Jude Philo war dem karolingischen
Kreis aus lateinischen Obersetzungen be-
kannt. Paulus nennt den in Alexandria
geborenen Philosophen XIII 4 Memphiti-
cus, — Tertullus in artibus: Wen Petrus
damit meint, läßt sich nicht bestimmt
sagen, möglicherweise den in der Apostel-
geschichte (24, 1) genannten jüdischen
Redner, der gegen den Apostel Paulus
auftritt. Daß er ihn neben dem Juden
Philo nennt, könnte dafür sprechen. —
Homer galt (Poet. I 97 v. 54) als vatum
summus, ohne daß er gelesen wurde,
und Angilbert hatte als Mitglied des ge-
lehrten Kreises Karls diesen Beinamen,
Alcvin hieß mit seinem Dichternamen
Flaccus. Horaz war aber jedenfalls auch
nicht durch Lektüre bekannt, vgl. P. v.
Winterfeld Rh. M. 60, 1905, 33. Welche
Schriftsteller in der karolingischen Zeit
besonders gelesen wurden, erfahren wir
aus Poet. 1 203 v. 1535 ff. und 543 v. 1—18.
6,1 gestu exemplorum = prae te
gerens exempla — credere, quod: Die
Konstruktion mit quod statt acc. c. inf.,
sonst eine häufige Erscheinung (vgl. in
diesem Gedicht 8,3 u. 11,1), wird von Pau-
lus selten gebraucht. Aus dieser und aus
der 8. Strophe geht hervor, daß Paulus
noch keine Zusage machte, ob er am Hofe
Karls bleiben wolle. Er scheint also noch
nicht lange dort geweilt zu haben. —
prisca latibula weist auf Montecassino
hin, wo seine wissenschaftliche Bedeu-
tung nicht solche Würdigung fand wie
in der gelehrten Gesellschaft Karls.
7 — 8 Die von Traube (Neues Archiv
XVII 399) vorgeschlagene Lesart pra-
torumque satione bringt ein zu fecun-
dare rivulis passendes Bild; vgl. auch
4,3 fecundes seminibus; doch fordert
der Gedanke nicht die Änderung des
überlieferten partium: Petrus kann sagen,
daß Paulus im Gegensatz zum Lateini-
schen vom Griechischen nur die partes
orationis lehre (vgl. 9). — vestra de
permansione: sc. firmiores de vestra
permansione, de qua fuit dubietas, quod
.fester im Glauben betreffs eures Ver-
weilens, daß". — Ein Vergleich dieses
Gedichtes des Petrus von Pisa mit dem
folgenden zeigt deutlich den Vorzug der
Darstellungsweise des Paulus.
62
Karl Ndf, Gedichte des Paulus Diaconus.
9. Credimus post Graecam, multis quam ostendis, regulam
te iam doctis traditurum Hebraeorum studia,
quibus ille Gamalihel doctor legis damit
10. Magnas tibi nos agamus, venerande, gratias,
qui cupis Graeco susceptos erudire tramite.
Quam non ante sperabamus, nunc surrexit gloria.
11. Haud te latet, quod iubente Christo nostra filia
Michaele comitante sollers maris spatia
ad tenenda sceptra regni transitura properat
12. Hac pro causa Graecam doces clericos grammaticam
nostros, <ut> in eius pergant manentes obsequio
et Graiorum videantur eruditi r^julis.
12,2 ut fügte Dammler ein.
9 post Graecam regulam, vgl. 12,3
Graiorum videantur eruditi regulis und
10,2 Graeco susceptos erudire tramite:
Aus dieser Ausdrucksweise entnehme
ich, daß der Unterricht im Griechischen
sich nur auf einzelne grammatikalische
Erscheinungen bezog. — doctis tradi-
turum = die in den Kenntnissen bereits
Fortgeschrittenen , Gegensatz suscepti,
d. h. die in die schola palatina Auf-
genommenen. — Gamalihel doctor legis,
zu dessen Füßen der Apostel Paulus saß
(Act.Apost.5,34; 22,3).
11 Während Karl im Jahre 781 sich
in Rom aufhielt, warb die Kaiserin Irene
für ihren zehnjährigen Sohn Konstantin
um die Hand von Karls achtjähriger
Tochter Rothrud (Abel I 386). Diese Ver-
lobung wurde 787 wieder aufgelöst (Abel
1569). — Michaele comitante: Michael
war ein griechischer Gesandter, vgl. M.
G. Epp. IV 547, 16; 556, 20). — soUers:
Rothrud wird auch sonst wegen ihrer
geistigen Vorzüge gerühmt, vgl Angfl-
bert Poet I 361 v. 43 Rotthrad camm
amat, mentis clarissima virgo, — ad
tenenda sceptra regni vgL Petras X^I 18
nunc regni sceptra tenentis. — /roo«-
tura properat: Damit ist jedenfalls nnr
gemeint, daß die Prinzessin zu dieser
Vermählung Vorkehrungen trifft. Dahn
(S. 47) liest aber in diesen Worten die
Andeutung, daß dfese schon in aller-
nächster Zeit stattfinde. Da nun die
Prinzessin 781, im Jahre ihrer Verlobung,
nicht älter als neun Jahre war, so wäre
der früheste Zeitpunkt ihrer Vermählung
das Jahr 785, wo sie ungefähr das Alter
ihrer Mutter Hildegard, die zwölf Jahre
alt sich mit Kari verheü-atete (vgl. XXVI
21 Anm.), erreicht hätte. Nach der Dahn-
schen Erklärung der Stelle wäre also
unser Gedicht erst 784/785 entstanden,
was aber der sonstige Inhalt (vgl. Vor-
bcm.) nicht als annehmbar erscheinen läßt
XIII.
Antwort des Paulus.
*Ich habe wohl gemerkt, von wem die mir überbrachten Zeilen
stammen. Das mir gespendete Lob erscheint mir als Ironie und
Spott. Nie nahm ich mir jene heidnischen Dichter, mit denen ich
verglichen werde, zum Vorbild (1 — 5). Meine Kenntnisse im Grie-
chischen und Hebräischen sind sehr gering, bilden aber meinen ein-
zigen Reichtum und ich kann nichts anderes zum Geschenke machen
als diese und meinen guten Willen. Was mich hier festhält, ist nicht
Ruhmsucht, es ist der Anker eurer Liebe (6 — 9).
Wenn die Kleriker im Gefolge Deiner Tochter nur so viel
griechisch reden, als sie von mir gelernt haben, dann werden sie
wie Statuen erscheinen und verlacht werden. Aber einen Beweis,
daß ich nicht ganz unkundig in den Sprachen bin, will ich geben.
Dies lernte ich als Knabe, das andere entschwand mit den Jahren
(10 — 12).' — Daran schließt sich die auch sonst bekannte römische
Übersetzung eines griechischen Epigramms ohne den zugehörigen,
von Paulus vergessenen Schluß.
Man hätte erwartet, daß Karl für die segensreiche Tätigkeit des
Paulus nicht bloß anerkennende Worte haben, sondern ihm die Er-
füllung seiner Bitte, wenn auch nicht sofort gewähren, aber doch
wenigstens in Aussicht stellen würde. Daß auch Paulus dies er-
wartete, beweist seine Antwort. Sie ist in sehr zurückhaltendem, manch-
mal sogar kühlem Tone gehalten. In dem ganzen Gedicht, das an Karl
gerichtet ist, bringt er keine andere Anrede in die Feder. als gegen
den Schluß rector (10,2). Man vergleiche nur die anderen am Hofe
Karls entstandenen Gedichte und man wird dann diesen Punkt nicht
als belanglos ansehen. Während Petrus zwei volle Strophen (6 u. 8)
64 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
dazu verwendet um Paulus zu versichern, wie man ihn schätze, und
wie viel Karl daran liege ihn, der nunmehr frei über seinen Auf-
enthaltsort verfügen könne, an seinem Hofe festzuhalten, bringt
Paulus mit einfacher Verwendung des von Petrus (8,3) gebrauchten
Bildes nichts anderes als die sehr geschraubten und gewundenen
Worte: anchora me sola vestri hie amoris detinet, nectar omne quod
praecellit quodque f lagrat optime. Wenn er anfügt, daß ihn nicht
eitle Ruhmsucht festhält, so konnte Karl zwischen den Zeilen lesen,
dafi dem Paulus als Ziel viel mehr die Befreiung seines Bruders vor-
schwebte und daß diese ihm erwünschter war als das maßlos ge-
spendete Lob.
Von besonderer Bedeutung scheinen mir Str. 7 u. 8 zu sein.
Mit der auffallenden durch zwei Strophen hindurchgehenden und
durch nichts im Gedichte des Petrus veranlaßten Äußerung, daß er
keine materiellen Güter besitze und nicht wie andere solche zum
Geschenk machen könne, will er Karl in verblümter Weise nur sagen:
könnte ich Dir Schätze bieten, wäre mir meine Bitte vielleicht schon
erfüllt worden. Wahrscheinlich enthält auch die Stelle 7,3: vUam
litteris ni emam in ihrer doppeldeutigen Ausdrucksweise, insofern
als er nicht sagt, wessen Leben er gleichsam durch seine wissen-
schaftliche Tätigkeit erkaufen möchte, eine stille Mahnung.
Wenn man das ganze Gedicht überblickt, so erkennt man, wie
fein Paulus dem König zu verstehen gibt, daß er sich mit Lob nicht
abspeisen läßt und bis jetzt keinen Grund hat die Zusage seines
Bleibens zu geben.
1. Sensi, cuius verba cepi exarata paginis,
nam a magno sunt directa, quae pusillus detulit.
Portes me lacerti pulsant, non inbellis pueri.
Versus Pauli Pf. 123v— 124.
1,1 coepi P,
1 verba exarata: Worte, die ent- j mer), carta miitinemcampuscandidoius
standen, indem man die Wachstafel mit i (campi albentes), die Zeilen mit Furchen
dem Griffel durchfurchte. Auch in der \ ^occa^^ verglichen (XIX 1 u. 2) ; vgl. Poet
karolingischen Zeit wurde ein Gedicht | I 361 v. 45. — a magno sunt directa,
zuerst auf einer Wachstafel niederge- i quae pusillus detulit: Karl ist der Ab-
schrieben; für scribere wird daher mit 1 sender und ein Page der Überbringer
Vorliebe arare, perarare, sulcare, chara- des Schreibens ; an einer anderen Stelle
xare gebraucht; penna wird mit einer i (XVIII 6) ist es ein Adjutant des Königs
zweigespaltenen Pflugschar (bifidus vo- \ (clarus miles).
Antwort des Paulus.
65
Magnus dicor poetarum vatumque doctissimus
omniumque praeminere gentium eloquio
cordis et replere rura fecundis seminibus.
Totum hoc in meam cemo prolatum miseriam,
totum hoc in meum caput dictum per hyroniam.
Heu, laudibus deridor et cacinnis obprimon
Dicor similis Homero, Flacco et Vergilio,
similor TertuUo seu Philoni Memphitico,
tibi quoque, Veronensis o Tibulle, conferor.
Peream, si quenquam horum imitari cupio,
avia qui sunt sequuti pergentes per invium;
potius sed istos ego conparabo canibus.
2,1 doctissimos P \\ 2,2 preminere (einige Male tfür a^) P \\ 4,2 similor aus
simulor corr. P \ philoni aus philom corr. P || 5,2 auia mit c Ober u P.
2 entspricht der 4. Str. im voraus-
gehenden Gedicht.
3 Beachte die wirkungsvolle Ana-
phora verbunden mit Reim. — in meam
miseriam: .Das ganze Lob ist nur vor-
gebracht worden um mir meine Arm-
seligkeit, das, was mir fehlt, recht zum
Bewußtsein zu bringen, und alles ist Ironie* ;
in meum caput = in me, vgl. XXII 22
deridetque meum caput, — heu: Die
handschriftliche Oberiieferung ist beizu-
behalten; heu ist zweisilbig gebraucht
wie seu, ceu 4, 2 und XV' 9, 1, vgl. Traube,
Karolingische Dichtungen S. 112 ff. und
O Roma nobUis, Abb. d. I. Cl. d. Akad. d.
Wiss.XIX Bd. II S.320. — deridor: Vtx-
tauschung der Konjugation, vgl. XHIll
deridentur, XXII 22 deridet (beides als
Fut gebraucht); X 6 stupiSrent,
4 bringt die Antwort auf XII 5. —
Veronensis o Tibulle: Paulus verwechselt
den aus Verona stammenden Catullus mit
Tibullus. Von diesem sind alte Hand-
schriften nicht überiiefert, er war aber
den Karolingern nicht ganz unbekannt
5 avia qui sunt sequuti pergentes
per invium: Beachte das Wortspiel avia-
invium, Paulus verwahrt sich gegen
einen Vergleich mit den in Str. 4 ge-
Quellen u. Untersuch, z. lat Philologe des MA,
nannten Männern, die das vom rechten
Weg Abliegende im Auge hätten und
dabei durch Unwegsames gingen. Er
will damit sagen, daß diese Schriftsteller
als Heiden in der Irre gehen, da sie nicht
den rechten Weg einschlagen, den allein
das Christentum zeigt, und Dinge zu er-
gründen suchen (pergentes per invium),
wie der Philosoph Philo, die dem mensch-
lichen Geist versagt sind (vgl. Verg. Aen.
II 736 avia cursu dum sequor et nota
excedo regione viarum), — potius sed
istos ego conparabo canibus: Dieser
Vergleich erscheint befremdend, da Pau-
lus ein so gelehriger Schüler der Antike
ist, aber er gebraucht ihn vielleicht in Er-
innerung an Matth. XV 26, wo Jesus die
Heiden auch mit Hunden vergleicht im
Gegensatz zu den oves domus Israel.
Möglich ist aber auch, daß Paulus sagen
will: Jene Schriftsteller laufen, eben weil
sie nicht den rechten Weg, nämlich den
des Christentums gehen, wie die Hunde,
bald hierhin bald dorthin. Im ähnlichen
Sinne sagt Alcvin Poet 1 279 v. 121—123:
Converti ad dominum ne tardes tra-
mite recto:
Doctrinis etiam variis non flexilis esto,
Te via nam domini teneatfirmissima;
ra.4. 5
66
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
6. Graiam nescio loquellatn, ignoro Hebraicam.
Tres aut quattuor in scolis quas didici syllabas,
ex bis mihi est ferendus maniplus ad aream.
7. Nulla mihi aut flaventis est metalli copia
aut argenti sive opum, desunt et marsuppia.
Vitam litteris ni emam, nihil est, quod tribuam.
8. Pretiosa quaeque vobis dona ferant divites,
alii conportent gemmas Indicosque lapides:
meo pura tribuetur voluntas in munere.
9. Anchora me sola vestri hie amoris detinet,
nectar omne quod praecellit quodque flagrat optime.
Non de litteris captamus vanae laudem gloriae.
6,2 scolis aus scoli corr, P || 8,2 conportent aus conportant corr. ? P.
Sedul. cami. pasch. I 300:
Arrius infelix, qui curva peravia rectum
Flectere nisus iter, foveam delapsus in
atram;
vgl. auch Poet. I 82, 22.
6 in scolis didici: Darin liegt kein
Widerspruch, wie Dahn S. 10 behauptet,
mit den Angaben Hildrichs, des Ver-
fassers der Grabschrift des Paulus (unten
XXXVI 14) : divino instinctu regalis pro-
tinus aula te sumpsit alendum. Paulus
wurde in der schola palatina in Pavia
unterrichtet, vgl. Bern, zu XXXVI 15. —
ferendus maniplus ad aream: Er muß
eine Handvoll der Öffentlichkeit über-
geben.
7—8 Ein Vergleich unseres Gedichtes
mit dem vorausgehenden zeigt, daß Paulus
in seiner ebenfalls zwölf Strophen um-
fassenden Antwort auf jede Strophe des
Petrus erwidert, nur 7 und 8, wo Paulus
hervorhebt, daß er nicht im Besitze von
Schätzen sei, sind durch keine Andeu-
tung im vorhergehenden Gedicht ver-
anlaßt; vgl. Vorbem. — nulla flaventis
metalli copia vgl. Brief an Theudemar
(XIV 35) nullae me, credite, divitiae,
nulla praedia, nulla flaventis metalli
copia a vestro poterunt separare col-
legio: vgl. auch VI 132 und Brief an
Adalhard (XXXI am Anfang). — con-
portent ist in Rücksicht auf ferant ein-
zusetzen. Die Reichen mögen kostbare
Geschenke aller Art geben, er kann nur
seinen guten Willen anbieten, d. h. seine
Bereitwilligkeit das zu erfüllen, was Kari
von ihm wünscht. — gemmas Indicosqui
lapides: vgl. XXVI 6 Indica gemma;
Anh. 112 et rutilat vario Indus honore
lapis. Damit kann der Beryll gemeint sein
(vgl. Isid. Etymol. XVI cap. 7 Beryllus in
India gignitur, gentis suae lingua nomen
Habens) oder auch die Perle, vgl. Plin.
nat. bist. IX 106 culmen omnium rerum
pretii margaritae tenent. Indicus maxime
has mittit oceanus.
9 nectar quod flagrat optime: Die
Verwechslung von fragrare, f lagrare und
auch fraglare findet sich in den Hand-
schriften sehr häufig (vgl. Poet. I 3 v. 8;
98 V. 14; 128 v. 67, 133 Str. 3 u. 5; Index
zu Poet. III). Hier erwartet man frag-
rare, vgl. Poet. I 261 v. 34 et totum
redolet pectus amore dei; Poet 1 79
V. 9 Romanis blando quantum frag-
lavit (flagravit G) amore. Die Ver-
wendung von flagrare, wenn von Liebe
die Rede ist, lag näher; vgl. auch Grab-
schrift Hildrichs XXXVI v. 33 nectareus
et pacis amor. — non de litteris cap-
tamus laudem: Paulus will sich nicht
durch wissenschaftliche Tät^keit Be-
Antwort des Paulus.
67
10. Nee me latet, sed exulto, quod pergat trans maria
vestra, rector, et capessat sceptrum pulchra filia,
ut per natam regni vires tendantur in Asiam.
Si non amplius in illa regione clerici
Graecae proferent loquellae, quam a me didicerint,
vestri, mutis similati deridentur statuis.
Sed omnino ne linguarum dicar esse nescius,
pauca, mihi quae fuerunt tradita puerulo,
dicam; cetera fugerunt iam gravante senio:
11
12.
11,2 proferent Traube, proferunt P
aus i corr, P \\ 12,1 dica P.
rühmtheit verschaffen, sondern nur Gott
dienen. Diese Worte bilden die Erwide-
rung auf XII 10: nunc surrexit gloria, —
laudem gloriae: Ahnliche Ausdrucks-
weisen sind in der karolingischen Zeit
häufig, vgl. Index zu Poet. UI unter
abundantiae exempla.
10 gibt die Antwort auf XII, 11. —
ut per natam regni vires tendantur:
Paulus schließt sich in dieser Strophe
enge an die Worte Karls an, setzt aber
statt iubente Christo, worauf Bezug zu
nehmen ihm eigentlich näher lag, den
wahren Grund und beweist dadurch, daß
er die politischen Verhältnisse wohl im
Auge behalten hat
1 1 proferent wurde in Rücksicht auf
didicerint und deridentur (vgl. Bem. zu
Str. 3) eingesetzt.
12 dicar esse nescius: Da die
überlieferte Lesart dicam esse nescius
nicht dem Sprachgebrauch des Paulus
entspricht, so wurde die auch inhaltlich
mehr entsprechende dicar gewählt Da-
mit man nicht sage, er habe überhaupt
keine Sprachenkenntnisse besessen, so
fügt er die lateinische Obersetzung fol-
genden griechischen Epigramms {^Xdxxov
Anth.Pal.VlI542) bei:
"Eßgcv x^^fi^gioig dzcdog xqv/äoToi dt&ivxog
HOVQOi oXio^QoTg Tioöoivi&QavoBJtdyoVf
xov TtOLQaovQo/iivoto nBQiQ^yeg avx^*
ixoxpev
loquillae P \ dedlcerint das erste e
^yaXiov jiOjafwO Biaxovloio rgvipog,
5 Kcu To fiev ^QJioü&ri divoug /ligog' rj de
xsxovoa
Xetq^ev vjte^e id^qt /4o€vcv i^xB
xaga,
MvQo/iivr] de tdXcuva 'xixog, xixog* ehu
'z6 fUy acv
TWQxoii^, t6 di aov jitxQov i&ayfev tfdtOQ.'
Paulus kann damit nicht etwa den Be-
weis liefern wollen, daß er imstande sei
ein griechisches Original in poetischer
Form zu übersetzen, sondern nur, daß er
in seiner Jugend die bereits lange vorher
übersetzten lateinischen Verse kennen
gelernt habe. Die Worte pauca, mihi
quae fuerunt tradita puerulo, dicam etc
sagen, daß er das Gedicht aus der Er-
innerung wiedergibt, das ihm einst sein
Lehrer vorlegte, und daß ihm nicht
alles mehr im Gedächtnis geblieben ist
— iam gravante senio: Damit ist nur
gesagt, daß er sich schon alt fühlt Da
sein Geburtsjahr nicht überliefert ist,
so kann man nur unbestimmte Angaben '
machen. Nehmen wir an, daß er als Gast
an der königlichen Tafel (Hist. Lang. II 28)
des Ratchis, der 744 zur Regierung kam,
mindestens 18 Jahre alt war, dann fällt
seine Geburt ungefähr ins Jahr 726 und
er war demnach bei Abfassung dieses
Gedichtes (783) bereits 57, im Jahre 786,
wo er nach Montecassino zurückkehrte,
60 Jahre.
5*
68
Karl Ndf, Gedichte des Paulus Diaconus.
DE PUERO QUI IN GLACIE EXTINCTUS EST.
Trax puer adstricto glacie dum ludit in Hebro,
Frigore concretas pondere rupit aquas.
Dumque imae partes rapido traherentur ab amni,
Praesecuit tenerum lubrica testa caput
Orba quod inventum mater dum conderet uma,
*Hoc peperi flammis, cetera,' dbdt, 'aquis'.
Vgl die handschriftliche Oberlieferung bei Baehrens, Poet lat min. IV ICB
und Riese, Anthol. lat' Nr. 709 S. 174. Demnach sind zwei Versionen zu unter-
scheiden, die eine vertreten durch einen cod. Bellovacensis = IT, die andere, Ucr
wiedergegebene durch P,
1 dum ludit in Hebro] cum luderet Hebro W \\ 2 concretas] frenatas Wl
3 dumque] cumque W \ rapido traherentur ab amni] fundo raperentur ab imo W\
4 praesecuit tenerum] abscidit a iugulo IT || 5 orba quod] quod mox W \ nni]
igni IT II Bei IT finden sich noch die Verse:
Me miseram! Plus amnis habet solumque reliquit.
Quo nati mater nosceret interitum.
Aus Strophe 12 geht hervor, daß
wir keine selbständige Arbeit des Paulus
vor uns haben, wie Riese a. a. O. und
M. Rubensohn behaupten (Neue Jahr-
bücher für Philol. und Pädagogik CXLVU,
1893, S. 764: .Eine Übersetzung des
Paulus Diaconus aus der griechischen
Anthologie"). W überliefert wohl die
ursprüngliche Übersetzung, wie sie Pau-
lus in der Schule kennen lernte, P die
von ihm aus dem Gedächtnis nieder-
geschriebene. Daher die Vertausdrang
des cum mit dem ihm geläufigeren ilni,
daher die Änderung in v. 3, die beweist,
daß ihm nur noch der Klang im Ohre
geblieben war, daher das Fehlen des
letzten Distichons.
XIV.
Brief an Theudetnan
*Wenn ich auch räumlich getrennt bin, weilt mein Herz doch
stets bei Euch und die Erinnerung an all das, was ich verlassen
mußte, erfüllt mich mit Wehmut (1 — 15). Trotz der guten Aufnahme,
die ich überall fand, erscheint mir der Palast wie ein Kerker und ich
sehne mich nach dem Frieden Eures Klosters (16 — 26). Nichts soll
mich abhalten zu Euch zurückzukehren, sobald der Herr des Himmels
von mir die Nacht der Trauer und von den Meinen das Joch der
Knechtschaft wegnimmt und mir die Gnade des Fürsten dazu die
Eriaubnis gibt. Betet für mich zu Benedikt, daß Gott mich bald
heimsende (27 — 43).
Schreibt mir, wie es Euch und den Brüdern geht, welchen Zu-
wachs ihr bekommen und wen ihr durch Tod verloren habt (44 — 58).'
Der Brief entstand im Jahre 783, wo Kari in Diedenhofen sein
Hoflager hatte (vgl. Abel I 414 Anm. 3) und zwar, wie aus der
poetischen Nachschrift hervorgeht, am 10. Januar. Diesen inhaltlich
und auch formell dem Gedicht XIII ganz nahe stehenden Brief reihe
ich nach nochmaliger Vergleichung des Parisinus lat. 528 hier an,
weil sich Paulus hier gegenüber dem vertrauten und verehrten Mann,
an den er den Brief richtet — es ist Theudemar, der Abt von Monte-
cassino (778 — 797) — , offener ausspricht als in seinem poetischen
Antwortschreiben an den König und dadurch einen tieferen Einblick
in die Stimmung tun läßt, die ihn in den ersten Zeiten seines Auf-
enthaltes am königlichen Hof beherrscht.
70 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Einst war ihm die Zelle in Montecassino als Kerker und Ver-
bannungsort erschienen (vgl. Bern, zu den Gedichten VI u. VIII), jetzt
sehnt er sich nach ihr zurück. Dieser Umschwung der Stimmung
ist nicht nur dadurch zu erklären, daß Paulus während seines un-
gefähr achtjährigen Aufenthalts sich in die klösterlichen Verhältnisse
eingelebt und sie liebgewonnen hatte (sehr anmutig ist die Art, wie
er im Geiste an den einzelnen Obliegenheiten der Kommunität teil-
nimmt [22 — 26]), sondern besonders durch den Kontrast seines
gegenwärtigen Lebens mit dem damaligen.
Da Karl mit rastlosem Geiste auf allen Gebieten des Staats-
lebens, vor allem in kirchlichen und wissenschaftlichen Dingen durch-
greifende Umgestaltungen und Verbesserungen vornahm, so stellte er
auch an seine Umgebung die größten Anforderungen und es ist kein
Zweifel, daß besonders Paulus wegen seiner vielseitigen Bildung ihm
bei der Durchführung seiner Maßnahmen mit Rat und Tat behilflich
sein mußte. Wie oft mag ihn wohl gerade in der ersten Zeit, wo
der Grund zur Hebung des wissenschaftlichen Lebens gelegt werden
sollte, Karl veranlaßt haben sich schriftlich oder mündlich über be-
stimmte Punkte zu äußern oder zur Belehrung des Königs und zur
Klärung strittiger Punkte mit einem anderen Gelehrten zu disputieren
oder zur Unterhaltung Gelegenheitsgedichte zu machen und zwar in
einer Zeit, wo Paulus nicht die entsprechende Stimmung hatte. Nimmt
man dazu die anstrengende Lehrtätigkeit, die er, wie alles andere,
mit um so größerer Gewissenhaftigkeit ausübte, als er dadurch eher
für seinen Bruder die Gnade des Königs zu erringen hoffte, so be-
greifen wir, wenn ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht nach der be-
schaulichen Stille und Ruhe des Klosters ergriff und er an seinen
Abt die Worte schrieb: Ad conparationem vestri coenobii mihi pah-
tium carcer est, ad conlationem tantae, quae apud vos est, quietis
hie mihi degere tempestas est.
Auch hier sagt er deutlich, daß er bei seinem Aufenthalt nur
den Zweck verfolge die Befreiung seines Bruders zu erwirken und
daß er, unbeeinflußt durch die glänzenden Aussichten, die ihm ein
Bleiben am Hofe eröffnete, heimkehren wolle, sobald es möglich sei.
Dabei aber verschweigt er nicht, daß Kari sich ihm gnädig zeigte.
Brief an Theudemar.
71
AMABILLIMO ET TOTIS MIHI PRAECORDIIS DILECTO
DOMINO MEO, PATRI ABBATI THEUDEMARI, PAULUS
PUSILLUS FILIUS SUPPLEX.
Quamvis prolixa terrarum spatia corpore tenus a vestro con-
sortio dividant, iungit me tarnen utcumque vestro coetui tenax et 5
quae dividi numquam potent Caritas, tantusque singulis paene mo-
mentis me vester meorumque seniorum et fratrum amor excruciat,
quantum nee epistolaris valet relatio nee pagellarum exponere bre-
vitas. Cum enim menti subeunt occupata tantum in divinis operibus
otia ac mei statio hospitioli gratissima, cum vester pius et religiosus lo
affectus, cum sancta tantorum Christi militum divinis cultibus insudans
caterva, cum singulorum fratrum in diversis virtutibus exempla ful-
gentia, cum dulcia supemae patriae perfectionum coUoquia, haereo,
stupeo, langueo nee inter imo pectore tracta suspiria retinere lacrimas
possum. 15
Inter catholicos et christianis cultibus deditos versor; bene me
omnes accipiunt, benignitas mihi affatim amore nostri patris Benedicti
et vestris meritis exhibetur; sed ad conparationem vestri coenobii
mihi palatium carcer est, ad conlationem tantae, quae apud vos est,
quietis hie mihi degere tempestas est. Solo ab hac patria debili w
corpusculo teneor, tota, qua solum valeo, mente vobiscum sum.
Videorque mihi nunc suavibus nimium vestris interesse concentibus,
nunc consedere satiandis in caenaculo plus lectione quam cibo, nunc
INCP EPISTOLA P /. 127.
6 pene (häufig e statt ae; P \\ 9 diuinis] u auf Rasur P || 14 imo
aber i stehen zwei Punkte und darüber ein Budistabe wie i P \ retenere P \\
16 deditos aus deditus corr, P || 17 benignitas Traube, benigniter P,
3 — 10 pusillus filius supplex vgl.
Anm. zum Anfang des Briefes an Adel-
perga (HI). — quae dividi numquam
poterit Caritas: Ahnlicher Gedanke bei
Alcvin M. G. Epp. IV 53, 11. — occu-
pata tantum in divinis operibus otia:
In diesen Worten liegt, daß seine Tätig-
keit am Hofe meist weltlichen Dingen
gewidmet war. — cum vester: Die Ana-
phora tritt in diesem Brief besonders
häufig auf, vgl. 22, 27, 34.
11—14 sancta Christi militum ca-
terva vgl. 27 Sacra et venerabilis pha-
lanx; VI v. 147 u. 148 sancta phalanx. —
inter imo pectore tracta suspiria vgl.
Ovid. Met. X 403 suspiria duxit ab imo
pectore.
21 — 26 tota, qua solum valeo, mente
vgl. Brief an Adalhard XXXI inter-
ioribus oculis, quibus solis valeo. — ad
instar auch sonst von Paulus gebraucht
Gest. epp. Mett. SS. U267; Hist Lang.
114; IV 47.
72
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
singulorum considerare in diversis officiis studia, nunc gravium iam
35 senio seu languidorum, quomodo quisque valeat, perdiscere causas,
nunc ad instar mihi paradisi dilecta sanctorum terere limina.
Crede, pater et domine, crede sacra et venerabilis phalanx, solo
me affectu misericordiae, solis pietatis predbus, solis animae hie
profectibus ad tempus detineri; et, quod bis est amplius, tranquilli
ao nostri regis et domini potestate. Ceterum quam primum valuero et
mihi caeli dominus per pium principem noctem maeroris meisque
captivis iuga miseriae demiserit, si tamen quomodocumque demen-
tissimi prindpis iocundum quivero emereri permissum, mox ad vestra
consortia nulla alia, vita comite, detentus occasione repedabo. NuUae
35 me, credite, divitiae, nulla praedia, nulla flaventis metalli copia, nullos
quorumlibet affectus a vestro poterunt separare collegio.
Te itaque, pater dulcissime, vosque, o carissimi patres et fratres,
inploro, pro me continue beatissimum communem patrem et prae-
ceptorem poscere dignamini Benedictum, ut suis apud Christum ob-
40 tineat meritis, ut me quantocius dignetur reddere vobis. Spero equi-
dem in deo nostro, qui numquam in bonis patitur desideriis quem-
quam fraudari, quod me secundum anhelantis mei cordis desiderium
vobis citius restituat cum congruo fructu.
26 terrere P \\ 27 phallanx P \\ 28 me] mea P \ precibus Waitz, patri-
bus P, visceribus Lebeuf \\ 29 ' deteneri P \ tranquilli Dahn, tranquill a P \\
31 meis qua P \\ 34 decentus P || 35 me credite nicht lesbar P \ flaventis am
labentis corr. P \\ 36 a vestro] auexo P \\ 39 obteneat P \\ 40 quantotius P.
27 — 29 solo me affectu misericordiae:
In diesen Worten gibt er deutlich an,
was ihn noch festhält, nämlich das Ge-
fühl des Mitleids für die Seinen, ihre
Bitten und der Gewinn, den er durch
ihre Befreiung für seine Seele erringt;
damit kann er seine innere Ruhe meinen
oder das angenehme Gefühl anderen
Gutes getan zu haben. — tranquilli
nostri regis et domini potestate: Daß
Karl ihn nicht fortlassen will, ist deutlich
auch in XII 6 u. 8 ausgedrückt; vgl. auch
XIII 9 ancora me sola vestri hie amoris
detinet; man beachte auch, daß er Karl
immer den gnädigen Fürsten nennt (trän-
quillus, pius, clementissimus) .
31 — 35 mihi noctem maeroris meis-
que captivis iuga miseriae: Mit der Be-
freiung der Gefangenen schwindet auch
seine Trauer, vgl. zum Gedanken XXI
V. 12 taetro maerore relicto; v. 9 quod
tepost tenebras fecit cognoscere lumen, —
nulla flaventis metalli copia: Diese wört-
lich in XIII 7 von Paulus gebrauchten
Worte bestätigen die nahen Beziehungen
zwischen diesem Gedicht und unserem
Brief.
40 — 52 ut me quantocius dignetur
reddere vobis: In den prosaischen Schriften
des Paulus finden sich nicht sehen Vers-
schlüsse oder ganze Verse, vgl. Neff,
De Paulo D. Festi epitomatore p. 8. —
cum congruo fructu: Mit dem ent-
sprechenden Erfolg meint er die Be-
freiung der Gefangenen. — pro nostris
dominis eorumque exercitu: Es ist nicht,
Brief an Theudemar.
73
Superfluum vobis aestimo, ut effundatis preces pro nostris
dominis eorumque exercitu, scribere, cum sciam vos in hoc ipso 45
semper insistere; pro domno illo abbate, sicut et facitis, Christum
deposcite, cuius hie singulari post principalem munificentiam nutrior
largitate. Tanta mihi, carissimi, vestra illuc copia existit, ut, si velim
vos singulariter nuncupare, tota haec vestris nominibus pagina non
possit sufficere. Unde generaliter omnibus et opto et scribo salutem, 60
obsecrans, ut non obliviscamini mei. Te vero, mi domine et vene-
rabilis abba, seu quicumque es, nonne praeposite, peto, ut mihi scribi
faciatis de vestra fratrumque salute, vel quales vobis fructus praesens
annus adtulerit; utque eorum fratrum mihi dirigatis cum nominibus
numerum, qui mundanis exuti vinculis migrarunt ad Christum. Nam 55
plurimos obisse audio; sed nominatim nonnum illum, qui, si vere ita
est, mei cordis partem non modicam abstulit secum. Vale, pater
sandissime, et memor esse dignare filioli tui.
lam fluebat decima de mense diecula lani,
Margine de vitreae cum sum directa Mosellae. ^
Cum patre mellifluo, fratres, sine fine valete!
48 ex istit P \ ut aus et corr. P \ uellim P || 56 nominatim] zwischen t
und i eine Rasur P \\ 59 diecula] deicola? P || 60 mosellae fast ganz ver-
wischt P.
wie Dahn S. 31 will, an Karl und seine
Söhne Pippin und Ludwig zu denken,
da diese seinem Herzen noch ferne stehen
und ihm noch als die Feinde seines
Vaterlandes und seiner Familie erscheinen.
Er bezeichnet damit Abte oder Kloster-
vorstände mit ihren Mönchen, vgl. XIV 1 1
sancta Christi militum caterva. — dom-
no ilL: Möglicherweise stand an Stelle
des ///. der Name Adalhards, des Abtes
von Corbie an der Somme, der infolge
seiner Bekanntschaft von Montecassino
her sich jedenfalls des Paulus annahm,
als er am Hofe Karls erschien (vgl. Vor-
bem. zu XXXI). — seu quicumque es,
nonne praeposite: Schon L^beuf erschie-
nen diese Worte auffällig und er änderte
deshalb quocumque es nomine. Bethmann
nimmt an, daß dies ein Zusatz ist, der
nachträglich gemacht wurde, als man den
Brief für die Klosterschule als Muster ab-
schrieb. Dem Schüler sollte gesagt werden,
daß er, wie hier Paulus seinen Abt anredet,
er die Anrede zu wählen habe, die seinem
Adressaten zukommt. Man kann auch
denken, daß Paulus, lange ohne Nach-
richt von Montecassino geblieben, die
Möglichkeit nicht ausschließen will, daß
an Theudemars Stelle, der abwesend oder
gestorben sein könnte, ein anderer älterer
Bruder den Brief in Empfang nimmt.
53 quales fructus: Paulus erkundigt
sich, wie der Zusammenhang ergibt, nicht
nach der Ernte, sondern nach dem Zu-
gang neuer Mönche.
59 fiuibat: vgl. die Anm. zu X 6. —
Die Verse bilden gleichsam die Adresse
zu dem Brief, vgl. XXXIX.
XV.
Grammatische Rhythmen.
In diesen beiden rhythmischen Gedichten werden 40 Perfekt-
formen der vier Konjugationen aufgezählt und zwar so, dafi das
IL Gedicht einen Naclitrag zum I. liefert.
Sie sind in der Pariser Handschrift lat. 7530 (Q) überliefert,
wo f. 5^ eine prosaische Abhandlung de speciebus praeteriti perfecü
beginnt. Daran schließt sich t?" der I. abecedarische Rhythmus.
Ihm folgt f. 8 ein II. aus 10 Strophen bestehender, deren Anfänge
die Worte Paulus feci bilden.
Schon die ersten Herausgeber (Nouveau traite de diplomatique
I 293), dann Dümmler (Poet. I 625) und Traube (Neues Archiv XV200)
erkannten darin ein Werk des Paulus Diaconus, denn dieser be-
schäftigte sich viel mit grammatikalischen Studien (vgl. die Ausgabe
seines dialogisierten Donat von Amelli, Montecassino) und war am
Hofe Karis auch als Lehrer der Grammatik tätig. Er ist femer der
Verfasser andrer rhythmischer Gedichte und verwendete auch sonst die
Form des Akrostichons (II und XVI).
Das wichtigste Beweismittel bietet aber die handschriftliche Ober-
lieferung. Die in beneventanischer Schrift geschriebene Pariser Hand-
schrift stammt ohne Zweifel aus Montecassino und P. Lejay (Revue
de Philologie XVIII 42 — 52) veriegt ihre Abfassungszeit ins Jahr 779.
Traube bezweifelt aber, daß der Parisinus mit den Rhythmen
des Paulus ^sous ses yeux ou du moins par ses ordres" entstanden
sein könne, da er dafür zu fehlerhaft geschrieben sei; er hält es für
möglich, daß er aus einer älteren Voriage vom Jahre 779 abgeschrieben
wurde (Traube, Textgesch. S. 112). Zur Entscheidung dieser Frage
ist zunächst festzustellen, daß die Darstellung in formeller und inhalt-
licher Beziehung die Annahme zweier Verfasser fordert und der
I. Rhythmus nicht von Paulus verfaßt sein kann.
Grammatische Rhythmen.
75
Da er nichts anderes ist als eine rhythmische Bearbeitung der
Grammatik des Diomedes, so halte ich es für sehr wahrscheinlich,
daß er erst entstand, als Adam die Bibliothek Karls mit einer Ab-
schrift der Grammatik des Diomedes bereicherte, wofür er mit der
Abtei Wasmünster belohnt wurde (Poet. I 93 c. VI), also nicht vor 780.
Weil nun Karl im nämlichen Jahre die wissenschaftlichen Studien an
seinem Hofe neu belebte, so liegt der Gedanke nahe, daß der um die
gleiche Zeit von ihm berufene Grammatiker Petrus von Pisa, sein
Lehrer in der Grammatik, im Jahre 781 den Diomedes rhythmisch
behandelte um ihn dadurch leichter zu Lehrzwecken verwenden zu
können. Als aber Paulus Diaconus im Jahre 782 an den karolingischen
Hof kam und seine Lehrtätigkeit begann (vgl. XII 7 cum grammaticae
Latinis fecundare rivulis non cesses), verfaßte er den IL gramma-
tischen Rhythmus, das Resultat eigener Studien, zur Ergänzung des I.
Beide bildeten dann als ein Ganzes die Grundlage für die grammati-
kalischen Unterweisungen am Hofe. Als Paulus wieder nach Monte-
cassino zurückgekehrt war, also nach 786, wurde die Abschrift ge-
macht, die wir im Parisinus vor uns haben. Verlegt man mit P. Lejay
die Entstehung unserer Rhythmen in das Jahr 779, in dem Paulus
Diaconus noch als Verbannter in Montecassino lebte, so könnten wir
folgern, daß er schon hier als Lehrer der Grammatik tätig war.
Die vielen Fehler, die sich in beiden Rhythmen und besonders im
I. finden, lassen es aber als vollkommen ausgeschlossen erscheinen,
daß wir im Parisinus eine erste Niederschrift oder etwa das Hand-
exemplar des Paulus haben.
1. Adsunt quattuor in prima iunctione species:
'a' ex eis prima habet in perfecto tempore,
una syllaba plus, ut est famulavi famulo.
2. Bino loco constituta est secunda species,
quae 'a' vitat et in solam 'i' vocalem desinit
sine Ulla consonante, ut est sono sonui.
1 vgl. Diomedis art. gramm. I (Gramm,
lat. ed. Keil I 364, 15 (Coniugationis
primae temporis perfecti formae sunt
quattuor , . , prima est, in qua semper
'a' inest et una abundat syllaba . . .
famulo famulavi,
2 Diom. p. 365, 25 Secunda forma
est, quae ... 'a* libentius vitat et in 'V
litteram purum desinit nulla duce con-
sonante, ut est sono sonui.
76
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
3. Continetur isto modo tertia iam species,
alebh litteram non habet atque eius syllabae
iteratio fit, sicut obsto obstas obstiti.
4. Dicam <iam> de forma quarta, quae sie solet fieri:
in *vi' syllaba finitur, sed transacto tempore
prima brevis prolongatur, lavo lavi <sic>ut est
5. Ecce quinque formis adest secunda coniunctio,
cuius prima in 'i' cadit absque consonantibus,
cuius tale est exemplum: splendui et splendeo.
6. Forma sequitur secunda, quam si cupis discere,
mox dicemus: est conepta instanti in tempore,
sed producitur perfecto, sedeo ut sedi est
7. Genus tertiae iam modo formulae dicendum est:
terminatur 'i', sed prima geminata syllaba,
ut est spondeo spopondi, quae perit conposita.
8. Hinc iam quartae prosequamur ordinem speciei,
cuius terminum 'si' tenet ultima conplexio,
haereo ut est et haesi et arsi et ardeo.
9. Inde quinta in 'xi' exit, ceu ruxi luxi est
Vidi quoque sive prandi aut nullius formulae
verba sunt aut sextam sibi vindicabunt speciem.
3,2 atque eius] et eiusdem Dammler \\ 4,1 iam fügte Dämmler ein \\
4,3 brebis Q \ labo Q \ ui Q, sicut Dämmler || 5,1 coniugatio Q, corr. Dämmler \\
6,1 qua si Q || 7,3 spopondiq Q, corr. Dämmler \\ 8,3 et hes. Q \\ 9,1 exit] exi Q.
3 atque eius syllabae: nämlich die-
jenige Silbe, die 'a' nicht hat. Es ist
nicht nötig mit Dümmler et eiusdem
syllabae zu schreiben; vgl.Diom.p.366,7
Tertia forma est, qua *a' littera eximitur
et iteratio syllabae fit, ut , . . obsto
obstiti.
4 Diom. p. 366, 17 Quarta species
in 'vi' quidem syllabam desinit, sie ta-
men ut prior syllaba, quae in praesenti
correpta fuerat, perfecto tempore pro-
ducatur, ut lavo lavas lavi.
5 Diom. p. 366, 21 Secundae con-
iugatio nis formae sunt quinque: prima
est, quae in *i litteram cadit nulla duce
consonante, splendeo, splendui.
6 Diom. p. 366, 31 Secunda forma
est, qua prima syllaba ex correpta per-
fecto producitur, sedeo sedi,
7 Diom. p. 366, 33 Tertia forma
est, quae desinit quidem in T litteram
praepositis consonantibus variis, sed
inceptiva verbi littera sive syllaba ge-
minata, ut . . . spondeo spopondi . . .;
adiecta vero praepositione geminatio
cessat syllabae.
8 Diom. p. 367, 5 Quarta forma est,
quae desinit in *si' syllabam, ut . . ,
ardeo arsi, haereo haesi.
9 ceu ist zweisilbig zu lesen, vgl
oben S. 65 (Anm. zu XIII); es ist aber
nicht ausgeschlossen, daß ruxi vel luxi
Grammatische Rhythmen.
77
10. Koniugationis novem tertiae sunt species,
coniugationis primae quarum prima quidem est:
alfam habet in 'vi' cadens, pasco pavi quäle est.
11. Lucide dicamus eia de secunda specie:
multiformis haec M' tenet nulli iunctam grammati;
colo colui, exemplura si requiras, istud est
12. Modus tertiae iam formae a nobis dicendus est,
cuius inceptiva semper syllaba gemella est,
ut est pungo et pupugi, nam et punxi lectum est
13. Namque quartae normae <modus> non praetereundus <est>,
cuius clausulam supremam *es' et *iota' retinent:
ludo lusi hoc utuntur exemplo grammatid.
14. Optat si quis quintam scire, sensum huc accomodet:
in 'xi' longa haec desistit, ut cinxi vel coxi est,
sunt et alia, quae versus non valet recipere.
10,1 Koniugationis] g auf Rasur Q \\ 10,3 habens in ui cadens Q, habens
in 'vi' cadit Dammler \\ 11,2 multiformem Q \\ 12,1 est] dicendus eius Q, com
Dammler \\ 12,2 syllaba] b auf Rasur Q \ gimella Q \\ 13,1 modus und est
von Dämmler hinzugefügt || 13,2 clausula Q \ iotam Q \\ 13,3 lusi] lud! Q,
corr. Dammler,
est die richtige Lesart ist, vgl. 14, 2 in
'xV longa haec desistit, ut cinxi vel
coxi est; Diom. p. 367, 10 Quinta forma
est, quae extrema syllaba in *xV litteras
cadit ut , , . rugeo ruxi, lugeo luxi . . .
Duo sane verba video etprandeo, quae
nullius formae regulam servant, aut
rede excipientur aut sextam sibi for-
mam vindicabunt, ut video vidi, prandeo,
prandes prandi.
10 alfam habet in vi cadens: diese
Lesart wurde besonders in Rücksicht auf
3,2 und auf die Stelle bei Diom. p. 367, 18
gewählt: Coniugationis tertiae , . . for-
mae sunt novem, Prima est, quae desinit
quidem in *vi' syllabam, sed ... 'a'
habet . . . ut pasco pavi.
11 multiformis haec sc, species: Wie
vielgestaltig diese Art ist, ersieht man
aus den bei Diom. p. 367, 21 angegebenen
Beispielen: Secunda forma in 'i' purum
litteram desinit, ut . . . colo colui , . , in-
cumbo incubui, consulo consului, pecto
pexui, pono posui, gigno genui.
12,3 nam = sed (vgl. 13,1; 20,2).
Diom. p. 367, 28 Tertia forma est, quae
desinit in *V quidem litteram appositis
variis consonantibus , sed inceptiva
verbi littera sive syllaba geminata in
hunc finiuntur modum . . . pungo pu-
pugi , . , sed et punxi dicimus,
13,2 Diese Lesart findet ihre Be-
stätigung in 8,2 cuius terminum 'sV tenet
ultima conplexio und in 22,2 eius sigma
atque iota retinent finem; iota wird nicht
dekliniert (22,2 u. 23,2); Diom. p. 369, 1
Quarta forma est, quae desinit in 'si'
syllabam, ut , , , ludo lusi,
14 Diom. p. 369, 9 Quinta forma
est, quae desinit in 'xi' syllabam, ut ,
coquo coxi, cingo cinxi.
78
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
16,
17
15. Post haec suo sexta loco formula conexa est,
quae *vi' syllaba finitur <in perfecto tempore,
ut est cupio cupivi et sapivi sapio>.
Quo na<m> ter<ininetur modo septima iam praedico).
<Cui>us ter<minum 4' tenet), 'e' sedet in limine,
et ex agili pigriscit, capio ut cepi est
Rite sequitur octava, quam concludit littera
consonantibus 'i' iuncta, uti verto verti est
Oritur haec <in> instanti a persona media.
18. Superest, ut nona harum scribatur posterior,
cuius semper bis pulsatur ultima conplexio,
ut est abdidi <et abdo) sie dictum accipimus.
19. Transeamus hinc ad quartam quam nonnuUi nominant
coniugationem: formis haec ex quinque prima est,
quae ut garrio ganivi in <per>fecto duplex est.
20. Venit iam secunda forma, textus tum vicesima,
'ui' namque terminatis modus litteris sonet,
ut est volo voluique, malo atque malui.
15,2—3 und 16,1—2 diese Zeilen in Q fast gämlich zerstört \\ 16,2 in
limine resedet (et?) Q || 16,3 coepi Q \\ 17,1 sequuntur Q \\ 17,2 consonantibus]
b ist nur undeutlich zu erkennen Q \ consonanti iota Dämmler \\ 17,3 in-
stanti (?, ab instanti Dämmler || 18,3 et abdo fügte Traube ein \\ 19,3 inlecto Q,
corr. Dämmler || 20,1 venit] i zwisdien n und t daräbergesdirieben Q \ forma
15 Diom. p. 369, 25 Sexta forma
est, quae desinit in 'vi' syllabam, ut
cupio cupivi, sapio sapivi et sapui.
16 in limine = initio vgl. VII 3
aetatis ipso limine. — ex agili pigriscit —
4,3 brevis prolongatur; Diom. p. 370, 2
Septima forma est, quae desinit in 'i'
quidem litteram, ita tamen ut instantis
syllaba prima correpta perfecto tempore
producatur, ut , . , capio cepi,
17 in instanti vgl. 6,2 instanti in
tempore: Diom. p. 370, 10 Octava forma
est, quae desinit in '/' quidem litteram,
ita tamen ut a secunda persona in-
stantis temporis venire videatur, ut , . ,
verto verti.
18 Diom. p.370, 12 Nona forma est.
quae desinit in 'di' syllabam, ita tamen
ut iteratio mediae syllabae fiat .,. ab-
do abdidi,
19 Diom. p. 370, 24 Coniugationis
tertiae productae, quam quidam quartam
nominant, formae sunt quinque, Prima
est , , . ut garrio garrivi garrii. — Dio-
medes teilt wie Donat und Probus die
3. Konjugation in die mit kurzem und
langem 'is' in der 2. Pers. Sing., Priscian
spricht nur von vier Koniugationen. Diese
werden seit Diomedes an amo doceo
lego audio gelernt (vgl. Baebler, Beiträge
zu einer Geschichte der latein. Gram-
matik im Mittelalter S. 60).
20 '«/' namque terminatis litteris
vgl. 7,2 terminatur '/'; II 2,1 *io' iermi-
Grammatische Rhythmen. 79
21. X. in tertia in *eo' vocalibus desinit,
quae ut prima in *vi' exit nee tarnen bifida est:
est exemplum eo ivi et queo similiter.
22. Ymnum Christo decantantes quartae textus formulae
scripti tenus, eius sigma atque iota retinent
finem, farcio et farsi ut solemus dicere.
23. Zeta tandem adtingentes, nunc supremae formulae,
quae 'x' habet ante iota, depromendus ordo est,
ut est sanxi: Diomedes sie de his locutus est.
textus tum vicesima] formam tous tu uicesima Q, forma totius vicesima Dümmler,
in textu vicesima Traube |l 20,2 nonaque terminaris litteris modus resonet Q, in
'ui' qui terminatis litteris modus sonat Dämmler, in 'ui' qui terminatis modus sonat
litteris Meyer, in 'ui'que terminalis litteris quo 'u' sonet Traube || 20,3 uoluiqu^ Q \
atquf Q II 21,1 desinit vocalibus Dämmler \\ 22,1 textu Q \\ 22,2 scriptotenus
Dämmler \ sima Q \\ 22,3 farsio Q || 23,1 adtengentes Q.
natas formas, 3,1 'm terminatur; Diom.
p. 371, 3 Secunda forma est, quae de-
sinit in 'i' litteram purum, ut volo volui,
malo maluL
21 vocalibus desinit: Trotz des Wi-
derstreites zwischen Rhythmus und ge-
wöhnlicher Betonung ist diese über-
lieferte Stellung beizubehalten, vgl. 12,3
pungo et pupugi; 21,2 bifida est. Diom.
p. 371, 4 Tertia forma est, que desinit
in *vi' quidem syllabam ad similitudinem
primae formae ., ,ut queo quis quivi, . .
eo ivi.
22 decantantes: Der gleiche Ge-
brauch des Part. Rel. wie 23,1 adtingentes,
— eius sc. formulae. — Diom. p. 371, 13
Quarta forma est, quae desinit in 'sf
syllabam, ut farcio farsL
23 Diom. p. 371,15 Quinta forma est,
quae desinit in 'xf syllabam, ut sancio
sanxi.
1. Post has nectit subsequentes in secunda species
septimam atque octavam sapientum Studium,
ut est deleo delevi, gaudeo gavisus sum.
1,1 species Q, specie Dümmler \\ 1,2 optavam Q.
1 in secunda sc. iunctione vgl. 2,1 species nectit subsequentes.
ad correptam tertiam; verbinde post has
80
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
2. Addunt etiam <et> istas ad coneptam tertiam
'io' terminatas quinque formas, nam est dedma
supra nonam *o' 'vi' mutans, ut cupivi cupii.
3. 'Ui' terminatur sequens, ut sapio sapui.
Sigma litteram bis sena, ut percussi, geminat.
In „xi"*, ut aspexi, exit tertia et decima.
4. Leniter hinc bis septena, ut salio salii,
geminatur. Sex sunt 'io' terminatae formulae
tertiae correptae, binas bis producta retinet
5. *Uo' terminata verba duas habent spedes:
quinta decima fit ita: induo <et> indui.
Instruo instruxi datur formae sextae dedmae.
6. Septima, ut ago egi, 'a' 'e' mutat dedma,
fitque longa, sed non cresdt subsequenti formula.
mutat 'a', ut frango fregi, 'n' et perit consonans.
7. Fit hoc species tenore nona atque dedma,
*i' sine vocalem solam, perimitur consonans,
scindo ut est atque scidi. Addamus vicesimam.
8. Exit haec in „psi", ut carpsi. Prima et vicesima
*s', ut messui, habetur geminata littera.
Hinc, ut fisus sum, secunda ad passivum transmeat.
2,1 et fügte Dümmler ein \\ 2,3 *i' *vi* Dämmler, *io' *vi' mutans Traube \
cupii Q, cupio Vollmer \\ 3,1 sapio sapii Q, sapui sapio Dämmler \\ 3,2 s. litte-
ram Q II 3,3 in cxi Q \\ 4,1 salii] sisili Q \\ 5,2 et fügte Dämmler ein B
7,2 *i' (aus n) sine uocali sola Q.
2 decima supra nonam: Er fügt zu
den im vorhergehenden Rhythmus auf-
gezählten neun Arten noch eine zehnte;
vgl. 9,2 sexta super illas quinque. —
*o' 'vi' mutans: Das *o' von cupio wird
in 'vi' verwanden. Es ist kein Grund
die überlieferte Lesart zu ändern.
4 salio salii vgl. Diom. p. 374, 5
Salio: perfectum suavius enuntiare vide-
mur salii, quasi munii; sed plerique
veterum salui dixerunt — sex sunt 'i&
terminatae formulae: Paulus zähh hier
nur fünf auf: cupio sapio percutio aspicio
salio, rechnet aber capio im vorher-
gehenden Rhythmus dazu. — binas bis
producta retinet: er meint garrio farcio
sancio in 1 19, 22 u. 23 und aperio in II 9.
7,2 Man möchte lieber stellen: sine
*i' vocalem solam, consonans perimitur.
Grammatische Rhythmen.
81
9. Coniugationi quartae una tantum iuncta est,
hoc est sexta super illas quinque, ut praemissum est:
'io' aperio, mutat quae 'ui' aperui.
10. Istas si quis quadraginta <species didicerit),
. . . quid . certe . . tur. .
humiliter.
9,3 quae mutat in ui Q || 10,1—3 in Q größtenteils durch Feiuhtigkeit zerstört.
Nach Istas si quis quadraginta beginnt 8^. Den Schluß bildet: EXPUCIT DE
SPECIEBUS PRETERITI PERFECTI.
9 ut praemissum est im vorher-
gehenden Gedicht. — 'io' aperio: die
gleiche Betonung wie 3,1 sapio, 4,1 salio,
— *ui' ist wie 3,1 zweisilbig zu lesen. —
'io' mutat 'ui' vgl. 2,3; 6,1.
10 quadraginta: 24 im I. und 16 im
II. Rhythmus. — Eine Ergänzung der
lückenhaften Strophe versuchte ich ohne
Erfolg. Der Sinn scheint zu sein: Wer
diese 40 Perfektformen kennt, der hat
sichere Kenntnisse. Schließlich fordert
der Dichter den Leser auf ftlr ihn zu
beten, etwa mit den Worten: Pro me
tamen posce, lector, dominum humiliter.
Quellen u. Untersuch, z. lat. PhUologie des MA. m, 4.
XVI.
Rätsel.
'Etwas Schöneres als ich bin, gibt es nie in' einem Pokale.
Mir gebührt der Vorrang. Durch meine Kräfte kann ich viele täuschen.
Gesetz und Recht verlieren ihre Wirkung. Wer reichlich mich g^
nießt, wird staunend meine Kraft spüren (1 — 6).'
Die Anfangsbuchstaben dieses Rätselgedichtes geben den Namen
Paulus. Daß der Verfasser unser Paulus ist, dafür sprechen mehrere
triftige Gründe. Abgesehen davon, daß ihm die Form des Akro-
stichons nicht fremd war (oben I und XV^ und wir ihn auch als
Verfasser von Rätselgedichten kennen lernen werden, ist es besonders
die Überlieferung und die Form des Gedichtes, die zweifellos auf
Paulus Diaconus hinweisen.
In der Leipziger Handschrift Rep. I 74 saec. IX (L) ist fol. 15^—24
eine größere Sammlung von Rätseln unter dem Titel Qiiestiones enig-
matum rhetoricae aprtis (= artis) überliefert. Sie wurde heraus-
gegeben von P. Brandt im Tirocinium philologicum des Bonner
Seminars S. 101 — 133 und von W. Meyer aus Speyer, Gesammelte
Abhandlungen zur mittellateinischen Rhythmik II 161 ff.
Für die Autorschaft sprechen folgende Gründe. Vor allem, daß
unser Gedicht in einer Handschrift steht, die zweifellos paulinische
Gedichte enthält. Dann auch seine Eigenart. Meyer hat durch ge-
naue Untersuchung von Form und Inhalt nachgewiesen, daß jene
Rätsel in der Lombardei entstanden und zwar im 7. oder 8. Jahr-
hundert. Sie bestehen aus rhythmischen Hexametern, die Meyer
(a. a. O. S. 16) auch langobardische nennt, weil er sie nur in lom-
bardischen Inschriften fand und auch der Inhalt für diese Herkunft
spricht. Unser Rätsel, ebenso sechszeilig wie die vorausgehenden,
schließt nun die Reihe dieser langobardischen Rätselgedichte ab und
weist schon dadurch zweifellos auf unseren Paulus hin.
Wenn man nun erwägt, daß Karl der Große seinem gelehrten
Kreise nicht bloß ernste Fragen voriegte, sondern eine besondere
Freude daran hatte, wenn Rätsel aufgegeben und gelöst wurden, so
Rätsel. 83
erscheint es sehr wahrscheinlich, daß Paulus diese langobardische
Rätselsammlung als Beitrag lieferte, damit man ähnlich wie bei den
Epitaphiensammlungen Muster habe, wie derartige Dichtungen ge-
macht werden könnten. Zugleich aber wollte er diese Sammlung
nicht übeneichen ohne selbst eine Probe seines Könnens geliefert
zu haben und dabei gleichsam sein Ktinstlersignat zu geben.
Man darf aber nicht annehmen, daß die ganze Sammlung der
langobardischen Rätsel, die in mehreren voneinander stark abweichen-
den Handschriften vorkommt, Paulus zum Verfasser hat. Wahrscheinlich
fand er sie bereits vor und stellte sie in etwas geglätteter Form an die
Seite der zahlreichen ähnlichen hauptsächlich angelsächsischen Samm-
lungen, die damals, vielleicht durch Alcvin verbreitet, am fränkischen
Hof beliebt waren, wie denen des Aldhelm, Eusebius und Bonifatius.
Gerne las man damals auch den sogen. Symphosius (Baehrens IV 364).
Unser Rätselgedicht ist jedenfalls in der ersten Zeit seines Auf-
enthalts am Hofe Karls entstanden, also zwischen 782 und 786.
Die hier gebrauchten rhythmischen Hexameter sind Nach-
bildungen des quantitierenden Hexameters, wobei aber der Wort-
akzent maßgebend ist Jede Zeile schließt wie der gewöhnliche
Hexameter, ohne daß auf die Quantität der Silben Rticksicht ge-
nommen ist. Beim Lesen der Verse betone man, wie die Prosa es
verlangt. Sonst verweise ich auf die oben angeführten eingehenden
Untersuchungen W. Meyers (S. 13 — 16). Über ähnlich gebaute Verse,
die im 6. Jahrhundert in Montecassino entstanden, vgl. Traube, Text-
geschichte der Regula S. 91.
Pülchrior me nullus | versätur in pöculis ümquam,
Ast 6go primätum | in Omnibus töneo sölus.
Viribus atque mäs | pössum decfpere mültos,
Löges atque iura | per m€ virtütes amfttunt.
5 Värio me sf quis | haurire volüerit üsu,
Stupöbit ingönti | m6a percüssus virtüte.
ITEM DE UINO L /. 24. 5 hauri L \ vor usu Rasur L
de domo lapsus diffundor ubique,
2 ast reiht einen neuen aus dem
Vorausgehenden sich ergebenden Ge-
danken an. — Dem Sinne nach gehören
immer zwei Verse zusammen.
3 vgl. Bonif. aenigm. Poet. 1 14 v. 376
Viribus atque meis valeo depeUere
sensus,
6*
1 pülchrior me nullus: Man er-
wartet das Neutrum; aber aus den an-
deren Gedichten geht hervor, daß das
Masculinum gesetzt wurde, auch wenn
die Lösung ein Wort im Neutrum ergab,
vgl. Meyer a. a. O. S. 164 de ovo: Nati
mater ego, natus ab utere mecum, prior
illo non sum, und S. 167 de melle: Lucida
XVIL
Petrus an Paulus.
'Im Mittag stand die Sonne, der Hirte ruhte im Schatten der
Pappel, Schlummer umfing Menschen und Tiere, Stille lag über Ge-
birg und Meer; da brachte mir ein Jflngling, ausgezeichnet durch
Vorzüge des Körpers und Geistes, das Rätsel: »Der Erzeuger gibt
dem Erzeugten, was er fühlt selbst nicht zu haben.* Mir fällt die
Lösung zu schwer, darum versuche es Du, dem sie keine Schwierig-
keit bereiten wird (1 — 28). Laß den Bruder in Ruhe und löse noch
ein Rätsel: ein Daktylus kommt heraus. Gott erhalte König Karl
(29—45).'
•
Petrus überschickt also seinem Freunde zwei Rätsel, von denen
das erste jedenfalls von Karl, das zweite von ihm selbst gestellt wurde.
Damit beginnt die Reihe der Gedichte, die uns zeigen, daß sich der
gelehrte Kreis Karls auch mit Fragen weniger ernsten Inhalts befaßte.
Lumine purpureo dum sol perfunderet arva,
lam radiis medium caeli transcenderat axem,
Populea et fessus pastor recubabat in umbra
Cingebatque sopor homines fulvosque leones
ITEM UERS. PETRI AD PAULUM P /. 124, PETRI G p. 15.
1 aruam G \\ 3 populea aus pupulea com P \\ 4 cingebatque] dngebat hi P.
1 — 4 lumine purpureo: vgl. In lau-
dem solis, Riese, Anth. lat.^ 389 v.36 (ein
auch in der Lcipz. Handschr. stehendes
und damals bekanntes Gedicht) Sol qui
purpureo diffundit lumine terras; vgl.
auch Culex 42, 107 f. — populea et fessus
pastor vgl. Verg. Georg. IV 511 populea
sub umbra; Nemes. (ed. H. Schenkl) III 3
fessus recubare sub ulmo: PoeL 1 389
v. 65 non solitus pastor gelida recubare
sub umbra. — fulvi leones Ov. Her. X 85;
Verg. Aen. II 722.
Petrus an Paulus.
85
5 Et lapidum solito sat iure silentia montes
Stringebant pelagique gravis cessaverat ira:
Extemplo iuvenem prospexi corpore pulchro,
De cuius niveo florebat barbula mento,
Respectu placitum, sensu, pietate, loquella,
10 Ingenio cunctos superantem nomine summo.
Hac me subridens voluit palpare sagitta:
*Iam nova ventifero surgunt miracula mundo,
Quae penitus priscis fuerant abscondita saeclis.
E quibus est unum, quod te dicente, poeta,
15 In nostris missum subito pandatur ocellis:
Dat genitor genito, quod se non sentit habere
Nee quaquam in genitore potes cognoscere, lector,
Quod praebuit firmo nascenti pectore proli.
Verborum sapiens, animo scrutare secretum,
20 Ut possit dictis media resonare caterva.
5 solitos at G \ silentio P || 6 pelagique aus pelagiquae corr. P, pelaque G \
graues P \ censauerat G || 7 exemplo P G \ respexi P \ pulchro] palam G \\
8 niueae florebant barbula guttae G || 9 pladdo G | sensi aus sensu corr, P \
loquilla P \\ 10 cunctos] cultus P \ superante G | summum G || 11 Ac P |
me subridens zwischen beiden Wörtern Rasur G \\ 14 quod te Dämmler, quo te
P G I dicente getagt, darüber dicenda G || 15 missum] misit (in P zwisdien
misit und subito ein Zwisdienraum) P G, Visum Haupt || 17 quaquam Traube,
quemquamPG | ingentoreG | potensG || ISpraebetG | nascenti Da/i/i, nascente PG.
5 vgl. Calpum. H 17 altaque per
totos fecere silentia montes.
6 pelagique gravis cessaverat ira
vgl. zum Gedanken: In laudem solis v.l7
tunc placidum iacet omne mare.
7 — 10 iuvenem prospexi (ich sah vor
mir; respexi weniger gut wegen respectu
V.9). — corpore pulchro: Es ist wohl an
Karl selbst zu denken, wie die Schilde-
rung zeigt, vgl. besonders v. 10 cunctos
superantem: Paulus scheint auch an ihn
zu denken (vgl. XIX v. 15—17). Die Be-
zeichnung iuvenis spricht auch nicht da-
gegen ; denn Karl war damals (783) 41 Jahre
alt (Abel II 535). — sensus, ingenio vgl.
XXIX v.l.
11 hac me voluit palpare sagitta:
Es ist wohl sagitta = die bohrende Spitze
mit Bezug auf die schwierige Rätselfrage
gebraucht.
12 — 15 Die Erscheinung sagt zu
Petrus: .Der stürmischen Welt erscheinen
rätselhafte Dinge, die von jeher ganz
verborgen waren. Davon ist eines, das
sofort gelöst werden soll, wobei Du die
metrische Antwort zu finden hast.*
16—18 Das Rätsel lautet: .Der Er-
zeuger gibt seinem Sprossen, was er ftlhlt
selbst nicht zu haben, und Du kannst
gar nicht am Erzeuger erkennen, was er
seinem zur Welt kommenden Spröfiling
mit starker Brust verlieh.*
20 — 22 ut possit dictis media resonare
caterva: Die Lösung soll dann in unserem
gelehrten Kreise verkündet werden. —
quod si conspicua fuerit nee luce re-
86
Karl Neff, Gedichte des Paulas Diaconus.
Quod si conspicua fuerit nee luce repertum,
Poplite curvato tunc disce docente magistro/
Mens mea mox torpens proprias restrinxit habenas
Audituque pavens mansit stupefocta misella.
25 Non potuere mei quod parvi forte lacerti.
Tu poteris, magna fulgens in monte lucema.
Sit tibi, libripotens, solvendi maxima cura,
Fortia qui dudum potuisti solvere vinda.
Dentibus egregium tu desine rodere fratrem,
30 Iratus regis qui numquam cemitur aula.
Summa salus homini est, si non percusserit ausu
Conservum inlicito domini sub lege manentem.
lam nivei dentes mentis serventur in horto
Atque oculis vestris monstretur dactilus unus.
22 poblite P \ tunc Traube, nunc P G | 23 restrixit P \\ 25 potueri P,
putuere G || 26 aut poteris G || 27 zwisdien übri und potens Rasur G || 28 qui]
queque G II 29 tu desine] studes me G || 30 aulas G || 32 manente PG |
33 borto G II 34 daculus (K, d. h, require am Rand) G.
pertum = et si id secretum conspicua
luce repertum non fuerit, d. h. Karl will
die Lösung schon am nächsten Tag, vgl.
XVIII 14 crastina conspicua cum lux
fulgebit Eoo.
23 mens mea mox torpens: Petrus
gab sich alle Mühe das Rätsel zu lösen.
26 — 28 fulgens in monte lucerna,
libripotens: Ist nicht als bloße Artigkeit
aufzufassen; vgl. auch Joh. 5, 35 Ute
erat lucerna ardens et lucens. — fortia
qui dudum potuisti solvere vincla: Es
ist hier nicht an die Befreiung des
Bruders, sondern nur an früher schon
gelöste Rätsel zu denken, vgl. zum Bilde
XX 1 nervosis religata problemata vinclis,
29 — 32 dentibus egregium tu desine
rodere fratrem: Diese Anspielung ist
nicht bestimmt zu erklären. Ebert, Allgem.
Geschichte der Literatur des Mittelalters
II 51, meint, daß Petrus bittet, Paulus möge
ihn nicht deshalb verspotten, weil er das
Rätsel nicht habe lösen können. Hauck
S. 161 sagt: .Petrus bezeichnet sich selbst
als den Bruder, den man am Hof niemals
zornig sehen könne.* Es sdieint mir aber,
daß Petrus hier seinem Freund w^en
seines Benehmens g^en einen andern
Vorwürfe macht, der in seinem Arger
sich nie bei Hofe sehen läßt Für diese
Erklärung spricht die Stellung des num-
quam. Paulus nimmt diesen Vorwurf
sehr ernst, wie er XVIII 9 und XX zu
verstehen gibt Es sind in Karls Kreise
die Geister oft hart aneinander geraten;
denn sonst könnte Alcvin nicht Karl bitten
ihn in Schutz zu nehmen, vgL Poet 1 222
V. 40 ff. invida ne valeat me carpere
lingua nocendo Paulini ... vel quicun-
que velit mea rodere viscera morsu; an
einer anderen Stelle (I 276 v. 30) sagt er:
non tu, quaeso, iocis laedas nee carmine
quemquam. Man wäre fast versucht in
ihm den egregius frater zu vermuten.
33 — 34 iam nivei dentes mentis ser-
ventur in horto: wiederholt in anderer
Form die in v. 29 ausgesprochene For-
derung; zu mentis in horto vgl. XXXV 12.
Mit V. 34 stellt er ihm ein neues I^tsel,
dessen Lösung Paulus im Gedicht XX gibt
Petrus an Paulus.
87
36 Tange superdlium, poteris cognoscere verbum,
Caelonim regnum devoto pectore serva
Et temis pinna virgis scribatur imago.
Omnipotens Karolum felicia sceptra regentem,
Qui caelum astriferum, terram pontumque creavit,
40 Litora spumiferi pelagi qui terminat undis,
Ängelicum casus quem laudat vocibus agmen,
Äetema miseros qui flamma perdit in ignis
Et meritis pietate fovet sine fine beatos,
Intentis precibus sanctis conservet in aevum,
45 Qui nostram dapibus nutrit reficitque senectam.
35 uersum P i| 36 Signum P \ seruat G || 37 aeternis P \ pinna virgis P,
uirgis pinna G, virgis pinnae Dümmler \\ 38 carolum P || 40 litoras pomiferi G \
pelagiquae G \ undos G || 44 Intentus praedbus G || 45 Unit und dd von
gleichzeitiger Hand am Rand G,
35—37 tange superciäum vgl. XX 7 :
Petrus will nur sagen: .Lege die Hand
an die Stirne und denke darüber nach.'
Paulus deutet es anders. — temis virgis:
virga (uirgula) ist der Zug, den die Hand
beim Schreiben macht.
39—41 astrifer: Petrus liebt diese
Zusammensetzungen ganz besonders, vgl.
V. 12 ventifer; v. 40 spumifer. — v. 41
findet sich wenig verändert bei Petrus
(unten XXXVUI 33) wieder.
42 in ignis: statt igiubus des Me-
trums wegen.
XVIII.
Paulus an den König.
'Kurz vor Einbruch der Nacht erhielt ich die feurigen Pfeile,
die mir bis ins Innerste drangen. Der darauf folgende Tag reichte
mir nicht aus entsprechend zu erwidern und so wird denn erst der
nächste die Antwort bringen (1 — 19). Ich wundere mich, daß mdn
Rätsel nicht gelöst wurde (20—24).'
Dieses schwer zu deutende Gedicht weist nicht, wie Ebert 11 51
meint, auf andere poetische Wettkämpfe hin, sondern steht mit dem
vorausgebenden in engster Beziehung. Paulus entschuldigt sich, dafi
er bei der Kürze der Zeit noch nicht imstande sei gebührend zu
antworten und schickt einstweilen dieses Gedicht voraus um dann
in zwei Gedichten (XIX und XX) die Lösung der beiden in XVII
gestellten Rätsel zu behandeln. Da diese poetische Korrespondenz
viele Anspielungen enthält, die nur den Beteiligten bekannt waren,
so ist die Erklärung der einzelnen Gedichte sehr schwierig. Bei
Feststellung der Reihenfolge ging ich vom Inhalt aus und setzte die
Gedichte, aus denen wir erkennen, daß Paulus der Erfüllung seines
Wunsches, der Befreiung seines Bruders, noch nicht näher gekommen
ist und immer noch zwischen Furcht und Hoffnung schwankt, als
die früheren, diejenigen aber, die eine zufriedenere Stimmung und
größere Annäherung an Kari verraten, als die späteren. Dabei aber
zog ich auch die handschriftliche Überiieferung in Betracht und fand,
daß die Gedichte besonders in der Pariser Handschrift lat. 528, die
jene Gedichte wie zu einer Sammlung vereinigt enthält, fast die
gleiche Anordnung zeigen.
Diese Rätselgedichte XVI— XXII entstanden jedenfalls noch im
Jahre 783.
Paulus an den König.
89
10
Cynthius occiduas rapidis declivus ad oras
lam volitabat equis, iam nox se caerula pallam
Rebus et humanis metas positura labori
Stelligero varii cultus fulgore micantem
Rorantemque simul citius vestire parabat:
Cum subito vestra clarus mihi miles ab aula
Detulit ignitas quasi puri muneris instar
Äntiquo et caro quondam mittente sodale
Intima iocineris penetrantes usque sagittas.
Mane novo ad vestras quoniam properavimus aedes
Et spatiis paene est iam lux revoluta diumis,
Non sivit brevitas aut digne obponere peltam
Item versus pauli missi ad regem Pf. 125v. PAULI DIACONI am Rand G p. 17.
1 Cinthius G || 2 cerula und so öfter e statt ae P G || 3 fehlt in P \\
4 stilligero P \ vario et cultu G | micantum G \\ 6 subito vestra] et vestra G \
milis P II 8 quondam] corda P || 9 ioceneris P \ penetrante P || 11 poenae P,
pene G \ est iam] eti& G || 12 siluit G \ opponere G \ peltam Dümmler,
peltn P, peltum G.
1—5 vgl. die schöne Schilderung
der hereinbrechenden Nacht, Gegenstück
zu der Schilderung der Mittagszeit im
vorausgehenden Gedicht des Petrus nach
dem Vorbild Vergils Aen. IV 522. —
Cynthius occiduas decUvus ad oras vgl.
Calpum. (ed. H. Schenkl) I 1 nondum
SoUs equos decUnis (declivis andere
Oberl.) müigat aestas, — pallam steUi-
geram, fulgore varii cultus micantem : Die
Nacht rüstete sich schnell ihren stemen-
besetzten, im bunten Schmuck strahlen-
den und taufeuchten Mantel sich um-
zulegen; vgl. Riese, Anthol. lat. 583 Nox
abit astrifero velamine cincta micantL —
rebus humanis et labori metas positura
= die Nacht beendet das mühevolle Tun
und Treiben der Menschen vgl. Verg.
Aen. I 278 hie ego nee metas rerum nee
tempora pono.
6 — 8 vestra clarus mihi miles ab
aula: Bei einbrechender Nacht schickte
ihm der König das Gedicht; vgl. Bem. zu
XIII 1 pusillus detulit. — quasi puri
muneris instar: als wäre es ein Geschenk
ohne jegliche unangenehme Beigabe, aber
es waren glühende Pfeile, die ihm ins
Herz drangen; damit meint er das zweite
Rätsel in XVII; daß diese Worte nicht
ganz im Scherz gesprochen sind, beweist
auch die Antwort im Gedicht XX. —
antiquo et caro quondam sodale: Aus
dieser Stelle kann man entnehmen, daß
Petrus von jeher des Paulus Freund war,
vgl. auch V. 19 qui carum ut hostem
iaculis confixit acutis.
10 — 1 1 mane novo ad vestras quo-
niam properavimus aedes: Weil Paulus
schon in der Frühe im Palast (jedenfalls
in der schola palatina) erscheinen mußte
und fast den ganzen Tag bei Hof zu tun
hatte, so war es ihm nicht möglich das
aufgegebene Rätsel in der gewünschten
Zeit zu lösen.
12—14 digne obponere peltam: Er
hatte keine Zeit sich entsprechend gegen
die im XVII. Gedicht gemachten Angriffe
zu schützen und selbst wieder hinzu-
schießen. — spatiose in speciose zu
ändern ist nicht nötig (vgl. M. a Epp.
IV 534, 6 spatiose tractandi). Patdus
kündigt hiemit eine umfangreiche Ant-
wort an, wie sie auch Gedicht XIX
brachte; die Kürze der Zeit (brevitas)
90
Karl Neff, Gedichte des Paulns Diaconus.
Missilibus contra spatiose aut ludere telis.
Crastina conspicuo cum lux fulgebit Eoo
15 Tinxerit et tremulos Titania purpura fluctus
Errabitque vagis late rubor aureus undis
Cuncta et ridebunt Phoebo radiante per orbem,
Excipiet tenues arcu pellente sagittas,
Qui carum ut hostem iaculis confixit acutis.
20 Miror, qua numeri textum non contigit arte,
Extremo nostrum tenuit quod limine Carmen.
Ardua, divino nitido quae fulgis in horto,
Cedre, vale et celsos pertinge cacumine nimbos,
Tu quoque cum fructu, felix cyparisse, per aevum.
13 spedose Traube \\ 14 cum fehlt in G \ eoo aus euo corr. P, eo G 1
15 tremulus P || 16 errauitque P G \ robor P || 17 ridebunt aas ribunt corr. G \
phebo P, phoeno G \ radiante aus rahante corr. G \\ 18 ezpiet P \ arco P \
19 carum] caiin G II 20 emiror G \ arce aus arte corr. G \] 22 nitidoqne
fulgis P nitido falgis am Rand Requ. G || 23 perüngere G | cacumina am Rfod
Requ. G l| 24 confructu G | dparisse P.
hatte ihm dies nicht gestattet, vgl. IX 25
plura loqui brevitas vetat — ludere
felis: ludere ist der häufig verwendete
Ausdruck für das Kurzweiltreiben mit
Gedichten und Ratsein.
14—16 Paulus kündigt seine Ant-
wort für den nächsten Tag an, also einen
Tag später, als Karl sie von Petrus XVII
V. 21 verlangt hatte, und gibt dabei
eine stimmungsvolle Schilderung des er-
wachenden Tages. — crastina lux vgl.
Verg. Aen. III 588 postera iamque dies
primo surgebat Eoo, — tremulos fluctus
vgl. I V.23; in laudem solis, Riese, Anth.
lat. 389 (Anm. zum Gedicht des Petrus
XVII) V. 18 per tremulos currit lux aurea
fluctus; Nemes. II 75—76 Nondum pur-
pureos Phoebus cum toUeret ortus Nee
tremulum liquidis lumen splenderet in
undis: vgl. Bonif. I 20 v. 27; Verg. Aen.
VII 9. VIII 22; Ovid. Her. XI 75. — vagis
undis vgl. Ov. Met. VIII 595.
17—19 cuncta et ridebunt vgl. Verg.
Ecl. VII 55 omnia nunc rident, — ex-
cipiet sagittas: Paulus sagt hier deut-
lich, daß am Beginn des nächsten Tages
Petrus die Antwort bekommen soll, .der
ihn, seinen Freund, wie wenn er seio
Feind wäre, verwundete'.
20—21 numeri textum non contigit:
Paulus spricht seine Verwunderung ans,
dafi Petrus sein den Schlufi eines Ge-
dichtes bildendes Rätsel nicht löste, oder
wie er satirisch sagt, mit welcher Kunst
er es nicht berührte. Am Schlüsse des
Gedichtes XXII v. 53 findet sich ein sol-
ches Rätsd und man könnte deshalb ver-
sucht sein mit Dümmler dieses Gedicht
unserem vorauszuschicken. Dag^en
sprechen aber die in den Vorbemerkungen
zu XVIII bezüglich der Rdhenfolge aus-
gesprochenen Grundsätze. Auch ist nicht
ausgeschlossen, das Paulus aufier diesem
noch ein anderes Zahlenrätsd stellte.
22—24 Das überliderte nitido ist
beizubehalten als nähere Bestimmung zu
divinus hortus = Gottesgarten, Wdt —
Mit cedrus, cyparissus, fructus sind Karl,
seine Gemahlin Hildegard und deren
Kinder gemeint. Demnach entstand das
Gedicht noch vor dem 30. April 783, wo
Hildegard starb.
XIX.
Antwort des Paulus.
'Glücklich ist und singen kann, wem reiche Ernte beschieden,
unglücklich, wessen Fluren Stürme verwüsten. Nicht Lieder, sondern
nur Seufzer und Klagen hört man von ihm (1—14). Hätte doch
mich jener Jüngling mit seinem Zauberstab berührt. Von ihm hängt
es ab, wie ich singe. Auf ihn setze ich meine Hoffnung, ohne die
der Mensch nicht sein kann (15 — 27).' —
Dann löst er das erste der zwei im XVII. Gedicht enthaltenen
Rätsel und gibt ein neues auf (28—47).
Der Unglückliche, von dem Paulus hier spricht, ist er selbst
und in den Stürmen, die Haus und Flur zerstören, sehe ich eine
Anspielung auf seine persönlichen Verhältnisse, auf die Kriegsstürme,
die ihn aus dem Vateriand verjagten, sein Haus, d. h. seine Familie
vernichteten. Deshalb freut ihn auch das Dichten nicht
Er erkennt auch hier an, daß Kart ihm Zeichen seiner Huld ge-
geben (v. 23) und ihm dadurch Lust zum Dichten gemacht hat, aber
seinen Wunsch erfüllte er ihm doch nicht. Wenn er die Bedeutung
der Hoffnung im menschlichen Leben in solcher Weise hervorhebt,
so ist's, als ob er sagen wollte: Sie ist das einzige, was auch mir
gegenwärtig noch bleibt. Karl wird mir meinen Wunsch schon noch
erfüllen (vgl. auch Dahn S. 44).
Die Lösung dieses Rätsels und auch der folgenden beweist, dafi
Paulus die oft schwierigen Aufgaben vielleicht nicht in der erwarteten
Weise löst, seine Deutung aber gewandt und geistreich zu begründen
versteht.
92
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
10
16
Candidolum bifido proscissum vomere campum
Visu et restrictas adii lustrante per occas.
O nimium felix, conscendens igneus axem
Perfundit radiis cuius florentia rura
Cynthius et nebulas ardenti vertice frenat,
Gliscere dat fructus tempestatesque serenat
Ulum delectat dulci resonare camena
Condere et altisonum gracili sub arundine Carmen.
Infelix ille est, taetris cui nubibus aether
Inminet et miseros discursat grando per agros
Subruiturque domus gelida perflante procella.
Non libet hunc talem calamos inflare labello,
Sed potius pronum male singultantia verba
Edere et ubertim perfundere gramina fletu.
O mihi si iuvenis, quem tecum ludere narras,
VERSUS PAUU AD PETRUM P f. 125. FFEM VERSUS PAUU DIACOW
B/.58.
1 candido lumbifido P, candlddm labifido B \ vomere aus vomre corr, B \
2 strictas ^ || 3 oninium P \ conscendens B || 4 perfundit] nadi t ein nidd a
erkennender Budistabe B \ rorantia B \\ 5 Cinthius B \ frenft P, frenans
Dammler \\ 6 serenat Traube, serenft P, serent Ober t steht •'^ B, serenans DOmmler \
7 dulds B II 8 arundini B \\ 9 tetris P, fehU in B \ ether B \\ 10 immlnet B \
12 calam' PB, zwischen talem und calam' Rasur P \\ 13 singultatia P, singultanti
auerba dazwisdien ober der Linie — B \\ 14 uberti P B,
1 candidolum campum: vgl. XIII v. 1
Anm. — restrictas per occas: In der
Handschrift P f. 135 sind Synonyma auf-
gezählt und darunter neben gleba auch
occa und cispis,
2—6 nimium felix Alcvin Poet
1311 V. 7; Verg. Aen. IV 657 heu nimium
felix, — conscendens igneus axem: vgl.
ähnliche Ausdrucksweise in XVII v.l u.2;
wiederum ein Beweis für die Zusaramen-
gehöriglteit beider Gedichte. — florentia
rura ist rorantia vorzuziehen, da v. 6
von den Früchten die Rede ist. — caelum
tempestatesque serenat Verg. Aen. 1 255.
— gliscere dat: dare c. inf. schon vor
Vergil in der Konversationssprache üblich
(vgl. Norden, P. Vergilius Maro Aen. VI
S. 141).
7 — 14 gracili sub arundine Carmen
wörtlich Nemes. Ecl. I 3 entlehnt — Be-
achte, wie er den einzelnen Punkten der
Schilderung des Lebens eines Glücklichen
in scharfem Kontrast das eines Unglück-
lichen gegenüberstellt — non libet hunc
talem calamos: wörtlich aus Nemes. Ecl.
I 4, vgl. auch Verg. Ecl. II 34. V 2. -
male singultantia verba Calp. Ecl. VI 24;
Stat. Silv. 5, 5, 26; Propert I 5, 14. -
perfundere gramina fletu: Die hier zum
Ausdruck gebrachte traurige Stimmung,
die darauf schließen läßt, daß sein Wunsch
noch nicht erfüllt ist, veranlafite mich
dieses Gedicht vor XXI und XXH zu
setzen, wo die Trauer der Freude wich
(XXI V. 3 in quibus sc. versibus exultans
calamo te ludere posse dixisti).
15 mihi si iuvenis: Dieser Ober-
gang beweist deutlich, daß der geschU-
Antwort des Paulus.
93
Cuius vix palmas et odoras pandere lauros
Minciades poterat seu Zmyraae rare creatus,
Tangere colla pedo dignatus vellet et esset I
Non tarn dissimilis sed ut est tua causa duobus,
20 Aspides tereti me pangere carmina versu
Replere et densas suavi modulamine Silvas.
Huius et hoc ipsum est» tenui quod canto susurro.
Postquam me proprii perfudit lumine vultus,
Elicuit muti quascumque e gutture voces.
25 Cuius adhuc fidens de spe sustollor herili.
16 odor aspandere B \ laurus B || 17 zmirae B || 18 pedo Traube, ped6
PB II 19 sed] s> P II 20 aspicies tereti] aspiceret stemet B, teriti P || 21 re-
plerem B \ tt] ^ auf Rasur B \ suabi B \ modulaminf B || 22 cuius B \ cant
aber t steht •> B \ usurro B \\ 23 perfundit B || 25 cuius] quis Traube \
sustollo B,
derte Unglückliche er selbst ist. Auch
zeigt diese Stelle, dafi in unserem Ge-
dicht die Antwort auf Gedicht XVII vor-
liegt und Paulus mit iuvenis Karl meint,
dessen Taten kaum ein Vergil oder Homer
hatte besingen können.
17—18 Minciades = Vergilius in der
Nähe des Mincio bei Mantua gebürtig. —
Zmyrnae rure creatus: Homer; Juvenci
Hist euangel. Praef. v. 9 Smymae de
fönte 10 . . . Minciadae . . . Maronis, —
tangere coUapedo: pedum ein Stab, mit
dem Vergil (Ecl. V 88) und Homer IL
XXIII 845 die Hirten ausrüsten. Paulus
spricht den Wunsch aus: wenn doch Karl
geruht hätte mit seinem Stab ihm den
Rücken zu berühren, und wenn er es
doch noch tun wollte, wie er es bei
Petrus getan (XVII v. 1 1 hac me sub-
ridens voluit palpare sagitta). Dann liegt
leise der Wunsch angedeutet, Karl möge
ihm noch seine Bitte ertüllen.
19 — 22 non tarn dissimilis: Aber
wenn auch das von Dir aufgegebene
Rätsel (tua causa) eine für Männer wie
Vergil und Homer passende Aufgabe ist,
so wirst Du doch sehen, daß auch ich das
Dichten verstehe. — tereti me pangere
carmina versu vgl. Calp. Ecl. IV 152 quae
tereti decurrent carmina versu,
22—24 huius et hoc ipsum: huius
bezieht sich auf iuvenis. Paulus sagt:
Es ist die Schuld Karts, dafi er nur leise,
nicht mit Begeisterung singt Als Karl
ihm aber seinen Wunsch erfüllte, da sagte
Petrus von ihm (XXI v. 6): iamque cavo
mollis resonat tua lingua palato. —
postquam me proprii perfudit lumine
vultus: Karl gab ihm demnach schon
Zeichen seiner Gunst, vielleicht Ver-
sprechungen wegen seines Bruders; das
hier gebrauchte Bild erinnert an v. 4:
Wie die Sonne in der Natur Blüten zu
Früchte werden läßt, so vermag auch
die Sonne der Gnade Karls seinem
stummen Mund Lieder zu entiocken.
Diese kunstvolle Anlage des paulinischen
Gedichtes steht in großem Gegensatz zu
dem des Petrus, der oft ohne jegliche
Verbindung einen Gedanken an den
anderen anreiht
25 cuius adhuc fidens de spe: cuius
bezieht sich auf v. 23 lumine vultus
und ist von spe abhängig. Paulus wird
immer noch durch die Hoffnung auf Karls
Gnade aufrecht erhalten, vgl. auch Hist.
Lang. II 27 de spe iam fidus.
94
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Spes Sacra regna poli tribuit, spes omnia confert
Mortuus est, quisquis de spe titubando tepescit
Ergo age, perplexes fort! religamine nodos
Pandere multimoda nitar ratione per auras.
ao »Unus non genitor, quod se non sentit habere,
Dat genito, potius multa hoc sed turba facessit."
Nam mas femineum dat prolis corpore sexum,
Proditur androgene nonnumquam sexus uterque.
Hie sine luminibus lumen dat, naribus ille,
35 Seu pedibus manibusque carens seu parte resectus
Qualibet integrum generat sine labe puellum.
Saepe pecus mutilum bruto dat comua nato,
Sic patre curtato cauditus gignitur agnus.
Praeterea et rerum species diversa per orbem
40 Ex se nascenti tribuit, quod non habet ipsa.
Hoc mare, hoc tellus, concae quoque saepe frequentant
Hactenus incassum certans si forte cucurri,
Cum pietate doce flexum, sum scire paratus.
27 titubante B \ teperdt B || 28 perplezos] proplexor B \ nodis B ||
29 nitas B \\ 31 fehlt in P \ turba Traube, curba B \ facessit it auf Rasur B i
32 da P I sexus B \\ 35 resecti P \\ 36 laue B \ puella B \\ 37 sfpe ^ = ac
öfter B I cor nuanato B 1| 38 curtato] r auf Rasur P, aus cunctato corr, B
agno B II 40 lex senascenti (e?) B || 41 concf ^ auf Rasur B \ quoque] d
quae B \ Sfpe zwischen ^ und p eine durch Rasur entstandene Lücke P \\ 42 actenus
P 5 II 43 flexum Dümmler, flexim P B \ sum] sua 5.
26 — 27 quisquis de spe titubando
tepescit vgl. Sedul. carm. pasch. I 350
quisquis sperando tepescit, — Bis jetzt
haben wir nichts anderes als eine erneute
Bittschrift, die mit einem Lobpreis der
Hoffnung abschließt. Mit ergo age (Verg.
Georg. I 63) rafft er sich gleichsam auf
um von seiner Herzensangelegenheit weg
sich der gestellten Aufgabe zuzuwenden.
— pandere per auras öffentlich kundtun
wie Verg. Aen. II 158 ferre sab auras.
30—31 Mit diesen von Traube (Neues
Archiv XVII 398) verbesserten Versen
beginnt die Lösung des Rätsels: .Nicht
nur ein Erzeuger gibt seinem Sprossen,
was er fühlt selbst nicht zu haben, son-
dern eine ganze Menge tut dies.* Paulas
bringt nun die Beweise dafür.
32—38 prolis Dat. plur. vgl. XVII
V. 42 in ignis, — androgenus = andrch
gynus Hermaphrodit. — pecus mutilum
= dem ein Horn fehlt oder beide, vgl
Ov. Ars amat. III 249.
39—42 Paulus bewies den Satz zu-
erst an Menschen, dann an Tieren und
an verschiedenen anderen Dingen auf
der Welt und fasst das Ganze in v.41
zusammen. .Dies beweisen Meer, Erde
und auch condiae, eine unverständliche
Zusammenstellung.*
43 cum pietate = dementer; doce
flexum vgl. XVII v. 22 poplite curvato
Antwort des Paulus.
95
Vatibus antiquis parva haec dissolve non impar:
45 'Die/ rogo, *quis genitor cunctis despectus in orbe
Seu virtute carens ingenti robore natum
Procreat egregium, nullus cui sistere contra
Praevaleat mundique simul quem regna paviscant'
44 dissoluere B \ inpar P || 45 inspectus B, det pectus Dümmler ||
46 ingerit aus ingenti corr. B \\ 47 pro acreate gregium B || 48 prevaleat P \
pavescant B,
tunc disce. — sum scireparatus vgl. XXII
V. 50 discere sum promptus rege do-
cente pio.
44 — 48 vatibus antiquis non impar:
wohl eine durch die Worte des Petrus
XVII V. 26— 27 veranlaßte Bemerkung.
Mit Vers 44 legt Paulus ehi neues an
das von Petrus anklingendes Rfltsel vor,
für welches Traube (Neues Archiv XVII
398) eine sehr einleuchtende Lösung
(Kiesel — Feuer) gibt.
XX.
Paulus an Petrus.
'Jetzt habe ich die Lösung des Rätsels. 'Desuie' ist der ver-
langte Daktylus und Du mahnst mich duldsam und nicht stolz zu
sein. Diese Mahnung paßt aber eher für Dich (1 — 10).' — Dann gibt
Paulus ein neues Rätsel auf (11 — 14).
Dieses Gedicht, das die Antwort auf den 2. Teil von XVIl bildet,
enthält Andeutungen, welche beweisen, daß Paulus sich am Hofe nodi
als Fremdling fühlt. Wenn er v. 9 sich gegen den Vorwurf des Hoch-
muts mit den Worten verteidigt: ,Niedergeschlagenheit und Stolz können
doch nicht in einem Herzen beisammen wohnen', so enthalt dies nach
meiner Anschauung das Geständnis, daß er noch keinen Grund zur
Freude hat, daß er demnach seinen Wunsch noch nicht erfüllt sieht
und sich mit seinen neuen Verhältnissen noch nicht befreundet hat
lam puto nervosis religata problemata vinclis
Discussi digiti suspicione mei.
*Dentes iam nivei mentis condantur in horto':
Doctrina est simplex, quaestio nulla quidem.
Ohne Obersdirift D p, 221. PAULI (Diaconi von Jüngerer Hand dazu-
gesetzt) CONTRA PETRUM (Diaconum von j\ H) ö p. 7.
1 vor iam auf der Zeile und am Rand f D \ nervosi G \ proplemata D,
problemmata G || 2 dicussi Q \ mei] e auf Rasur G !l 3 mentes (das zweite e
auf Rasur) iam nivei dentes G, mentis] mentes D \ orto G || 4 questio D G.
1—2 'Jetzt glaub* ich des Rätsels ■ 3 beweist, daß dieses Gedicht die
Lösung zu haben, d. h. des zweiten in
XVII V. 37 gegebenen. — problemata,
aber XXII v. 49 probUma. — discussi
digiti suspicione mei: Mit dieser eigen-
tümlichen bildlichen Ausdrucksweise will
Paulus sagen, er habe die festen Knoten
des Rätsels gelöst, als Finger diente ihm
dazu eine gute Idee.
Antwort auf XVII bringt; vgl. dort v.33
iam nivei dentes mentis serventur in
horto. Es ist kein Zweifel, daß Paulus das
im Namen des Königs zuerst gegebene
Rätsel auch zuerst beantwortete und dann
erst diese Antwort Petrus tiberschickte,
4—6 doctrina est simplex: Zur Lö-
sung dieses Rätsels braucht es keine Ge-
Paulus an Petrus.
97
10
Mordaces, mandas, tegat ut patientia sensus.
'Desine' si dicam, dactilus unus erit.
Tange supercilium': monitas non tsse superbum,
Pestis in hospitio non manet ista meo.
Vistre deiectam non vult elatio mentem.
Inclytus atque potens, quod mones, ipse cave.
Ponatur tribrachis, hinc trocheus unus et alter
Nee fugiat mentem, quae sua tecta vehit.
Tange solum, fumescat, ut hoc sit limpha nivalis.
Pandenti abstrusum cymbia munus erit.
5 mandat D \\ S ospitio D \\ 9 deiectam Dammler, deactam aus deractam
com D I vult aus vul corr, D || 10 inditus G \\ 12 qu? Z) G || 13 ut hoc sit
scripsi, uthossit A athossis G, adussit Dümmler, adustis Haupt \ nympha navalis G,
nympha lavacris Haupt
lehrsamkeit, es ist keine Streitfrage. —
mordaces mandas: Damit gibt er die
Erklärung zu den Worten des Petrus XVII
V. 33. Daraus kann man wohl entnehmen,
daß Paulus durch satirische Bemerkungen
(mordaces sensus) jemand beleidigte und
sich dessen bewußt war; denn er führt gar
nichts zur Entschuldigung an, während er
sich gegen den anderen Vorwurf energisch
verteidigt — dactilus unus erit ent-
spricht XVII V.34.
7—10 lange supercilium: Paulus
zitiert auch hier wie v. 3 zuerst die Worte
des Petrus und schließt daran die Deu-
tung; monitas entspricht dem mandas
in V. 5; vgl. zum Gedanken Poet. I 65
V. 5 pone supercilium: Sedul. prol. in
carm. pasch, v. 3. — pestis ista = su-
perbia: manet = est, — visere deiectam
non vult elatio mentem: deiectus Gegen-
satz zu inclytus atque potens: 'Übermut
wohnt nicht imHerzen eines gedemütigten,
eher in dem eines berühmten und einfluß-
reichen Menschen, wie Du, Petrus, es bist.'
11 Paulus gibt hier ein neues Rfltsel
auf und zwar ebenso wie am Schluß
von XIX ein dem vorausgehenden ent-
sprechendes. Er mußte einen Daktylus
ausfindig machen, jetzt verlangt er einen
Tribrachys und zwei Trochäen, Petrus
rief ihm zu lange supercilium, er ihm
lange solum. Es liegt der Gedanke nahe,
daß er Petrus im Anschluß an v. 10 zur
Demut auffordert und ihm die am Boden
kriechende Schnecke (quae sua tecta
vehit) als Vorbild hinstellt, vielleicht will
erdasWort hümilifttlönSm! Bonifatius
Poet. I 7 V. 137 Humilitas: Ima solo
quantum, tantum fio proxima caelo,
13—14 fumescat, ut hoc sit limpha
nivalis: Der Boden dampfe, wie wenn
er eiskaltes Wasser wäre = der Be-
scheidene wird erhöht (?), vgl. Mart. 6,
43,2 nympha navalis. — cymbia: Eine
Schale (sonst cymbium) soll der Preis
sein für die Lösung des Rätsels (pan-
denti abstrusum).
Quellen u. Untersuch, z. Ut. Philologie des MA. III, 4.
XXL
Petrus an Paulus.
'Habe Dank für Dein Gedicht, in dem Du Deine Freude äußerst,
daß Du nun zu Ehren angenommen bist, und in dem Du für mich
zu Gott Gebete sendest (1—12). Aber unsere drei Fragen hast Du
nicht beantwortet, ob es Dir lieber ist mit Ketten gefesselt zu sein
oder in einem Kerker zu liegen oder den wilden Sigfrid zu taufen.
Löse außerdem noch das angegebene Rätsel (13 — 25)/
Dieses Gedicht hieher zu stellen dazu veranlaßte mich außer der
handschriftlichen Überlieferung — in der Pariser Handschrift lat. 528
steht es als letztes und in der St. Galler folgt es auch auf Jam puto
nervosis (XX) — besonders der Inhalt. Es ist die Antwort auf ein
nicht mehr erhaltenes Gedicht des Paulus und hat folgende Vor-
geschichte, die sich einzelnen Andeutungen entnehmen läßt Karl
entschloß sich endlich die Bitte des Paulus zu erfüllen und teilte
diesem seinen Entschluß mit. Damit er aber dabei nicht so leicht
wegkomme, läßt er ihm in scherzhafter Weise gleichsam zur Sühne
die Wahl zwischen drei Strafen (vgl. XXII v. 5 supplicü mihi pom-
tur optio trini).
Daraufhin schickt Paulus an Karl ein Gedicht, in welchem er
ihm erklärt, jetzt sei der düstere Kummer aus seinem Herzen ver-
schwunden und er sei zu Scherzen bereit (v. 3. 5. 12). Er preist in
diesem Gedicht Gott, der ihn durch Nacht zum Licht geführt, und
bittet ihn, er möge Karl in seinen Schutz nehmen. In seiner Freude
und seinem Gefühl des Dankes vergißt er ganz auf jenen Scherz
Karls einzugehen und deshalb erinnert ihn Petrus in diesem uns vor-
liegenden Gedicht daran.
Petrus an Paulus.
99
10
Paule, sub umbroso misisti tramite versus,
Quos pietas nostri suscepit cuiminis apte,
In quibus exultans calamo te ludere posse
Dixisti, quoniam nostro es susceptus honore.
Triste sub ardenti laetatur pectore viscus
lamque cavo mollis resonat tua lingua palato
Et patris egregiis sublimas cantibus agnum
Cum genitore pio, qui caeli regnat in arce,
Quod te post tenebras fecit cognoscere lumen/
Nos tibi pro tali dicamus carmine grates.
Quo pro me summum precibus pulsare tonantem
Sat tibi cura fuit taetro maerore relicto.
Sed causas mentis clausisti fronte sepulchro
Dimissa tres, de quibus haut responsa dedisti:
FFEM VERSUS METRICI P /. 135v. PETRI (von jüngerer Hand Diaconi
hinzugesetzt) G p. 8.
5 ardenti aus ardente corr. P \ l^tur P, ^ = ae öfter in PG \\ 7 canticu
magnum am Rand 4- G II 8 inarte am Rand -^ G || 10 talia G jj 11 per me G ||
12 relicta G || 13 fronte P G, forte Haupt \\ 14 dimissa P G, demissa Beth-
mann, dimissas Haiq)t.
1 — 2 sub umbroso tramite: Die ge-
schriebenen Verse bilden gleichsam einen
dunklen Pfad, vgl. Petr. XXXVII v. 1 hoc
opus exiguo quod cernis tramite: Poet. I
281 V. 2 disrumpis nomen medio de tramite
totum: 320 v. 6 tramite quo recto penna
volantis eat. — pietas nostri suscepit
cuiminis apte = die Gnade unserer Hoheit
(Karl) nahm sie huldvoll entgegen.
4 — 9 nostro es susceptus honore
und V. 9 quod te post tenebras fecit
cognoscere lumen deuten an, dafi der
Wunsch des Paulus erfüllt ist, ebenso
V. 12 taetro maerore relicto. Diese
letzten jedenfalls dem nicht überlieferten
Gedicht des Paulus entnommenen Worte
(V. 9 u. 12) erinnern an eine Stelle im
Briefe des Paulus an Theudemar: quam
primum noctem maeroris demiserit, wo-
bei ihm besonders das Schicksal seines
Bruders vorschwebt. — cavo mollis re-
sonat tua lingua palato: vgl. XIX v. 12 ff.,
wo er noch nicht die zu Scherzgedichten
nötige Stimmung hat
10—14 pro tali dicamus carmine
grates: Dieses Gedicht ist unbekannt —
pro me precibus pulsare tonantem: vgl.
Bonif. Poet I 4 v. 31 pulsabo tonantem:
77 V. 4 pro te pulsare tonantem. — Stelle:
tres causas clausisti dimissa fronte,
sepuUhro mentis: causa bedeutet ge-
stellte Aufgabe oderRfltsel, vgl. XIX v. 19;
dimissa fronte: Die in beiden Hand-
schriften überlieferte Lesart kann bei-
behalten werden: dimittere (= remitiere)
froniem bedeutet, die Stime nicht, wie
es beim Denken geschieht, in Falten legen.
Petrus sagt demnach zu Paulus, dieser
habe sich über das gestellte Rätsel nicht
besonnen und es gleichsam hinter seiner
Stime begraben; sepuUhro mentis: ähn-
liche Bilder vgl. XXXV v. 12.
7*
100
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
15
20
25
Si cupis ingenti fem tu pondere frangi
Carceris aut saevo fessus recubare sub antro,
Aut si pompiferi Sigifrit perpendere vultum
Impia pestiferi nunc regni sceptra tenentis,
Ut valeas illum sacro perfundere fönte.
Vis, qui te cemens vita spoliabit et arte.
De bis responsum ne cesses mittere nobis.
Tange caput, suspecta manus percurrat ad aurem;
Altera iam teneram festinet tangere ventrem,
Necnon per teraos consurgat littera ramos/
Hoc, precor, ut solvas, Christi venerande minister.
16 aut G, ft P II 18 nunc] nurnmit darObergesdiriebenem c P \\ 19 font€ G ;|
20 spoliauit G \\ 21 necesses P G || 22 suspecta P G, suspensa HaupL
15 — 16 ingenti ferri tu pondere
f rangt vgl. Poet. 1 390 v. 90 manus sine
pondere ferri; Dahn (S. 40) sieht in dem
beigesetzten tu den Gegensatz zu dem
gefangenen Bruder des Paulus. — carceris
sub antro vgl. Poet. I 563 v. 13 de car-
ceris antro.
\7 pompiferi Sigifrit: Die sog. Ein-
hardschen Annalen erzählen, im Jahre 777
habe sich Widukind zu diesem Dänen-
könig vor Karl geflüchtet (Abel 1 272).
Im Jahre 782, Mitte Juli, schickte Sigfrid
eine Gesandtschaft zu Karl nach Lipp-
springe, aber die Verhandlungen scheinen
zu keinem Resultat geführt zu haben,
da sie 789 erneuert werden (Abel I 425,
426). Wenn er in unserem Gedicht er-
wähnt ist, so mag die im Jahre 782 bei
Karl erschienene Gesandtschaft die Ver-
anlassung gegeben haben und man kann
mit Recht folgern, daß die Entstehung
des Gedichtes zeitlich diesem Ereignis
nahe liegt und jedenfalls ins Jahr 783
fällt. — pompifer vgl. XXXVIII v. 2
pompifero gestu; Poet. I 432 v. 9 pom-
piferi quod vana est gloria mundi.
18 — 20 impia pestiferi regni sceptra
tenentis: Sigfrid war wegen seiner Unter-
stützung der Sachsen Karl gefittirlidL Er
blieb auch im Jahre 789 noch Heide,
wie aus einem Briefe Alkvins ersichtUdi
ist: M. G. Epp. IV 31, 15 mandate mihi
per litteras . . si spes uUa sä de Dana-
rum conversione, — sacro perfundere
fönte vgl. XXXVIII V. 20 baptismate per-
fundis.
21—25 de his bezieht sich auf das
Vorausgehende. Petrus wünscht eine Ant-
wort auf seine drei Fragen (vgl. v. 14).
Mit tange caput fügt er (vgl. XVII v.29,
XX V. 11) unvermittelt ein neues Rätsel
an; vgl. auch XVII v. 35 tange super-
cilium; XX v. 13 tange solum. — Die
Deutung dieses neuen Rätsels folgt XXII
V. 37 ff. — necnon per ternos consurgat
littera ramos vgl. Persius sat. III 56
Et tibi quae Samios deduxit littera
ramos
Surgentem dextro monstravit limite
callem;
Isid. Orig. I, 3, 7 y* litteram Pythagoras
Samius ad exemplum vitae humanae
primus formavit.
XXII.
Antwort des Paulus.
*Vor der Lösung der gestellten Frage ist mir bange, aber ich
versuch's. Des Gefängnisses und der Ketten bedarf es bei mir nicht,
da ich in den Banden Deiner Liebe liege. Sie erfüllt mein Herz,
seitdem Du Gnade geübt hast. Wozu soll ich zu Sigfrid gehen?
Wir können uns gar nicht verständlich machen, da er meine Sprache
nicht versteht. Auch fürchtet er Deine Macht zu sehr, als daß er
mich anzurühren wagte. Er wird entweder freiwillig sich von Dir
taufen lassen oder gezwungen als Gefangener vor Dir erscheinen
(1—36).'
Dann gibt Paulus die Lösung des im vorausgegangenen Gedicht
(v. 22 — 25) gestellten Rätsels und schließt mit einer rätselhaften An-
spielung (37—54).
Aus keinem der früheren Gedichte spricht eine solche freudige
Stimmung, ein so von Herzen kommender Humor wie aus diesem,
dem längsten der am Hofe Karls entstandenen. Während die früheren
nur wenige oder gar keine Andeutung enthalten, daß Paulus von
Liebe und Verehrung für den König erfüllt ist, so nennt er ihn
hier in seiner Dankbarkeit und Freude maxime princeps (v. 1), pie-
tatis amator (v. 15), rex venerande (v. 38), deliciae populi, summus
et orbis amor (v. 54) und er kann ihm, da er Gewährung seiner
Bitte erlangt, nicht genug seine Liebe versichern (v. 10. 16).
Wenn er v. 33 sagt: caelitus et quoniam est vobis conlata po-
testas, so sehe ich darin nicht eine Schmeichelei, die dem geraden
Charakter des Dichters ferne liegt, sondern den Beweis, daß in der
Anschauung des Paulus ein großer Umschwung eingetreten ist. Er sieht
in Karl nicht mehr den Feind seines Volkes, sondern den von Gott
102 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
selbst zum Herrscher der Christenheit bestimmten König und widmet
ihm gerne auch jetzt noch, wo er seinen Zweck erreicht hat, seine
Dienste. Am deutlichsten bringt Paulus seine Verehrung für Kaii
zum Ausdruck in seiner Geschichte der Metzer Bischöfe, wo er (GesL
epp. Mett. SS. II 265) sagt: De quo viro nescias utrum virtatem
in 60 bellicam an sapientiae claritatem omniumque UberaUum artium
magis admireris peritiam.
Da in diesem Gedicht Paulus seine Sinnesänderung zum ersten-
mal deutlich merken läßt, sah ich mich veranlaßt es erst an diese
Stelle zu setzen und seine Entstehungszeit ins Jahr 783 zu verl^en.
Sic ego suscepi tua carmina, maxime princeps,
Ceu paradiseo culmine missa forent.
Luminibus tacitis quae postquam cuncta notavi,
Terruerunt animum fortia verba meum.
Eheu, supplicii mihi ponitur optio trini
Artat et incertum quaestio dura satis.
Dicam equidem, quod mente gero, sed vestra potestas
Efficiat potius, haurit ut arce poli.
UERSUS PAULI DIACONI G p. 13.
3 qu^ ^ = ae öfter G \\ 8 effitiat G \ arcet am Rana R G.
1 — 4 tua carmina: Damit ist das j rige Frage machte ihm zu schaffen, da
vorausgehende Gedicht gemeint. — para- er seiner Sache nicht sicher ist —
diseo culmine: Wie eine Botschaft vom ' quaestio dura vgl. XX v. 4 doctrina est
Himmel (paradisus = Sitz der Seligen, ' simplex, quaestio nulla quidem, — dicam
Himmel) mutete ihn das Gedicht Karls | equidem vgl. Verg. Aen. VI 722. — haurit
an, vgl. auch zum Gedanken XV 26 i ut arce poli: Paulus meint, er werde
Brief des Paulus an Theudemar: ai//>z5/ar : sagen, was ihm in den Sinn kommt,
mihi paradisi dilecta sanctorum limina, aber Karl würde wohl Vorzüglicheres
Dieser Freude beim Empfang des Ge- t leisten, da ihn als König himmlische
dichtes folgte nach dem Lesen des In- | Eingebung unterstützt. Er vernimmt alles
halts großer Schrecken. — luminibus ' gleichsam vom Himmel. Diese himm-
tacitis Verg. Aen. IV 364: , sprachlos vor lische Eingebung findet ihre Begrün-
Verwunderung*. — terruerunt animum i düng in v. 33; vgl. auch Brief des Pau-
ist Ov. Amor. III 5, 2 entnommen. lus an Karl M. G. Epp. IV 514, 17 vestra
5 — S supplicii optio trini: ^Dit^ahl tamen sagax providaque subtilitas,
zwischen drei Todesarten (vgl. XXI v. 15 ; sicut caelitus mente hauserit, ita dis-
bis 20).* — artat et incertum: Die schmt' \ ponat.
Antwort des Paulus.
103
Non opus est claustris nee me compescere vinclis:
10 Vinctus sum domini regis amore mei.
Nam si parva licet rebus componere magnis
Et valet a summis hie paradigma trahi:
Ut sacer inmenso Christi Petrus arsit amore,
Postquam dimisit crimina Christus ei,
15 Sic, ubi donasti facinus, pietatis amator,
Inflammat validus cor mihi vester amor.
Si peragam Sigifrid truculentum cemere vultum,
Vix perpendo aliquod utilitatis opus.
Ille caret Latiis indocto corde loquellis,
20 lUius est minime cognita lingua mihi:
Sic similisque ferae et brutum pecus esse putabor
Deridetque meum stulta caterva caput.
Sit licet hirsutus hirtisque simillimus hircis
luraque det haedis imperitetque capris,
10 domni G \\ 14 ei Traube, eius G || 17 si peragam scripsi, si agft G,
si satagam Wattenbach \ sigifrid auf Rasur G \\ 21 sie similisque ferae et 5cr//75/,
similes equi ferunt nebruto G, simia setiferumve brutum Haupt \\ 24 hetis G.
9—10 nee me compescere vinclis vgl.
Ov. Epist XIX 85. Paulus beginnt mit
Humor und Witz die Beantwortung der
gestellten Fragen und zeigt, daß er ca-
lamo ludere wirklich versteht (XXI v. 3). —
vinctus sum domini regis amore: Mit
diesen Worten und mit v. 16 sagt er, dafi
er Karl im Herzen näher getreten sei.
11—16 si parva licet vgl. Verg. Ecl.
I 23, Georg. IV 176; Poet. I 458 v. 267,
I 536 V. 167. Paulus wähh in diesem
Gedicht mehrere griechische Wörter:
V. 12 paradigma; y. 46 grammata, v. 49
problema, — ubi donasti facinus: Es
fragt sich, welche und wessen Frevel-
tat Karl jetzt verziehen hat Da er sich
mit dem Jünger Petrus vergleicht, der
seinen Herrn verleugnete (Matth. 14,
68 ff.), aber Verzeihung von ihm er-
hieh und deshalb mit unbegrenzter Liebe
ihm zugetan war, so ist wohl zuerst an
eine Tat des Paulus zu denken. Wenn
man auch nicht durch die märchen-
haften Erzählungen des Salemitaners ver-
anlaßt annimmt, daß Paulus einst dem
König nach dem Leben trachtete, so ist
es doch wahrscheinlich, daß er seinerzeit
zu den gefährlichsten Gegnern am lango-
bardischen Hofe gehörte. Man kann diese
Stelle aber auch so erklären, daß Paulus
die Tat seines Bruders, bei welcher er
jedenfalls nicht unbeteiligt war, hier auf
sich nimmt. — pietatis amator ein auch
sonst beliebter Versschluß vgl. XXXII v.lO.
21 — 24 sie similisque ferae: Da
Paulus die Sprache des Dänenkönigs
nicht versteht, so wäre er ihm wie ein
Tier erschienen; zum Sinn vgl. XIU 11
mutis similati deridentur statuis, —
deridetque meum: Ist als Futur zu fassen
vgl. XIII 11; meum caput ist wohl nur
Umschreibung für me, vgl. XIII 3, und
nicht nach Ebert II 51 mit «kahles Haupt'
zu erklären, wozu jegliche Berechtigung
fehlt. — hirsutus hirtis hircis: Beachte
diese Alliteration zur drastischen Schil-
derung des struppigen Dänenkönigs. —
iuraque det vgl.Verg.Georg.IV562 dat iura.
104
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
25
30
35
Sunt illi invalidae pavitanti in pectore vires,
Nara nimium vestrum nomen et arnia timet
Hie scierit vestris si me de civibus unum,
Audebit minimo tangere nee digito.
Tunc nee iners cupido vitam mihi tollet et artem
Illum nee palmis abluet unda meis.
Quin potius properet, vestra et vestigia lambat
Cumque suo ponat crimina crine simul.
Caelitus et quoniam est vobis conlata potestas,
Tinguatur vestris purificandus aquis.
Sin minus, adveniat manibus post terga revinctis
Nee illi auxilio Thonar et Waten erunt.
,Tangere' quid ,caput' est aliut, nisi amare tonantem
Vel te, qui populi es, rex venerande, caput?
,Auris' Sit, domini fuerit qui iussa seeutus,
Seu qui consilium servat, opime, tuum.
Innumerum vulgus Signatur nomine ,ventris':
Amplecti hos omnes quaestio vestra docet
25 invalide G \\ 27 hie scripsi, his G, is Dümmler \\ 29 tollet scripd,
tollit G II 35 sin minus adveniat Wattenbadi, sin munus advenift G \ post terga
Wattenbadi, pono terga G \\ 37 quid aus quod corr. G jj 39 Sit scripsi, fit G ü
41 ventris Dümmler, ufis G \\ 42 amplecti hos Dümmler, amplectib » hos G.
40
27 — 30 hie scierit = .wenn er heraus-
gebracht haben wird (sciscere)," — iners
cupido: »Der Feigling (v. 25) wird mir
mein Leben nicht rauben, auch wenn ich
es aufs Spiel setze ;• iners und artem
wohl ebenso absichtlich nebeneinander
wie v. 32 crimina crine. — vitam mihi
tollet: Das überlieferte toUit ist inmitten
der anderen Future nicht anzunehmen. —
ilUim nee palmis abluet unda meis: .Er
wird sich von mir nicht taufen lassen.
Diese Aufgabe fällt Dir zu (v.34).'
33 caelitus et quoniam est vobis
conlata potestas: Diese Anschauung,
daß Karl eine göttliche Mission habe,
bildet sich erst, nachdem Paulus längere
Zeit in seiner Nähe verweilte, vgl. auch
V. 8. In XXXIl V. 3—4 und am An-
fang des Briefes an Karl (XXX) spricht
Paulus diesen Gedanken deutlicher aus,
vgl. Gest. epp. Mett. SS. II 265; auch
Poet. I 61 V. 59--60.
35—36 manibus post terga revinctis
vgl. Verg. Aen. II 57. — Thonar et Waten:
Paulus übertrug jedenfalls aus Unkennt-
nis der nordischen Götter Thor und
Odhin die Namen der bei den Sachsen
verehrten und ihm bekannten auf die
Dänen, vgl. auch über Wotan Hist.
Lang. 1 9.
37—43 Mit V. 37 beginnt ohne jeg-
liche Überleitung die Lösung des XXI
V. 22 gestellten Rätsels. — auris sit ist
die richtige Lesart, da auch v. 37 quid
caput est steht. — amplecti hos omnes
quaestio vestra docet: Alle diese zu-
sammenzufassen lehrt das gegebene Rätsel,
also Caput auris venter. — iittera, quae
ternis consurgit in ardua ramis: Damit
meint Paulus £, vgl. auch Anm. zu XXI
V. 24.
Antwort des Paulus.
105
Littera, quae temis consurgit in ardua ramis,
Curam animae summam semper habere monet.
45 Est fortasse aliut novitas quod repperit apte,
Nam puto, sie fantur grammata vestra *cave'.
Ut moneor, faciam nee per me frena regentur,
lam mea sed potius eautio Christus erit.
Problema si needum tetigit resolutio vestrum,
50 Diseere sura proraptus, rege doeente pio.
Nam eupio vester, eunetos ut vineis in armis,
Sie mentis superet lumine eelsus apex.
Quingentos centum postremi quinque sequantur,
Delieiae populi, summus et orbis amor.
49 problemma G \ vestrum Dammler, urS am Rand •'- G
si O II 53 posttremi O.
52 Sic Dämmten
47 — 49 nee per me frena regentur:
Er will der Mahnung des cave folgen,
fügt aber bei, daß er nicht alles lenken
kann, sondern seine Sicherheit (cavere
— eautio) Christus ist. Es ist wahr-
scheinlich, dafi das von Petrus im Auf-
trage Karls gegebene Rätsel (cave) mit
dem vorausgehenden (optio trini sup-
plicii) im Zusammenhang steht und viel-
leicht in scherzhafter Weise ihm sagen
soll: ,Tue so etwas nicht mehr."
50 — 55 diseere sum promptus, rege
doeente pio vgl. XIX v. 42 cum pietate
doce flexum, sum scire paratus. — vester
eelsus apex = , Euere Hoheit* . DerWunsch
des Paulus, Karl möge nicht bloß mit
den Waffen, sondern auch durch das Licht
seines Geistes alle übertreffen, beweist
auch seine veränderte Gesinnung. —
quingentos centum: Paulus schließt mit
einem von Traube (Neues Archiv XVII
399) gedeuteten Rfltsel. Die beiden
D als Bezeichnung für quingenti geben
die gebräuchliche Abkürzung für David
(vgl. XVII V. 45 krit. Apparat). Wenn
auch vielleicht Karl damals diesen Bei-
namen noch nicht hatte, so konnte doch
Paulus auf den Gedanken kommen Karl
mit diesem König zu vergleichen, der,
wie er, ein Held der Waffen und des
Geistes war. — delieiae populi, summus
et orbis amor vgl. Suet. Tit c. 1 amor ac
delieiae generis humani; vgl. XXXV v. 28
delieiae, tu generalis amor.
XXIII.
Karl an Paulus.
'Was Du an Jahren mir gewünscht, wünsche ich Dir an Stunden
(1 — 4). Was treibst Du, der als Soldat meinen Feinden hätte gefähr-
lich werden wollen, jetzt aber als alterschwacher Greis dem Lager
ferne bleibt (5—12)?'
Dieses Gedicht gab zuerst Quercetanus (Andr^ du Chesne)
inmitten der Gedichte Alkvins im Jahr 1617 heraus und zwar
nach einer alten, jetzt verloren gegangenen Handschrift der Biblio-
thek S. Bertini (Alchwini opera p. 1719). Es ist schwer zu deuten
und hat wahrscheinlich folgenden historischen Hintergrund. Da die
Sachsen immer den Winter zu neuen Rüstungen benützten, so ent-
schloß sich Karl einmal diese Jahreszeit in ihrem Lande zu ver-
bringen (Abel I 475 ff. u. 493 ff.). Deshalb brach er noch vor Ablauf
des Jahres 784 dorthin auf, feierte das Weihnachtsfest im Lande der
Engem und verlegte dann seinen Hofhalt nach Eresburg, wo bis
Juni 785 sein Standquartier war. Dorthin hatte er auch Frau und
Kinder nachkommen lassen.
Wahrscheinlich erging damals auch eine Einladung an Paulus,
da Karl seine Gelehrten stets um sich haben wollte (vgl. Anm. zu
V. 11 — 12). Für diese dankte er in einem uns nicht bekannten, aber
aus dieser Antwort Karls leicht inhaltlich zu erschließenden prosaischen
oder poetischen Schreiben.
Dieses, von Paulus jedenfalls zu Weihnachten oder Neujahr an
Karl abgeschickt, enthielt am Anfang Glückwünsche und dann eine
Entschuldigung, warum er seiner Einladung nicht Folge leisten könne.
Diese hatte er in humoristischer Weise mit seinem greisenhaften Zu-
Karl an Paulus.
107
stand begründet und dadurch Karl veranlaßt den gleichen Ton an-
zuschlagen.
Aus stilistischen Erwägungen glaube ich, daß Karl selbst dieses
Gedicht, wie XXXIII, XXXIV u. XL, verfaßt hat (vgl. Vorbera. zu XXXIII),
und zweifle nicht, daß es an unseren Paulus gerichtet ist, da wir von
keinem anderen dieses Namens etwas wissen, dessen Nähe Karl sogar
auf seinen Kriegszügen gewünscht hätte.
En tibi, Paule, deus ter quinas augeat horas,
Addidit Ezechiae qui tria lustra pio,
Ut mihi ter quinos optas superaugeat annos
Post metas vitae carmine Pierio.
Quid modo miles agis, cultro qui colla secare
Hostibus a nostris, Paule, paratus eras?
Nunc tibi dextra, senex, elanguit effera belli,
Laeva caput supra aut scuta levare nequit.
Ohne Übersdirift CLXXXVII Quere.
5 quod Quere, \\ 7 effera seripsi, effeta Quere. || 8 leua Quere.
1—4 Stelle deus (^itä) tibi augeat
horas, ut optas, mihi superaugeat annos;
vgl. 4 Reg. 20, 6; Isai. 38, 5 ecce ego adi-
ciam super dies tuos quindecim annos;
Sedul. carm. pasch. 1 189 ter quinos quon-
dam regi Deus addidit annos; Alcvin
Poet 1 233 V. 163 huic quoque ter quinos
ciemens deus addidit annos; M. G. Epp.
IV 44. 18; 184, 25. — Karl wünscht
ihm scherzhaft statt der Jahre nur Stun-
den. Da Paulus um sein Fernbleiben
zu entschuldigen sich so alterschwach
hinstellt, als sttinde er schon am Ende
seiner Tage, so wagt Karl gar nicht ihm
Jahre zu wünschen. — carmine Pierio
Alcvin Poet. I 274 v. 6; ähnliche Ver-
bindungen bei Alcvin Poet. 1 198 v. 1318;
240 v. 18 Pierio plectro; 252 v. 11 Pierio
versu.
5 — 6 quid modo miles agis; quid
ist statt des überlieferten quod in Rück-
sicht auf V. 9 zu setzen. Zu dieser humo-
ristischen Frage veranlaßte jedenfalls Karl
eine Stelle in dem verlornen Brief des
Paulus, wo er in scherzhaft übertriebener
Weise die Heldentaten aufzählte, die er
im Krieg gegen die Sachsen ausführen
würde, wenn er noch Jünger wäre. —
cultro qui colla secare hostibus erinnert
an eine Stelle aus dem zum Vorbild
dienenden Epitaph des Constans (Poet.
I 79 V. 12) munera principibus colla se-
cuta dedit.
7—10 effera beUi; Das überlieferte
effeta zu setzen verbietet die Quantität;
vgl. Alcvin Poet. 1 197 v. 1261 efferus in
pravos; Theodulf Poet. 1 447 v. 86 Phle-
getonteis effera virginibus; vgl. zum
Gedanken Alcvin Poet. I 246 v. 24 ge-
üda est cui dextera bello. — laeva
Caput: Stelle aut laeva nequit supra
Caput scuta levare; Paulus ist also nach
Karls Darstellung zum Angriff und zur
Verteidigung zu schwach. — quid modo
quod facias: Stelle quid modo facias,
quod sis proletarius urbe. Diese unge-
108
Karl Neu, Gedichte des Paulus Diaconus.
10
Quid modo quod facias sis proletarius urbe,
Laurea qui belli castra videre times.
Tardus in annoso tabescit corpore sanguis,
Cor tibi frigidius laudis amore caret
12 frigidior Quere,
wohnlichen Stellungen (v.8) sind Kenn-
zeichen des königlichen Stils. Diese Stelle
entspricht genau v. 5 und Karl fragt
Paulus, was er jetzt als proletarius
(Gegens. miles) in der Stadt treibt. Die
Konjunktive lassen sich damit erklären,
dafi der König absichtlich und zum
Scherz sich dieser urbanen Ausdrucks-
weise bedient. — Welche Stadt Karl
meint, ist ungewiß. >^r wissen nur, dafi
der Hof 783 vor der Verlegung ins
Sachsenland seinen Winteraufenthalt in
Heristal nahm und bis Ostern 784 dort
blieb (Abel I 460). — castra timere
vides weist auf einen Kriegszug Karls
hin, zu dem er Paulus eingeladen hatte.
11—12 Diese ohne Verbindung an-
gereihten Verse verraten auch den un-
gewandten Dichter. Der Zusammenhang
ist: 'Dein Fembleiben begreife ich wohl,
wenn ich bedenke, wie alterschwach Du
bist' Dieses wiederholte Hervorheben
des greisenhaften Zustandes (v. 7), dis
im Ernst gemeint beleidigend wflre, I2fit
sich nur dadurch erklären, dafi Paulus
in seinem Schreiben in scherzhaft über-
triebener Weise sein Alter als Entschuldi-
gung anführt Eine ähnliche Entschuldi-
gung finden wir auch in einem Brief
Alkvins aus dem Jahre 789, M. G. Epp.
IV 234, 36 ff.: Quid valet infirmitas Flac-
ci inter arma? quid inter apros iqms-
culus? quid inter ieones agmculus, in
pace nutritus, non in proeläs versatus?. . .
timidus domi remaneat, ne fadat alias
timere. Diese Stelle beweist zugleich,
dafi Karl seine Gelehrten auch auf seinen
Kriegszügen bei sich haben wollte. —
Der Wortlaut der Verse 11— 12 erinnert
an Sedul carm. pasch. 1 109 frigidus an-
noso moriens in corpore sanguis.
XXIV.
Auf das Grab der Rotheid, Tochter Pippins.
Die Inschriften für Karls Schwestern Rotheid und Adelheid, für
seine Gattin Hildegard und deren Töchter Adelheid und Hildegard,
die in Metz in der Kapelle des heiligen Arnulf, des Oberhauptes des
karolingischen Geschlechtes, begraben lagen, gab zuerst Caesar Ba-
ronius heraus 'ex ruinis monasterii S. ArnulphV (Ann. eccles. a. 786
n. 7, 811 n. 48, ed. Col. IX 415, 628). Abschriften jedenfalls nach den
Grabsteinen, aber fehlerhaft finden sich in der Brüsseler Bibliothek
6842 und in der Stadtbibliothek zu Metz 64 (G 76) saec. XIV— XV
(= m).
Außer dieser selbständigen Überlieferung sind uns diese Grab-
schriften auch dadurch erhalten, daß Paulus sie selbst seiner Geschichte
der Metzer Bischöfe einreihte. Sie 5ind aber nicht in allen Hand-
schriften mit abgeschrieben worden. Zugrunde gelegt wurden hier
eine aus St. Syraphorian zu Metz stammende Handschrift Paris lat.
5294 saec. XI (5), nach der ich die Inschriften noch einmal verglichen
habe, dann die Ausgabe von Du Chesne, im Jahre 1636 nach einer
unbekannten Handschrift hergestellt (SS. rer. Francic. II 202 — 204),
und schließlich die von Meurisse aus dem Jahre 1634 (Histoire des
^vesques de Metz p. 28); außerdem vgl. Neues Archiv IV 110 und
Poet. aev. Karol. I p. 33.
Im Parisinus lat. 5294 gehen f. 1 1 v folgende Worte des Paulus
voraus: . . Hildegardis apud Mettensem urbem in beati Ar-
nulfi Oratorium requiescit. Pro eo denique, quod a beato
Arnulfo iam praefati reges originem ducerent, suorum ibi
carorum Corpora posuere. Nam ibi humatae sunt duae regis
Pippini filiae, quarum una Rothaidis, altera Adheleidis ap-
pellata est. Ibi quoque et iunioris regis Karoli duae nihilo-
minus tumulatae sunt natae, scilicet Adhelaida et Hilde-
110 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
garda; quae Hildegardis matris nomine nuncupata matrem
morientem citius subsecuta est. Quarum omnium epitaphia
iussu gloriosi regis Karoli composita sunt.
Hier sagt Paulus selbst, daß alle diese oben angeführten In-
schriften auf Verlangen Karis abgefaßt wurden. Dieser kannte sicher
die stimmungsvollen Grabgedichte des Paulus für seine Königin Ansa
und deren Enkelin Sophia, und als Karis Gemahlin Hild^ard am
30. April 783 starb, da übertrug er Paulus, der ihm gerade in jener
Zeit viele Beweise seiner dichterischen Begabung gegeben hatte, die
ehrenvolle Aufgabe für sie eine Grabschrift zu verfassen. Wenn man
bedenkt, daß damals am Hofe Karis auch andere Dichter von Namen
sich befanden, so erscheint dieser Auftrag, dessen würdige Durch-
führung für ihn in diesem Falle Herzenssache war, als der glänzendste
Beweis der Wertschätzung, der sich Paulus als Mensch und Dichter
beim König erfreute.
Als Paulus die Grabschrift für die Königin und später für deren
** gleichnamiges Töchterchen (XXVI, XXVIII) verfaßt hatte Qedenfalls
stand sie vor Karls Vermählung mit Fastrada im Oktober oder No-
^^ vepiber 783 schon auf dem Stein), wünschte dieser, daß Paulus auch
'^me Gräber seiner beiden Schwestern und seines Töchterchens Adel-
heid, die schon vor längerer Zeit gestorben waren, nachträglich mit
Inschriften versehe (XXIV, XXV, XXVII), und wahrscheinlich verfaßte
Paulus diese in rascher Aufeinanderfolge noch im gleichen Jahre.
Diese unterscheiden sich von den anderen dadurch, daß weder die
körperiichen noch geistigen Vorzüge erwähnt sind. Paulus läßt deutlich
merken, daß es sich hier um Personen handelt, die ihm vollkommen
ferne stehen und von denen er nichts weiter kennt als Namen und
Abstammung. So bietet er in diesem Epitaph für Rotheid nichts als
ihren Stammbaum und sagt nicht ein Wort des Lobes über diese
ihm zwar unbekannte, aber sicher vorher näher geschilderte Schwester
Karls, gewiß auch ein Beweis für seine ehrliche Gesinnung.
Galt es aber eine Persönlichkeit zu ehren, wie die Königin, der
er persönlich näher stand, dann ftlhlt man heraus, daß sein Herz
dabei ist, und dann schafft er auch auf diesem Gebiet Werke, die zu
den besten seiner Zeit gehören.
Auch in formeller Hinsicht sind die Epitaphien, die Paulus am
karolingischen Hof verfaßte, von Interesse. Wir haben gesehen, daß er
bei der Abfassung der Grabschriften für Ansa und Sophia unter dem
Einfluß einer gewissen, wohl von griechischen Inschriften herrührenden
Tradition stand. Eine Vergleichung dieser früher entstandenen mit
Auf das Grab der Rotheid, Tochter Pippins. 1 1 1
den karolingischen aber ergibt, daß er die am Hofe Karls bekannten
Vorbilder studiert und immer mehr jene typischen Ausdrucksformen
angewendet hat, die ich früher zusammenstellte (IX). Diese Um-
gestaltung seiner Darstellungsweise zeigt sich beim Epitaph für die
Königin Hildegard (XXVI) und am vollkommensten bei dem für Herzog
Arichis (XXXV).
Hie ego quae iaceo, Rothaid de nomine dicor,
Quae genus excelso nimium de germine duco.
Nam mihi germanus, gentes qui subdidit armis
Ausonias, Karolus fretus virtute tonantis.
5 Pippinus pater est, Karolo de principe cretus,
Aggarenum stravit magna qui caede tyrannum.
Pippinus proavus, quo non audacior uUus,
Ast abavus Anschisa potens, qui ducit ab illo
Troiano Anschisa longo post tempore nomen.
10 Hunc genuit pater iste sacer praesulque beatus
Amulfus, miris gestis qui fulget ubique,
Hie me spe cuius freti posuere parentes.
EPITHAPHIUM ROHAIDIS FIUp PIPINI REGIS 5 /. llv. Epitaphium
Rothaidis filie Pipini regis gloriosi que in isto loco iacet m = Metz 64 (G. 76) saec.
XIV— XV: ohne Überschrift Meurisse.
1 haec Meurisse Chesnius \ quf '^' statt 'ae' öfter S | Rotaich m, Rothaidis
nomine ohne de Meur. Baronius \\ 2 que S^ qui Bar. \ ducor m |i 4 Karlus
fretus S, Karlus aus Karolus corr. S, fretus Karolus die andern \\ 5 Pipinus S
Chesn. | Karlo aus Karolo corr, S \ cretus Chesn. Bar., ortus S || 6 Agarenum
Chesn. \ cede S, dade Bar. \\ 7 Pipinus S Chesn. \\ 8 ast S, est Meur. \ anschisa
qui ducis, potens fehlt S, Asnchise potens qui ducit Chesn., Anchise potens qui ducis
Bar. II 9 Anchisa Chesn. \\ 10 presulque S || 12 freti nachträglich dazugesetzt S.
4 gentes Ausonias vgl. II 9 Ausonia 1 Statthalter Abderrahman zwischen Tours
regio (Anm.). ^ ' und Poitiers 732.
5 — 7 de principe cretus vgl. die j 8—9 Anschisa potens vgl. Gest. epp.
Verse über die Metzer Bischöfe Poet i Mett SS. U 264 cuius Anschisi nomen
I 60 V. 25; Verg. Aen. III 608. — Agga- ! ab Ansdiise patre Aeneae creditur esse
renum tyrannum: Bezieht sich auf den ' deductum.
Sieg Karl Martells über den maurischen j
XXV.
Auf das Grab der Adelheid, der Tochter Pippins.
Bei dieser Grabschrift für Karis Schwester verwendet Paulus vier
Verse für die Einleitung; von den noch übrigen sechs beziehen sich
nur zwei auf die Verstorbene, bringen aber auch nichts Persönliches,
sondern nur ihren Namen und den Wunsch, daß Arnulf sie schützen
möge.
Perpetualis amor capiendae et causa salutis,
Pectore quem vigili huc properare facit,
Nosse cupis, cur busta sacer numerosa retentet
Hie locus, astrigeri qua patet aula poli?
5 Iste sacer, domini qui post servavit ovile,
Legitimi fuerat germinis ante pater.
Cuius posteritas atavo confisa patrono
Hoc cupit in sancto ponere membra loco.
Pippini hie proles Adheleid pia virgo quiescit,
10 Quam simul et reliquas, sancte, tuere, pater.
EPITAPHIUM ADELEIDIS FILIlf CUIUS SUPRA 5 /. 12. Item epitaphium
alterius filie Adeleidis nomine que eciam in isto loco tumulata est m; Item epi-
taphium alterius filiae Adheleidis Chesn.
6 legitimi aus legittimi corr. S || 8 menbra 5 || 9 adeleid 5.
1 — 2 Diese Verse erinnern formell ; 7—8 atavo confisa patrono: Ähn-
an die Einleitung zu den Versen über
die Metzer Bischöfe (Poet. I 60).
5 iste sacer vgl. XXIV v. 10.
licher Gedanke XXIV v. 12 hie me spe
cuius freti posuere.
XXVI.
Auf das Grab der Königin Hildegard.
'Hier ruht Hildegard, einst Karls glückliche Gattin, die durch
ihren Liebreiz, noch mehr aber durch die Vorzüge ihres Herzens die
anderen Frauen übertraf (1 — 14). Ihr größter Ruhm aber ist das
Wohlgefallen eines solchen Mannes, wie Karl ist, erregt zu haben.
Sie allein war würdig Königin eines so mächtigen Reiches zu sein.
Jetzt beklagen ihren Tod alle Nationen und selbst trotzige Krieger
können der Tränen sich nicht enthalten. Schmerz verzehrt das Herz
des Gatten. Nur der eine Trost ist allen geblieben, daß sie im
Himmel ihren Lohn finden wird (15 — 35).'
Hildegard starb im zwölften Jahre ihrer Ehe am 30. April 783
(vgl. Abel 1 105 und 671). Aus dieser jedenfalls bald nach ihrem
Tode entstandenen Grabschrift fühlt man heraus, daß Paulus die Ge-
mahlin Karls wirklich schätzen gelernt hat.
Vergleicht man dieses Epitaph mit dem für die Königin Ansa (IX),
so erkennt man deutlich, wie Paulus in beiden Gedichten den gleichen
Stoff, nämlich Ehrung einer Königin, in ganz veränderter Weise be-
handelt.
Aurea quae fulvis rutilant elementa figuris.
Quam Clara extiterint membra sepulta, docent.
Hie regina iacet regi praecelsa potenti
Hildegard Karolo quae bene nupta fuit.
EPITAPHIUM HILDEGARDIS REGINE 5 /. 12.
I fultis ^ II 2 menbra ^ || 3 precelsa S (e öfter statt ae) j potenü <po'
auf Rasur 5 || 4 Karlo aus Karolo corr. S.
1 In goldenen Buchstaben stand die
Qrabschrift auf dem Stein; exsistere =
esse bei Paulus häufig (vgl. Neff de Paulo
Diacono Festi epitomatore p. 31).
QueUeo u. Uotenuch. z. Ut. Philologie des MA. HI, 4. 8
114
Karl Neu, Gedichte des Paulus Diaconus.
10
15
Quae tantum clarae transcendit stirpis alumnos,
Quantum, quo genita est, Indica gemma solum.
Huic tarn clara fuit florentis gratia forniae,
Qua nee in occiduo pulchrior uUa foret
Cuius haut tenerum possint aequare decorem
Sardonix Pario, lilia mixta rosis.
Attamen hanc speciem superabant lumina cordis
Simplicitasque animae interiorque deeor.
Tu mitis, sapiens, solers, iucunda fuisti,
Dapsilis et cunctis condecorata bonis.
Sed quid plura feram, cum non sit grandior ulla
Laus tibi, quam tanto complacuisse viro?
Cumque vir armipotens sceptris iunxisset avitis
Cigniferumque Padum Romuleumque Tibrim,
8 qua non occiduo m Chesn, \\ 9 haud Chesn. \ possunt Chesn,
10 Pario] patrio S II 11 spetiem 5 || 13 iucunda S, iocunda m Chesn. || 18 Qvi-
ferumque m, Uniferumque Chesn. Bar. Meur. ] tybrum S.
5 — 8 clarae transcendit stirpis
alumnos: Einh. Vita Car. cap. 18 de gente
Suaborum praecipuae nobilitatis fenünam
in matrimonium accepit. — Indica gemma
vgl. XIII 8 (Anm.) gemmas Inäicosque
lapides; Epit. Lothars Anh. I v. 12 rutilat
vario Indus honore lapis. — florentis
gratia formae vgl. Stat. Silv. IV 66
puUhrae gratia formae, — qua nee
in occiduo pulchrior ulla foret vgl. X
V. 4.
10 Sardonix Pario mixta: Parischer
Marmor im Verein mit Edelsteinen ver-
mag nicht den Liebreiz der Königin
wiederzugeben. — lilia mixta rosis: Eine
beliebte Zusammenstellung der zartweisen
Lilie und der roten Rose zur Bezeichnung
weiblicher Schönheit; vgL Verg. Aen.
XII 68 mixta rubent ubi lilia multa alba
rosa; Fortun VI 1, 108, IX 2, 122; Pau-
linus Poet. 1 128 v. 60; 148 v. 14; Alcvin
Poet. I 243 V. 10, 310 v. 3.
11 Der Gedanke, daß die geistigen
Vorzüge der Verstorbenen ihre körper-
lichen noch übertrafen, kehrt in den
gleichzeitigen Epitaphien häufig wieder;
vgl. auch Angilbert Poet 1 361 v. 54 Prae-
pulchram speciem vitae iam vidi ho-
nestas.
13 Diese Häuhing der Adjektiva
durch mehrere Verse hindurch ist in den
Epitaphien oft zu finden.
15—16 sed quid plura feram? be-
liebter Abschluß in Epitaphien vgl. Poet
I 430 V. 27. — laus tibi, quam tanto
complacuisse viro vgl. Ovid. Trist. II 139
NuUa quidem . . . gravior poena est
quam tanto displicuisse viro; vgl. G)n-
soL ad. Liv. 41 (Lier p. 462) Quid tibi
nunc mores prosunt et puriter actum
omne aevum et tanto tarn placuisse
viro.
17—18 cignifer Padus: Padusa, eine
der sieben Mündungen des Po, war ein
Lieblingsaufenthalt der Schwäne vgl. Verg.
Aen. XI 456 — 457. — Romuleusque Tibris
vgl IVi V. 1 Anm.
Aul das Grab der Königin Hildegard.
115
Tu sola inventa es, fueris quae digna tenere
20 Multiplicis regni aurea sceptra manu.
Alter ab undecimo iam te susceperat annus,
Cum vos mellifluus consociavit amor.
Alter ab undecimo rursum te sustulit annus,
Heu genitrix regum, heu decus atque dolor!
25 Te Francus, Suevus, Germanus teque Britannus,
Cumque Getis duris plangit Hibera cohors.
Accola te Ligeris, te deflet et Kala tellus
Ipsaque morte tua anxia Roma gemit.
21 fehlt Chesn. Meur, \ te naditräglidi hinzugesetzt S \\ 22 fehlt Chesn.
Meur. II 25 Suevus] suauis (?) S \ teque S m, atque Meur, || 26 gentis S | duris
fehlt S.
19—23 alter ab undecimo iam te
susceperat annus vgl. Verg. Ecl. VIII 39
alter ab undecimo tum me iam acceperat
annus; Buecheler, Carm. lat. epigr. 1560 B
octavus decimus vix te susceperat annus:
Fort. IV 26 V. 35-36
Tertüis a decimo ut hanc primum
acceperat annus,
Traditur optato consociata viro;
Fort. VI la V.42 Quam tibi divinus con-
sociavit amor. — alter ab undecimo be-
deutet das 12. Jahr, nicht wie Servius in
seiner Erklärung der angegebenen Vergil-
stelle will, das 13. Demnach war Hilde-
gard 12 Jahre alt, als sie sich mit Karl
vermählte, und war ebensolange seine
Gattin. Da sie nun, wie feststeht, am
30. April 783 starb, so erfolgte die
Vermählung im Jahre 771. Abel glaubt
nun im Hinblick auf v. 17—20, daß Pau-
lus von der irrigen Ansicht ausgeht, Karl
habe Hildegard erst nach der Eroberung
des Langobardenreichs (774) geheiratet.
In diesem Sinn sind aber diese Verse
nicht zu deuten, sondern Paulus will
sagen: .Als Karl nach der Eroberung des
Langobardenreichs an der Spitze eines
so großen Reiches stand, da erwies sie
sich als die allein seiner würdige Königin.'
Es liegt nicht der geringste Grund vor
an den Angaben des Paulus zu zweifeln ;
denn er kannte die Familiengeschichte
Karls sehr genau und bekam von ihm
selbst Aufschlüsse, vgl. GesL epp. Mett.
SS. II p. 264: Haec ego non a qualibet
mediocri persona didici, sed ipso totius
veritatisassertore praecelsorege
Karolo referente cognovi/Wt sollte
er dann über ein Hauptereignis im Leben
der Königin Hildegard in ihrer unter den
Augen Karls entstandenen Grabschrift
unrichtige Angaben machen?
24 heu genitrix regum: Sie hatte
Kari vier Knaben und fünf Mädchen ge-
boren; Pippin und Ludwig erhielten schon
781 den Königstitel; vgl. auch Epit. Lo-
thars (Anh. I V. 17). — heu decus atque
dolor vgl. XXXV v. 4.
25 — 28 Es liegt die auch sonst bei
den karolingischen Epitaphien übliche
Anordnung der Gedanken vor: Nach An-
gabe des Namens und der Herkunft und
Schilderung der körperlichen und geisti-
gen Vorzüge erwähnt der Dichter, wel-
chen Eindruck ihr Tod auf die Ferae-
und Nahestehenden ausübte. — te Fran-
cus, Suevus vgl. auch XXXV v. 35—38.
— accola Ugeris vgl. Verg. Aen. VII 729
accola VolturnL — te deflet et Itala
teUus (Ov. Fast. IV 64) vgl. Poet. 1 1 10 v. 13
hunc deflet Italus,
8*
116 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Movisti ad fletus et fortia corda virorum
30 Et lacrimae clipeos inter et arma cadunt.
Heu, quantis sapiens et firmum robore semper
Ussisti flammis pectus herile viri.
Solatur cunctos spes haec sed certa dolentes,
Pro dignis factis quod sacra regna tenes.
35 lesum nunc precibus, Arnulfe, exores eorum
Participem fieri hanc, pater alme, tuis.
30 En Chesn, || 31 quantum Meur. \\ 33 Celatur S | creta 5 II 34 Pro]
zwisdien P und ro eine Rasur, es stand hier Ihm von der niUhsten Zeile S \
quod] quo S || 35 fehlt m Chesn, Meur,, nur Jesum hat S, ergänzt von Pertz \\
36 fehU Meur.
31 firmum robore vgl. Poet. I 61 1 flamma meum pectus ubique cremat,
V. 29 firmum robore pectus, — ussisti ! 33—34 Diese Verse finden sich fast
flammis pectus vgl. Poet 1 112 v. 8 cuius ' wörtlich in XXXV v. 49—50.
XXVII.
Auf das Grab der Adelheid.
Diese Tochter Karls und seiner Gemahlin Hildegard wurde im
Lager vor Pavia 774 geboren (Abel I 149 u. 193), dann noch vor
der Einnahme der Stadt ins Frankenreich vorausgeschickt und starb
fem von ihren Eltern auf der Reise nach der Rhone.
Gewiß keine leichte und angenehme Aufgabe für ein neugeborenes
Kind eine Grabschrift zu verfassen, und Paulus hilft sich damit, daß
er mit ein paar Worten die Schicksale des Kindes erzählt
Dabei aber benützt er die Gelegenheit Karts Macht und Tugenden
zu preisen und spricht sogar von der Eroberung des langobardischen
Reiches, gerade als ob er damit zu verstehen geben wollte, daß jetzt
jeglicher Groll aus seinem Herzen geschwunden sei und er ruhig über
jene politischen Verhältnisse Sprechen könne, die einst trennend zwischen
Kart und ihm getreten waren. Da nun dieses Epitaph jedenfalls noch
im Jahre 783 entstand (vgl. Vorbem. zu XXIV), so nehme ich an, daß
die Annäherung des Paulus an Kart, die wir schon aus Gedicht XXII
herausgelesen haben, in diesem Jahre zur Tatsache geworden war,
nachdem er vorher die Befreiung seines Bruders endlich ertangt hatte.
Hoc tumulata iacet pusilla puellula busto,
Adeleid amne sacro quae vocitata fuit.
Huic sator est Karolus, gemino diademate poUens,
Nobilis ingenio, fortis ad arma satis.
EPITAPHIUM ADELEIDIS FILIE KAROLI REGIS QUE IN ITALIA NATA
EST QUANDO SIBI EAM IPSE SUBEGIT S /. 13; Epitaphium filiac Karoli Magni
Adheleidis quae nata de thalamo eius quando isdem Italiam subegit Ckesn,
1 busto aus busta corr. S \\ Z Karlus aus Karolus corr, S \ pollens aus
poUes corr. S.
1—4 pusilla puellula busto: Beachte | pollens vgl. die Verse über die Metzer Bi-
die Alliteration. — gemino diademate \ schöfe Poet I 60 v. 20 caelesti dogmate
118
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
10
Sumpserat haec ortum prope moenia celsa Papiae,
Cum caperet genitor Itala regna potens.
Sed Rhodanum properans rapta est de limine vitae
Ictaque sunt matris corda dolore procul.
Excessit patrios non conspectura triumphos,
Nunc patris aetemi regna beata tenet
5 menia S || 6 petens 5 || 7 rodanum 5 | limine 5.
poUens; Karl ist Herrscher über das
Frankenreich und Italien. — nobilis in-
genio erinnert an das zum Vorbild die-
nende Epitaph des Constans (Poet. I 79
V. 8): primus in ingenio, primus in arma
füit: Poet. II 661 v. 22 fortis ad arma
simul,
5 prope moenia Papiae: Karl ließ
seine Frau und Kinder ins Lager kommen,
als er Pavia vom Ende September 773
bis Mitte Juni 774 belagerte; vgl. Vita
Hadriani S. 496: Diiigensque continuo
Franciam ibidem apud se Papiam ad-
duci fecit suam coniugem exceUen-
tissimam Hildegardis reginam et nobi-
lissimos fHios (Abel I 148).
8 — 10 ictaque sunt matris corda
vgl. XXVIII V. 6 regia corda patris, —
patrios non conspectura triumphos: Sie
sollte nicht mehr den Fall Pavias erleben;
patrios triumphos, patris aetemi: Ahn-
liche Wortspiele finden sich l>ei Paulus
häufig.
XXVIII.
Auf das Grab der kleinen Hildegard.
'Wie der Nord die Blüten des Frühlings wegreißt, so plötzlich
raffte der Tod Dich hinweg (1 — 4). Nicht klein ist die Trauer, die
Du, Kleine, besonders im Herzen Deines Vaters zurückließt. AXTir weinen
und Du eilst zur ewigen Seligkeit (5 — 10).'
Wiederum eine Grabschrift für ein kleines Kind, für die Tochter
Hildegards, die am 9. Mai 783 starb. Paulus zeigt aber hier, wie er
auch einem so undankbaren Stoff einen poetischen Reiz zu verleihen
vermag.
Hildegard, rapuit subito te funus acerbum,
Ceu raptat Boreas vere ligustra novo.
Explevit necdum vitae tibi circulus annum
Annua nee venit lux geminata tibi.
EPITAPHIUM HILDEGARDIS PILI? CUIUS SUPRA 5 /. 13; Item cpita-
phium Hildegardis filiae eiusdem Karoli Chesn,
1 rapuit aus rapuid corr. S \\ A genuina 5.
1 — 4 rapuit te funus acerbum = im-
maturum (ätogog ddvaiog in griech. Epit.):
.Ein zu früher Tod raffte Dich weg;* vgl.
Vcrg.Aen.VI429,XI28; Poet 1 65 v. 4 mors
acerba; 112 v. 27 post nati funus acer-
bum; Buecheler, Carm. epigr. 93 verum
me mors acerba senibus his prius aetate
mmatuna abstuät fato invido. — ceu
raptat boreas: Ahnlicher Vergleich X v. 18.
Wie der Nord die Blüten des Frühlings
wegrafft, so der Tod die eben erst ins
Leben getretene, kaum 40 Tage alte (v.8)
Hildegard.
120
Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
10
Parvula, non parvum linquis, virguncula, luctum
Confodiens iaculo regia corda patris.
Matris habens nomen renovas de matre dolorem,
Postquam vixisti vix quadraginta dies.
Pectore nos maesto lacrimarum fundimus amnes,
Tu nimium felix gaudia longa petis.
7 renovans 5
Standern Lücke S \
I morte m Chesn. || 9 nach pectore eine durch Rasur ent-
mesto 5 I 10 longa aus loga corr. S.
5 parvula, non parvum Unguis luc-
tum: Ein Wortspiel, fthnlich dem in
V. 7. Hier gebraucht Paulus den auch
schon in filteren Epitaphien sich hfiufig
findenden Gedanken, dafi der Verstor-
bene den Hinterbliebenen nur Schmerz
und Klagen zurücklfißt: Buecheler 55, 16
reliqui fletum natu genitori meo; 563, 3
matrique dolore(m) reliquit: 1292 tu
secura iaces, nobis reliquisti querelas:
vgl. auch Bonif. Poet. 1 20 v. 13 occidit
et nobis fletus gemitusque reliquit.
6 — 10 confodiens iaculo: Ahnlicher
Vergleich XXXV v. 41 , regia corda patris
vgl. XXVU V. 8; Poet 1 72 v. 16 vuinißx>
fodiä corda mucrone patris. Dies BQd
geht jedenfalls auf Lucas II, 35 zurQck:
et tuam ipsius (= Mariae) animam
pertransibit gladius. — lacrimarum fun-
dimus amnes vgl. Fortun. VI 5, 123; Vffl
3,255 u.a. — tu nimium felix XIX v.3;
Fort Vra 3, 299.
XXIX.
Auf das Grab des Dichters Fortunat
'Hier ruht der geistreiche und liebliche Sänger Fortunat, aus
dessen Munde wir die Taten der Heiligen kennen lernen (1 — 6).
Heil Dir, Gallien, daß Du solche Männer besitzt. Ich habe diese
kunstlosen Verse nur um Deinen Ruhm zu verkünden gedichtet.
Bitte für mich (7—12)!'
Dieses Epitaph für den bedeutendsten Dichter des 6. Jahrhunderts
(M. G. Auct. ant. IV, 1 ed. Leo) ist uns in der Pariser Handschrift lat.
2832 saec. IX med. (= F), die ich noch einmal verglichen habe, in-
mitten einer Sammlung von Epitaphien (Neues Archiv IV 297 — 299)
überliefert und dann auch in den Abschriften der Hist. Lang., in
welches Werk es Paulus später aufnahm. Hier (II 13) gibt er eine
kleine Biographie dieses Dichters und schließt sie mit den Worten:
Ad cuius ego tumulum, cum ilUic orationis gratia adventassem, hoc
epitaphium rogatus ab Apro, eiusdem loci abbate, scribendum
contexuL
Aper, der um das Jahr 780 Abt des Hilariusklosters in Poitiers
war, veranlaßte demnach Paulus, als er während seines Aufenthalts
im Frankenreich einmal in diese Gegend kam und das Grab Fortunats
besuchte, diese Grabschrift zu verfassen. Die Werke dieses Dichters
waren Paulus bekannt, auch Theodulf nennt ihn unter den von ihm
gelesenen (Poet. I 543 v. 14) und Alkvin verfaßte auf ihn auch eine
kleine Grabschrift (I 326 XVII).
Über die Entstehungszeit des Epitaphs läßt sich nur sagen, daß
es jedenfalls in den Jahren 782 — 786 vor den Metzer Grab-
schriften abgefaßt wurde, da er in der Darstellung noch seine eigenen
Bahnen geht.
122 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
Ingenio clarus, sensu celer, ore suavis,
Cuius dulce melos pagina multa canit,
Fortunatus, apex vatum, venerabilis actu,
Ausonia genitus hac tumulatur humo.
5 Cuius ab ore sacro sanctorum gesta priorum
Distimus. Haec monstrant carpere lucis iter.
Felix, quae tantis decoraris, Gallia, gemmis,
Lumine de quarum nox tibi tetra fugit.
Hos modicus prompsi plebeio carmine versus,
10 Ne tuus in populis, sancte, lateret honor.
Redde vicem misero. Ne iudice spemar ab aequo,
Eximiis meritis posce, beate, precor.
EPITAPHIUM FORTUNATl EPISCOPI Ff, 118; die Handschriften der Hist.
Lang, = /.
1 oreque / || 4 tumulatus / || 5 piorum / || 9 modicus F t, modicos
Waitz II 12 eximiis aus eximis com F, ezimius /.
1 ingenio clarus, sensu celer: »von
klarem Geist und rasch im Denken.' —
ore suavis (dreisilbig) vgl. Hist. Lang. II 13
versiculos suavi et diserto sermone com-
posuit. Alcvin schreibt in seinem Epi-
7—9 tantis decoraris gemmis: Pau-
lus liebt diesen Vergleich, vgl. VI v.56;
X V. 2. — modicus: Paulus nennt sich
im Vergleich zu dem berühmten Dichter
.unbedeutend*. Es ist kein Grund diese
taph für Fortunat I 326, 5 überlieferte Lesart zu ändern. — plebeio
Qui sermone fuit nitidus sensuque i carmine versus Eugen. Toi. p. 268, 3.
fideUs, I 10—12 ne tuus in populis lateret
Ingenio calidus^promptus et ore suo. . honor: Den gleichen Grund, warum er
3 — 5 apex vatum vgl. Hist. Lang. ■ die Grabschrift verfaßte, gibt er in seiner
II 13 nulli poetarum secundus. — Au- ! Hist. Lang. II 13 an ne eins vitam
sonia genitus: Er stammt aus Oberitalien. | sui cives funditus ignorarent. — redde
— sanctorum gesta: Hist. Lang. II 13 vicem misero (Ovid. Am. I 6, 23 redde
sanctorum gesta partim prosa partim
metrali ratione conscripsit; Alcvin 326
V. 3 plurima qui fecit sanctorum car-
mina metro; gemeint ist besonders vita
S. Martini: Poet. I 96 v. 10 sanctorum
vicem meritis): Fortunat möge für ihn
Fürbitte einlegen, als Gegenleistung für
diese Grabschrift. Dies ist eine in den
Epitaphien der karolingischen Zeit be-
liebte Wendung, vgl. Epitaph AlcvinsPoet
renovans patrum conscripta priorum; I 350 v. 17; Bernow. Poet. I 420 v. 23;
vgl. auch Poet. I 19 v. 1 (Epit. Dom- ' II 656 v. 13.
berchti).
XXX.
Paulus an Karl.
'Ich möchte gerne zu Deiner Bibliothek einen Beitrag liefern
und habe mir notgedrungen Fremdes entlehnt, da ich Eigenes nicht
bieten kann. In dem Auszug, den ich Dir aus den 20 Büchern des
Sextus Pompeius machte, wirst Du vieles finden, was Dich inter-
essiert: Grammatisches, Etymologisches, Angaben über die Stadt Rom
und über heidnische Gebräuche, auch die Erwähnung von Ausdrücken,
die bei Dichtern und Geschichtschreibem beliebt sind. Die gnädige
Aufnahme dieses kleinen Geschenkes wird mir zu größeren Arbeiten
Mut machen.'
Dieses Karl gewidmete Werk des Paulus, dessen Autorschaft
ich nachgewiesen habe {De Paulo Diacono Festi epitomatore Erlangen
1891), entstand erst in der Zeit, wo er in Karl nicht mehr den Unter-
drücker seines Volkes, sondern den von Gott mit einer besonderen
Mission betrauten König sah, und zwar erst nach seiner Rückkehr
ins Kloster Montecassirto, nach dem Jahre 786. Das unruhige Leben
am Hofe Karls, dieses Wandern von einem Hoflager zum andern und
dabei die Erledigung vieler ihm übertragener anderer Aufgaben lassen
es als unmöglich erscheinen, daß Paulus noch zwischen 782 — 786
diese umfangreiche Arbeit erledigte. In Montecassino dagegen fand
er eher Muße dazu.
Wenn ich zeigte (a. a. O. p. 36), daß in dem Kommentar zur
Regula S. Benedikti sich Stellen mit den Exzerpten des Festus be-
rühren, so beweist dies nicht etwa, daß der Kommentar nicht der lango-
bardischen Zeit angehört, sondern nur, daß sich Paulus schon damals
mit Studien über Festus beschäftigte, die er erst später in Monte-
cassino, angeregt durch die dort befindlichen Handschriften, zum
Abschluß brachte (vgl. auch Traube, Textgesch. zur Regula S. Bene-
dict! 110).
224 ^^^ ^^^* Gedichte des Paulus Diaconus.
Von den drei Handschriften, in denen das Widmungsschreiben
überliefert ist, habe ich die Münchner noch einmal verglichen, sonst
schloß ich mich der Ausgabe Dümmlers an (M. G. Epp. IV p. 508).
DIVINAE LARGITATIS MUNERE, SAPIENTIA POTENTIA-
QUE PRAEFULGIDO DOMINO REGI CAROLO REGUM
SUBLIMISSIMO PAULUS ULTIMUS SERVULUS.
Cupiens aliquid vestris bibliothecis addere, quia ex proprio
5 perparum valeo, necessario ex alieno mutuavi. Sextus denique Pom-
peius Romanis studiis affatim eruditus, tam sermonum abditorum quam
etiam quarundam causarum origines aperiens opus suum ad viginti
usque prolixa Volumina extendit.
Ex qua ego prolixitate superflua quaeque et minus necessaria
10 praetergrediens et quaedam abstrusa penitus stilo proprio enucleans,
nonnuUa ita, ut erant posita, relinquens, hoc vestrae celsitudini l^endum
conpendium obtuli. In cuius serie, si tamen lectum ire non dedigna-
bimini, quaedam secundum artem, quaedam iuxta ethimologiam posita
München 14734 saec. X = /, Wolfenbüttel 10. 3 qu. August, s. X f. 4 = A
Wien 142 saec. X f. 1 = /z.
2 domino regi fehlt i, domno n \ Caralo / || 4 bibiiotecis n \\ 5 Sextus]
am Rand verbessert von anderer Hand Festus /, Festus /z || 10 enuciens /i.
1 — 3 diviniae largitatis munere: \ dient und regte auch die Gelehrten seiner
Vgl. Vorbem. und Hist. Lang. VI 7 inter \ Zeit zu schriftstellerischer Tätigkeit an;
reüqua suae largitatis munera. — re- \ vgl. Einh. Vita Car. cap. 33 de libris,
gum sublimissimo : In ähnlicher Weise I quorum magnam in bibliotheca sua
sprach er von seinem König auch in dem | copiam congregavit; vgl. auch Traube,
Dedikationsgedicht zur Homiliensamm- \ Textgesch. S. 75 und 127. — Sextus
lung, das auch in Montecassino entstand ! denique: Paulus verwendet denique statt
(vgl. XXXII V. 2.U.3). — ultimus servulus:
in einer Homilie (Migne XCV p. 1577)
extremus b. Benedicti servulus: vgl. Eug.
^nim, aber erst in der Hist Lang., was
mich noch in der Anschauung bestärkt
daß die Entstehung des Festusexzerptes
Toi. p. 27. in die letzte Zeit seines Aufenthalts in
4 — 5 vestris bibliothecis: Wir sehen, ; Montecassino zu verlegen ist.
daß Karl bemüht war Bibliotheken anzu- 1 1 — 14 legendum conpendium ob-
legen und daß er die Gelehrten aufforderte , tuli vgl. Brief an Adelperga III 9 Adel-
Beiträge zu liefern und ihre eigenen Werke perga legendam historiam optuli. —
ihm zu übergeben. Dadurch machte er sich ' secundum artem: Da Paulus weiterfährt
um die Erhaltung klassischer Werke ver- | iuxta ethimologiam posita, so ist jeden-
Paulus an Karl.
125
non inconvenienter invenietis, et praecipue civitatis vestrae Romuleae,
portarum, viarum, montium, locorura tribuumque vocabula diserta i5
reperietis, ritus praeterea gentilium et consuetudines varias, dictiones
quoque poetis et historiographis familiäres, quas in suis opusculis
frequentius posuere.
Quod exiguitatis meae tnunusculum si sagax et subtilissimum
vestrum ingenium non usquequaque reppulerit, tenuitatem meam vita 20
comite ad potiora excitabit.
14 Romulf^ n \\ 15 moncium n \\ 16 repperietis / || 17 po^s n, poematis / ||
18 frequencius n \\ 19 sagax] ga auf Rasur i \ subtilismum / || 20 usquequaque]
usque quare / | repulerit n \\ 21 pociora n. In nomine domini incipiunt excerpta
ex libris Pompei Festi de significatione verborum folgt in l n.
falls ars grammatica gemeint. — civi-
tatis vestrae Romuleae vgl. Gedicht des
Paulus IV V. 1 Anm.
17—20 historiographi verwendete
Paulus auch in seiner Hist.Lang. 1 cap. 15,
II cap. 23. — exiguitas: Ist wie exiguus
in der Einleitung zum Brief an Adelperga
Höflichkeitsformel = meine Wenigkeit.
— tenuitatem meam ist im gleichen
Sinn wie in Hist. Lang. III 24 zu fassen:
iuxta tenuitatis nostrae vires universa
descripsimus : Gest. epp. Mett SS. II 262
meae tenuitatis non immemor, — vita
comite auch sonst von ihm gerne ge-
braucht, vgl. Schluß der Briefe an Adel-
perga und Theudemar; betreffs der son-
stigen stilistischen Eigenttlmlichkeiten
unseres Briefes vgl. p. 37 ff. in meiner
in den Vorbem. angeführten Arbeit. Die
Unechtheit der Verse
Malta legit paucis, qui librum prae-
dicat istum;
Hoc servusfecit, Karolo rege, tuus.
Sic una ex multis nunc fiat ecclesia
templis;
Det David vires scilicet ipse deus,
hat Traube (Neues Archiv XV 199) nach-
gewiesen und die genaue Untersuchung
der Schreibweise des Paulus ergab nur
eine Bestätigung seiner Behauptung.
XXXI.
Brief an Adalhard.
'Leider war es mir nicht möglich Dich im vergangenen Sommer
zu sehen, wo ich mich in jenen Gegenden aufhielt. Die gewünschten
Briefe konnte ich Dir deshalb nicht früher schicken, weil ich keine
Abschreiber hatte und auch vom September bis Weihnachten krank
damiederlag (1 — 11).
Aber auch jetzt kann ich Dir nur 34 überschicken, die ich durch-
korrigierte. Die lückenhaften Stellen wagte ich nicht zu ergänzen,
sondern machte am Rande ein Zeta (12 — 17). Verbessere Du gelegent-
lich die übrigen Briefe nach einer Handschrift mit reinerem Text und
ergänze auch die Lücken. Zugleich rate ich Dir einzelne Stellen
nicht allen zugänglich zu machen (18 — 22).'
Die Schlufiverse enthalten die Versicherung seiner treuen Liebe
und die Bitte, Adalhard möge seiner eingedenk sein.
Da die Handschrift (Petersburg cod. S. Germani 169, 858 saec.
VIII), in der dieser Brief tiberiiefert ist, sich ursprünglich in der Abtei
Corbie an der Somme in der Picardie sich befand, so weist schon
die Überiieferung auf Adalhard, den Vetter Karls, der ca. 780 — 826
dort Abt war (vgl. Abel I 361).
Ob aber Paulus mit unserem Paulus identisch ist, darüber ist
bis jetzt keine endgültige Entscheidung getroffen worden. Mabillon,
Goussainville und die Mauriner zweifeln nicht daran, Bethmann meint
(Archiv X 297) ohne Beweise anzugeben: „alles paßt recht gut auf
ihn", Dahn (S. 37) hält die von Mabillon angeführten Gründe nicht
für überzeugend, wenn auch nach seiner Anschauung hohe Wahr-
Brief an Adalhard. 127
scheinlichkeit dafür besteht. Paul Ewald, der in seinen «Studien zur
Ausgabe des Registers Gregors I" (Neues Archiv III 440, 474) diese
Frage eingehend untersucht, kommt zu der Anschauung, daß die
Gründe für und wider nicht zwingend sind.
Um nun eine Grundlage für die Entscheidung dieser Frage zu
schaffen möchte ich hier einen Überblick über die philologisch-
grammatische Tätigkeit des Paulus Diaconus geben, da auch der
Inhalt des Briefes auf diese hinweist.
Nach den Untersuchungen Traubes (Textgeschichte S. 41) ist
der Kommentar zur Regula S. Benedicti noch in der langobardischen
Zeit entstanden und also die erste derartige uns bekannte Arbeit. Dann
ist Paulus der Verfasser des grammatischen Rhjrthmus (XV), der mög-
licherweise die Grundlage bildete bei seiner Lehrtätigkeit in der
lateinischen Grammatik am Hofe Karls (vgl. XII 7).
In dem Katalog der Bibliothek des Benediktinerklosters Lorsch,
einer wichtigen Bildungsstätte der karolingischen Zeit (vgl. Rhein.
Mus. N. F. XXIII 1868 S. 385 ff.), steht f. 30\- Item minores et mai-
ores partes donati et prisciani minores partes et asperi grammatici
in uno cod. Ars grammatici sancti augustini adbreviata. Item
eiusdem. Item paali diaconi ad Karolum regem item sancti
isidori episcopi. Das zitierte Werk ist das nämliche, das im Palatinus
1746 saec. IX, der aus Lorsch stammt, angeführt ist. Hier steht f. 27
Incipit ars donati quam paulus diac. exposuit und voraus-
gehen, wie im Lorscher Katalog, grammatische Werke Augustini epis-
copi und nachher heißt es f. 40^ Incipit sancti isidori episcopi de
grammatica et partibus eius. Der Beisatz ad Karolum regem in
dem Lorscher Katalog weist nur auf unseren Paulus hin, da nur er
für Karl in dieser Hinsicht tätig war.
In dem gleichen Katalog heißt es f. 32^: über grandis glosarum
ex dictis diuersorum coadunatus in uno cod. Item lib. glosarum
et cronica isidori et sententia senice in uno cod. Glose pauli
diac. Item glose in quaternionibus. Jedenfalls ist damit sein
Festusexzerpt gemeint. Wichtig ist auch eine Notiz im ältesten
Katalog von Montecassino, den Traube aus dem Cavensis f. 69 zum
erstenmal herausgab und der ihm wie ein Verzeichnis der aus dem
Nachlaß des Paulus zugeflossenen Bücher erscheint (Textgeschichte
zur Reg. S. Ben. S. 113): brebe (bb Gaetani, W Reifferscheid) facimus
de ipsi codici: inprimis regum I, salomon, storiale, prophetarum,
homelie bede, homelie de dibersis doctores (das Werk des Paulus),
colectariu (colectaru Gaetani, colecta III Reifferscheid) de dibersis
128 Karl Neff, Gedichte des Paulus Diaconus.
doctores, scintillu (das Werk des Defensor), danihel, eptaticu, codice
betere (d. h. veterem) I, collectariu (collectaru Gaetani^ minores I,
cronica I, psalteriu I, eUhiomoligiara (etthimoligiaru Gaetani, ^ÄAio-
moligiarum Reifferscheid^ /, istoria (storia Reifferscheid^ longo-
bardoru I, lectionani I. insimul totidem sunt cotdici XVII.
Wenn man ferner bedenkt, daß Karl ihm auch die Herstellung
der Homiliensammlung (vgl. Gedicht XXXII) übertrug, eine Tätigkeit,
die sich mit der in dem Brief an Adalhard besprochenen ganz nahe
berührt, und daß es in den Jahren 782 — 786, wo Paulus am Hofe
Karls weilte, und auch mehrere Jahre nachher, keinen anderen Paulus
gab, der für Karl derartige Arbeiten erledigte, dann kann niemand
als unser Paulus jener Paulus grammaticus gewesen sein, der zwischen
784 und 791 im Auftrage Karls den Papst Hadrian I. um Zusendung
des über sacramentorum Gregors I. bat (Jaffö, Bibliotheca Rerum
Germanicarum IV 27 ff. Epp. III 626).
Ein weiterer Beweis für die Identität liegt auch darin, daß unser
Paulus eine Biographie Gregors geschrieben hat (Hist Lang. III 24
de beato Gregorio plura dicere obmittimus, quia iam ante aliquot
annos eius vttam Deo auxiliante texuimus) und daß er in seiner
Hist. Lang., wie Ewald a. a. O. nachwies, eine Kenntnis der Briefe
Gregors verrät.
Zu allen diesen Beweispunkten kommt noch hinzu, daß zwischen
unserem Paulus und Adalhard Beziehungen bestanden. Nach Angabe
des Biographen Adalhards, des Paschasius Radbertus (Vita Adalh.
cap. 12 SS. II 525 und Hauck, Kirchengesch. Deutschi. S. 172), hielt
sich dieser vor 780 als Mönch in Montecassino auf, also in jener
Zeit, wo Paulus Diaconus dort als Verbannter lebte. Sicherlich
sind sie dort einander näher getreten. Daher der freundschaftliche
Ton, in dem der Brief gehalten ist und den er dem einstigen Frater
gegenüber anschlagen konnte {yg\. carissimo fratri ; dilecte mi; frater
amabilis).
Damit wäre eigentlich die Frage schon entschieden, die Er-
klärung des Briefes selbst aber bringt in stilistischer und inhaltlicher
Beziehung noch manchen Punkt zur Bestätigung und beweist auch,
daß seine Abfassung in die Zeit seines Aufenthalts am Hofe Karls
(782 bis 786) fällt.
Brief an Adalhard.
129
CARISSIMO FRATRI ET DOMINO ADALARDO, VIRO
DEI, PAULUS SUPPLEX.
Cupieram, dilecte tni, aestate praeterita videre fadem tuam, quando
Ulis in partibus fui, sed praepeditus lassitudine sonipedum ad te venire
non potui. Interioribus tarnen oculis, quibus solis valeo, tuae frater- 5
nitatis dulcedinem frequenter aspicio. Volueram equidem tuis imperiis
iam ante parere, sed, utpote pauper et cui desunt librarii, prius hoc
facere nequivi, maxime cum me tam prolixa valitudo contriverit, ut a
mense Septembrio paene usque ad diem nativitatis Domini lectulo
detentus sim nee licuerit clericulo illi, qui haec eadem utcumque 10
scripsit, manum ad atramentarium mittere.
Suscipe tarnen, quamvis sero, epistolas, quas desiderasti, et quia
mihi eas ante relegere prae occupatione totas non licuit, 34 ex eis
scito relectas et, prout potui, emendatas esse praeter pauca loca, in
quibus minus inveni, et tamen meo ea sensu supplere nolui, ne viderer 15
tanti doctoris verba inmutare. Quibus in locis et forinsecus ad oram
zetam, quod est vitii Signum, apposui.
= Petersburg, einst S. Germani Prat. 169. 858 f. 1.
Übersdirift Seiectae epistolae sancti Gregorii papae o
praepedibus corr, || 10 uticumque 0.
4 praepeditus aus
1 — 5 carissimo fratri et domino:
Diese Anrede hat ihre Begründung darin,
dafi Adalhard (vgl. Vorbem.) einstens in
Montecassino mit Paulus gleichzeitig
Mönch war und nun Abt in Corbie an
der Somme ist. — Paulus supplex vgl.
die Anm. zu III. — interioribus tamen
oculis, quibus solis valeo vgl. Brief an
TheudeniarXIV21 tota, qua solum valeo»
mente,
7 utpote pauper et cui desunt li-
brarii: Es ist natürlich, daß die Ge-
lehrien, die der König immer bei sich
haben wollte (vgl. Vorbem. zu XXIII), bei
dem oft raschen Wechsel der Hoflager
in literarischen Hilfsmitteln